— 775—Hus den Hnfancfen der proleta-rifcben ßildungsbeftrebunefen.Die proletarischen Bildungsbestrebungen, die sich jetzt soniachtig entfaltet haben, gehen in ihren Anfängen ziemlich weitzurück: in England bis ins erste Viertel des verflossenen Jahr-Hunderts. Der große Utopist Robert Owen hat bekanntlich auchauf diesem Gebiete bahnbrechend gewirkt. Große Verdienste aberhat sich da noch ein anderer unter den ersten theoretischen Vorkämpfern des englischen Proletariats erworben, der lange Zeit sogut wie vergessene Thomas Hodgskin(1787— 1869). Vondiesem Denker ist vor einigen Jahren zu Unrecht behauptet worden,daß er der eigentliche Vater der Marxschen Lehre sei. Ist dasauch ein Unsinn, so ist dagegen nicht zu leugnen, daß Hodgskineine bedeutende Stelle unter den englischen Ockonomcn einnimmt,die zuerst aus der Ricardoschen Lehre sozialistische Konsequenzenzogen, den Mehrwert des Kapitalisten beseitigt wissen wollten.Für uns Deutsche ist er noch dadurch von besonderem Interesse,daß er über seine Fußreisen durch Norddcutschland ein sehr inter-essantes und sehr gediegenes Werk geschrieben hat. Nach seinerRückkehr vom Kontinent und der Veröffentlichung seines Buchesüber Deutschland(1829) trat er dadurch zuerst wieder in dieOesfcntlichkeit, daß er 1823, von Edinburgh nach London übergesiedelt, hier mit dem Schotten Robertson zusammen das„Arbeitermagazin" herausgibt, eine Wochenschrift zur Belehrungder Arbeiter über technische und chemische Fortschritte, aber auchüber ökonomische Fragen. In diesem Organ nun schlägt Hodgskinauch bald— im Oktober 1823— vor, neben dem„Arbeiter�magazin" ein„�lecksnies Institute", ein Arbeiterinstitut insLeben zu rufen oder, wie wir uns ausdrücken würden, eineArbeitcrbildungsschule, die von den Arbeitern selbst unterhaltenwerden und sich von den öffentlichen Anstalten dadurch unter-scheiden soll, daß hier nicht zum blinden Gehorsam, zum demütigenVerzicht auf eigenes Denken abgerichtet, sondern der Arbeiter überseine eigenen Interessen, seine Klasseninteresscn belehrt iverdensoll. Hodgskin hat dabei schon Vorbilder im Auge. In Glasgowhatten sich Arbeiter zusammengetan und mit ihren freiwillig zu-sammengesteuerten Beiträgen eine Schule begründet, deren Lehrerin Naturwissenschaften und industrieller Technik unterrichteten.Aehnliche Anstalten sind in Edinburgh und Liverpool begründetworden. Daran knüpft Hodgskin an, aber er geht darüber hinaus,indem er das in London zu begründende Institut nicht auf Chemieund Mechanik beschränken will, sondern es soll auch die„Wissen-fthaft der Gütererzeugung und-Verteilung" umfassen, die Arbeit«;über ihre ökonomischen Interessen aufklären. Die Idee findetauch Anklang, und es entsteht mit Hülfe von Arbeitcrgroschen nochim Jahre 1823 das Londoner Arbeitcrinstitut,»ls deren ersteprovisorische Sekretäre Hodgskin und Robertson tätig sind. Eskommt dann aber gleich ein fremdes Element in die Sache hinein.Hodgskin war mit Francis Place bekannt, einem Hauptführerder radikalen, Benthamitischen Richtung. Mit Place setzte er sichüber die Idee der Arbeiterschule auseinander. Place ist ganz ein-verstanden, erklärt es aber für unmöglich, die Sache auf die Bei-träge von Arbeitern zu begründen. Kapitalkräftige Leute müssennach seiner Meinung zugezogen werden. Er weiß es auch durch-zusetzen, daß eine Subskription im Einvernehmen mit allen be-kannten Namen der radikalen Partei eröffnet wird. Nur mitWiderstreben waren Hodgskin und Robertson darauf eingegangen,weil sie die Empfindung hatten, daß die Schule damit aufhörenwürde, einen rein proletarischen Charakter zu tragen. Und sietraten