stämmigen Burschen, die aus jedem seiner Worte und seinem runden, energischen Gesicht sprach, machte ihr Vergnügen. „Die Angst— ist eine Sache, und die Arbeit wieder eine andere!" erwiderte er.„Was lacht Ihr über mich? Seid Ihr denn anders? Habt Ihr denn keine Furcht? Wenn es nötig ist, muß man selbst durchs Feuer gehen! Das ist nun einmal so." „Ach, Du... Kind!" rief die Mutter unwillkürlich. Er lächelte verwirrt. „Nun bin ich sogar ein Kind!" Nikolai, der die ganze Zeit mit seinen gutmütig blinzelnden Augen den Burschen betrachtet hatte, begann jetzt: „Sie gehen dahin nicht!" „Aber was soll ich denn? Wohin soll ich denn?" fragte Jgnat unruhig. „Statt Ihrer geht ein anderer und Sie erzählen ihm ausführlich, was er tun muß und wie. Ist's so gut?" „Meinetwegen!" sagte Jgnat nicht sofort und miß- vergnügt. „Ihnen verschaffen wir einen guten Paß und einen Posten als Waldhüter..." Der Bursche warf schnell den Kopf hoch und fragte un- ruhig: „Wenn aber die Bauern Holz holen wollen, oder ahn» liches... Was soll ich dann machen? Sie binden? Das steht mir doch nicht,.." (Fortsetzung folgt.) (Nachdruck verboten.) Die Ratfcl dca Vogelzuges. Von Paul ffiangotf. Sojveit der Blick des Menschen über die Erde reicht, weih er, daß es für ihn nichts Neues gibt, daß Wissensdurst und Schaffens- lust alles durchstöbert und umgewühlt haben. Aber schon mit der Atmosphäre beginnt für den„König der Erde" jene Welt des Unbegreiflichen, Rätselvollen, die sich dann im unendlichen Weltraum in ebenso unendliche, unergründliche Pro- bleme fortsetzt— ihm nichts als das Bewußtsein seiner eigenen Winzigkeit lassend. Aber wieder und wieder stürmt er auch in diese Unendlichkeit— ein Zeichen, daß auch hier einst der Wille den Weg finden muh. Begreiflich ist es, wenn der Mensch hierbei ganz be- sonders die Vögel beachtet und bewundert, die so mühelos die Schwierigkeiten zu überwinden scheinen, die ihm noch ungehemmte Benutzung des Luftraumes verwehren. Auch wenn diese Lebewesen nicht schon durch ihr scheinbar direkt ideales sorgloses Hinlcben unter Sang und Sonnenschein besonders lieb wären, mühte ihn diese Flugfähigkeit fesseln. Da sind aber vor allem die Vogelzüge, jene Gesellschaftsreisen von Millionen von Artgcnossen über Hunderte von Meilen, in unbegreiflicher Schnelligkeit, unter scheinbar wunderbaren Umständen zurückgelegt. Selbst die Kinder merken bald, dah das Singvolk bis auf wenige Standvögel verschwindet mit dem Welken und Fallen des Laubes— und wieder der erste lustige Drosselpfiff erschallt, wenn der letzte Schnee im Walde geschmolzen und die ersten Anemonen hervorsteigen mit ihren noch schnee- farbigen Blüten. Wenige aber bekommen je die Vogelzüge in ihrer Grotzartigkeit zu sehen>— nur die Vogeljäger und Naturlieb- hqber suchen ihre natürlichen Zugstrahen auf, die immer gleich bleiben. Da liegt man vielleicht auf dem nördlichsten Felsen Helgolands — im lauschenden Ohr das stumpfe Dröhnen und Gurgeln der an- stürmenden, an den Klippen sich brechenden Wassermassen— die Augen wandern langsam von den überschäumten Klippen über die. düster aufziehenden, das Meer Erdrückenden Wolkenwände, wie von Geisterhänden über die Bühne geschoben. Und effektvoll wie nur auf einem Schauspiel blendet plötzlich durch die Nebclluft der breite Schein vom Leuchtturm, dessen Bau sich nur ahnen läßt. Doch wenn dann im Gleichmaß von