schichtlichcn Quellen ziemlich treu folgende Behandlung deS Treibens der berüchtigten Giftmischerin Boisin unter Ludwig XIV.  , die ihre schauerliche Ware besonders in den Hofkreisen von Ber  - sailles absetzte und auch dem blutforderndcn Aberglauben der schwarzen Messen diente. Bei der theatralischen Aufführung solcher historischen Begebenheiten, die ja schon durch Stoff und Kostüm das Interesse des Publikums wecken, ist indes, um es auf- recht zu erhalten, ein starkes dramatisches Temperament nötig, das die einzelnen Szenen innerlich miteinander verbindet. Und Sardou ist nun doch einmal ein alter Herr geworden, wenngleich er an Frische noch immer genugJungen" über ist. Es hätte keinen Sinn, einen vollständigen Katalog der zahl- reichen Stücke aufzuzählen, die in dieser Saison auf den Pariser Theatern zu einem kürzeren oder längeren Lebenswandel aufgc- taucht sind, ohne für den Weg des allgemeinen Geschmackes eine typische Bedeutung zu haben oder durch künstlerischen Gehalt oder durch eine neuartige Problemstellung hervorzuragen. Als ein ernst zu nehmender Versuch zu einer Chararterkomödie darf Tristan BernardsMonsieur Codomat" erwähnt werden, der fich freilich im Thöatre Anioine nicht zu behaupten vermochte. Ter Verfasser zeigt einen bürgerlich-honorigen Gc- schäftsmann, der mit aller Harmlofigkeit des Gemüts das im teuer bezahlten Kunstgewerbe der Liebe erworbene Kapital einer jungen Dame verwaltet, wofür er auch eine Entschädigung in naturuliduo empfängt. Im Pariser Leben  , wo die Galanterie mit höheren Preissätzen stufenweise in der gesellschaftlichen Geltung steigt, sind derlei zweideutige Situationen sicher keine Seltenheit. Aber diese Atmosphäre erzeugt auf der Bühne llnbehagcn. Herr Codomat hat das Talent, immer die nötigen Schutzvorstcllungen zu finden, die ihn über die Rolle, die er spielt, hinwegtäuschen. Auch die Bourgeois im Zuschauerraum gewinnen im Leben so ihre Selbst- bchauptung und wollen nicht, daß man sie im Theater darin störe. Das hat Tristan Bernard   vergessen. Man will fich von ihm amüsieren, aber nicht beunruhigen lassen. Genannt sei noch das im Ödcon aufgeführte SchauspielSan Pöre"(Ihr Vater) von Guinon u. Bouchinct. Ein geschickt gemachtes bürgerliches Familiendrama, zeigt es zwischen Triviali- täten doch auch manche feinere Linie. Ein Mann, der einst Frau und Kind leichtfertig verlassen hat, taucht plötzlich wieder auf und erobert sich rasch die Liebe seiner in Abneigung gegen ihn heran- gewachsenen Tochter. Das geschieht nun glücklicherweise nicht durch das Eingreifen derStimme der Natur", sondern ganz einfach in- folge der Veranlagung des Mädchen?, das dem lebenslustigen Vater lveit mehr als der vergrämten und melancholischen Mutter nach- geartet ist und in der Welt des Reichtums und des Genusses, in die es auf einmal eingetreten ist, aufzublühen beginnt. Die Autoren haben die Handlung schliesslich ganz ins Bürgerlich-Scn- timentale zurückgebogcn, aber die Entwickelung des Mädchen- charakterS hat Züge, die eben, weil sie nicht besonders rühmlich, um so mehr menschlich frnd. Wenig geglückt ist ein dramatischer Versuch der Brüder M a r g u e r i t t e, die als Erzähler die Zolasche Tradition mit bedeutender Begabung fortgesetzt und ent- ivickslt haben. Ihr in der Eomedie Francaise aufgeführtes Schau- spielL'autre"(Der Andere) behandelt die Frage, ob die Frau dem von ihr geliebten Mann um der Wahrheit willen den be- gangencn Ehebruch gestehen soll. Die Autoren lassen die Erfüllung der Wahrheitsforderung zum Uebel ausschlagen, da der Mann über die Untreue der Frau nicht hinwegkommt und die sinnliche An- Ziehung auch ein