fieß im 15. Jahrhundert fünstlerisch verzierte und durch den Drud berbielfältigre Neujahrswünsche entstehen, die aber erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts ihre eigentliche Blütezeit erreichten. Bei der Entstehung der Wunschtarten handelte es sich um eine im leßten Brunde lokale Erscheinung, um eine Wiener Spezialität, die dann atlerdings auch in ganz Deutschland  , ja selbst bis nach dem sonst so tonangebenden Paris   Berbreitung fand. Nach und nach erfreuten fich die Wiener Karten einer solchen Beliebtheit, daß fie allents halben genau nachgeahmt und nachgedruckt wurden. Diese für die alte Zeit so charatteristischen Dokumente sind auch für den modernen Menschen von Interesse. Eine im Landesgewerbemuseum zu Stuttgart   stattfindende Ausstellung von Neujahrstarten bietet so bes Beachtenswerten genug.

Das Gewerbeblatt a. Württ." bringt eine hübsche Auslese aus den verschiedenen Gruppen der Karten, über ihre äußere Ge stalt wie über ihren Inhalt. Wie die Visitenkarten sind auch die Glüdwunschtarten aus jener unter dem Stileinfluß Ludwig XVI.  ftelerden Zeit in Kupferstich, zumeist in Bunttiermanier, aus geführt. Es find zierliche Kunstblättchen, die bald eine figürliche Szene, bald architektonische Motive, bald Embleme aus Freunds schaft und Treue darbieten. Wo ein Spruch oder eine Widmung der Besonderheit eines Glückwunsches Rechnung trägt, ist dieser beispielsweise auf farbige Seide gedruckt und in eine Umrahmung eingeklebt. Aber das Bestreben, diesen Glückwunsch den Augen eines unbefugten Beschauers zu entziehen, brachte jene Rarten auf, wo sich der Spruch hinter einer Klappe verbirgt und die zu gleich beglücken und überraschen sollten. Die Biedermeierzeit er fand hierin die kompliziertesten Spielereien: nicht nur mehrere Slappen übereinander oder nebeneinander finden sich, sondern auch Vorrichtungen zur Entfaltung des Wunsches durch Abheben eines Netzes oder durch Aufblajen. Großer Beliebtheit erfreuten sich jene, auch heute noch gebräuchlichen Karten mit einer Bugs, Dreh­oder Hebelvorrichtung, durch die Figuren sich bewegen, Streifen, auf denen Verse enthalten, hervortreten, Türen und Herzen sich öffnen. Weniger Verbreitung fanden die kolorierten Transparent­farten, die, um ihren wahren Inhalt erkennen zu lassen, erst gegen das Licht gehalten werden mußten. Aber wie auch heutzutage wollten schon damals manche Menschen sich nicht mit dem Gleichen begnügen, was auch der liebe Nächste für wenig Gelb sich leisten fonnte, sondern man ging darauf aus, Glüdwunschkarten zu schaffen, die es nur in einer Ausfertigung gab. Die mit dem Namen Kunstbillett" bezeichneten Einzelkarten, bei denen auf zartem Stoffgrund alle möglichen Materialien wie Perlmutter, Schildpatt, Stroh, Moos, Veetallstücke. Steinchen, Heine Spiegel usiv. zu emblematischen Darstellungen zusammengesetzt wurden, famen, mit einem Spruchzettelchen versehen und in einem Etui geborgen, dem Käufer bereits auf eine hübsche Summe Geld zu fteten. Zu erwähnen sind auch noch die auf der Ausstellung in drei Exemplaren vertretenen Berliner   Neujahrsfarten aus Gußeisen, die im 2. und 3. Jahrzehnt des vorigen Jahrhunderts eine Spezialität der hiesigen Kgl. Eifengießerei bildeten. Allmählich tritt bei den Karten der Tert hinter der bildlichen Darstellung zurud, und es bietet sich uns während der Blütejahre Der Biedermeierzeit ein getreues Abbild des damaligen Lebens. Diese bunten Wünsche sind durchweg heiter und besonders harmlos; nirgends wird eine derbere Note angeschlagen, alles ist furchtbar bieder. Prosaische Wünsche, wie beispielsweise ein gefüllter Geld­beutel, finden sich äußerst selten, dagegen sind die vielen prosaischen Darstellungen nur Mittel zur Verbergung der Gefühle. Die ganze Zeit spiegelt sich in diesen bunten Bilde: wider. Die Menscher von damals ziehen an uns vorüber in ihren Trachten, wir bliden in Zimmer, deren Einrichtungen zum Teil wieder modern ge­worden sind, und mit Vehagen tann man sich in die gute alte Zeit der Postkutsche versetzen.

