dieselben Gebrechen, Merkmale, Färbungen der Eltern wiederholt sieht. So sollen also den jungen Töglein jene Reisen durch jähr- bunöcrtlange Gewöhnung der Eltern, Ureltern so in Fleisch und Blut übergegangen sein, daß alles Fliegende nicht anders kann. Dann bliebe aber immer noch unbegreiflich, daß die jungen Tiere einer so enormen Flugleistung fähig sind, wie sie hier vorliegt; eine Leistung, die zu ihrer sonstigen Fliegerei in gar keinem Ver- hältnis steht. Hierfür ist neuerdings aus verschiedene Erleichterungen ver- wiesen worden, die dieses Wunder etwas begreiflicher machen. Ein- mal auf die Luftsäcke des Vogels, die fast zwei Drittel des ganzen Tieres einnehmen und ballonartig durch die durch Blutwärme er- wärmte Atemluft den Vogel schwebend halten können, ohne daß er überhaupt die Flügel rührt. Durch Ein- oder Ausatmung, Füllung oder Leerung erfolgt also Steigung und Senkung. Nur so ist es erklärlich, daß große Vögel aus größten Höhen blitzschnell herab- schießen und knapp vor dem Bode» noch, ohne zu zerschmettern, bremsen und sich setzen können. So auch nur ist es möglich, daß Vögel ohne Flugarbeit ganz senkrecht in die Höhe steigen, wie es oftmals beobachtet wurde. Wer einmal eine geschossene Krähe in die Hand nimmt, ist sicher als Neuling verblüfft, wie federleicht der verhältnismäßig große Vogel ist. Und wer auf offenem Lande die Stärke der fast ständigen Luft- strömungen kennt, die ebenfalls ihre festen Bahne» gehen, der kann sich wohl ganz gut vorstellen, daß diese ganzen Vogelheere wie Riesenbündel jener bunten Lustballons der Jahrmärkte von den Strömungen hinübergetragen werden und so die eigentliche Ar- beit besorgen, die wir den Vögeln selbst zuschreiben. So wenig wir auch bisher über die mögliche Zahl, Richtung und Art der Luft- strömungen wissen, das eine ist sicher, daß sie ebenfalls bestimmten Gesetzen unterworfen sind, die eine gewisse Regelmäßigkeit sichern. Kälte und Warme bringen sie und scheuchen so die Vögel auf sind treiben sie wieder her, wie einen Spielball. Daß die Vögel solche Strömungen benutzen, geht schon auS der Erfahrung alif Helgoland hervor, daß nur bei schlechtem Wetter mit Ouerwinden die Vögel in Massen ihre Flüge unterbrechen, aber bei stillem guten Wetter gar nicht herabkommen, ja gar nicht zu sehen sind, so hoch fliegen oder schweben sie dahin. Man braucht nur an einen Eisläufer zu denken, mit Segel oder aus­gebreitetem Mantel vor starkem Winde treibend. Genau wie dieser mag nur der Anflug nötig sein, um dann durch Windeskraft in immer gleicher schneller Fahrt hinzugleiten, bis wohl die Strömungen im anderen Erdteil aufhören, das Ziel erreicht ist. Löst sich auch so das Rätsel des Vogelzugs ziemlich natürlich auf, daß man von einemWunder" nicht mehr sprechen kann, so bleibt uns doch in diesem Riesenfangspiel der Luftströmungen mit Millionen lieblicher Lebewesen ein großartiges Naturschauspiel, das uns mit immer erneuter Liebe und Bewunderung für unseren Erd- ball erfüllt, kleines feinUetcm. Die Kuh. Zwischen zwei hohen Mietsbauten, von der Straße durch einen Drahtzaun getrennt, an dem ein Plakat mit der Inschrift befestigt ist:Dieses Grundstück ist zu verkaufen", liegt ein freier, quadratförmiger Platz. Hohe, dichte Hollunderstaudcn ziehen sich an den Mauern entlang und üppiges Gras bedeckt den Boden. Dazwischen breiten sich Brennesseln. Löwenzahn und Sonnenblumen aus und führen ein idyllisches Dasein. Hoch oben, an der Giebelwand, zeigt ein schwarzlockiger Fraucnkopf zwei blendendweiße Zahnreihcn und darunter leuchtets in Riesenlcttern weithin:Odol  , das beste Mundwasser der Welt!" Die Herbst- sonne