Anterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 229.

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Dienstag, den 26 November.

( Nachdruck verboten.)

Die Brüder Zemganno.

Von Edmond de Goncourt  .

Nach Absolvierung der sechs Abende in Hull  , wo sie vor trefflichen Erfolg hatten, gingen die Brüder auf zwölf Abende nach Greenock   in Schottland  , wo sie glänzten", dann wurden fie als Stars", wie der bekannte englische   Kunstausdrud lautet, an eine Konzerthalle in Plymouth   engagiert. Als dann während achtzehn Monaten beständig auf Reisen, traten sie in fast allen großen Städten der drei Stönigreiche auf. Ihr Ruf als Künstler gestattete es ihnen jetzt, solche Engagements, welche ihnen durch weite Reifen zu fostspielig wurden, aus zuschlagen, da Gianni entschloffen war, mit seinem Bruder nur von dem zu leben, was sie erwarben, das Geld für den Berkauf der Maringotte aber für unvorhergesehene Fälle auf zubewahren: für schlimme Zufälle, wie sie in diesem Beruf nur zu häufig vorkommen.

Dieses ihr anstrengendes Leben mit seinem unaufhör lichen, von den Brüdern aber sehr wohl beabsichtigten Orts wechsel hatte seinen bestimmten Zwed: es ermöglichte ihnen, bei dem Verweilen an so zahlreichen Plägen, im Verlauf einer so langen Reihe von Engagements in den verschiedensten Ge­jellschaften, die Arbeiten beinahe der gesamten gymnastischen Stomiker Englands kennen zu lernen. Sie hatten es gelegent­lich dieser Engagements in der Hand, die Besonderheit, das Originelle, die gymnastische Manier" jedes Clowns, mit dem fie furze Zeit zusammen waren, zu studieren, mit einem Wort, so recht eigentlich in den Geist und das innere Wesen dieser Seunst nach allen ihren verschiedenen Erscheinungen bei den verschiedensten Individuen einzudringen. Und beide Brüder, insgeheim eifrig übend, fleine drollige Szenen erfindend und einstudierend, wurden auf diese Weise im stillen Clowns Clowns, die im voraus ihre buntgemusterten Kostüme im Stoffer zu liegen hatten Clowns, jeden Augenblick bereit, im Ring zu erscheinen, sobald nur der Zufall ihnen die er­wünschte Gelegenheit dazu bieten werde.

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Die Gelegenheit ließ nicht lange auf sich warten. In Carlisle   sah sich eines Tages Mr. Newsome, der Direktor, bei welchem die beiden Brüder zur Zeit engagiert waren, infolge eines Streites mit Frands, dem berühmten Frands mit dem Beinamen Pince- sans- rire, im Moment, wo die Vorstellung beginnen sollte, von diesem Künstler, seinem ersten Clown und Associé, verlassen. Newsome war in der größten Bestürzung, als Gianni ihm zu seiner Freude plößlich den Vorschlag machte, es mit ihm und seinem Bruder als Clowns zu ver­suchen. Nach kurzer Zeit erschienen die beiden Brüder in der Manege, an der Spite des Stomiferschwarms der Gesellschaft, in Kostümen, die ebenso originell wie hübsch waren, und wo Nello in wirklich vortrefflichem Englisch das Publikum mit der dort unvermeidlich üblichen Eintrittsphrase der Clowns begrüßte:

you?")

Here we are again all of a lump! How are Alsbald folgte eine Reihe von köstlich komischen Szenen, untermischt mit gymnastischen Effektstücken, plastischen Bosen und drolligen musikalischen Künsten, die in raschen und stets neuen Bildern die gelenkigen Glieder wie die Violinen der beiden Brüder ihre Wirksamkeit entfalten ließen: Szenen, welche durch die Originalität ihrer prächtigen Komit, durch Grazie und Eleganz im Verein mit Leistungen der Kraft, durch den Reiz der klassischen Jünglingsschönheit Nello's und selbst durch das findliche Lachen und ersichtliche Vergnügen, bas er seinem Debut entgegentrug, den Raum von frenetischem Beifall erschallen ließen.

