Anterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 236.
Donnerstag, den 5. Dezember.
Wagdrud verboten.)
24] Die Brüder Zemganno.
zu Bu anderen Malen, wenn, nach versteckten Verfuchen, nach vielem prilfenden Betaften und Untersuchen von Gegen tänden, nach einer Reihe von Berbesserungen, welche die Idee bis dicht zu dem Punkte des Gelingens au führen schienen, Gianni, der bis dahin aus einer Art von Koketterie sein Geheimnis gewahrt hatte, fich bereits der Freude hingab, Nello von seiner Erfindung zu erzählen, ihre Details vor ihm zu entwideln, und er bei der Burechtlegung der letzten Kombi nationen im Geist schon den Zirkus dicht geflift von einer Menge sah, die dem außergewöhnlichen Glanzstüd seiner Leistung ihren Beifall jauchate... dann plöglich zwang ihn ein winzig Aleines, ein unfägliches Nichts, das ungeahnte Gaublörnchen, welches das ganze Räberwerk einer neuen Maschine zu gehen verhindert, auf die Realisierung seines Traumes zu verzichten, den er seit Wochen gehegt, und der doch nur ein Traum war, das Blendwerk einer trügerischen Nacht. Dann verfiel Gianni auf Tage bin in den düsteren, tiefen Trübfinn des Erfinders, der eine Idee, in deren liebevollem Gebären er Jahre gelebt, zu Grabe tragen muß; einen Trübfinn, von dem Gianni fein Wort des Schmerzes zu Nello an äußern brauchte: der jüngere Bruder kannte ihn und fannte feinen Grund,
1907
Der Holzschniger, zufrieden, mit seinen neuen Hause genoffen feine Streitigkeiten wegen seines Pavillons zu haben, der beinahe vollständig den gemeinschaftlichen kleinen Sofraum für fich in Anspruch nahm, lebte in bestem Einbernehmen mit den beiden Clowns und gestattete ihnen bei and von Laubwerf herzustellen, um hinter derselben, vor Eintritt des Sommers, fich in dem Pavillon eine Art spanischer den Blicken der Vorübergehenden geschützt, Geige zu spielen. Er selbst brachte aus den Unkrauthaufen eines Gärtners in der Nachbarschaft eine prächtige Kollektion wilder Gewächse zusammen von der Art jener blattreichen, mit freundlichen, großen Blüten geschmückten Pflanzen, den armen, hübschen Fasanenrosen, die heut unbeachtet bleiben, und die man so hübsch an Spalieren arrangiert in den Deckenmalereien des vorigen Jahrhunderts findet.
In diesem Pavillon, den durch Decke und Seitenwände bereint mit den Sonnenstrahlen der Flug der Schwalben und Sperlinge durchkreuzte, hinter der Wand von blühenden Malven, Binden und Nosen, faßen im Sommer und Herbst an schönen Tagen die beiden Brüder und spielten Geige. Doch war es in der Tat mehr ein Plaudern in Tönen, als ein Spiel, und dies klingende Plaudern zwischen ihnen war wie das Zwiegespräch, in dem zwei Seelen zueinander reden. All jene raschen, verschiedenen und vielfachen Eindrücke der Stunde und des Augenblicks, die in das Innere eines Menschenwesens ihre Aufeinanderfolge von Licht und Schatten werfen wie der Wechsel von hellem Sonnenschein und vorüberziehenden Wolfen am Himmel in die weite Ebene, all diese Eindrücke kündeten die Brüder einander in den Klängen ihrer Geigen. Es tönten in diesem bruchstückweisen Plaudern, bei welchem wechselsweise bald die Bioline des einen, bald des anderen schwieg, die Träumerei des Aelteren in fanft verballenden Melodien, und der muntere Schera des Jüngeren in frohen, nedischen Weifen. folgten einander, je nachdem sie dem einen oder anderen entschlitpft, dumpfer Schmerz in klagendem Piano und lustiges Lachen, das in einem Sprühregen heller, fröhlicher Töne erflang; Ungeduld, die fich in zornigem Dröhnen Bahn brach, und freundliche Besänftigung, das wie lauschiges Rieselit der Quelle im weichen Moose tönte, heiteres Geplauder, das in springenden, berlenden Koloraturen schwaste. Dann, nach eltva einer Stunde dieses musikalischen Dialogs, ergriff die Söhne Stepanidas plöglich das zigeunerische Virtuofeatum, sie begannen gleichzeitig zu spielen, mit einer Berve, cinem Feuer, welches den Raum des Hofes von einer Musik erflingen machte, die den Holaschniker bei seiner Arbeib lauschend paufieren, daß eingefallene Geficht des Brustfranken über dem Stuhstall sich ihr unter Tränen lächelnd