lacht heiteren Blickes auf das grüne Fleckchen Erde   herab, das gleich einer Oase aus der Steinwüste der Häuserreihen auf- taucht. Fast scheint es, als sei es den profitlüsternen Augen der großstädtischen Bauhhänen entgangen und freue sich nun harmlos in süßem, stillem Frieden seines Daseins. Vorn an der Straße braust und brandet das Leben der Weltstadt vorüber, erwcrbs- hungrige Menschen eilen hastig dem verborgenen Glücke nach. Und wie ein sagenhaftes Untier aus grauer Vorzeit taucht jetzt hinter den Hollunderbüschcn eine Kuh auf. eine leibhaftige, schwarz- und weißgefleckte Kuh. Mit großen, verwunderten Augen glotzt sie, ohne sich in ihrem gemächlichen, umständlichen Kauen stören zu lassen, in das Gewühl der Straße. Zwei Schulknaben bleiben überrascht ob des ungewohnten Anblickes stehen.Da, kiek doch, ne Kuh!"Det is ja'n Ochse!" erwidert der angesprochene Knirps mit altkluger Miene.Du bist och euer, ne Kuh iL et." Da der Tierkundige seine Autorität schwinden sieht, wird er aufgeregt. Det is'n Ochse, ick muh et doch wissen, ick jeh doch alle Ferien zu meine Großmutter ufft Land!" Der andere ist aber noch nicht überzeugt, deshalb meint er zweifelnd:So stehst Du aus! An wat willst« denn sehen, det det'n Ochse is?"Na, an de Hörner, ne Kuh hat doch man bloß janz klcene Hörner!" Der Fragesteller ist scheinbar befriedigt, denn sie trollen beide mit ihren Schul- büchcrn weiter. Ein steinaltes Mütterchen mit einem Kinde kommt vorbei.Sich mal. Fritzchen, sich mal da, ein Kuhmuckelchcn!" Der Kleine streckt verlangend die ungeschickten Patschhändchen danach aus. Soldaten ziehen vorüber. Wie aus einem Munde rufen sie: Da, ne Kuh!" Lachend wirft einer dazwischen:»Wenn wa dit schlachte» könnten, kriegte jeder von uns mal'n anständigen Happen." Zwei Arbeiter, in den Händen blaue Kaffekannen haltend, bleiben einen Augenblick stehen:Da, sieh mal, ne KuhP ruft der eine erstaunt, mit dem Finger wie auf ein Mecrwunder zeigend.Mensch, wie kommt denn die daher?"Na uff'n Becnen, wie denn sonst!" Jetzt durchzittert der dumpse, brüllende Ton einer Tampfpseife, gleich der Stimme eines vorsintflutlichen Un» geheuerS, die Lust. Hastig eilen die beiden weiter, ihrer Arbeits» stelle zu. Die Kuh aber steht in unerschütterlicher Ruhe schnuppernd und kauend in dem hohen Grase und peitscht mit dem dicken« zottigen Haarbüschel des Schwanzes chre Flanken. Wie lange wird es dauern und auch sie wird den Weg allen Fleisches gehen. Auf dem grünen Fleckchen aber wird sich über kurz oder lang eine hohe Mietskaserne erheben und die Lücke in der langen Häuserslucht ausfüllen. Psychologisches. Was ist der Schmerz? Eins der fesselndsten, abe« auch zugleich schwierigste» Gebiete der Forschung liegt auf dem Felde, wo körperliche und geistige Betätigung oder, um die mit Erkundung beschäftigten Wissenschaften dafür einzusetzen, Phhsio- logie und Psychologie, einander berühren. Hier beginnt eben die objektive Forschung aufzuhören, und es tritt die heikle Aufgabe an den Menschen heran, über sein eigenes unsichtbares Innen- leben zur Klarheit zu kommen. Auf diesem Gebiete steht auch das große Fragezeichen über das Wesen des Schmerzes, dem Hugo Feilchcnfeld in derZeitschrist für Physiologie und Psychologie der Sinnesorgane" eine gehaltvolle Auseinandersetzung widmet. DaS hauptsächliche Ergebnis dieser Untersuchungen liegt in der Auf- fassung, daß der Schmerz zwischen Empfindung und Gefühl steht und mit keinem dieser beiden Begriffe ausschließlich gleich gesetzt werden kann. Die Empfindung bezieht sich auf einen von der Außenwelt kommenden Reiz, das Gefühl entsteht im Innern des Menschen und ist sich