Anterhaltmigsblatt des Horwärts Nr. 63. Sonnabend den 23 März. 1903 »I Proletarier. Don Christen Bundgaard. (Nachdruck verboten.) Martin fühlte sich ganz belebt von dem Schluck Brannt. wein. Er merkte nicht, daß der Stock, an dem er den Ruck- sack über die Schulter trug, sich durch seine Sachen und bis auf die blofje Haut gebohrt hatte, er merkte nicht, daß die Schuhe an seinen Füßen festgeklebt waren. Er konnte sich ganz leicht bewegen, wie es ihm schien, und flink draufzu- gehen. Aber es dauerte nicht lange, so begann er über die Steine zu stolpern und den Rändern der Straße zuzustreben. Es wurde ihm immer heißer im Kopf, und er mußte sich an- strengen, um deutlich zu sehen. Das Branntweingift erhitzte seinen von jeder Spur von Nahrungsstosf gereinigten Körper. Heiß und krank zog er die Lust durch die schmerzenden Lungen, die Augen waren wie mit Anilinfarbe überzogen und der ganze Kopf ein ge- schwollener Klumpen, ein kränkliches Gewächs. So erreichte er Kolding . Ohne. Ziel oder Gedanken trabte er die Straße entlang. Er kam an einer Kirche vor- über. Weshalb sie wohl ihr Geld dazu benutzen, so ein leeres Haus zu bauen? Hätte ich bloß etwas von all dem Gelde! Da lag ein Hotel und feine gut frisierte Herren saßen hinter den großen Glasscheiben, er sah ihre weißen Man­schetten, wenn sie die glitzernden Gläser erhoben und den goldbraunen Trunk in den Hals laufen ließen. Durch all diese Fenster sah man Brot und Früchte und Fleisch. Alles war so prunkhaft wie möglich ausgestellt. Und die Schilder luden ein zuzugreifen, vom allerbesten zu nehmen zu essen und zu trinken nur immer dabei zu bleiben, gar nicht aufzuhören mit Essen und Trinken. Und die feinen Anzüge, die da lagen dick und warm statt der alten Lumpen, die er anhatte. Wenn man nur Geld hätte Geld. Und wenn es nur zu einem Butterbrot genug gewesen wäre. Mechanisch erhob er die Hand, um in der Tasche zu suchen, aber. Herrgott, er hatte ja schon zwanzigmal vorher in den Taschen nachgesucht. Was war das für ein Gebäude, an dem er stand, das mußte die Bank sein. So dicke Mauern und vergitterte Fenster und Türen von Planken------- keine einzige schwache Stelle, wo man durchbrechen konnte. Drinnen gab es Geld genug viel Geld. Gold zu Haufen rotes, leuchtendes Gold. Man konnte es nehmen und durch die Finger laufen, ins Sonnenlicht halten und funkeln und flimmern lassen. Man konnte so viel davon nehmen als man tragen konnte dann war man reich. Man konnte alles nehmen dann war man Herr über die ganze Welt. Dann besaß man die ganze Herrlichkeit, Esten und Wein und Kleider und Licht und Wärme und große Häuser mit Marmorsäulen und Kristall auf den Tischen und blinkendes Gold und Silber, das klang. Und immer war Sommer und Sonnenschein und Lust und Licht und Freude. So wollte er leben I Er wollte! Er hatte ebensoviel Recht darauf wie andere! Wie die Menschen doch auf ihr Geld aufpaßten auf alles, was sie besaßen. Jeder, der etwas an sich gerissen hatte, bewachte es wie ein Wolf. Und alles war mit Be- schlag belegt keinen Flecken gab es, wo er zufasten konnte. Kein Zweiörestück war für ihn übrig geblieben auch nicht. wenn er dafür arbeiten wollte! Ein solches Gebäude mit Eisenbeschlägen und Eisen- gittern und cllendicken Mauern sollte sich das nicht mit -- Pulver sprengen lasten? Wie viele wohl hier in der Stadt hungerten wie er? Wenn sie nun allesamt angeschlichen kämen und plötzlich vor- stürzten wie wilde und schlappgemachte Tiere und ihre Klauen in das feine Gesindel eingrüben und es niederschlügen. daß es auf den Straßen läge mit zerfetzten Gesichtern und zerrissenen Sachen. Wenn plötzlich eine Wildheit, ein ge- waltiges Brüllen losbräche mitten in dieser friedlichen Stadt. wo jeder ging und das Seine behütete, daß sie alle von dem weggejagt