dann Place offen und scharf entgegen, als es dahin kam,daß der Dr. Birkbeck ein bedeutendes Kapital gegen Zinsen für dieSache hergab, weil sie befürchteten, daß die Schule damit inskapitalistische Fahrwasser gebracht werden würde. Mit seiner über-legenen GeschäftskcnnntiS setzte Place aber gegen Hodgskin undRobertson seine Absichten durch, und es geschah denn auch bei derdefinitiven Organisation des Unternehmens, daß Hodgskin undRobertson, die bisherigen provisorischen Sekretäre, am 16. De-zember 1823 nicht in den Verwaltungsausschuß gewählt, sonderndurch einen besoldeten Sekretär ersetzt wurden, womit denn dieeigentlichen Väter des Arbeiterinstituts beiseite gedrängt waren.Robertson zog sich darauf sofort gänzlich vom Institut zurück.todgftin dagegen konnte es noch nicht übers Herz bringen, dieoffnung aufzugeben, daß sich in dem Institut trotz alledem eineersprießliche Tätigkeit werde entfalten lassen. In seiner 1825 er-schienenen Schrift„Verteidigung der Arbeit gegen die Ansprüchedes Kapitals" erklärt Hodgskin an einer Stelle, daß er für dieökonomische Aufklärung der Arbeiterklasse auf die Arbeiterinstituterechne, deren Mitglieder sich gewiß nicht für bloße tote Buch-gelehrsamkeit interessieren, sondern vor allem darauf Gewicht legenwürden, zu erfahren, warum die Arbeiter allein unter allen Klassenimmer in Armut und Not versenkt gewesen sind:„eS gibt," fährtHodgskin weiter fort,„keine heilige Allianz, welche die ftiedlicheErhebung unterdrücken könnte, durch die das Wissen alles um-stürzen wird, was nicht auf Gerechtigkeit und Wahrbeit gegründetist." Aus Liebe zur Sache überwand sich Hodgftin sogar dazu, sichmit dem Dr. Birkbeck einigermaßen auf guten Fuß zu stellen. Ererreicht denn auch zunächst soviel, daß ihm gestattet wird, einenVortragszyklus über Wirtschaftslehre zu halten, den er hernachunter dem Titel:„Volkstümliche politische Oekonomie" veröffent-licht hat. Francis Place hatte von vornherein dagegen protestier�daß man diesen Gegner kapitalistischer Ausbeutung zu Wort«kommen ließ. Und hernach war man sich denn auch im hohen Ratdarüber einig, daß dies Experiment nicht wiederholt werden dürfe.Nicht etwa, daß Hodgskins Vorträge keinen Anklang gefundenhätten. Im Gegenteil waren sie sehr stark besucht und fanden beiden Arbeitern außerordentliches Interesse.„Alle die," sagt Placedarüber,„welche die Verheißungen und Voraussagungen RobertOwens irregeführt hatten, fanden sich bereit, in die Falle de?Herrn Hodgskin zu laufen, der durch seine Vorträge und seinePublikationen Tausende von Menschen überzeugte, daß das ganz«Ärbcitserzeugnis von Rechtswegen dem Arbeiter gehöre." WelchenEindruck die antikapitalistischen Ausführungen Hodgftins machten,sieht man daraus, daß noch mehrere Jahre später, 1831, die„Ge»scllschaft zur Verbreitung nützlicher Kenntnisse", eine radikaleGründung, an deren Spitze Lord Brougham stand, von CharlesKnight eine besondere Widerlegung Hodgskins abfassen ließ.Knight ging mit heiligem Eifer gegen die„gefährlichen" An-schauungen Hodgskins ins Zeug. Er schrieb u. a.:„Diese Lehrenkönnen wohl im Vortragssaal anfangen, sie scheine« da als abstrakteSätze unbedenklich, aber sie laufen aus in Tollheit, Raserei,Tumult, Plünderung, Feuer und Blut." Die Radikalen, derenKoryphäe Lord Brougham nun auch im Arbeiterinstitut maßgebendwar, ließen Hodgskin zwar anstandshalber noch zweimal, 1826 und1828, zu Worte kommen— über philosophische Themata—, abersie hatten dem„Feuerbrand" natürlich den Weg verlegt, um inder Richtung wirken zu können, wohin er strebte, und so mußteHodgskin alle Hoffnung aufgeben. Er zog sich