Wind und Wellen die Sinne eingcklullt, schrillt es mit einem Male hoch in den Lüften. vieltausendstimmig von allen Seiten und der auffahrende Träumer sieht seine einsame Insel wie durch Spuk überfüllt mit hüpfenden und lärmenden Eindringlingen— und noch sind die Lüfte voll von Ankömmlingen, die im Lichtkreis den Leuchtturm umwirbeln wie Schneegestöber— Vögel auf. dem Herbst- oder Frühlingsflug. Immer fliegen sie nur Nachts und am sichersten hört man ihre Stimmen in stillen, schwarzen Nächten ohne Mond, ohne Stern, bei schwachen Luftzügen. Tags über treiben sie sich umher, wenn sie überhaupt durch widriges Wetter zu Unterbrechungen gezwungen werden. Wie sollen sie also in solchen Nächten den Weg nach Afrika , nach Küsten oder den Flußläufcn erkennen, wie man oft behauptet? Wenn die Hauptflugzeit ist, treffen täglich viele Hunderttausende ja Millionen ein, daß die ganze Luft erfüllt ist und oft in einer Breite von vielen Meilen. Wer aber bringt hier die Vögel gleicher Art unter einen Hut Du diesen Weltreisen, da sie doch sonst jeder für sich bleiben? Wo kommen überhaupt diese ungeheuren Massen her, wo wir doch in Deutschland schon über Mangel klagen? Da müssen wir auf dem Atlas das winzige Deutschland mit den Riesenflächen Asiens vergleichen. Was durch Deutschland über diese Insel nach Süden abstreicht, ist in den Brutgebietcn der Westgrcnze Rußlands bis zum fernen Kamtschatka und den Amur - gebieten aufgewachsen, also in ungeheuerlich großen Gebieten, gegen die Teutschland wie ein kleines Ländchcn erscheint. Beim Anblick dieser Myriaden Lebewesen muß man über die Annahme lächeln. daß die Verminderung der Singvögel durch den Abschuß oder Weg- fang der Vogcljäger verursacht toird. Ob nicht eher die zunehmende Ausrodung von Gebüsch und Gestrüpp sowie die Luftverpestung durch die Industrie das Nisten in Deutschland erschwert? Unendlich mannigfaltig sind die Arten, die hier auf einer festen Bahn von Osten nach Westen eilen. Sind in Helgoland doch von einem Vogcljäger 388 Arten gesammelt. Aber nicht so genau und fix, wie der menschliche Kalender das Einsetzen von Frühjahr und Herbst anzeigt, geht die Reise, viel» mehr hat jede Art nicht nur ihre eigene Reisezeit, die noch dazu durchaus nach der Witterung abweicht, sondern jede Art scheint auch eine besondere Straße in den höheren oder tieferen Regionen des Luftraumes zu benutzen. Und wieder haben innerhalb jeder Art Männchen, Weibchen und die Jugend ihre eigenen Neigungen hin, sichtlich der Reisezeit. Daß die Flugbahn immer gleich bleibt— wie die Luft» strömungen �— wird durch die immer gleichartigen Beobachtungen wahrscheinlich. Danach geht die Linie lpr Herbst vom Amurgebiet westlich bis nach England und in kürzerem oder längerem Bogen südwärts über Frankreich , oder Alpen, Mittelmeer nach den Oliven» und Palmenhaincn Afrikas , resp. in Amerika von Labrador aus nach Brasilien — ebenfalls eine Strecke von zirka 400 Meilen, die meist in einer Strecke zurückgelegt werden. Daß die Abreise einfach durch die sinkende Temperatur ver- anlaßt wird, geht schon daraus hervor, daß sie bei langsamerem Temperatursinken nur höchst gemächlich sich zu wärmeren Gegenden wenden und oft pausieren, bis ein jäher Temperatursturz, Frost und schneidende Ostwinde alle Lüfte rein fegen und eine übcrhastige Flucht Hals über Kopf veranlassen. Wie die Sammlung der Züge