Ilnterhalwngsblatt des Vorwärts Nr. 29. Dienstag Pen 11 Februar. 1903 ONachbnick oeibDtcu.) 29] Schilf und Schlamm. Roman von Vicente Blasco Jbanez. Wenn Tonet es müde war. den aanzen Tag mit dem Aus- druck eines Köters, der auf den yünstiaen Augenblick für seine Abenteuer lauert, neben Neleta zu sitzen, pfiff er Canamels Hund, nahm dessen Gewehr und aing auf die Felder. Die Büchse des Onkel Paco war die beste in ganz Palniar. Die richtige Waffe eines reichen Mannes, die Tonet als sein Eigentum ansah, und mit der er selten einen Schuß verfehlte. Die Hündin war die berühmte Centella, die in ganz Aibu- fero wegen ihrer ausgezeichneten Witterung bekannt war. Es entging ihr auch nicht ein verwundetes Stück Wild, und das Schilf und das Lieschgras mochte noch so dicht sein, denn sie tauchte wie eine Otter und brachte jedes gefallene Tier aus dem Seegras heraus. Canamel behauptete, es gäbe kein Geld auf der Welt, mit dem man dieses Tier bezahlen könnte. Aergerlich sah er. daß Centella für Tonet, der sie tagtäglich ausführte, weit mehr Zuneigung hegte, als für ihren alten, in Flanell eingewickelten Herrn, der am Herde sitzen blieb. „Sogar der Hündin bemächtigte er sich, der Hallunkcl" Von dieser prächtigen Iagdausrüstung entzückt, benutzte Tonet ungeniert den ganzen Patronenvorrat, den man für die Jäger in Reserve hielt. Niemand in ganz Palmar jagte so viel wie er. In den schmalen Gängen in der Nähe des Dorfes ertönte ununterbrochen Tonets Gewehr, und die Ccntella patschte, von der Arbeit erregt, in den Gräben herum. Der Kubaner empfand ein wildes Vergnügen bei dieser Tätig- keit, das ihn an sein Guerrilleroleben erinnerte. Er legte sich auf die Lauer und erwartete das Erscheinen der Vögel mit derselben listigen Vorsicht, mit der er sich früher im Gestrüpp versteckt und auf Menschen Jagd gemacht hatte. Die Cen- tella schleppte die anmutigen Grünhälse und die Wasserhühner mit dem blutbefleckten Gefieder in die Barke. Dann kamen die weniger gewöhnlichen Seevögel, die zu erlegen Tonet sehr stolz war; bewundernd betrachtete er den Schilfhahn mit den türkisenblauen Federn und dem roten Schnabel, den Agro oder Schrotrciher mit seiner schönen grünen und purpurnen Farbe und dem steifen, breiten Busch auf dem Kopf, den Oroval mit dem rötlichen Gefieder und dem feuerfarbenen Krövs, den Piulo oder weißen und gelben Reiher, den Morcll oder Perrückenvogel mit seinem schwarzen Kopf und seinen goldgelben Reflexen, sowie den Singlot. einen hübschen Stelzenläufer mit prächtigen, glänzend grünen Federn. Wenn es dunkel wurde, kehrte er mit siegreicher Miene in dir Schenke zurück und warf seinen Posten Wild , einen wahren Regenbogen an Farben, auf die Diele. Da hatte der Onkel Paco etwas zum Braten. Er schenkte es ifm großmütig. Das Gewehr gehörte ihm ja auch. Wenn er dann ab und zu einen Flamingo heimbrachte, ein Tier mit langen Beinen, breitem Hals, weißem und rosigem Gefieder und einem geheimnisvollen Aussehen, das eine ent- kernte Aehnlichkeit mit dem ägyptischen Ibis hatte, dann rief Tonet Canamel. er solle ihn ausstopfen lassen und in sein Schlafzimmer stellen: das wäre ein eleganter Schmuck, der bei den Stadtherrn sehr beliebt wäre. Der Schenkwirt nahm diese Geschenke mit einem Knurren auf, das keine besondere Zufriedenheit verriet. Wann würde er denn nun das Gewehr endlich einmal in Ruhe lassen? Fror er denn nicht auf dem Felde? Warum half er denn seinem Großvater nicht beim Fischzug? Bei solchen Fragen hörte Tonet das Gejammer des kränklichen Gastwirts lachend an und wandte sich zu der Sckjciikwirtin mit den Worten: „Neleta. ein Glas." Er hatte es wohl verdient, denn er hatte den ganzen Tag im Schilf und Lieschgras zugebracht, und die Hände wären ihm am Flintenlauf angefroren, um diesen Haufen Wild mit nach Hause zu bringen. Und da behauptete man noch, er ginge der Arbeit aus dem Wege. Dann streichelte er in einem Anfalle fröblicher Frechheit Neleta über den Schenk- tisch hinweg die Wangen, ohne Furcht vor dem Gatten, und ohne sich um die Anwesenheit der Gäste'Irgendwie zu kümmern. Waren sie nicht wie Bruder und Schwester, und hatten