Anterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 31.

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Donnerstag den 13 Februar.

( Nachdruck verboten.)

Schilf und Schlamm.

Roman von Vicente Blasco Ibanez Schließlich trat die Menge auf den Blab und erwartete die Stunde der Mahlzeit. Die Schar der Musiker, die man feit der glanzvollen Messe ein wenig vergaß, begannen am entgegengesetzten Ende zu spielen. Alle freuten sich über diese Atmosphäre duftender Pflanzen und den Pulverdampf, und jeder dachte an den Kochkessel, der ihn zu Hause erwartete, mit den besten Vögeln des Albuferasees gefüllt. Das Elend ihres früheren Lebens schien sich in einer weitentlegenen Welt, in die sie nie mehr zurückkehren sollten, abgespielt zu haben. Ganz Palmar glaubte, jetzt wäre ihnen für immer Glück und Reichtum beschieden, und man sprach über die geschwollenen Phrasen des Predigers, die dieser den Fischern geweiht; man sprach von der halben Unze, die man ihm für diese Predigt gab, der großen Summe, die die Musik foftete, von den Behängen mit Goldfranzen, die das Portal der Kirche schmückten, und der Musikbande, die die Leute mit ihren friegerischen Lauten förmlich beherte.

Die Fischer: machten dem Kubaner, der in seinem Schwarzen Anzuge ganz steif erschien, und dem Onkel Paloma, der sich an diesem Tage tatsächlich wie der Herr und Gebieter bon ganz Palmar vorkam, lebhafte Komplimente. Neleta spreizte sich, eine reiche Mantille um die Schulter, unter den Frauen und ließ ihren Perlmutterrosenkranz und das mit Elfenbein beschlagene Gesangbuch glitzern, das sie auch am Lage ihrer Hochzeit benutzt hatte. Niemand kümmerte sich um Canamel trob feines majestätischen Aussehens und seiner goldenen Kette, die auf seinem Bauche hin- und herbaumelte. Man hätte wahrhaftig glauben können, das Fest würde nicht mit seinem Gelde bezahlt; aller Dank und alle Lobes. erhebungen galten nur Tonet in seiner Eigenschaft als Herr der Sequiota. Nach Ansicht dieser Leute verdiente eine Person, die nicht zur Gemeinde der Fischer gehörte, weder Rücksicht noch Respekt. Der Gastwirt aber fühlte, wie in seinem fiefsten Innern der Haß gegen den Kubaner wuchs, der ihm nach und nach alles raubte.

Diese böse Laune verließ ihn den ganzen Tag über nicht. Seine Frau, die feine Stimmung erriet, gab sich die größte Mühe, während der Mahlzeit, die sie im ersten Stockwerk des Hauses für den Prediger und die Musifer angerichtet hatte, licbenswürdig zu erscheinen.

Sie sprach von der Krankheit ihres armen Baco, die ihn oft recht überllaunig stimmte, und bat jedermann, man möchte ihm verzeihen. Am Ende des Tages, als die Postbarke die Leute von Valencia wieder entführte, war der ärgerliche Canamel endlich mit seiner Frau allein und konnte nun seiner Wut freien Lauf lassen.

" Ja, gewiß, er würde den Kubaner nicht länger dulden. Mit dem Großvater stand er sich sehr gut, das war ein Ar beiter, der allen seinen Verpflichtungen nachfam. Aber Tonet war ein Faulenzer, der sich über ihn lustig machte, sein Geld benutzte, um ein wahrhaft fürstliches Leben zu führen, der lein anderes Verdienst hatte, als daß er bei der Ziehung um die Fischbezirke die Nummer Eins befam, er raubte ihm fogar das magere Vergnügen, das er sich für sein ganzes Geld, das er für das Feit aufgewendet, hätte verschaffen können, denn dem anderen, Tonet, dankte ein jeder, als wenn er, Canamel, gar nicht auf der Welt wäre, als wenn das ganze Geld des Unternehmens nicht aus seiner Börse tam, denn im Grunde waren doch nur ihm die Resultate des Fischzuges zu verdanken. Er würde diesen Faulenzer, diesen Taugenichts vor die Tür setzen, und, selbst wenn er den ganzen Nußen des Unternehmens einbüßen sollte."

Entsett von diesen Drohungen legte sich Neleta ins Mittel. Sie empfahl ihm Ruhe an. Er sollte doch bedenken, daß er selbst Tonet aufgesucht. Im übrigen betrachtete sie die Palomas wie zu ihrer Familie gehörig, denn hatten sie sie nicht in ihrem Elend aufgenommen? Doch Canamek wieder­holte mit dem Eigensinn eines Kindes seine Drohungen. So lange es sich um den Onkel Paloma handelte, war ihm alles recht. Mit ihm wollte er weiter zusammenarbeiten. Aber was Tonet anbetraf, so sollte er sich bessern oder er wollte mit

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ihm brechen. Jeder gehörte an seinen Platz. Er hatte keine Lust, seinen Verdienst länger mit diesem Aufschneider zu teilen, der nichts weiter verstand, als seinen armen Großvater auszumußen. Das Geld ist schwer zu verdienen, und er würde feinen Mißbrauch d: ildm.

