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Dieser geheimnisvolle magnetische Rapport awischen den Gliedern der beiden Brüder bei Ausführung ihrer Force­produktionen, diese fiebkosenden Berührungen wie zwischen Vater und Sohn, dieses gleichfame Fragen von Muskel au Muskel, dieses Antworten von Nerv zu Nerb das zuruft: Vorwärts!", diese gleiche beständige Unruhe und Besorgt­heit für einander in beider Empfindungen, das stete Einseßen des Lebens jedes von beiden für den anderen in jedem Augen­blick, die Gemeinsamkeit des Ringens stets mit derselben Ge­fahr, der man stets gemeinsam heil entgeht, dies alles schuf ein moralisches Vertrauen der Brüder auf einander, welches die Bande des Instinktes zwischen Nello und Gianni noch enger knüpfte und den natürlichen Hang beider, fich zu lieben, zu um so größerer Entfaltung kommen ließ.

( Fortsehung folgt.)

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Erziehung gewährleistet, sondern im Gegenteil all und jedes ver abfäumt, was den Menschen im Menschen zur vollen Geltung kommen lassen könnte; ihre Aufgabe erschöpft sich darin, dem Kinde damit dieses später einen im Dienste der Industrie genügend aus­eine gewiffe Menge äußerlich angelernter Kenntniffe zu vermitteln, beutungsfähigen, im übrigen aber willenlosen und gehorsamen Menschen darstelle. Der offiziellen Erziehung von heute fehlt alle Berinnerlichung, alle Vertiefung; was sie dem werdenden Men­fchen an Bildung zu geben vermag und zu geben für gut und aus­reichend hält, dringt nicht bis unter die Haut, alles ist nur ein äußerer Firniß, nur Blendwerk und hohler Schein; schon die ersten Wetter des Lebens draußen waschen das armselige bißchen Bil dungstünche wieder ab. Genau dieser Erziehung aber und diesen Erziehungsgrundfäßen entspricht auch die Jugendliteratur von heute. Bon außen glänzend, grell, progig, dekorativ, anspruchsvoll, im Innern hohl, geistlos, feicht, abgeschmadt eine durch Goldschaum aufgeputzte taube Nuß.

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Die Tendenz zur Verelendung der Jugendliteratur hat noch eine Verstärkung dadurch erfahren, daß das Kapital sich der Herstellung von Jugendschriften, der Dedung des Bedarfs an Jugendliteratur bemächtigt hat. Das tapitalistische

Jugendfchriften und Kinderbücher. Beitalter, in bem fogar Leib und Seele, Geist und Gemüt den

Von Otto Rühle .

Die Jugendschriftenfrage ist keine Frage für fich allein genommen. Zwischen ihr und den jeweilig herrschenden Erziehungsprinzipien bestehen unverkennbare innere Zu­fammenhänge, die beachtet sein wollen, wenn man die Jugend­schriftenfrage ins Auge faßt. Gleich den Grundsäzen und Formen der öffentlichen Erziehung, die ihrerseits erst wieder Produkte ge­schichtlicher Entwidelung find, spiegelt auch der Charakter der Jugendlettüre is gesellschaftliche Milieu einer bestimmten Epoche wieder. Und mögen diese Reflege zuweilen auch nur schwach und wieder. Und mögen diese Reflege zuweilen auch nur schwach und wenig scharf umrissen sein, für das Auge desjenigen, der sich mit der Entwidelung der Jugendliteratur und den fie bewegenden Kräften ernsthaft beschäftigt, sind sie klar und deutlich genug er kennbar. Auf diese Tatsache hat vor mehr als zehn Jahren bereits Heinrich Wolgast , der geistige Führer der bürgerlichen Jugend­schriftenreformbewegung, hingewiesen.

