Anterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 252.

Dienstag den 31 Dezember.

1907

( Nachdruck verboten.) zu seinem Bruder, nachdem er sich ungeduldig ein paarmal auf seinem Bett hin- und hergeworfen:

80] Die Brüder Zemganno.

Von Edmond de Goncourt .

( Schluß.)

mich

Raß das aufhören... halte es an, es peinigt das Geräusch, meine ich!" Gianni begriff, was er empfand, und von diesem Tage an gab Gianni seine lebungen auf.

*

Er wendete sich stürmisch zu seinem Bruder zurück und Es gab Momente, wo das Herz Nellos in seinem falten ergriff dessen Hände." Genug davon, Gianni!" rief er im Trübfinn zu erfalten schien und Gianni nicht mehr die gleiche Zone inniger Bärtlichkeit aus. Ich werde glücklich sein in Buneigung wie in früheren Tagen, den Tagen der Gesund­dem Beifall, den Du erntest, und so wird es immer sein..." beit, bei seinem Bruder zu finden glaubte. Jene innige Er ließ Giannis Hände nicht los und drückte sie mit den Freundschaft beider, die sein großes Los, sein irdisches Glüc seinen, während er stockte, als habe er ihm etwas zu sagen, gewesen, schien nicht völlig mehr dieselbe. Nein, ich fühle das ihm schwer werde, es über die Lippen zu bringen. Bruder," es, ich bin nicht mehr geliebt von ihm, wie er mich früber fuhr er endlich mit gepreßter Stimme fort: nur um eines liebte," wiederholte sich Gianni; und troß allem, was er fich wollte ich Dich bitten... und Du mußt es mir versprechen: dagegen fagen mochte, stürzte ihn die Vergegenwärtigung Du arbeitest nur noch allein!... Nicht mit einem dessen, was ihm der Seelenzustand des mit Inbrunst in sein anderen zusammen. zu wissen, daß Du mit einem anderen Serz geschloffenen Strippels an Liebe zu entziehen drohte, in arbeitest... nein, das könnte ich nicht ertragen, es wäre eine Art von wuterfülltem Leiden, die ihm ein Austoben mir zu schmerzlich!... Wie, Du versprichst es mir? Nicht seiner Erregung: Arbeit, heftige Körperbewegung zum Be­dürfnis machte.

wahr, nie mit einem anderen?

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Wenn Du nicht wieder ganz gesund wirdst," sagte Gianni schlicht ,,, ich werde weder allein noch mit einem andern mehr arbeiten."

,, Oh, so viel verlange ich nicht von Dir, so viel nicht!" stotterte der jüngere Bruder in der Verwirrung einer mühsam unterdrückten Freude, die seine Worte Lügen strafte.

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Von diesem Abend an verbannte Nello im Gespräch mit feinem Bruder und den Kollegen, die zuweilen ihn zu be­fuchen famen, das Präsens aus seinen Reden, wenn er von Dingen des Birfus oder von seinen bisherigen Produktionen sprach. Er sagte nicht mehr: ich mache das so und so ich führe die Tour in dieser Weise aus... ich nehme dazu die und die Chose." Sondern er sagte: ch machte das so und so... ich führte die Tour in dieser Weise aus... ich nahm dazu die und die Chosen," und dieses erbarmungslose Imperfeftum, das in seinen Reden immer wiederkehrte, flang aus ihnen hervor wie das starre Anerkenntnis des Todes des jungen Klowns, wie die gesprochene Anweisung, ihn zu be­graben.

4

Mit dem Dahinfließen der Zeit, die noch immer nicht auch nur den Tag brachte, an welchem Nello seine Krüden hätte zur Seite legen fönnen, stellte sich bei dem jungen

Manne eine düstere Gedankenversunkenheit ein, trübes

Sinnen, stummes Abwenden von allem, was um ihn her ge: schah, und ein Ausdruck unbeschreiblicher Wehmut lagerte auf feinem fanften, hübschen Geficht, auf das kein Lächeln mehr treten zu wollen schien. Wie tief in sich vergraben und selbst verloren hatte Nello jetzt, wenn sein Bruder zu ihm sprach, nur ein unsicheres: Wie was fagtest Du?" für Gianni, gleich einem Menschen, der erwacht, der einem bedrückenden Traum entrissen wird. Auf Giannis eindringliches Fragen gab er stets nur ausweichende Antworten.

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-

Was fehlt Dir?" fragte ihn der ältere Bruder, weshalb bist Du heute so niedergeschlagen, so still?"

Lies mir ein bißchen vor von Archangelo Tuccaro", erwiederte der jüngere nach einem kurzen Stillschweigen.

