Von alledem kehren nun Züge in de: Fledermaus selbst wieder. Wie sie in ihrer Eigenart stehen geblieben ist durch Jahrmillioncn ohne nennbaren Fortschritt, scheinen ihr doch alle Wandlungen unseres Planeten in dieser Zeit auch nichts geschadet zu haben. Klein aber zäh hat sie sich durchgesetzt, immer m einer bestimmten Rolle, von den Tagen der Krcidesaurier an bis auf die Aera des Kulturmenschen. Leichter als irgend einem anderen Säugetier ist ihr die räumliche Eroberung fast der ganzen Erde gelungen. Wassergrenzen, die für die meisten Landsäuger sehr streng gelten, hat sie spielend überquert. Einzelne ihrer Arten sind regelrechte Kosmopoliten; so gehen Hufeisennascn in der gleichen Art von Japan bis Südasrika, von den Sundamseln bis Irland . Selbst in das verschlossene Ashlland Australien ist sie ruhig eingeslattcrt, wobei solche kosmopolitischen Arten auch dort gerade beweisen, dasj sie mit der eigentlich landeseigentümlichen Tierwelt, deren Ur- sprung vor ihrer Zeit lag, direkt absolut nichts zu tun hat. Auf Neuseeland ist sie fast der einzige Vertreter der Säugetiere über- Haupt. Nirgendwo kann man von der Fledermaus, so wenig wie von dem Insekt, das sie jagt, sagen, daß sie, die doch auf eine so un° geheure höchst konservative Vergangenheit zurückschaut, nur noch ein überlebendes, anachronistisches, von der Gegenwart nur gc- duldetes Tier sei. Sie ist, wo sie ist— und sie ist ja fast überall wie die wirkliche Maus— immer aktiv, voll Lebenscnergie, Herrin der Situation, soweit sie es eben braucht. Sie ist das einzige Säugetier, das mit dem kleinen zähen Insekt groß geworden ist bis heute, das einzige, da-Z, man möchte sagen, vom Insekt gelernt hat. Sie ist auch dem Kulturmenschen in seine Stadt gefolgt. Sie teilt feine sentimentale Liebhaberei für Ruinen, wenn auch aus einem praktischeren Grunde. Aber sie verträgt sich wie der Spatz auch mit dem eisernen Koloß seiner dampferwärmten Bahnhofs- halle. Sie hat das Glück noch, ihm gerade durch ihre Jnscktenjagd direkt nützlich zu werden, in einer Epoche, da die Medizin den Kampf gegen die Malaria, an dem die Bewohnbarkeit ganzer Länder für den Menschen hängt, als einen Vernichtungskampf gegen die Mücken zu begreifen beginnt. So steht die Fledermaus vor uns als ein Triumph des gc- schickten, auf ein bestimmtes Feld klug eingeschränkten Konscr- vaiiviömus in der älteren Säugcticrwclt,— der kleine Homunkulus eines frühen EntwickelungöversuchS, der wirklich einen Schalten schon von dem ungeheuren kosmopolitischen Erdcnglück des Menschen besaß,— bald doch auch nur wirklich noch geduldet, wenn nämlich dieser Mensch die vollkommene Erdhcrrschast mit Wohl und Wehe aller andern Mitbewohner seines Planeten antritt. Einen Mo- tneiii ist sie schon bedroht gewesen, als sie im Bilde des„Vampir" in seine erhitzten Fieberträume geriet. Tas geht wieder vorbei. Wenn ich aber den kleinen Flattercr in seinen durchaus nicht schlechten Stößen so abends um meinen HauSgiebel jagen sehe, meine ich wohl, eS gebe für ihn noch ein Tauerasyl in der tiefen Gedankenwelt dieses GeistcSiiers Mensch, wirksamer als das bißchen Nützlichkeit, das er uns als Mückenvertilger erweist:— das ist die lebendige Schutzausnahme in das Interesse an einem so wunder- baren Versuch der Natur, diesem Experiment des fliegenden Säuge- tiers, das auf seinen ausgebreiteten Händen schwebt.