geschieht, läßt sich vielleicht durch den starken Instinkt deö Anschließens. Nachahmens erklären. Wenn zunächst vom Osten Asiens kleine Schwärme vom Wetter auf- gescheucht durch die Luftgebiete der Nachbarn brechen, ist ein An- schließen und Nacheilen aller Artgenoffen zu leicht erklärlich, be- sonders da ja die verscheuchende Kälte mitdrängt. Man kann bei der Militärmusik, bei jedem Aufzug die anziehende Wirkung auf die anderen hübsch beobachten. Uebrigens endet die Reise vieler der ostasiatischen Arten schon in England. Frankreich oder den Mittelmeerlanden, deren Winter ihnen schon warm genug gegen den der Heimat erscheint— womit wohl auch der Winkelzug über England nach Süden erklärlich wäre. Wahrscheinlicher aber ist, daß der Anblick des Ozeans diesen Winkel verursacht, da bei dieser Reise, wie erwähnt, wohl oft Nahrung gc» sucht wird. Bei der Rückkehr von Afrika nach dem Nistplatz geht die Reiseroute aber ganz direkt nach Hause, ohne diesen Umweg und meist ohne jede Unterbrechung. Woher dieser Unterschied in Weg und Zeitmaß? Wenn aber- mals nur die übergroße Hitze sie vertreibt, so wäre doch auch dies- mal ein Nachlassen der Hast in den nördlichen Gegenden angebracht. Oder sollte das Fehlen der reichen Feld- und Baumfrüchte im Frülj. lmg die Unterbrechungen überflüssig machen? Saat und Insekten gibts doch in Masse? Nur eine ziemlich sichere Erklärung gibt eS für diese über» mäßige Eile— Liebesrausch. Der Frühlingszug ist die Hochzeits - reise und im Liebesrausch herrscht nur der eine Zweck, der der Paarung— das dürfte die Eile begreiflich machen. Als Hauptproblem galt im Vogelzug, wer eigentlich den Vögeln den weiten Weg zeigt.— Da stimmt zunächst die nächstliegende Annahme, daß das die Eltern besorgten, nicht. Mit Ausnahme des Kuckucks ist bei allen Vögeln durch Be- obachtungcn festgestellt, daß immer die eben aufgezogenen Jungen zuerst in die Welt gehen und die Alten erst mehrere Wochen bis zwei Monate später folgen. DieS aus triftigen Gründen. Denn einmal nisten sie oft nochmals, haben also noch eine Brut aufzu» ziehen, zum anderen Male haben sie unter allen Umständen nach der Aufzucht die Mauser des FederkleideS abzuwarten. Der Kuckuck kann zu gleicher Zeit mit seinem Nachwuchs dahin- fahren, da er bekanntlich Ausbrütung und Pflege seiner Nach- kommenschaft anderen überträgt. Andererseits werden die FrühlingSflüge wirklich durch die Alten eröffnet und die Nachkommen folgen.— Wenn auch diese Reise lediglich durch Nachahmung, durch Uebernahme des Beispiels erfolgt, so bleibt das Rätsel, daß im Herbst die Millionen kleiner eben aus- gewachsener Tierchen sich blindlings in den unbekannten Ozean der Lüste stürzen— und rasch und sicher eine fabelhaft weite Strecke durch nie gesehene Gebiete zurücklegen. Man hat zur Erklärung wieder zum Instinkt gegriffen. Instinktiv nennen wir alle Hand- lungen, die wie ganz von selbst geschehen, ohne vorhergehende Ueber- legung. So gehört das Blinzeln im hellen Licht, das schnelle Schließen des Auges bei bedrohenden Bewegungen dazu.— In Wirklichkeit ist auch dieser Instinkt nichts als eine zur Gewohnheit gewordene Bewegung, die ganz von selbst sich auch auf die Nach- kommen überträgt. Das scheint zu stimmen, da man oft bei Kindern
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24 (9.10.1907) 196
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