Tatsache selbst wird immer wieder behauptet, z. B. erst ganz kürz- lich in einer Sitzung amerikanischer Aerzte. die Philadelphia über die Berufskrankheiten ihres Standes diskutierten. Im Anschluß daran hat das Journal der amerikanischen medizinischen Ver- einigung eine Erörterung veröffentlicht, die den wahren Sach- verhalt aufklärt. Guillotin hat sich nicht nur nicht mittelst der Guillotine enthauptet, sondern er hat sie auch gar nicht erfunden. Er starb im Jahre 1814 einen unvlutigen Tod in seinem Bette. Aber auch Heinrich Heine hat, ebenso wie der erwähnte Mann in Philadelphia und manche anderen berühmten Autoren Unrecht, wenn er von der Pariser Kopfabschneidemaschine behauptet:„Er- funden hat sie Guillotin, drum heißt sie Guillotine." Zunächst war man bereits bei den Enthauptungen im Mittelalter zum maschi- nellen Betrieb übergegangen. In Genua existierte eine solchen Zwecken dienende Vorrichtung unter dem Namen„Manuaja", und sie fand auch im Jahre 1605 dazu Anwendung, das Haupt der Weatrice Cenci zu fällen. Ebenso ist in Schottland ein ähnliches Instrument, das den galgenhumoristischen Namen„tbe maiden" sdie Jungfrau) führte, vor Jahrhunderten in Gebrauch gewesen. iUnter der Königin Elisabeth von England wurde damit in Halifax lind Uorkshire gearbeitet. Was nun Guillotin anlangt, der als «ngesehener Arzt und Mitglied der Constituante in Paris lebte, so ist es lediglich zutreffend, daß er im Jahre 1783 einen Gesetzes- verschlag vorbereitete, wonach die Todesstrafe, ohne Ansehen des Standes, an Hoch'und Niedrig in gleicher Weise vollzogen werden solle. Dieser Vorschlag wurde auch angenommen, und die kon- stituiercnde Versammlung beschloß am 20. Januar 1700, daß„der Verbrecher mittelst einer einfachen Maschine enthauptet werden solle". Ein weiterer Beschluß, der im Oktober 1791 gefaßt wurde, schrieb vor, die Todesstrafe solle in der einfachen Entziehung des Lebens ohne irgendwelche begleitende Qual bestehen, und der dazu verurteilte Verbrecher sei zu enthaupten. Daraufhin beauf- tragte der gesetzgebende Ausschuß den ständigen Sekretär der medizinischen Akademie Dr. Louis, einen Bericht über das zweck- mäßigste Enthauptungsverfahren einzureichen. Er war es, der die Konstruktion der Maschine angab und zur Ausführung einer solchen bevollmächtigt wurde. Er übertrug diese Arbeit einem Deutschen , der den Namen Schmitt führte, und konnte am 10. April 1702 dem Minister des Innern Roland melden, daß die Maschine Schmitts bei Versuchen, die an drei Leichen vorgenommen wurden, mit erstaunlicher Genauigkeit und Schnelligkeit gearbeitet habe. Am 27. Mai 1702 legte sie ihre erste Probe im„Ernstfall" bei der Hinrichtung eines Straßenräubers ab. Der erste aus politischen Gründen Verurteilte, der unter ihr Fallbeil kam, war Collenot d'Anglemont, dessen Hinrichtung am 21. August 1702 vollzogen wurde. In der ersten Zeit wurde die Köpfmaschine nach dem Namen ihres Erfinders als„Luison" oder„Louisette" bezeichnet, und erst später brachte eine Laune des Zufalls Dr. Guillotins Namen mit ihr in bleibende Verbindung, an die sich die Mär von seiner Selbstenthauptung schloß. Thackcray muß gleichfalls daran geglaubt haben, denn er sagt in seinen„Mventures of Philip": „Ist nicht der gute Dr. Guillotin mittelst seiner eigenen Erfindung gerichtet?" Aber auch Aufzeichnungen historiogrgphischen Cha- rakterS nennen Guillotin als Erfinder der Guillotine. Im Jahre 1857 erwähnt„Galignanis Messenger" zwei Briefe Guillotins an Robespierre , die ein Althändler in Lyon unter allerlei Kram gefunden haben sollte, worin sich Guillotin zur geistigen Vaterschaft der neuen Hinrichtungsvorrichtung bekennt? Endlich wird häufig ein eigenes Wort Guillotins ins Treffen geführt:„Moi, aveo ma machine, je vons fais sauter la tste d'ua clin d'oeil, et vous ne souSrez pas".