-
770
Herab, an einer Stelle war ein Dielenbrett aufgehoben, die Fensterbank war umgedreht, auf dem Fußboden beim Ofen lag Asche.
Auf dem Tisch stand der erloschene Samowar, schmutziges Geschirr, Wurst und Käse auf Papier, anstatt auf Tellern, Brotstüde und Krumen, Bücher und Kohlen lagen umher. Die Mutter lächelte, Nikolai lachte ebenfalls verwirrt.
Ich habe das Bild der Zerstörung noch vervollkommt. Aber das macht nichts, Nilowna, macht nichts. Ich dachte, sie kommen wieder, deswegen habe ich gar nicht aufgeräumt. Nun, wie sind Sie gefahren?"
Die Frage traf ihre Brust wie ein schwerer Stoß. Vor ihr stand Nybin, und sie fühlte sich schuldig, daß sie nicht sofort von ihm gesprochen. Sie beugte sich auf dem Stuhl bornüber, rückte an Nikolai heran und begann zu erzählen, wobei sie sich bemühte, ihre Ruhe zu bewahren und gleichzeitig fürchtete, etwas zu vergessen.
„ Er ist festgenommen... Nikolais Gesicht zitterte. " Ja? Wie denn?"
Die Mutter hinderte ihn durch eine Handbewegung am Fragen und fuhr in ihrer Erzählung fort, als wenn sie vor dem Angesicht der Gerechtigkeit selbst fäße und ihre Klage über die Mißhandlung des Menschen vorbrächte. Nikolai lehnte sich im Stuhl zurück, wurde blaß, biß sich auf die Lippen und hörte so zu. Er nahm langsam die Brille ab, legte sie auf den Tisch, fuhr mit der Hand über das Gesicht, als wischte er unsichtbare Spinngewebe ab. Seine Züge wurden scharf, die Rinnbacken traten sonderbar hervor und die Nasenflügel zitterten. Die Mutter sah ihn zum ersten Male so, und er erschreckte sie ein wenig
( Fortsetzung folgt.)
abschließt, länger bei ihm machen? Die Zeit ft ja 6or der Tür, wo man wegen der Treue gegen ihn, der Aufopferung und Stand. haftigkeit und aller anderen bürgerlichen Tugenden, von ihm selbst gerichtet, an den Galgen kommen kann." Der Gedanke an den Tod hatte für Kleist keine Schreden. Aus Königsberg schrieb er einst an Rühle:" Romm, laß uns etwas Gutes tun und dabei sterben... Es ist als ob wir aus einem Bimmer in das andere gehen." Und sein Unsterblichkeitsglaube war derart, daß er ihm auch für einen Selbstmord keine Strafe im Jenseits in Aussicht stellte. Aber es war eine Eigentümlichkeit Kleists , daß er den großen Schritt in das andere Zimmer nicht allein machen wollte. Mehrfach schon, wenn der Druck des Lebens ihm zu stark wurde, hatte er sich nach einem Todesgefährten umgesehen: in der Qual der Guistardzeit hatte er an Pfuel das Anfinnen eines gemeinsamen Selbstmordes gestellt und ebenso später öfters an seine Cousine Marie von Kleist . Jeßt, während seine Lebensnot größer war, als jemals früher, fand sich eine Genossin, Frau Gefühl für die begabte und verständnisvolle Frau erschien immerhin Henriette Vogel . Kleist kannte sie schon seit einiger Zeit, und sein als so heiß und start, daß ihr Gatte sich bereit erklärte, fie ihm abzutreten; aber auch sie hatte Ursache, ein vorzeitiges Ende zu wünschen, da eine unheilbare Krankheit ihr einen qualvollen natürlichen Tod in Aussicht stellte. Sie war es, die Kleist den Vorschlag machte, gemeinsam zu sterben; und daß sein alter Wunsch ihm jetzt von einer geliebten Frau erfüllt wurde, gab den eine Vermählung erschien ihm der gemeinschaftliche Tod, und höhere Stimmungen