gänzlich von demInstitut zurück, dessen Hauptbegründer er war. DieL letztere kamso gänzlich in Vergessenheit, daß in den fünfziger Jahren, alsHodgskin schon ein alter Mann war, die Legende kolportiert wurde,daß Brougham der Vater des„Mcchanics Institute" sei. Hodgskinstellte demgegenüber den wahren Sachverhalt fest. Brougham warnur der hervorragendste unter den Radikalen, die das Arbeiter-institut seinem ursprünglichen Zweck entfremdet, inS kapitalistischeFahrwasser gesteuert hatten. Nach HodgskinS Absicht hatte es derEmanzipation der Arbeiterklasse dienen sollen. Wenn diese Absichtauch vereitelt worden ist, so soll doch nicht vergessen werden, daßHodgskin zu den ersten gehört, die auf dem Gebiete der prole«tarischen Bildungsbestrebungen tätig waren.«. c,Kleines feirilleton*Theater.Zur Frage der Volksvorstellungen hat der inFrankfurt a. M. nun schon länger als anderthalb Jahrzehnte be»stehende Ausschuß für Volksvorlesungen, ein von bürgerlicher Seitein losem Anschluß an das„Freie deutsche Hochstift" gegründete»Institut, eine interessante Enquete(erschienen im Verlage vonQuelle u. Mayer in Leipzig) v.ranstaltet. So glänzend sich dieFreien Volksbühnen in Berlin entwickelten— die Gesamtzahlihrer Mitglieder übersteigt bereits die 30 000 und rekrutiert sichnach einer in dem älteren Stammvcrein vorgenommenen Berufs-statistik mit erdrückender Majorität aus Arbeiterkreisen—, sowenig ist es doch bis jetzt geglückt, selbständige, zu künstlerischenZwecken regelmäßige Monatsbeiträge erhebende Arbeiter-Theatcr»vereine in der Provinz zu schaffen. Die wenigen Versuche brachtenes zu keinem dauernden Best'.nde. Was da an Arbeiter- undVolksvorstellungcn existiert, stellt sich einstweilen noch zum größtenTeil als Zufallsgabe, nicht als ein durch eigene Initiative derArbeiterschaft Errungenes und Ausgestaltetes dar. Daß aber auchin diesem Rahmen Wertvolles erreicht, Anregungen zur Eni-Wickelung eines höheren künstlerischen Genießens geboten werdenkönnen, ist trotz der Geringfügigkeit des bisher Geleisteten nichtwohl zu bestreiten. Wo die Bühnen eine städtische Subventionbeziehen, wäre es direkt Aufgabe der Kommunen, auf deren Er-füllung die Arbeitervertreter in den Stadtparlamenten dringendhinzuwirken hätten, die Thcaterdircktoren durch Vertrag zu einerdem Bedürfnis entsprechenden Anzahl von Volksvorstellungen mitniedrig bemessenem Einheitspreise zu verpflichten. Die Masse derBesucher solcher Aufführungen würde den Ausfall auS der Er,Mäßigung der Entrees auf ein geringes Maß reduzieren odervöllig wettmachen.In Frankfurt wurde 1894 zuerst in Deutschland auf Betreibendes Ausschusses für Volksvorlesungen der Beginn mit regelmäßigenVolksvorstellungen gemacht. Die anfänglich nur private Ver-einbarung ward dann im Jahre 1900 bei der Erneuerung deSVertrages zwischen Stadt und Theater kontraktlich festgelegt.Danach hatte die Direktion jährlich fünf, von 1905 ab acht Vor-stellungen, in denen die Preise nur 30— 40 Pfennige, die Logensitze1er Opcrnvorstellungen nicht mehr als 1 Mark betragen dürfen,u liefern. Die Verteilung der im ganzen zur Verfügung stehendenjZlätzc, deren Zahl je läng«r je weniger dem ra ch zunehmendenBedürfnisse in der Arbeiterschaft entspricht, erfolgt durch eineKommission, die aus dem Sekretär des Ausschusses und den Dele-gierten der dem Ausschuß für Volksvorlefungen angeschlossenen68 Arbeitervereine gebildet ist; freie Gewerkschaften, christlich«Gewerkschaften und sonstige Organisationen mit im ganzen 21 5<i<IMitgliedern gehören dazu. Die Kommission führt die Karten cmdie Gewerkschaften nach Maßgabe ihrer jeweiligen Mitgliederzahl