sie nicht als kleine Kinder zusammen gespielt? Ter Ontel Toni wußte nichts von dem Leben, das sein Sohn führte, und wollte auch davon nichts wissen. Er stand dor Sonnenaufgang auf und kehrte mit der Dunkelheit heim. Er aß mit der Borda in der Einsamkeit seiner überschwemm- ten Felder einige Sardinen mit Maiskuchen. Sein wütender Kampf mit der Erde gestattete ihm keine bessere Nahrung, denn er lebte noch immer in der tiefsten Armut. Kaum war er in die Hütte zurückgekehrt, so streckte er sich mit schmerzen- den Knochen auf seinem Bette aus: doch seine Gedanken wachten, und er berechnete im Schlummer die Barken Erde , die noch für feine Felder fehlten, und die Summen, die er seinen Gläubigern noch bezahlen mußte, um Besitzer eines Reisfeldes zu werden, das er Schritt für Schritt mit seinem Schweiße geschaffen. Der Onkel Paloma brachte den größten Teil seiner Nächte damit hin. in der Sequiota zu fischen. Tonet aß nie mit der Familie, und nur sehr spät, wenn Canamel seine Kneipe schloß, tlopfte er ungeduldig an die Tür, die die arme Borda schlaftrunken öffnete. So verging die Zeit, bis die Feste in Palmar heranrückten. Am Tage vor dem. Feste des Jesuskindes war das ganze Dorf nach Einbruch der Dämmerung am Rande des Kanals in der Nähe von Canamels Schänke versammelt. Man erwartete die Musik von Catarroja, die größte An- ziehung des Festes, und diese Bevölkerung, die das ganze Jahr hindurch keinen anderen melodischen Ton vernahm als die Gitarre des Barbiers oder Tonets Harmonika, sprang vor Freude bei dem Gedanken an den Lärm der Blecknnstru- mente und das Knattern der Pauke. Niemand spürte mehr die Strenge des Winters. Um ihre neuen Kleider zu zeigen, hatten die Frauen die Wollschals abgelegt und zeigten itzre nackten, von der Kälte violett gefärbten Arme. Die Männer trugen neue Gürtel und rote oder schwarze Mützen, die noch die Falten des Ladens aufwiesen. Sie benutzten die Gelegenheit, als die Frauen noch bei ihrem Geschwätz begriffen waren, und flüchteten in die Schenke, wo der Atem der Trinker und der Zigarrenrauch eine dicke?ltmosphäre hervorbrachte, die nach feuchter Wolle und schmutzigen stiefeln roch. Unter lautem Geschrei er- zählten sie von der Musik aus Catarroja und versicherten, das wäre die beste der Welt. Die Fischer von da drüben waren häßliche Kerle, aber man mußte zugeben, daß der König selbst keine bessere Musik hören konnte. Den armen Leuten des Sees wurde jetzt etwas Gutes beschert. Als einige ans Ufer stürzten und mit lautem Geschrei die Ankunft der Musiker verkündeten, rannten alle Gäste auf einmal hinaus und die Schenke wurde leer. Hinter dem Schilfrohr bemerkte man ein großes Segel. und als man an einer Krümmung die große Barke auftauchen sah. in der die Musik saß. fing die Menge, von den roten Hosen und den weißen Büschen, die auf den Mützen der Musiker sckwukelten, in Begeisterung versetzt, laut zu schreien an. Die Jugend des Dorfes stieß und drängte sich, um sich der großen Trommel zu bemächtigen, wie es die Sitte gebot. Die Burschen stürzten sich in diesem Kanal flüssigen Eises ins Wasser und tauchten bis an die Brust hinein.— mit einer Unerschrockenheit, daß den am llfer Stehenden die Zähne klapperten. Die alten Weiber protestierten. „Ihr llnglückseligen, Ihr werdet Euch eine Brustfell- entzündung holen." Aber die jungen Leute griffen die Barke an, klammerten sich unter lautem Lachen an die Bootsplanken und schlugen sich, man solle ihnen das ungeheure Instrument geben. „Mir her. mir her!" riefen sie. bis einer von ihnen, der kühner als die anderen war. sich, des Bittens müde, mit Gewalt der großen Trommel bemächtigte, sie sich auf die Schulter warf und von seinen, auf sein Glück neidischen Ge- fährten begleitet, aus dem Wassergraben sprang. Kaum waren die Musiker ausgeschifft, so stellten sie sich vor Canamels Hause in„Schlachtordnung" auf. Sie packten ihre Instrumente aus, stimmten sie, und die Einwohner folgten in dichter Schar den Künstlern: schweigsam und nicht
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25 (11.2.1908) 29
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