wurden, was sie besaßen, wie Tiere von ihrem Fressen! Und wenn die Dunkelheit sich hcrabsenken würde, daß keiner das Fürchterliche, das begangen wurde, sehen könnte! Dann müßten die Menschen auf den wilden Feldern, auf der öden Welt umherirren wie einstmals und der große Streit um Beute und Macht konnte von neuem beginnen wie beim Anbruch der Zeiten, als das erste Gebrüll sich erhob und die Affen in den Bäumen der Wälder miteinander rangen und unbekannte Schreie von den Bergen gellten. Oh. wenn dieser Tag jetzt gekommen wäre! Wenn es der Untergang wäre, den er schon in den fernen Lauten spürte. Er würde kreischen wie ein ausgehungerter Rabe, der das Aas wittert! Er würde die Pstastersteine mit den Klauen ausgrabe.» und brüllend mit im Haufen galoppieren! Und was es an Licht und Glück auf Erden gab, sollte von der iiberwältigenden Finsternis vernichtet werden, von losbrechenden Raubtrieben und der tausendjährigen ausge- hungerten Wildheit! Er krümmte den Rücken wie ein Raubtier und das Gesicht verzog sich gehässig! Seine Spannung war so gewaltsam, daß ihm die Arme vom Körper abstanden. Die Luft flimmerte vor seinen Augen. Sieh! Die Menschen sprangen und die Wagen fuhren wie rasend und die Häuserreihen schwankten. Ach. Wahnsinn! Wahnsinn in seinem törichten Hirn! Das waren ja anständige Leute alle miteinander. Da gingen die Bauarbeiter vorüber und die Gasarbeiter und die Beton- arbeiter und Kontoristen und Geschäftsleute alle in dem­selben gutmütigen alltäglichen Trab durch die gewohnten Straßen. Ja. selbst ein Priester ging fröhlich und satt vorüber und grüßte freundlich nach allen Seiten er kannte ja die meisten von ihnen und wußte, womit sie sich beschäftigten und wie es niit ihrem moralischen Wandel bestellt war. Nur er selbst ging umher wie ein Tier im Gewimmel der Menschen! Oder ein Mensch, bei dem die Tiernatur im Begriff stand, sich als schreiender Wahnsinn zu äußern. Sein blutleeres Gehirn stöhnte. Wer war nun das, der driiben an der Straßenecke stand und ihn anstarrte? Ein Schutzmann. Der hatte wohl Lust, mit seinen Klauen auf ihn einzudringen, ihn zu schütteln und zur Wache zu schleppen, bloß weil er so elend aussah. Es fehlte nur, daß er dort ins Haus hinaufging und um 2 Oere bäte, dann würde er gleich da sein der Mann des Gesetzes und Ordnung schaffen. Haha, wie lächerlich, daß sie so einen wie ihn nicht lausen lassen konnten, aber etwas mußten sie wohl zu tun haben I Aber was war das. Cr stand ja immer noch hier. Er wollte gehen, konnte aber die Füße nicht auseinander bringen» so schwindlig fühlte er sich. Die Kehle dehnte sich ihm glühheiß in den Mund hinein und der trockene Gaumen brannte. Die Zunge war dick und steif, so daß er den Mund weit darüber aufreißen mußte. Scharfer Schaum stieg ihm im Halse empor, aber er konnte ihn nicht ausspcien, weil der ganze Nachen aufgedunsen und von schwellenden Drüsen versperrt war. Tie Häuser kamen auf ihn zugewackelt und der ganze Schwärm der Straße, die Schilder, die Wagen, die Herren hinter dem Nestanrationsfenster alles tanzte. Es kam jemand eilig um die Ecke gegangen er wollte ausweichen, tonnte es aber nicht mehr jedenfalls bekam er einen Stoß, daß er gegen die Mauer flog. Hallo, es war ihm nicht möglich, das Gleichgewicht wiederzufinden. Was war das? Er wurde ja steif. Die Glieder zogen sich krumm, die Rückennerven zogen sich oben im Hinterkopf zu einem Schlüssel zusammen und die Halsmuskeln erschlafften auf der einen Seite, daß der Kopf sich gegen die Schultern wenden ließ. Das ganze Nervensystem verzerrte sich, und die Häute seiner Augen wurden schwarz. Ah er taumelte, griff um sich das Haus wich ihm aus und die Nägel schabten an der rauhen Zemenwerputzung entlang. Er drehte sich rund um, stand einen Augenblick und fiel dann klatschend