Anterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 38.

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Sonnabend. den 22 Februar.

( Nachdrud verboten.)

Schilf und Schlamm.

Roman von Vicente Blasco Ibanez  . Doch der Onkel Paco wiederholte ihr, wenn er einen Augenblick erwachte, immer dasselbe. Er hatte alles so ein­gerichtet, wie es richtig war. Wenn sie ihn liebte, wie sie es ihm so manchesmal zugeschworen hatte, wenn sie gut war, dann hatte sie nichts zu fürchten.

Bwei Tage später starb Canamel in seinem Sessel, von feinem Asthma erstickt, am ganzen Körper angeschwollen und mit leichenblassen Lippen.

1908

Der arme Junge, der von der Schnelligkeit, mit der der Tod alles erledigt hatte, noch ganz verblüfft war, zweifelte noch an seinem Glück, sich so fest und sicher in Canamels Hause zu sehen, ohne befürchten zu müssen, der schreckliche Gastwirt könne plötzlich auftauchen. Wenn er die üppige Fülle betrachtete, deren einzige Herrin Neleta war, so ertrug er mit Vergnügen alle Ansprüche der Witwe. Mit rauher Zärtlichkeit, die mehr der Strenge der Mutter ähnelte, wachte sie über ihn.

Du wirst nicht mehr trinken", sagte sie zu Tonet, der, bon Sangonera angestachelt, noch ein Glas zu verlangen wagte. Der Enkel des Onkel Paloma gehorchte wie ein Kind, Neleta vergoß faum ein paar Tränen. Sie war wahr- berzichtete auf das Trinken und blieb ruhig auf seinem haftig mit ganz anderen Dingen beschäftigt. Als die Leiche Stuhle ſizen, von allen geachtet und respektiert, denn jeder auf den Kirchhof gebracht worden, und sie von den Beileids- wußte, daß er äußerst gut mit der Wirtin stand. Die Gäste, die ihre Intimität zu Canamels Zeit mit an­bezeugungen befreit war, die die Leute in Ruzafa ihr spen- gesehen, fanden es ganz natürlich, daß sie heute miteinander deten, hatte sie nur noch einen Gedanken: den Notar aufzu­

hatte.

suchen, der das Testament aufgesezt, und zu erfahren, in einig waren. Waren sie denn nicht verlobt gewesen? Hatten welcher Weise ihr Gatte in seinem letzten Willen verfügt sie sich nicht so sehr geliebt, daß sie die Eifersucht des auf­gedunsenen Onkel Paco reizten? Sie würden sich jetzt gewiß berheiraten, sobald die gefeßlich vorgeschriebene Wartezeit vorüber war, und der Kubaner spielt sich jetzt als recht, mäßiger Wirt hinter diesem Schenktisch auf, den er als Lieb­haber schon einmal im Sturme genommen.

blicken behauptet.

Ihr Wunsch sollte bald in Erfüllung gehen. Canamel hatte feine Sache gut gemacht, wie er in seinen lezten Augen­Er erkannte Neleta als seine Universalerbin an, ohne das geringste Legat zu hinterlassen. Doch er befahl, daß, wenn fie fich wieder verheiratete oder durch ihr Benehmen berriet, daß fie irgendeine Liebschaft unterhielt, der Teil seines Ber­mögens, über den er verfügen fonnte, seiner Schwägerin und allen Verwandten seiner ersten Frau zufallen sollte.

VIII.

Niemand wußte, wie Tonet wieder in Canamels Schänke zurückgekehrt war.

Die Gäste sahen ihn eines Morgens an einem kleinen Tische sitzen, wo er mit Sangonera und anderen Müßig­gängern des Dorfes Karten spielte, und niemand wunderte sich darüber. Es war ganz natürlich, daß Tonet in einem Lokal verkehrte, dessen einzige Herrin Neleta jezt war.

Der Kubaner begann wieder sein Leben bei ihr zu ver­bringen und ließ seinen Vater, der an eine vollständige Be­fehrung geglaubt hatte, von neuem in Stich. Aber jetzt sah man nicht mehr in seinem Verkehr mit der Gastwirtin jene Ungeniertheit, über die sich ganz Palmar trotz des geschwister­lichen Anstrichs entrüstet hatte. Neleta saß in tiefer Trauer hinter dem Schenktisch, und eine gewisse stolze Miene der Autorität verlieh ihr noch größere Schönheit. Sie schien jetzt, wo sie reich und frei war, gewachsen zu sein. Sie scherzte weniger mit den Gästen, zeigte eine scheue Tugend und nahm mit gerunzelter Stirn die Scherze auf, die sich die Gäste er­laubten. Ein Trinker brauchte nur zu versuchen, beim Ent­nehmen des Glases ihre nackten Arme zu streicheln, und sofort drohte sie, ihn hinauswerfen zu lassen.