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lächelnd; sie hat sogar das elegant Phantastische und das bolfstümlich Zauberhafte abgeworfen, mit dem sie ihre Sujets und ihre Tricks zu umkleiden pflegte. Sie ist zu einer Stomödie des Schrecklichen geworden. Alle Beängstigungen und Schauer, welche durch Zeitereignisse verursacht werden, die Tragik derselben, ihre Dramatik, ihr schmerzvolles Dister in dem ganzen Grau und der ganzen Ungeschminktheit der Wirklichkeit beutet sie aus, um alles das dem Publikum in einem gymnastischen Schauspiel wieder aufzutischen. Sie gibt das Schrecklichste in den Zügen graufamster fleiner Be­obachtungen, grimmiger Detaillierungen, mitleidloser Be­muzung des Unglücks und der Gefahren des Lebens, verzerrt und outriert durch den Humor" einer entseglichen Sarifierung, die fich über die Träume des Zuschauers zum Alpdrücken gestaltet und uns ein bißchen von dem atem­raubenden Eindruck zu kosten geben, den man bei der Lektüre etwa der Werke des Amerikaners Boe empfängt. Es ist wie die Inszenierung eines Stückes diabolischer Wirklichkeit, das uns ein eigensinniger, übelwollender Strahl des Mondes enthüllt. Man sieht in den Zirkusmanegen und auf den Spezialitätenbühnen Englands nur noch Intermezzos, in denen der lustige Scherz und die gymnastischen Künste nicht mehr das Auge zu erfreuen bemüht find, sondern in denen sie Empfindungen des Schreckens, der Furcht, der beinahe schmerzhaften Überraschung durch seltsame, gleichsam krant­hafte Bewegungen der Glieder und der Muskeln herbor­zurufen suchen, und in denen schreckliche Szenen aus dem Familienleben, Szenen aus dem Irrenhause, aus New­ castle  *), dem Seziersaal der Anatomie, dem Bagno  , der Morgue, untermischt mit grinsenden Faustkämpfen und kläg­lichen Bossenreißereien, die Bilder sind, welche vorgeführt werden. Und was ist der dekorative Schmuck bei diesen Auf­führungen? Eine Mauer, welche als Zaun die Bühne ab­schließt- eine Mauer von verdächtigem Aussehen, von jenseit welcher es uns anweht wie dort schlecht verwahrtes Berbrechen; eine Mauer, auf deren Brüstung jene modernen Nachtgespenster erscheinen und von der sie unter schatten­haftem, immer länger, immer länger Werden ihrer Beine herabsteigen Gestalten, wie die Opiumesser des fernen Ostens sie in ihren Träumen sehen; dann, während ihre tollen und verrenften Schattenbilder auf die bleiche Mauer fallen, die aussieht, wie ein ausgespanntes Bettuch für den Focus einer Laterna magica, beginnen ihre verrüdten Gliederarbeiten, ihr blödsinniges Gebärdenspiel, ihre grimassenhafte Mimik wie von einer Abteilung Narren.

Dieser seelenlosen Posse verleiht überdies das glatte, einförmige schwarze Habit, dieses neueste Fachkostüm des englischen Clowns, etwas Seiltänzer- Leichenbegängnisartiges, den Anstrich ungefähr eines zappelnden Totentanzes oder der Begräbniskneiperei einer Schar von akrobatisch- gewandten Leichenträgern.

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Die gymnastischen Pantomimen der beiden Brüder glichen den soeben geschilderten der englischen Clowns der neuesten Zeit in keiner Weise. Es vereinte sich in ihren Szenen eine Reminiszenz der Komit der alten italienischen Komödie mit einem Anfluge des träumerischen Elementes, das die Söhne Stepanidas in den Klang ihrer Violinen zu legen wußten. Sie führten in ihren Szenen Episoden von schlichter Trenherzigkeit vor, welche rührten, und solcher von angenehmer Stomit, welche lachen machten; dann wieder solche von leicht phantastischem Charakter, die zu denken gaben: alles Dinge, über welche die jugendliche Grazie Nellos einen eigen­artigen Reiz verbreitete, der sich nicht beschreiben läßt. Auch das Phantastische, wie bemerkt, hatten sie in das Timbre Produktionen aufgenommen; doch nicht jene Phantastik des Die englische   Clown- Pantomime ist nicht mehr das, was Kirchhofsartigen, Düfteren, Traurigen, sondern die des An­fie einst war, sie hat einen düsteren, unheimlichen Charakter genehmen, Bierlichen, des Geisterhaften nach Art einer angenommen, der uns jeweilig jene falten Schauer über den nedischen Sage, die sich. lächelnd über die Leichtgläubigkeit Rüden laufen läßt, von denen der Volksmund sagt: der Tod ihres Lesers Instig macht. Dazu boten sie in allem, was gehe über unser Grab. Sie ist nicht mehr die sarkastische fie gaben, stets Ueberraschendes, unerwartetes, Phantasie­Scherzkomödie des Spaßmachers mit dem mehl- geweißten volles, muntere Laune und, mit dem Fortschreiten der Zeit. Kopf, das eine Auge geschlossen, mit dem einen Mundwinkel in den schlanken Gliedern Nellos allmählig eine Gestalt gleich einem Wesen aus dem Jenseits einer Phantasiewelt.

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*) Da sind wir wieder! Der ganze Rummel! Wie geht's Ihnen?"

*) Englische Verbrecherkolonie in Neusüdwales in Australien  .