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Freilich beabsichtigt die Ausstellung nicht zur Wiederbelebung dieser Neujahrsfarten anzuregen, denn sie passen so gar nicht in die heutige Zeit der Elektrizität und des Dampfes. Aber sie dürften wohl erwiesen haben, daß sich sehr gut Geschmadlosigkeiten ver­meiden lassen und daß auf die Jahreswende passende Einfälle leicht in eine fowohl originelle wie fünstlerische Form gekleidet werden können. Auch das laufende Bublifum hätte alle Ursache, die von Widerwärtigkeiten und Unsinnigkeiten stroßenden Karten zu meiden und statt ihrer hübsche und geschmackvolle Karten zu verlangen. Sprachwissenschaftliches.

Ein neues deutsches Wörterbuch. Es begegnet mir ein alter lieber Bekannter, der wieder jung geworden ist. Gegen Ende der siebziger Jahre befamen wir in unserem Heimatdorf einen neuen Lehrer, einen Dichter mit Universitätss bildung. Als junger Gymnafiaft fühlte ich mich gleich zu dem be­gabten Mann hingezogen. der als Dichter feine Muttersprache natürlich über alles liebte. In feiner reichen Bibliothek entdeckte ich das erste deutsche Wörterbuch, das mir in meinem Leben zu Geficht gekommen ist; ein Buch, wonach ich immer eine unbewußte Sehn­jucht gehabt hatte. Es war von Karl Beigand. Wann ich nur konnte, las ich darin und fand zu meiner großen Freude alle bei der Leftüre aufgezeichneten merkwürdigen Worte. Nicht nur über ihre Herkunft erlangte ich Aufklärung, sondern auch über hre Be­deutung.

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haften Gelehrten bis auf den beutigen Tag fortgefeßten Wörterbuche bekannt geworden. Wegen feines Umfanges eignet es sich aber feineswegs zu einem raiche Belehrung gebenden Nachflagebuch. Denn wer hätte immer Zeit, fich einen halben Tag binzulegen, um einen Artikel durchzustudieren, nicht zu erwähnen, daß die drei ersten Bände des noch unfertigen Buches schon veraltet sind und der Preis in die Hunderte geht. Der Hauptförderer dieser gelehrten Arbeit, der leider bor einigen Jahren verstorbene Göttinger  Professor Moriz Heyne  , bat ielbst ein gutes Wörterbuch der deutschen Sprache in drei Bänden herausgegeben. Es ist aber mehr für den liebevollen Betrachter unierer Muttersprache ge ichrieben worden und soll daber mehr ein Lejes als ein Nachbichlages buch sein. Auch hat es teine Fremdwörter. Daher zurüd zu meinem alten Bekannten!