einer solchen Beziehung zu äußeren Ein- Wirkungen gar nicht bewußt. So besteht auch der Empfindungs- inhalt in Eigenschaften der Außenwelt, die auch dann vorhanden sind, wenn sie nicht wahrgenommen werden, man denke beispiels- weise an dasim Verborgenen blühende Veilchen", das seinen Duft aussendet, auch wenn kein Mensch da ist, ihn zu empfinden, Ein Gefühl der Lust oder der Unlust dagegen gilt als ein Vor, gang, nach dessen Ursache wir unS fragen, ohne eine sichere Ant» wort darauf erwarten zu können. Mit dem Schmerz ist�es ander?. Wenn er mit einer Empfindung, wie sie uns die Sinne ver» Mitteln, verglichen wird, so stellt sich eine Aehnlichkeit heraus. Wie der Tastsinn uns eine Berührung an einer unbestimmten Stelle� der Körpcroberfläche verrät, so verlegen wir auch den Schmerz nach außen, und zwar an den Ort. von dem ein Reiz ausgeht. Mit dieser Empfindung ist aber außerdem ein Gefühl verbunden, das in unserem Innern entsteht, so daß gewissermaßen der äußere Reiz den eigentlichen Schmerz erst auslöst. Die Teile des GehirnS, in denen das Schmerzgefühl zustande kommt, verlegen mit großer Sicherheit dessen Ursprung an eine bestimmte Körperstelle. Daß der Schmerz selbst dennoch von den Empfindungen verschieden ist, ergibt sich aus der bekannten Tatsache, daß jemand, dem ein Bein abgenommen ist, noch lange Schmerzen in den Zehen empfinden kann, während ein Reiz durch Berührung an dem verlorenen Körperteil selbstverständlich unmöglich ist. Bei den allgemeinen Gefühlen der Unlust kann von einer örtlichen Begrenzung des Ursprunges keine Rede sein, und daraus ergibt sich andererfeit» der Unterschied des Schmerzes von den Gefühlen. Allerdings wird das Wort Schmerz nicht eindeutig genug angewandt, sondern zum Teil auf Erscheinungen bezogen, die nicht zusammengehören, wie es ja übrigens mit dem Wort Gefühl nicht anders ist. Ge» wöhnlich unterscheidet man zwischen körperlichen und seelischen Schmerzen und nennt, was mit letzterem zusammentrifft, auch einen hohen Grad von Unlustgcfühl Schmerz, loährend eigentlich der körperliche Schmerz fast immer von Unlustgefühlen begleitet ist. Allerdings kommt auch das Gegenteil bor  , wie die Beispiele der Fakire, Flagellanten und Masochistcn beweisen, bei denen sich Schmerz mit Lust verbindet. Die Reize, die den Schmerz auslösen, sind meist solche der Berührung mit der Außenseite des Körpers, Zu diesen ist schließlich jede Einwirkung auf die Sinne zu rechnen» so auch die Einwirkung eines plötzlichen Lichteinfalls in das Auge, das einen Blendungl'chmerz sogar bei erloschener Lichtcmpfindung verursachen kann. Der Unterschied zwischen der einfachen sinn  - lichcn Empfindung und dem Schmerz beruht darin, daß der Schmerz eine Steigerung des Reizes voraussetzt, deren Betrag natürlich für die einzelnen Menschen und für ihr wechselndes Be- finden verschieden ist. Die Steigerung des Reizes, die zum Scbmerz führt, kann in einem Moment eintreten, kann sich aber auch darin bemerkbar machen, daß der Reiz eine örtliche oder zeit- ltcke Ausdehnung annimmt, ohne über einen geringen Grad der Stärke hinauszugehen. Viele werden es aus Erfahrung bestätigen. daß eine an sich schwache Empfindung durch ihre Dauer schmerz- hast werden kann. Die Ansicht, daß es besonders nervöse Apparate, bestimmte Schmcrznerven, gebe, deren Funktionen nur für krankhaste Zustände angepaßt sind, hat durch die neueren Untersuchungen eine Widerlegung gefunden. Solche besonderen Organe sind nicht vorhanden. Vielmehr sind die Organe, die beim vollkommen gesunden Menschen keiner Schmerzcmpfindung zu» gänglich sind, auch in erkranktem Zustande schmerzfrei, während