— daS Interesse, das dieses seltsame Wesen„zwischen Vogel und Maus." nicht bloß aus Büchern und Museumsreliquien auch in der Folge kennen, sondern seinem Zickzacksluge unmittelbar mit dem Auge folgen möchte,— als wieder einmal einer bedeutsamen und ergreifenden Schrift der lebendigen Nkltur, der wir zuletzt ebenso entsprossen sind, wie dieser in KreuzeSform dahinstcuernde kleine Homunkulus. (Nachdruck verboten.) ' GUick. Von L. Mjaönikow. „Ein dummei Volk"... sagte der Kutscher.„Wollten durch- a»S Land haben. Machten Eingaben über C-ingabcn, ließen sich'S was kosten— na und was ist dabei herausgekommen? Nichts ist dabei heranSgekoinmen... in all den langen Jahren. Hier gibt's eben kein Land. Gehört alles der Herrschaft.... Der Verwalter zieht den Bauen, das Fell über die Ohren.... Zwanzig Rubel Pacht für die Dessjätin müssen sie geben und dann i ollen sie noch Mist für ihn fahren: aber woher nehmen, wem, fast das ganze Vieh eingegangen ist? Mit einen, Wort: trostlos I... Da sehen Sie bloß mal die Löcher an, in denen das haust 1" wies er mit der Peitsche auf eine Hütte, an der wir gerade vorüberfuhren.„Eines schönen TageS fällt einem die ganze Bude auf den Kopf— und fertig I" In der Tat war das Wohnen in dieser Hütte nicht sehr ver- sockend: alt. halbbcrsaust, stark nach einer Seite geneigt, lehnte sie sich auf mehrere Stützbalken wie eine Alte auf Krücken und drohte jeden Augenblick zusammenzustürzen. Etlva-Z beinahe gesucht Klägliches lag in dem Aussehen dieser zermorschten, verfallenen Hütte mit ihrem, an schlechtgclämmte Haare erinnernden, unsaubercil Stroh- dach und den schiefen, halbblinden Fenstern, welche an vielen Stellen statt der Scheiben mit Papier verklebt waren. Die Nachbarhüttcn sahen größtenteils ebenso au?, vielleicht mit dem einzigen Unterschied, daß sie etwas gerader standen, etwaö weniger gestützt waren als diese eine; aber in, allgemeinen boten auch sie ein trauriges, klägliches Bild. Plötzlich sah ich ganz am Ende des Dorfe? ein großes, hübsches HauS, daS mit seinen starlm Balken und seinem aus gehobelt«» Brettern hergestellten Dache den, Auge eine angenehme Abvoechselung bot. Die Treppe mit den kleinen Säulen und das kunstvolle Schnitz- werk an, DachjimS waren käst prächtig anzuschauen und zeugten von dem Wunsch VeS Besitzers, sein Haus zu verschönern, koste es, was eS wolle. Auch das große, aus gehobelten Brettern gezimmerte Hoftor mit den aufgenagelten, biereckigei, Bicchstückchen, der starke. hohe Zaun und die übrigen Hofgebäude, die glatt und dicht mit frische», Strob gedeckt waren— alles war so sauber und gediegen. „Wem gehört dieses Haus?" fragte ich den Kutscher. „Semen Sutschkow... einen, hiesigen Bauern...„Der Abgehaueue" heißt er für zetvöhnlich.... Den, ist's mal geglückt I Was der sich für ein HauS gebaut hat!... Er selbst ist nur selten hier, meistenteils lebt er in der Stadt, aber die Weiber, die Mutter und die Frau mit dei, Kinderchen, die tvohnct, hier." „Womit beschäftigt er sich denn?"' „Womit soll er sich beschäftigen, wem, er nicht Hände und nicht Füße hat!"... lachte der Kutscher. «Und wie kam das?" fragte ich weiter. „So... so vor Stücker fünf Jahren herrschte hier im Kreis« großer Mißwuchs. Damals war dieser Semen ein armer, kleiner Bauer, der vor Hunger umkam.... Sein Pserdchen krepierte. weil's kein Futter gab... Die Hütte war verfallen, halb ab» gedeckt... Das Stroh brauchte man zum Heizen, verstehen Sie... und der Wind pfiff durch die leere Stube. Aber der Winter wollte immer noch kein Ende nehmen, der Frost war streng, sehr streng... und nichts im Haus-... Es war nicht mehr zu cnragen. Da ging er denn in die Stadt, Arbeit suchen. Aber in der Stadt trieben sich noch viele andere unserer Brüder umher, hungernd und frierend wie