(Mit meiner Maschine lasse ich Ihnen den Kopf im Augenblick fortspringen, ohne daß es weh tut.) »Der Schulunterricht in Japan . Die außerordentlichen An- Ltrengungen Japans seit dem Beginn seiner„Europäisierung' haben auch auf dem Gebiet des Unterrichts Erfolge erzielt, um die so mancher europäische Staat die asiatische„Konkurrenz" beneiden könnte. Wer etwa mit spanischen oder russischen Schulverhältnissen vertraut ist. wird aus jeder Ziffer des amtlichen Berichts, den der japanische Untcrrichtsminister für das Jahr 1005 veröffentlicht, ersehen, mit welch erstaunlicher Energie die japanische Verwaltung es verstanden hat, das Schulwesen ungeachtet der Kriegsereignisse voran zu bringen. Von 7 551 445 schulpflichtigen Kindern beider Geschlechter haben 07,16 v. H. der Knaben und 01,46 v. H. der Mädchen, also im Durchschnitt 04,43 v. H. die Schule besucht. Was damit geleistet worden ist, wird noch deutlicher, wenn man sich gegenwärtig hält, daß im Jahre 1873 dieser Prozentsatz nur 28 be- tragen hat und noch im Jahre 1384 der Mädchenunterricht so sehr benachteiligt war, daß die Differenz zwischen Knaben und Mädchen. guf je 100 gerechnet, für letztere ein Minus von 33 ergab, während es im Jahre 1005 nur mehr 6 beträgt. Dabei ist«die Bezahlung lder Unterrichtskräfte eine überaus geringe. Die Gehälter schwanken zwischen 4 und 65 Jen im Monat(1 Den— 4 Mark). Die Gehälter für die gewöhnlichen Schulen kosten monatlich etwa 15 000 und die der höheren Elementarschulen etwa 20 000 Den. Auch hier sei daran erinnert, daß in rückständigen europäischen Ländern wte Spanien die Lehrer noch weit schlechter gestellt sind, da sie dort nur zu häusig das Wenige, was sie erhalten sollten, überhaupt nicht be- kommen und die Verwaltung einfach ein paar Millionen an Lehr- gehältern schuldig bleibt. Die Japaner ließen übrigens auch im Jahre 1005 eine immerhin erhebliche Anzahl von Studierenden, nämlich 2011 im Auslande ausbilden, wovon 64 auf Deutschland entfielen.— Der Kampf gegen die Mau». Bereits im Jahre 1907 ist auf Veranlassung von Professor v. Toubeuf in München anläßlich einer sehr bedeutenden Mäuseepidemie in der Gegend von Füssen von amtlicher Seite die Bekämpfung mit Mäusetyphusbazillen versucht und im späten Frühjahr des gleichen JahreS mit Mäusebazillen auS der königlichen agrikulturbotanischen Anstalt planmäßig durchgeführt worden. lieber diese Anwendung im großen gibt Professor v. Toubeuf in der„Naturwissenschaftlichen Zeitschrist für Forst- und■ Landwirtschast" einen sehr günstig lautenden Bericht. Das Wasser, das mit den Bakterien infiziert werden sollte, wurde zunächst durch Kochen im gereinigten Kessel der Seifen- siederei sterilisiert. Nachdem es erkaltet und mit dem Mäusetyphusbazillen versetzt worden war. besprengte man auf Brettern aufgehäufte Brotstückchen auS einer Gießkannenbrause mit der Brühe. Die durcheinander geschaufelten Brocken wurden sodann von einer großen Zahl von Personen, die in langen Linien die Wielen abschritten, an die Mauselöcher ausgelegt. Die Wirkung war eine vortreffliche, denn im Laufe des Sommers ließ sich kaum mehr eine Maus blicken. Der Erfolg wurde steilich mich durch günstige Witterungsverhältnisse unterstützt, da nach dem Erscheinen der Mäuse im Frühjahr nochmals Frost und Schnee gekommen waren. Nachher erst wurde die Ver- gifnmg durchgeführt. Vor Eintritt des Schnees waren an einer Stelle schon Versuche mit Schwefelkohlenstoff unternommen worden. Aus einer blechernen Petroleumkanne wurde die Flüssigkeit in jedes Mauseloch eingefüllt und seine Oeffnung sodann