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Jezt nun, im Jahre 1907, tommt mir der alte Bekannte plöglich in ganz neuer Bearbeitung zu Geficht: er beginnt, mit allen Vor­sügen ausgestattet, in dem rührigen Verlage von Alfred Töpelmann in Gießen   neu zu erscheinen. Den größten Teil des ursprünglich Weigandschen Buches hat Prof. Karl v. Babder, der am großen Grummichen Wörterbuch mitarbeitet, das übrige Prof. Hermann Hirt  und der Privatgelehrte Karl Kant, alle aus Leipzig  , mit völliger Beherrschung des schwierigen Stoffes forgiam ausgearbeitet. Das Werf wird in 12 Lieferungen von je 200 Seiten in Zwischenräumen von etwa zwei Monaten erscheinen. Jede Lieferung foſtet 1,60 M. Aber wozu ein deutsches Wörterbuch," wird mancher gebildete Laie fagen, wir wiffen ja, was die Wörter bedeuten." Nein, das weiß die Mehrzahl der Leser durchaus nicht, selbst die Studierten nicht. Nehme ich z. B. das in der Literatur häufig vorkommende Bort Adebar", ein weit verbreiteter Name für den Storch, so er halte ich die Belehrung, daß es Glückbringer" bedeutet. Mittelhochdeutschen heißt es odebar, im Althochdeutschen odobero. Dem ersten Teil odo begegnen wir in Allod, das aus all und od besteht und Ganzeigen, rechtes Eigentum, Besiz bedeutet. Hinzugefügt hätte noch werden können, daß auch Kleinod denselben Bestandteil aufweist. Den zweiten Teil bar oder bero finden wir in dem hochdeutschen ge- bären, Bahre. Auch hier hätte man fagen fönnen, daß im Niederdeutichen bären noch tragen bedeutet. Jezt hat das merkwit dige Bort Adebar und mit ihm noch andere durch die Hin­weise auf ihre Verwandtschaft auf einmal Leben bekommen: der Storch bringt die Kinder, den besten Besiz und das Glück des Hauses, daber: Adebar. Bei dem Nachweise der Herkunft der Wörter sind die gelehrten Bearbeiter nicht nur auf die direkten Vorfahren im Mittel- und Althochdeutschen zurückgegangen, sondern sie haben den gangen Schaz des indogermanischen Sprachstannes herangezogen. Das Wort Ahle, ein an ein deft befestigter stäblerner Vorstecher bei Lederarbeiten" wird bis ins Altindische verfolgt, wo es in der Form ara auftritt. Früher hieß das Werkzeug der Ahl oder Aal, erst im Jahre 1753 kommt die jezt allem übliche Form Able vor. fonders darin liegt, daß es die richtige Vorstellung vermittelt, die Je richtigere Vors wir mit einem Worte zu verbinden haben. Stellungen man aber mit den Wörtern verbindet, desto mehr Leben gewinnt das Gelesene und eine um fo fräftigere Nahrung wird es für den Geiſt. Je fräftiger aber der Geist genährt wird, desto nach­drücklicher und wirkungsvoller ist seine Tätigkeit.

Wir sehen also, daß der Wert eines solchen Wörterbuches be­

Gegenüber anderen Wörterbüchern derielben Art hat der neue Weigand meines Erachtens einige unschäzbare Vorzüge auf­zuweisen. Er führt alle gebräuchlichen Fremdwörter auf und behandelt fie mit derselben Gründlichkeit wie die ein­Artifel wie Agent, agitieren, Agrarier, heimischen Wörter. Alkohol, anettieren usw. beweisen das.

Die sozialistische Literatur ist leider etwas überreich an manch mal ganz entbehrlichen Fremdwörtern: es wird daher dem nach wirklicher Aufklärung strebenden Leser höchst willkommen sein, wenn er in dem Buche eine gründliche Belebrung findet. Man dente ja nicht, daß ein gewöhnliches Fremdwörterbuch, worm die Be deutungen niemals wissenschaftlich abgeleitet sind, dieselben Dienste leiste. Denn eine flare Vorstellung von dem Unbekannten erhält man nie daraus.

Ferner haben die provinziellen Wörter eine weitgehende Berüld fichtigung erfahren. In dem vorliegenden Hefte finden wir unter anderen die Wörter Anke( Butter) und Aette( Bater) besprochen. Auch die Vornamen find aufgeführt und gründlich erklärt. Man sehe fich die Artikel August, Arnold und Anton an.

Als ein weiterer Vorzug verdient hervorgehoben zu werden, daß bei den schwierigen Wörtern angegeben ist, mit welchem Fall sie zu verbinden sind. z. B. bei anmaßen. Auszulegen hätte ich an dem Buche nur wenig. Man hätte z. B. beim Artikel aussegen nicht auf das neumodische ausstellen, im Sinne von tadeln, wenn es auch bei Schiller   vorkommt, verweisen sollen, sondern umgefehrt hätte man verfahren müssen. Denn mit dem Worte ausstellen verbinde ich eher die Hoffnung auf Anerkennung und Lob, während das alte gute aussegen sofort an etwa Geringwertiges und Unbrauchbares Senfen läßt. Steine unnügen und überflüssigen Neuerungen! Daß die Etymologie auf der Höhe der Zeit steht, brauche ich wohl nicht befonders hervorzuheben. Alles in allem also: ein gutes, brauche bares Buch, und nicht allein für den Höhergebildeten, den Studierenden, den Literaten, sondern für jeden nach Aufklärung und Klarheit Strebenden. E. Wrede.

In der Zwischenzeit bin ich natürlich auch mit dem von den Gebrüdern Grimm   im Jahre 1855 angefangenen und von nam Berantwortl. Redakteur: Hans Weber, Berlin  . Drud u. Verlag: Vorwärts Buchdruderei u.Verlagsanstalt Paul Singer& Co., Berlin   SW,