kameradschaftliches Nebeneinander unmöglich macht. Die Geschichte eines leichtsinnigen Vaters, einer frommen Mutter und einer Tochter, die zwischen den Getrennten und ihren Lebensauffassungen hin und hertanzt, behandelt auch die Komödie P a t a ch o»", die schon fast ein Bierteljahr auf dem Spielplan des Baudeville-Theaters steht. Aber die Verfasser, Duguesnel und Henncqurn, wollen nur unterhalten. DaS ist ihnen denn auch gelungen. Die Leichtigkeit der Entwickelung, die Lustig- keit deS Dialogs und die auf die BourgcoiSseele trefflich berechnete Mischung von Laster und Tugend dürften dem Stück überall Markt- gängigkeit sichern. Zum Schluß sei noch der DreiakterL e B a p t c m e"(Die Taufe) von S a v o i r und N o z i« r e genannt, der im Theatre deS Oeuvre aufgeführt worden ist. Ein genauerer Titel wäre:Blochs lassen sich taufen." Das heißt Papa Bloch, der Bankier, der künftig einkatholisches Bankhaus" leiten wird, Mama Bloch. dieIntellektuelle", der junge Andre Bloch  , der in die feudalen Sportkreise aufgenommen werden will, und Fräulein Helene Bloch, die die Sache gar zu ernst nimmt und in christlichen Mystizismus verfällt. Nicht taufen lassen fich nur Grossmama Bloch, die einstige Trödlerin aus Frankfurt  , und der mit einem miesen Gesicht und jüdischem Glauben atavistisch belastete jüngste Sohn Lucien. Das mit osteuropäischen Anekdoten aufgeputzte Stück gehört in die Kategorie des jüdischen Familienulks, ist aber, trotzdem Herr Noziere eigentlich Weil heißt, von der antiscmitifchcn Kritik eben- so als ernste Satire behandelt worden wie von der konfessions  - losen. Es kommt eben dem arischen Bedürfnis nach jüdischen Witzen wie dem jüdischen nach antisemitischen Bosheiten entgegen. Aber eine soziale Satire? Die bedürfte doch enes anderen Gc- sichtöfeldes als es das der Gebrüder Hcrrnfeld ist. Otto Pohl  . Die Stellung der f rau bei den Aladtebagga. In dem Prozeß, der sich zurzeit in Köln   abspielt, ist wieder viel von der Bevölkerung des Kilimandscharo   die Rede, den aus Bantuelementen. zum Teil mit hamitischem Einschlag, gc« bildeten Wadschagga, und nicht zum wenigsten von ihren Frauen, deren eine, Jagodja, ja nun schon längst zu europäischer Be« rühmtheit gelangt ist. Aus diesem Grunde mögen einige Mit- teilungen über die Wadschaggafrau von Interesse sein. Zunächst wird man fragen: Wie sieht die Wadschaggafrau ans? Der Missionar Gutmann sagt: Die Frauen der Wadschagga haben trotz ihrer feinen Gelenke einen kräftigen, plumpen Körper« bau und fast männliche Züge und erscheinen, namentlich sobald sie älter werden, abgearbeitet. Ihr Gesichtskreis ist enge, ihr Seelen- leben noch traumhaster als das der Männer. Die Körperhöhe der Wadschagga ist kaum mittelgross, und die Weiber sind durchschnitt- lich noch wesentlich kleiner als die Männer. Nach Volkens ist das Mittelmass der Weiber nur iMt Meter. Nach Widcnmann zeigen die Weiber die reinste Vertretung der Banturasse und wenig Spuren der Veredelung durch die hanntischcn Massai. ES scheint. daß noch kein Reisender irgendein Wadschaggawcib hübsch gefunden hat, und unserem Schönheitsideal dürfte es weder im Gesicht noch im Wuchs entsprechen. Jetzt suchen die Weiber, die Beziehungen zu den Soldaten der Schutztrupps unterhalten, sich durch die Nach- ahmung diesen gefallender Moden, z. B. der Haartrachten der Suaheliwcibcr, zuverschönern". Die Frau hat in Afrika   im allgemeinen eine nntcrgeordncie Stellung; sie arbeitet, während der Herr Gemahl in körperliche» Arbeit keineswegs den höchsten Reiz des Lebens zu erblicken pflegt. So ist eS auch bei den Wadschagga. ES herrscht Vielweiberei, und jeder Mdschagga(Singular