Und Gianni nahm das Buch und las, hielt aber nach wenigen Minuten wieder damit inne, da er sah, daß Nello ihn nicht hörte, daß er wieder tief in seine traurigen Gedanken zurückgesunken war, deren ersichtliche Schmerzlichkeit Tränen in Giannis Augen riefen, ohne daß er doch wagte, eine neue Frage an den Bruder zu richten. Einst an solchem Tage, während derer Gianni fast unablässig an seines Bruders Seite aveilte, hatte er fich erhoben und war hinausgegangen, diesen allein laffend. Durch Zufall stand das Fenster des Zimmers offen, und durch dasselbe hörte Nello das knirschende Geräusch der Ringe, in denen unten in dem Holzverschlage das Trapez hing das Trapez, an welchem Gianni eterzierte.

13

Eines Nachts erwachte Nello aus dem Schlaf.

Die Tür zwischen den beiden Simmern war nachts stefs geöffnet, damit, wenn einer von beiden Brüdern nicht schlief, er die Atemzüge des anderen bernehmen fönne. Auch jetzt stand diese Tür offen, aber Nello hörte kein Geräusch von dem Schlafenden im anderen Zimmer.

Er richtete sich zu sitzender Stellung empor und horchte schärfer. Er hörte nichts. Es war fein Geräusch in dem Zimmer seines Bruders zu vernehmen, als das Ticktack der großen alten Uhr, die sie noch von ihrem Vater besaßen, und die so laut tickte, wie die Uhren aus altväterischen Zeiten es tun.

In jenem Gefühl unmotivierten Erschreckens, das den in der Nacht plößlich Erwachenden wohl überkommt, rief er feinen Bruder beim Namen. Er rief ihn ein zweites Mal. Keine Antwort.

Nello hastete aus seinem Bett, und ohne erst seine Krücken zu nehmen, bewegte er sich fort, sich an den Möbeln haltend, so gut er fonnte, bis an das Lager seines Bruders. Es war leer, und die zurückgeschlagenen, auf einen Haufen geworfenen Deden zeigten, daß Gianni auf dem Bett gelegen habe und wieder aufgestanden sei. Das war merkwürdig. Weshalb konnte sein Bruderer, der ihm alles sagte, alles anver­licht haben? Eine Idee fuhr Nello durch den Kopfer traute weshalb fonnte er sein Fortgehen vor ihm verheim. half sich an das Fenster hin und seine Augen hefteten sich auf die dunkle Masse des einstigen Werkstattgebäudes des Tischlers." Ja," flüsterte er vor sich hin; es ist ein ganz matter Schein.

aber es brennt ein Licht dort innen!" Er erreichte die Tür, flomm mühsam die Treppe hinab und überschritt den kleinen Hof, auf Händen und Füßen friechend. Schein eines Lichtstümpfchens, das auf dem Fußboden stand, Die Tür des Holzbaues war halb geöffnet; bei dem machte Gianni auf dem Trapez gymnastische Produktionen.

Nello froch so leise durch die Tür hinein, daß Gianni nichts davon bemerkte. Jenseit der Schwelle niedergekauert, fab der jüngere Bruder den älteren sich mit der feurigen Ge­wandtheit eines gefunden Körpers und unverletter Glieder durch die Luft hin und herschwingen und seine gymnastischen Touren ausführen. Und indem er ihn dort vor sich sah, so elastisch, so feurig, so behend, so start, sagte er sich, daß Gianni nie werde den Zirkusproduktionen entsagen können, und dieser Gedanke ließ Nellos Munde plößlich ein tiefes, schmerzliches Schluchzen entfliehen.

Der ältere Bruder hörte dieses Schluchzen inmitten des wirbelnden Umschlages, den er um das Trapez vollführte; bestürzt hielt er inne, schwang sich im Sit auf das Trapez, Er hörte es eine Viertelstunde, eine halbe Stunde. Als neigte den Kopf vorwärts gegen das schmerzlich stöhnende Gianni wieder eintrat, fand er seinen Bruder ganz sonderbar, Baket, das er dort im Dunkel fauern fab, löfte, herab­in gereizter Stimmung, eigensinnig, voll Widerspruchsgeist. springend, mit einem fräftigen Rütteln das Trapez, welches Und als Gianni am folgenden Tage von seinen Uebungen er durch die Fensterscheibe hinausschleuderte, daß fie in zurückkehrte und das Trapez, das er im vollen Schwingen Splitter zerflog, stürzte auf seinen Bruder zu, hob ihn empor verlassen, sein Geräusch noch ertönen ließ, sagte Nello plötzlich und schloß ihn an seine Brust.