mit dem Absatz zu- getreten. Auch hier war der Erfolg vortrefflich und keine Maus zeigte sich mehr. Die ebenso wie das Schwefelkohlenstoffverfahren von Prof. v. Toubeuf versuchte Bespritzung des Grases mit Chlorbarium wird von ihm nicht empfohlen, um so weniger, als die Giftigkeit des Präparats für Vieh und Wild sie nur innerhalb ein- gezäunter Gebiete ermöglicht. Mit Bariumcarbonatbrot. das von der agrikulturchemischen Anstalt abgegeben wird, hat Prof. v. Toubeuf noch keine Versuche gemacht. Medizinisches. Häufigkeit und Folgen der Blindda r m enk» z ü n d u n g. Jedem Zeitungsleser wird aufgefallen sein, daß die unter dem Namen Blinddarmentzündung bekannte Bauchkrankheit in den letzten Jähren immer häufiger als Todesursache in den volkshygienischen Berichten genannt wird. Das Matistische Amt für Preußen hat nun ermittelt, daß in der Tat die Blinddarm- entzündungen in der preußischen Bevölkerung sich ungewöhnlich ver- mehrt haben. In den allgemeinen Heilanstalten wurden 1877 erst 806, 1006 aber 10 171 Fälle behandelt! Nun hat sich zwar die Gewohnheit, derartige Kranke den Heilanstalten zu übergeben, er- freulicherweise stärker eingebürgert, so daß ein Teil der Zunahme der statistisch erfaßten Krankheitsfälle auf die größere Jnanspruch- nähme der Heilanstalten zurückzuführen ist. Immerhin bleibt eine erhebliche Krankheitsvermehrung übrig. In Berlin allein wurden in den Krankenhäusern 1003: 1847, 1006: 3317 Fälle von Blind- darmcntzündungen behandelt. Tröstlich ist aber die Feststellung, daß der Verlauf der Erkrankungen sich jetzt, jedenfalls unter dem Einfluß der besseren Heilmethode, wesentlich günstiger für die Befallenen stellt wie vor einigen Jahrzehnten. Von 1877— 1886 betrug die Sterblichkeit 24— 33 Proz., 1906 war die Stcrbequote auf 10 Proz. herabgegangen. Speziell in Berlin starben von den in Heilanstalten behandelten Erkrankten 1003: 0.53 Proz., 1904: 10,03 Proz., 1005: 7,81 Proz., 1006: 6,51 Proz.I Es wurde aber auch ermittelt, daß die Todesfälle infolge Blinddarmentzündung bei den im kräftigsten Lebensalter von ihr Befallenen be- deutend zahlreicher sind wie bei allen anderen Erkrankungsarten. Am meisten sterben an Blinddarmentzündung Personen im Alter von 15— 40 Jahren l Nach den das preußische Staatsgebiet be- treffenden Ermittelungen bildet Blinddarmentzündung Verhältnis- mäßig am häufigsten die Todesursache, nämlich in 23,63 von je 100 Sterbefällen, im Alter von 30— 40 Jahren, gegen 4,83 von 100 Sterbefällen(Gesamtbevölkcrung) überhaupt. Ueber 50 Proz. aller Sterbesälle infolge Blinddarmentzündung betraf Personen im Alter von IG— 40 Jahren. Die Häufigkeit der Blinddarm- entzündung im jugendlichen Alter wird von der amtlichen Quelle auf übermäßige Anstrengung(angegeben wird über- triebener körperlicher Sport) zurückgeführt. Charakteristisch ist aber doch, daß der höchste Pratzentsätz der jugendlich Verstorbenen, nämlich 24,68 Proz. als Lehrlinge, Gesellen und Gehülfen in der Industrie und weitere 7,40 Proz. im Handel- und Verkehrsgewerbe beschäftigt waren! Daß diese Krankengruppe sich vorzüglich bei» sportlichen Uebungen überanstrenge, wird kein Mensch behaupten wollen. Viel näher liegt die Annahme, das außergewöhnlich starke Auftreten der Blinddarmentzündung unter den jüngeren Industrie- arbcitern sei auch eine Folge von Ueberanstrengung im Gewerbe! Da aber in dieser HinsiH noch keine Ermittelungen angestellt wor- den sind, muß die Frage einstweilen als unentschieden gelten. Verantw. Redakteur: Georg Davidsohn , Berlin.— Druck u. Verlag: Vorwärts Buchdr. u. Verlc»sanstalt Paul Singer Sc Co., Berlin 81V.
Ausgabe
25 (19.3.1908) 56
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