Meleta meinte und abends nicht zum Balle gehen wollte. Der Bank zwischen den Eheleuten war so lebhaft, daß

man bei Begräbnissen bemußte. Demoni spielte auf seinent Der Platz war von großen Wachskerzen erleuchtet, die Dudelsack die alten valencianischen Tänze: Chaquera vella, oder den Tanz, der in Torrente Mode war, den die Mädchen in Palmar äußerst zeremoniell tanzten, wobei sie sich die Hände reichten und die Paare fich freuzten, wie die gepuderten der Fadeln eine Pavane auszuführen. Dann kam der Lanz Damen, die sich als Fischerinnen verkleideten, um beim Lichte Eins und Zwei", ein sehr lebhafter, leidenschaftlicher Tanz, Ser paarweise vorgenommen wurde und einen Sturm von Geschrei und Gefreisch hervorrief, wenn ein Mädchen im Wirbel der Drehungen ihre Strümpfe ein wenig höher zeigte.

Vor Mitternacht hatte die Kälte dem Feste ein Ende ge­macht. Die Familien gingen nach Hause, doch die jungen Leute, der fröhliche und tapfere Teil der Bevölkerung, der die beiden Tage des Festes wie in einem Rausch verbrachte, war auf dem Marktplatz zurüdgeblieben. Sie hatten den Schieß­prügel auf der Schulter, als müsse man eine Waffe in der Hand haben, wenn man sich in einem fleinen Dorfe ami­fieren will.

Man brachte Ständchen. Die Nacht sollte nach der tra­ditionellen Gewohnheit damit hingebracht werden, daß man das Dorf von Tür zu Tür durchstreifte und allen jungen oder alten Frauen von Palmar zu Ehren Biedchen fang. Um diese Aufgabe besser zu erfüllen, schleppten die Sänger ein kleines Lönnchen Wein und einige Flaschen Schnaps mit sich herum. Mehrere Musifer von Catarroja, gutmütige Sterle, begleiteten Demonis Dudelsack mit ihren Instrumenten, und die Serenade 30g fich durch das dunkle, kalte Dorf, das nur noch von einer Ballfackel erleuchtet wurde.

Die ganze Jugend von Palmar marschierte, mit ihren Schießprügeln auf der Schulter, in einem dichten Trupp, mit Demoni und den Musikern, die ihre Hände vor der kalten Berührung der metallenen Instrumente mit ihren Mänteln zu schützen suchten, an der Spike, Songonera schloß den Marsch mit der kleinen Tonne, die man ihm übergeben hatte. Häufig aber hielt er den Augenblick für gekommen, seine Last an die Erde zu setzen und die Gläser zu fülen, damit man sich er­frischen konnte.

Einer der Sänger begann das Lied, die beiden ersten Verse unter Begleitung des Tamburins , und ein anderer ant­wortete dann, indem er die aus vier Versen bestehende Strophe ergänzte. Gewöhnlich waren die beiden letzten Verse die boshaftesten, und während der Dudelsack und die Blechinstru­mente den Schluß des Liedes mit lärmendem Ritornell be. gleiteten, stieß die Jugend allerlei Geschrei aus und schoß Freudensalven in die Luft ab.

Kein Mensch konnte in dieser Nacht ein Auge zutun; von ihrem Bett aus folgten die Frauen den Klängen der Serenade, fuhren jäh auf, wenn die Salven losplatten, und ahnten gleichsam, wenn die jungen Leute von einer Tür zur anderen zogen; jeder Nachbar wurde mit boshaften Anspielungen be­grüßt.

Auf diesem Zuge wurde Sangoneras Tönnchen nicht lange in Ruhe gelassen. Die Gläser freisten durch die Gruppe und verbreiteten neue Lebenswärme in der starren Frostfälte der Nacht, während die Augen bei jedem Schluck glänzender und die Stimmen immer rauher wurden.

Als man wieder einmal Halt machte, wurden zwei junge Leute mit einander handgemein, zanften sich, wer zuerst trinken sollte, beschimpften sich gegenseitig auf das blutigste und sprangen plötzlich zurück, um auf einander anzulegen. Alle sprangen dazwischen, um sie zu trennen, und man entriß ihnen ihre Waffen unter Faustschlägen.

,, Legt Euch schlafen, der Wein schadet Euch, legt Euch schlafen.

Die anderen aber setzten ihre Serenade und ihr Geschrei fort. Solche Verfälle bildeten nur eine kleine Abwechselung und kamen unter denselben Umständen jedes Jahr vor.