Semen Sutschkow. Ging, ging— keine Arbeit, und wem, er sich gleich auf den Kopf stellte... Alles voll I... Dann versucht er z» betteln— aber niemand gibt ihm was, schimpfen noch aus ihn:„Du bist gesund, kannst arbeiten, brauchst nicht hier herumzulungenl... zn betteln.. Droben, nach der Polizei zu schicken... Was soll er tun? In die Herberge darf er ohne Geld nicht hinein... Ja. ja, so ist das Volk I Geh' aus dio Straße und krepier' meinetwegen! Lange wanderte er so herum, schließlich beschloß er, hungrig wie er war. ins Dorf zurückzukehren. Und da passierte ihn, das. Er war noch keine Werst vor der Stadt. da erhob sich ein Schneesturm— keine Hand vor Augen zu sehen— und dabei ging's schon gegen Abend... Er verime sich, wußte nicht ein noch aus und hockte sich zuletzt in einer kleinen Schlucht bin... Am Morgen fand man ihn halbtot... brachte ihn ins Krankenhaus und schnitt ihm da beide Beine ab bis zun, Knie und alle Finger.... Sie waren nämlich erfroren.... Na und von der Zeit an heißt er nur„der Abgehauene"... „Aber wovon lebt er denn jetzt?" „Na... er sitzt in seinem Schubkarren auf dem Markt ln der Stadt und bekommt Almosen.... Jeden Tag, sagt man. nimmt er so seine zwei Rubel ein oder gar noch mehr.... Hat sich eii» feines Hauö davon gebaut.... Die Frau geht wie'ne Dame, und er selbst ist so satt und fett.... Weiß gar nicht, wie er Gott danke» soll.... Ja, Glück muß der Mensch haben l" Liemes femUeton. Theater. Schiller. Theater O.:„Der Revisor '', von Nl!o. laus Gogol . Schonungsloser ist eine herrschende Schicht wohl niemals aus der Bühne gcbraudmarkt und gestäupt worden als die korrupte, russische Beamtenschaft in Gogols klassische», Lust- spiel. MoliercS„Tartüffe", Beaumarchais '„Figaro " und was sonst etwa von berühmt gewordenen westeuropäischen 5lomödieli ocn Stempel sozialer Polemik trägt, nimmt sich neben den Keulen- schlägcn, mit denen der Russe auf den Feind losgeht, zurückhaltend. fast zaghaft aus. Der Dichter, der später ein Mystiker und Reaktionär wurde, verschmäht hier jeden Kompromiß. Wäre es ihm darum zu tun gewesen, für seinen kühnen Angriff ein» Deckung zu suchen, er hätte es leicht gehabt, etwa nach dem bc- quemen Rezepte im„Tartüffe", den Hohn zu guter Letzt in ein ehrerbietiges Lob auf den Herrscher auöklingen zu lassen. Dia Sckilußpointe legte eine loyale Verbeugung nach oben, eine Vivat- rede auf die Weisheit und Strenge der Regierung, die die Nieder- tracht da unten glorreich vernichten würde, sehr nahe. Um so höher ist Gogols gänzlicher Verzicht auf solche Diplomatenfinter» einzuschätzen. Stürmisch verlangte die Bureaukratie nach den, Erscheinen des Stückes in den dreißiger Jahren ein Zcnmrverbot, doch der ultrarcaktionäre Zar willfahrte diesmal ihren Wünschen nicht. Er war weitsichtig genug, den Herrschaften, deren ÄuL- bcutungSpraktiken am Ende gar der angestammten� Liebe de» Volkes zu Thron und Altar gefährlich werden könnten, di« Geißelung zu gönnen. Ob das Werk bei seinem ausgeprägt! russischen Sharattcr, wozu auch der Stil breiter Ausmalung gc-. hört, selbst bei glänzender Darstellung auf deutschen Bühnen ein« starke Thcatcrwirlung erzielen könnte, ist freilich zweifelhaft. Di« Entlarvung verläuft für den Ausländer» der die Typen selbst n,ch> aus dem Leben kennt, in ein allzu weit anLgesponncncS u>ctaili, So blieb der Eindruck, zumal die Schauspieler des Schmer« Theaters, außer Herrn E ö st l i n„ der den Petersburger Wind«
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24 (13.12.1907) 242
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