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feiner Lyrik. Alles, was er dichtete mit Ausnahme der Novelle Aus dem Leben eines Taugenichts " modert vergeffen im Staube. Seine Lieder leben.

Aber so lange noch freisen Die Stern' um die Erde rund, Tun Herzen in neuen Weisen Die alte Schönheit fund.

Im Walde, da liegt verfallen Der alten Helden Haus, Doch aus den Toren und Hallen Bricht jährlich der Frühling aus. Und wo immer müde Fechter Sinfen im mutigen Strauß, Es tommen frische Geschlechter Und fechten es ehrlich aus.

Freilich ist er auch als Lyriker so intensiv in christlichkatholische Gläubigkeit versunken, daß die Welt mit ihrem Gram und Glüde" völlig dahinter zu verschwinden scheint. Die fromme Einlehr ins Gemit beeinträchtigt die Sehweite des Blickes. Von der Tragik des menschlischen Daseins, von Not, Armut, Staberei der Enterbten hat Eichendorff scheinbar feine Ahnung gehabt. Als Eproffe einer reich in Schlefien und Böhmen begüterten Sippe ift er nie mit dem Bolle in Berührung gekommen. Seine Anschauungen find die des preußischen Feudaladels. Der Landarbeiter, der ihm die Hecker bestellt und die Getreidespeicher füllt, der Hirte, der seine Bleh- und Schafherden weidet, das Schloß- und Hofgefinde existiert Das Volkslied hat allerdings den Grundcharakter aller auch für Eichendorff nicht. Charakteristisch für den Junker und Thrik überhaupt; es stellt nicht die Tatsachen, sondern den Eindruc Romantiler zugleich ist aber feine Vorliebe für mittelalterliche Zu- dar, den die vorausgesetzte oder kurz bezeichnete Tatsache auf den stände. Er befingt den Jäger, den fahrenden Spielmann, ben Sänger gemacht. Vor der Kunstlhrif aber unterscheidet es sich wandernden Dichter, Studenten und Maler, den Soldatenstand, durch das Unmittelbare und scheinbar Unzusammenhängende, womit Schiffer, Wegelagerer und Zigeuner; ja er läßt auch einmal es die empfangene Empfindung weder erklärt, noch betrachtet oder Gärtner, Winzer, Schmiedegesell und Schneider auftreten; aber- schildernd ausschmückt, sondern sprunghaft und blißartig, wie es fie und das ist auch hier wieder so bezeichnend für den freiherrlichen Sänger alles, was da fleucht und freucht, weiß fich vor Luft und Fröhlichkeit nicht zu faffen. Soziales Elend und Sorge find Be griffe, die der Wohlhabende nicht kennt. Ihm steht die ganze Welt offen; er fann all ihre Schönheiten in vollen Zügen genießen; es ist ein herrlich Wandern und Reisen, wenn man einen gespidten Geldbeutel in der Tasche hat! Fürs übrige mag Gott- und die Liebe forgen. Reichlich viel Sonnen, Monde und Sterne werden in Eichen­dorffs Naturlyrit als Requifiten ververtet, um Stimmung zu er zeugen. Im Walde fingen die Bögel; zuteilen läßt fich ein Jäger­oder Posthorn hören; es ist die alte Naturfymbolik seit den Tagen der deutschen Minnefänger; es ist das alte deutsche Gemüt mit feiner Schwärmerei, mit feiner Sehnsucht und seinen Träumen. Das hat aber von allen Kostgängern der Romantik keiner so tief offenbart, als Eichendorff. Die Innigkeit seiner Naturandacht, der minnigliche weiche Schmelz und Zauber, die reine, überquellende Mufit feiner Lieder find kaum jemals wieder erreicht, gefchweige denn übertroffen worden. Komponisten, an erster Stelle die Romantiker Schubert, Schumann, Mendelssohn- Bartholdi nebst un zähligen andern haben vielen davon herrliche Melodien gegeben. Das Boll hat die Lieder gesungen, und sie werden noch fortleben, wenn schon längst des Dichters Name im tofenden Sturme der alles überdauernden Zeit verweht fein wird.

Kleines feuilleton.

Aus Eichendorffs Werken. Abschied.

D Täler weit, o Höhen, D schöner, grüner Wald, Du meiner Luft und Wehen Andacht'ger Aufenthalt! Da draußen, stets betrogen, Sauft die geschäft'ge Welt, Schlag' noch einmal die Bogen Um mich, du grünes Jelt 1 Wenn es beginnt zu tagen, Die Erde stampft und blinkt, Die Vögel Juftig schlagen, Daß dir dein Herz erklingt: Da mag vergeh'n, verwehen Das trübe Erbenleid, Da sollst Du auferstehen In junger Herrlichkeit!

Da steht im Bald geschrieben Ein stilles, eruftes Wort

Bon rechtem Zun und Lieben, Und was des Menschen Hort. Ich habe treu gelesen

Die Worte, fchlicht und wahr, Und durch mein ganzes Wesen Ward's unanssprechlich far. Bald werd' ich dich verlaffen, Fremb in die Fremde geh'n, Auf buntbewegten Gaffen Des Lebens Schauspiel seh'n; Und mitten in dem Leben Wird deines Ernft's Gewalt Mich Einsamen erheben; So wird mein Herz nicht alt.