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Charakter von Waren angenommen haben, tennt Jugendschriften­fabriken, in denen die Beschaffung von Jugendliteratur nach allen Regeln fapitalistischer Produktion von der buchhändlerischen Groß­industrie betrieben wird. Billig und schlecht, doch äußerlich glän zend das ist die Signatur. Da sind nun Machwerte greulichſter Art zustande gekommen, Machwerke, wie wir sie besonders in den Papier - und Buchläden der Vororte, den Warenhäusern und Ramschbazaren antreffen können, dort also, wo die kleinen Leute ihren Bedarf an Weihnachtsbüchern zu decken pflegen. Das so­genannte Grosso buch beherrscht heute den Markt. Es ist Fabrikware minderwertigster Qualität, nur Ware, nur Objett zum Geldverdienen, ein Schleuderartikel ohne Kunstwert, ohne ideellen Gehalt, der in Millionen von Exemplaren den Markt über­flutet. Der meist verballhornte Text ist auf dides Holzpapier ge­brudt, damit der Band möglichst stark wird, und grelle, schablonen­haben, spekulieren mit Erfolg auf die kindliche Freude an bunten, hafte Illuftrationen, die oft auf den Inhalt gar keinen Bezug vollzieht sich in der Hauptsache außerhalb des regulären Buch­schreienden Farben. Der Vertrieb und Absatz der Groffobücher handels; Abfchlüffe unter 50 000 Exemplaren werden kaum oder überhaupt nicht gemacht.