von Wadschagga) darf soviel Frauen nehmen, als er bezahlen kann und der Häuptling ihm gestattet. Auf der Frau ruht die ganze Last der Haus- und Feldarbeit; je wohlhabender also ein Mdschagga ist und je mehr Land er befitzt, umsomchr muß er darauf bedacht sein, die Zahl seiner Frauen damit in Einklang zu bringen. Ter Mdschagga erhält seine Fran entweder durch Kauf oder als Geschenk vom Häuptling, wenn durch einen glücklichen Krieg viele Weiber erbeutet worden sind. Der Häuptling verschenkt sie gewöhnlich an seine Ratgeber und bis Vornehmen, die deshalb meistens mehrere Frauen haben, während die einfachen Leute doch in der Regel mit einer besseren Hälfto zufrieden sein müssen. Der jetzt auch wieder vielgeuannte Häupt- ling Sinna, der Beherrscher der Landschaft Kiboscho, besaß übe» 100 Frauen. Wer keine Mittel hat. sich eine Frau zu kaufen, für den springt manchmal der Häuptling ein, wie Widcnmann be- richtet; nach Gutmann aber ist die Zahl der armen Teufel, die nie soviel zusammen haben, um heiraten zu können und deshalb Feit ihres Lebens Junggesellen bleiben müssen, nickt unbeträchtlich; sie haben viel unter dem Spott vornehmlich der Weiber zu leiden. während ältere Jungfrauen von den Männern ähnliches nicht zu befürchten haben aus dem einfachen Grunde wohl, weil es ihrer nicht viele zu geben scheint. Die Vielweiberei bezweckt aber ge- legcntlich auch etwas anderes. Der Mdschagga hat den heißen Wunsch, einen Sohn zu besitzen, denn wer ohne einen solchen üiS Totenbett hinabsteigen muß, geht verloren,wie Rauch im Morgen- wind". Dadurch wird mancher veranlasst, zu der ersten Frau eine zweite und dritte zu nehmen. ' Der Frauenkauf erscheint uns als etwas Häßliches, die Fran Beschämendes, als ein nacktes, rohes Geschäft. In der Praxis ver- hält es sich aber doch nicht immer so. Bei den Wadschagga kommt auch die ethische Seite der Heirat einigermaßen zu ihrem Recht. Ehe nämlich der Heiratskandidat beim Vater des Mädchens eine formelle Bewerbung anbringt, hat er sich während einer Art stiller Verlobung erst das Einverständnis seiner Liebsten sichern müssen, vielleicht in jahrelangem Berkehr, während dessen beide Teile sich tarüber klar werden konnten, ob sie zu einander passen. ES ist also schliesslich immer das Mädchen, die Frau selber, bei der die Entscheidung in der wichtigsten Frage ihrcS Lebens liegt, und die sich eben auch völlig frei nach ihrer Neigung entscheiden darf. Dabei fehlt es zwischen den Verlobten durchaus nicht an Beweisen einer starken Liebe oder Leidenschaft. Zunächst ist die Zeit der stillen Verlobung für den Mdschagga mitunter kostspielig, weil er mit Geschenken an seine Angebetete und deren Vater nicht geizen darf. Ferner unterwirft sie ihn, da sie seine Liebe ganz allein be- sitzen will, unangenehmen LiebeSproben, verlangt von ihm z. B.: Wenn Du mich wirklich liebst, so iss die Schnecke da auf; und der Bursche überwindet seinen Widerwillen und tut eS. Oder die Verlobten versprechen einander, daß, wer zuerst stürbe, den anderen holen solle. Früher schlössen die Verlobten wohl auch einen ewigen" Liebesbund, indem sie Blutsfreundschaf» miteinander schlössen. Ein schönes Gesicht macht de» anderen Teil auch am Kilimandscharo   blind, sodass er vcrnünsrigcn Erwägungen nicht mehr zugänglich ist. Dies gilt indessen alles nur für die erste Frau, die nächsten nimmt man immer nur auS Berechnung. Das Ziel eines jeden Mädclens ist eine möglichst.chnelle und reiche Seirat, und es erreicht sie um so leichter, als auf Standes- unterschiede dabei nichts gegeben wird. Ein Häuptlingssohn nimmt das ärmste Mädchen, wenn es ihm nur gefällt. Es liegt das ebj»