Troft.

Es haben viel Dichter gefungen, Im schönen deutschen Land, Mun find ihre Lieder verklungen, Die Sänger ruhen im Sand.

erhalten, wieder gibt, und gleichsam im Fluge plötzlich und ohne lebergang, wo man es am wenigften gedacht, die wunderbarten Aussichten eröffnet. Das Volkslied mit dieser hieroglyphischen Bildersprache ist daher durchaus musikalisch, rhapsodisch und ge­heimnisvoll, wie die Musit, es lebt nur im Gefange, ja viele dieser Volksliederterte find geradezu erst aus und nach dem Klange irgendeiner älteren Melodie entstanden. Hier gibt es teine ein­zelnen berühmten Dichter; die einmal angeschlagene Empfindung, teil sie wahr und natürlich und allgemein verständlich ist, tönt durch mehrere Generationen fort; jeder Berufene und Angeregte bildet, modelliert und ändert daran, verkürzt oder ergänzt, wie es Luft und Leid in glüdlicher Stunde mit eingibt. So ist das Boled, in seiner unausgefeht lebendigen Fortentvidelung, recht eigentlich das poetische Signalement der Wölferindividuen. Gleich wie aber Kraft und Ausdrud der Empfindung nicht bei allen Jna dividuen überhaupt dasselbe sein kann, so erhält auch das Bolts­lied bei den verschiedenen Boltsstämmen, je nach ihrer Ilimatischern und geistigen Etruftur, feine besondere Physiognomie und Eigen­tümlichkeit. Wir sind nun zwar feineswegs der Meinung, daß der Volksgesang jemals den ganzen Umfang und Reichtum der Dichtkunst zu umfaffen und zu erschöpfen vermöchte; jedenfalls aber ift er der Grundstock aller nationalen Boesie, die in der Naturs wahrheit des Volksliedes ihre Wurzel hat. Selbst in ihrer vollen defften Kunstform, im Drama, flingt bei Calderon die Bolts­romanze, bei Shakespeare das Volkslied Altenglands fühlbar hin durch.

( Geschichte der poetischen Literatur Deutschlands , Bb . I, E. 163.)

Was ist denn eigentlich die Jugend? Doch im Grunde nichts anderes, als das gesunde und noch ungefnidie, vom flein lichen Treiben der Welt noch unberührte Gefühl der ursprüng lichen Freiheit und der Unendlichkeit der Lebensaufgabe. Daher ist die Jugend jederzeit fähiger zu entscheidenden Entschlüssen und Aufopferungen, und steht in der Tat dem Himmel näher, als das müde und abgenutte Alter, daher legt sie gern den ungeheuersten Maßstab großer Gedanken und Taten an ihre Zukunft. Ganz recht: denn die geschäftige Welt wird schon dafür sorgen, daß die Bäume nicht in den Himmel wachsen und ihnen die fleine Krämer­elle aufdrängen. Die Jugend ist die Poefie des Lebens, und die äußerlich ungebundene und forgenlose Freiheit der Studenten auf der Universität die bedeutendste Schule dieser Poesie, und man möchte ihr beständig zurufen: sei nur vor allen Dingen jung! Denn ohne Blüte keine Frucht!

( Erlebles: Halle und Heidelberg .)

Das Leben ruht bei weitem mehr auf dem Gefühle und der poetischen Kraft in dem Menschen, als die Nüchternen fich träumen lassen. Der Verstand legt zwar den Pfeil auf dem Bogen zurecht, und richtet und zielt; aber das Gefühl ist die Sehne, die den Pfeil nach dem Ziele fortschnellt, und die Tat ist zuleht nur ein anderer Ausdruck der Poesie... Der Dichter soll nicht neutral fein, und es hat auch bei seiner erregbaren Natur gar keine Rot damit: tein wahrer Dichter wird von den großen Bewegungen der Gegenwart im tiefsten Herzen unerschüttert bleiben.

( Der deutsche Montan, S. 266.) Theater.

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Neues Theater: Dic Agrarier". Schauspiel in vier Aften von William Schirmer. Die Agrarier das Tringt verheißungsvoll und vielleicht femmt einmal auch ein wirk­fiches Talent, das die in diesem Titel angekündigte politisch satirische Posse schreiben kann. Herrn Schirmer diente diese lleber­fchrift nur als Reklame und Aushängeschild für einen wahllos zu fammengefegten Haufen von Szenen. Das Band der künstlerischen Einheit reduziert sich darauf, daß alle die hier angesammelten Möglichkeiten und Unmöglichkeiten angeblich an einem und dem­felben Orte, einem ostpreußischen Kirchdorfe, passieren. Im ersten Afte namentlich ist viel von Not der Landwirtschaft und, zur Wahrung dichterischer Objektivität, auch bon agrarischer Begehr­lichkeit die Rede. Die Polladen des Großbauern Heinrich Mathies werden kontraktbrüchig, das Gesinde droht mit Kündigung; Eigen­fumer und Ho verwalter schimpfen auf die Regierung und die Dammlichen Schulen, wogegen Mathies städtisch zibilisierte Tochter mit allerhand freifinnia aufgeklärten Argumenten auftrumbft.