Die Kundschaft nahm beständig zu, seit die Jammer­gestalt Canamels verschwunden war. Der von der Witwe fre­denzte Wein schmeckte besser, und in den kleinen Schenken von Palmar fing es wieder an, leer zu werden.

Tonet wagte nicht, Neleta anzusehen, als fürchte er das Gerede der Leute. Ja, die Samaruca sprach schon laut genug, als sie ihn von neuem in der Schenke verkehren sah; er spielte, trank, setzte sich in einen Winkel, wie es früher Canamel tat, und diese Frau, die jeden anblickte, nur nicht ihn, schien ihn aus der Entfernung zu beherrschen.

Der Onkel Paloma begriff mit seinem gewöhnlichen Scharfsinn die Lage seines Enkels vollkommen. Der Kubaner hielt sich hier immer auf, um die Witwe nicht zu enttäuschen, die ihn nicht aus dem Gesicht verlieren wollte; sie übte eine grenzenlose Autorität über ihn aus. Tonet steht Schild­wache", sagte der Alte, und obwohl er sicherlich von Zeit zu Zeit Lust verspürte, ein bißchen auf dem Wasser zu jagen, fagte er nichts und blieb ruhig da, denn er fürchtete jedenfalls die Vorwürfe Neletas, wenn er sie allein gelassen hätte.

Sie hatte viel in der letzten Zeit gelitten, wo sie sich den Forderungen des ewig kranken Canamels fügen mußte; doch jetzt, wo sie reich und frei war, hielt sie sich schadlos, indem sie das ganze Gewicht ihrer Autorität auf Tonet lasten ließ.

Die einzigen Personen, die sich mit dieser Lösung nicht zufrieden gaben, waren die Samaruca und ihre Verwandten. Neleta würde sich nicht verheiraten, das wußten sie ganz genau. Dieses kleine Weibchen mit ihrer honigsüßen Zunge war viel zu gerieben, um eine Sache so einfach zu tun, wie es Gott befiehlt. Ehe sie das Opfer brachte, den Verwandten der ersten Gattin das Vermögen zu überlassen, lieber lebte sie in wilder Ehe mit dem Kubaner. Das war für sie nichts Außergewöhnliches. Der arme Canamel hatte sicher vor seinem Tode noch tollere Dinge gesehen.

Von dem Testament, das ihnen die Möglichkeit, reich zu werden, eröffnete, und von der Ueberzeugung angestachelt, Neleta würde nicht naiv genug sein, ihnen durch ihre Ver. heiratung freie Bahn zu schaffen, übten die Samaruca und die Ihren den Liebenden gegenüber eine äußerst sorgfältige Spionage aus.

In jeder Nacht lauerte das wüste alte Weib, in ihren Mantel gehüllt, wenn die Schenke geschlossen wurde, auf den Fortgang der Gäste, um zu sehen, ob sich auch Tonet unter ihnen befand.

"

Sie sah Sangonera, der unsicheren Schrittes seiner Hütte zuwankte. Die Kameraden verfolgten ihn mit ihren Spott reden und fragten ihn, ob er nicht dem italienischen Scheren­schleifer begegnet wäre. In seinem Rausch zeigte er stets ein heiteres Gesicht. Sünder! Er glaubte, sie wären gar feine Christen, weil sie sich über diese Erscheinung lustig machten!... Ja, erwürde kommen, er, der alles vermag und zur Strafe würden sie ihn nicht erkennen, ihm nicht folgen und um die Glückseligkeit kommen, die nur den Aus­erwählten vorbehalten war."

Zuweilen sah Sangonera, wenn er allein vor seiner Hütte anlangte, aus der Dunkelheit wie eine Here die Samaruca auftauchen, die heftig die Frage an ihn richtete: Wo ist Tonet?" Doch er lächelte höhnisch, denn er erriet die Ab­sichten der Megäre. Gerade ihn fragte sie! Dann streckte der Vagabund die Hand aus, machte eine unklare, freisförmige Geste, als wolle er den ganzen Albuferasee bezeichnen, und erwiderte:

" Tonet? Der ist auf der Welt, sicherlich ist er auf der

Welt."

Die Samaruca war unermüdlich in ihrer Spürsucht. Vor Tagesanbruch stand sie schon vor Palomas Hause und be­gann, wenn die Tür sich öffnete, eine Unterhaltung mit der Borda, während sie einen forschenden Blick in das Innere des Hauses warf, um nachzusehen, ob Tonet dort wäre oder nicht.

Neletas unermüdliche Feindin fam zu der Ueberzeugung, der junge Mann müsse die Nächte in der Schenke zubringen. Dieser Skandal! Canamel war kaum einen Monat tot. Was sie aber am meisten empörte, war der Umstand, daß, wenn die im zweiten Teile des Testaments enthaltene Vermutung