seiner lezten Tage eine eigentümliche Färbung. Als Wonnen schien er ihm in Aussicht zu stellen, als eine irdische Vereinigung es gefonnt hätte. Man muß sich beim Lesen dieser letzten Briefe fortwährend gegenwärtig halten, daß hier ein Mann spricht, der endlich, endlich einen Abschluß aller ihm in so reichem Maße beschiedenen Qual und Bein vor sich sieht; und muß berücksichtigen, daß er wohl auch abfichtlich sich noch mehr in eine Stimmung jauchzender Todesluft hineinredete, um ein vielleicht sich dunkel regendes physisches Grauen vor dem letzten Schritt zu übertäuben. Hell und schön heben sich von all den enthusiastischen Todes= schwärmereien die Abschiedsworte an Ulrike ab. Er hatte gegen fie, wohl unter der Nachwirkung ihres lebten vorhin erwähnten Zu sammenseins furz vorher in einem Briefe an Marie von Kleist den harten und ungerechten Vorwurf erhoben, sie habe die Kunst nicht verstanden, sich aufzuopfern; jeht nimmt er diesen Vorwurf ausdrücklich zurück und gibt ihr das Zeugnis: Wirklich, du haft an mir getan, ich sage nicht, was in Kräften einer Schwester, sondern
Heinrich von Kleifts letzte Tage. in Kräften eines Menschen stand, um mich zu retten."
Bon Professor Dr. Hubert Roettelen.*) Seine Produktion stand damals unter dem Druck der äußersten Geldnot: sein Vermögen war vollständig verbraucht, Ulrike hatte ihm bereits einen Teil des ihrigen geopfert und irgend ein festes Einkommen hatte er nicht mehr. Er suchte sich durch Herausgabe seiner Schriften über Wasser zu halten; erst jetzt, 1811, kam der gerbrochene Krug, aber den Prinzen von Homburg bot er seinem Berleger vergebens an. Und das Honorar, das er erhielt war gering: es wirkt erschütternd, wenn er für seinen Roman um günstigere Bedingungen bittet als ihm für den ersten Band der Erzählungen zugestanden waren, und hinzufügt: es ist fast nicht möglich, für diesen Preis etwas zu liefern. So mußte denn wohl schneller und wahlloser als sonst gearbeitet werden, um wenigstens das geringe zum Leben doch so nötige Honorar für den zweiten Band der Erzählungen zu verdienen.
Und zu der Heppeitsche, die die Geldnot über ihm schwang, kam die tiefe Verbitterung, die ihn quälte. Seit der Königsberger Zeit hatte er raftlos geschaffen und mit erstaueneswürdiger Fruchtbarfeit Werk um Wert gezeitigt: in diesen wenigen Jahren, seit etwa dem Herbst 1805, ist, wenn wir von dem Guiskardfragment hier absehen, mit Ausnahme der Familie Schroffenstein alles entstanden, was wir in seinen Werken lesen. Und was hatte er damit erreicht? Beifall hatte er immer nur im kleinsten Kreise gefunden, auf die Bühne waren nur der zerbrochene Krug und das Käthchen zu wenigen Aufführungen gekommen, und zwei seiner größten Werke, die Hermannschlacht und der Homburg , lagen in seinem Pulte, ohne daß jemand sie begehrte. Zu dem kleinen Kreise, der ihn zu schätzen wußte, gehörte seine Familie nicht: für sie war er der verlorene Sohn, und es müssen entsegliche Stunden für ihn gewesen sein, als er im Herbst 1811 zum letzten Male in der Heimat war, als Ulrike bei seinem Anblick so ungeheuer erschrat und er dann bei, Tische, zwischen seinen beiden Schwestern sigend, ihre Vorwürfe und die Vorwürfe einer anderen Dame ertragen mußte. Und seine