Als die von der aufstrebenden bürgerlichen Klaffe begründeten Volksschulen durch die Reformation mit dem zweifelhaften Geschenk des Religionsunterrichts beglüdt wurden, traten an die Stelle der alten Legenden, Sagen und Märchen, die früher von Mund zu Auf derselben Höhe stehen die Indianerschriften, die Mund gegangen und so in lebendiger Vermittelung von Generation zu Generation überliefert worden waren, der Katechismus, die fich deshalb so großer Beliebtheit erfreuen, weil das Kind für seine Bibel, das Gesangbuch; sie machten die Lektüre des Kindes, wie die lebhafte und ausschweifende Phantasie darin die zusagendste und einzige geistige Rost in Haus und Familie überhaupt aus. Als aber fesselndste Nahrung findet. Die Jugend greift zu ihnen um so im Laufe der Entwidelung das Recht des Individuums fich immer begieriger, je mehr sie durch die Langweiligkeit der übrigen Jugend­Die tahlen Räume eines Bastoren­mehr Geltung verschaffte, als die stärker werdende Bougeoisie die literatur angeödet wird. Bande des Feudalismus gänzlich sprengte und auf dem Gebiete der oder Kaufmannshauses, in denen die beliebten" Nierige und Erziehung der Philantropismus im Gewande der Rousseauschen Wildermuthe ihre Geschichten mit Vorliebe spielen lassen, sind zu Rückkehr zur Natur fiegreich vordrang, entstanden die ersten wirk- trist und uninteressant, als daß das Phantasiebedürfnis des lichen Kinderbücher, in denen der Autor sich zu dem werdenden Kindes durch fie befriedigt werden könnte. So schlägt die Sache Geschlechte herabneigte, um es im Sinne der emporstrebenden in das Gegenteil um: die Erlebnisse werden nach der Prärie, der bürgerlichen Klasse von Jugend an aufzuklären, zu bilden, zu Wüfte, dem Eismeer, in die Urwälder und Kafferntrale verlegt. formen und zu erziehen. Die später folgende romantische Reat- Am Mississippi , in Ohio, Texas, Transvaal und Ostasien , im tion gab den Kindern die Sagen und Heldengeschichten der glor- Hottentottenlager, Goldgräbergebiet, auf strandendem Schiff oder reichen Vergangenheit, um daran die leichtentzündliche Phantasie in der Kannibalenschlacht wirken die Begebnisse und Gestalten und Begeisterungsfreude der Jugend zu entflammen. Dann sette ganz anders auf die lebendige Vorstellungskraft der Kinder ein. in Deutschland eine finftere, muffige Reattions- und Muderära Da umfängt den kleinen Leser atemlose Spannung, und die ein; fie brachte ein Heer von salbungstriefenden, frommen, morali- Schauer des Grausens und der Furcht rieseln ihm über den Rüden, fierenden Kinder- und Spinnstubengeschichten mit. Es war die wenn er die Taten und Erlebnisse des Häuptlings Krallenhand Zeit, in der Chriftoph Schmidt, der gottselige Schilderer patriarcha- oder Faltenauge vernimmt, wenn Noudschi, die schöne Schwester lischer Dienstverhältnisse, Ottokar Schupp, der bigott- feudale Viel- Winnetous , alle erdenklichen Abenteuer zu bestehen hat, wenn Old fchreiber, unter anderem ihr literarisches Unwesen trieben, in der Shatterhands Tapferkeit, Lift und unerschrockenheit überschwäng Gustav Nierib, der von allen männlichen und weiblichen Kinder- liche Triumphe feiert. Wie die wilden Bestien das germanische stubentanten über das Schellendaus gelobte literarische Handwerker, Bleichgesicht überfallen, binden, mit vergifteten Pfeilen schießen, und der Spinnstubengeschichtenerzähler Horn die Köpfe der Jugend martern, stalpieren, aufhängen, über dem Feuer röften und schließ bersimpelten, in der die Bonnett, Franz Hofmann, Ottilie Wilder- lich verspeisen es ist so schaurig schön, daß die Haare fich muth und andere den Bedarf an Lesestoff für die Jugend deckten. fträuben und wüste Träume des Nachte den Angstschweiß aus allen Aber die Jugend ist wie hypnotifiert, fie fitt Eine flache, langweilige, öde, moralinsaure Kost. Nach Begrün- Boren treiben. dung des Deutschen Reiches, als im öffentlichen Leben der natio- ftunden-, tages und nächtelang und berauscht sich an den Blut­nale Gedante rauschende Triumphe feierte und die höfische Ge- rünftigkeiten einer verwilderten Phantasie. Man braucht deswegen schichtsschreibung vor den großen Männern" dieser großen Zeit" gar fein geschworener Feind der Indianergeschichten zu sein. Wie fabbudelte und bauchrutschte, entging auch die Schulerziehung der jeder gesunde Junge feine Flegeljahre hat, so macht er auch eine nationalen" Verseuchung nicht; die Folge war ein ungewöhnlich Beit durch, wo er im Lesen von Indianergeschichten aufgeht und Starkes Hervortreten patriotischer, nationaler, vaterländischer Er- die Mohikaner, Apachen, Rothäute und Nigger seine geistige Ge­zählungsliteratur, ein wahrer Wettbewerb in der Verherrlichung sellschaft bilden. Da mag er seinen Robinson lesen und zur Not nationaler Heroen, in der Propaganda für Heer, Flotte und noch seinen Lederstrumpf genießen, jedoch die Karl Mayschen Kolonien eine Zeit ftrupellosester Geschichtsflitterung und scham- Romane und die übrige Flut der Indianerschmöker halte man von losester, in fapitalistischem Interesse betriebener Geschichtsfälschung ihm fern. Sie alle find unwahre, erlogene Produkte einer über­brach an. Von diesen Tendenzen wird auch heute noch der Jugend- hitten Phantasie, die nur die Stoffgier befriedigen, den Geschmack fchriftenmarkt im großen ganzen beherrscht. Der aufdringliche, berderben, das Gemüt verrohen und das fünstlerische Wesen im lärmvolle und doch so unwahre Patriotismus, die fünftliche Büch Rinde auf Abwege bringen und verwüften. Oft. genug find In­tung von Begeisterung für militärische Dinge, die Flottenfegerei, dianerbücher schon die Ursache von Verbrechen gewesen, die Kinder und der Kolonialhumbug, die historische Brunnenbergiftung wie auf die Strafbank oder ins Gefängnis führten. das Scharfmachen der Jugend gegen den Umstura fie alle find Früchte unserer fapitalistischen Wirtschaft und Gesellschaft, die des gepanzerten Friedens, des Kriegsge­schäfts, des Profits, der Ausbeutungsfreiheit nicht entraten fann. Diefer felle Kapitalismus hat uns eine Schule geschaffen, die teine

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Unfer feineres sittliches und ästhetisches Empfinden sträubt sich auch dagegen, daß dem Kinde Kriegsgeschichten ge boten werden, in denen die Greuel und Bestialitäten des Massen­mordes eine Berherrlichung finden. Der Krieg ist eine Barbarei, von der man nicht anders als mit Abscheu sprechen sollte. Wer den