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Die Brüder wohnten Rue des Acacias in den Ternes, Liefem ärmlichen äußersten Ende von Paris , das sich in den Ländlichen Teil des Weichbildes der Stadt verliert und mit ihm vermischt. Sie hatten den Mietsfontraft eines Schreiners übernommen, der auf dem Bunft stand, Bankerott zu machen. Das Logis des Schreiners bestand aus einem fleinen Geparathäuschen, das zu ebener Erde eine Küche und einen Raum zu allerlei Gerät, im ersten Stod awei Simmer und ein Kabinett umfaßte; mit zu der Wohnung gehörte ein großer Bretter- Solzbau, der ihm als Werkstätte gedient hatte und in welchem die Clowns fich jetzt einen Platz für ihre gymnastischen Uebungen hergerichtet. Der Hof, der von der Straße durch ein hohes Stafet geschieden, beide Baulichkeiten mit einander verband, diente den beiden Brüdern und einem Holzschnitzer gemeinschaftlich, welch letterer den größten Teil des Tages über im Freien arbeitete, dessen Werkstätte und deffen Schlafraum aber sich auf dem Dachboden des Holz baues befand. Dieser Holzschniger, ein guter närrischer Alter mit den grünlichen, trübeblidenden Augen einer schwermütigen Ströte und gleichsam nur einem Oberkörper ohne Beine, auneigen ließ. Lieferte Künstlerzeichnungen in seinem Fach, indem er auf die lustigen Verzierungsformen des achtzehnten Jahrhunderts zurüdgriff und fie nachbildete. Der verfchrobene alte Ouvrier Erstaunen feiner Stollegen nicht felten mit irgend einem Gianni, der ein eifriger Leser war und den man zum Der Zernes ließ die Paffanten der Straße einen bewunde rungswürdigen kleinen Pavillon von Schnitzerei geschmücktem alten Bande von Buch unter dem Arm in den Zirkus kommen Gitterwerf, mitten auf dem Hofe als Probestüd seiner Stunft fab, nahm zuweilen einen solchen alten Band mit sich hinab ausgestellt, erbliden, einen Pavillon in Gestalt eines in den Musikpavillon: einen diden Quartband in Pergament Tempels, mit Starnies, Bilaftern, Stapitälen, der ein Wunder deckel mit zerftoßenen Ecken mit Wappenzierungen, die Der Gitterwerkarbeit und Schnipkunst war und an feinem ustrationen, auf denen die Hand irgend eines Kindes während der Revolution zerrissen worden waren, und Zirgiebel ein Schild mit der Inschrift trug:
Lamour, Holzschniger für antikes Genre. Mufifpavillon, ausgeführt nach den berühmtesten Modellen. Vorzügliches Werf der Holzschnigkunst, paffend aum Schmuckstüd in einem modernen Bart; abzulassen zum Einkaufspreis.
unferer Tage moderne Pfeifen Persönlichkeiten des fechzehnten Jahrhunderts in den Mund gezeichnet hatte. Aus diesem Buch, das auf seinem Titelblatt die Inschrift:" Dret Gespräche über die Uebung des Springens und Boltigierens. Bon Arcangelo Tuc. caro. 1509," sowie die Mitteilung trug, daß König Das sehr unregelmäßige und mit den Spuren der ber- Karl IX sich emsiglich jeglicher Art zu schiedentlichsten Ausnügung bedeckte Grundstück schloß in springen befleißiget und sich darinnen leinen, einzelnen Häuschen, die in allen Ecken und Winkeln gar trefflich und wohlgeeignet erwiesen". berftreut lagen, noch allerlei wunderliche Geschäftszweige in las Gianni feinem Bruder von den in altmodischer Schrift fich, und ganz am Ende desselben, wo ein von Gänsen, die gedruckten Blättern die Stellen über die Beta auristentagsliber dort weideten, beinahe abgefreffener kleiner Gras Springer vor, deren griechischer Name fich von dem halb. play die Grenze bildete, befand sich als letztes Gebäude das fliegenden Sprung der Hühner herschreibt, wenn sie zu dem Saus einer fleinen Melferei mit einem Bettel über der Tür Stall hinaufhüpfen, um sich zur Ruhe zu begeben;- die des Kuhstalls und unterhalb eines Fensters mit weißen Vor- Stellen über die„ Gauklerin" Empuse, die mittels ihrer bängen, auf welchem au lesen stand: wunderbaren Körperbiegsamkeit alle erdenklichen Formen und Gestalten annehmen au fönnen schien.
Bimmer für einen Stranten zu vermieten."