politischen Hoffnungen? Im Herbst 1811 wandte er sich an den König mit der Bitte, ihn wieder ins Heer einzustellen, und der König antwortete wohlwollend, wenn auch ohne bestimmte 3uficherung; aber im selben Herbst noch ward Preußen zu dem Bündnis mit Napoleon gegen Rußland gezwungen und Kleist sah die Aussicht vor sich, seinen Degen für den Menschen ziehen zu müssen, den er unter allen Lebenden am meisten haßte. Was soll man doch," so schrieb er damals, wenn der König diese Allianz
*) Aus dem soeben im Verlage von Quelle u. Meher in Leipzig erschienenen Bändchen Heinrich von Kleist " von Professor Dr. Hubert Roetteten.( Bd. 22 der Sammlung Wissenschaft und Bildung", Einzeldarstellungen aus allen Gebieten des Wissens.) Geb. 1 M., in Leinen 1,25 M,
Am Morgen des 21. November 1811 hat Kleist diese Worte geschrieben. Er befand sich mit Henriette in einem Gasthaus am Wannsee ; und dort am Ufer des Sees tötete er am selben Tage durch zwei Schüsse aus derselben Pistole seine Gefährtin und sich. Der Tag zählt zu den größten Unglüdstagen des deutschen Dramas, das überhaupt vom Glück wenig begünstigt worden ist. Der größte deutsche Dramatiker aus der ersten Hälfte des acht zehnten Jahrhunderts, Elias Schlegel , starb als er eben daran war, fich aus den Fesseln Gottschedischer Regelei zu lösen und eigene freie Flüge zu versuchen; Leffing verstummte nach der Emilia Galotti als Bibliothekar in Wolfenbüttel und gab nur noch den Nathan; und Schiller starb, als er eben ein Meisterwerk ersten Ranges, den Demetrius, unter der Feder hatte. Unmittelbar neben dem vorzeitigen Tode Schillers steht der noch frühere Tod Kleists ; und kein deutscher Dramatiker der Folgezeit, auch Hebbel nicht, hat unserem Volte für diesen Verlust Ersatz zu leisten vermocht.
( Nachdruck verboten.)
Ane und ihre Kub.
Bon Johannes W. Jensen.
In Healpsund*) war Jahrmarkt. Dort, two das Vieh verkauft wurde, stand ein altes Weib mit seiner einzigen Kuh. Sie stand etwas abseits; ich weiß nicht, war's aus Bescheidenheit oder, damit man sie umso besser bemerkte. Ihr Kopftuch war der Sonne wegen über die Stirn gezogen; sie stand ruhig da und strickte an einem ellenlangen Strumpf, den fie in eine dicke Rolle aufgewidelt hatte. Sie war ganz altfränkisch angezogen, mit einem indigoblauen Rock, der so gemütlich nach dem Farbkessel roch, und mit einem braunen, gestridten Tuch. Das hatte sie über Kreuz um die eingefallene Brust gebunden. Das Kopftuch war verschossen und voll Falten vom langen Aufbewahren; die Holzschuhe hatten einen ganz abgetretenen, flachen Boden, dafür waren sie aber umso blanker gescheuert. Außer den vier Stricknadeln, mit denen ihre alten abgearbeiteten Hände so emsig werkelten, hatte sie noch eine fünfte. Die stat in ihrem grauen Haar. Ein Ohr hält sie gegen den Krammarkt, von dem die Musik hertam. Sie besah sich auch ein bißchen das Gedränge der Leute, die da zu Kauf und Verkauf auf den Biehplatz kamen. Das war ein Lärmen und Brüllen ringsumher. Vom Pferdemarkt her hörte sie das Gewieher der Pferde, vom Strand stieg das Leben der Boote zu ihr auf und klang mitten hinein in das Gezeter der Gaukler und das Trommelgedröhn. Sie stand ganz stille da in der Sonne und stricte an ihrem Strumpf.