zu Boden, das Gesicht auf die Mesen des Bürgersteiges und die Finger in den Schmutz des Rinnsteins gebohrt. Nun gab es etwas für den Schutzmann zu tun. Er stolzierte Uber die Straße, stieß die Leute bei Seite, die schon zusammengelaufen waren und packte mit ein paar Fingern Martin beim Kragen. „Was ist das! Auf mit ihm! Machen Sie nun zum Teasel, daß Sie wieder auf die Beine kommen!" „UHI Er ist ganz schwarz im Gesicht!" schrie einer.„Er ist blutig!" hieß es.„Er ist tot— es ist ein Herzschlag!" „Er ist besoffen das Schwein!" schimpfte der Schutz- mann.„Er riecht ja meilenweit nach Branntwein. Ist keine Droschke da?" Ein dickbäuchiger Herr stand und sah zu. Er begriff natürlich nicht, wie ein Mensch so dünn werden konnte vor Hunger, daß er nicht gerade stehen konnte. „Was ist da los?" „Er ist besoffen, will ich Ihnen sagen", griente der Schutzmann höflich. „Aber ich glaube, er hat Krämpfe und pfui Temfel, der Schaum steht ihm ja vorm Munde!" „Ja, das ist was Apoplektisches". Der Schutzmann zuckte verächtlich die Achseln.„Die Sorte haben wir so oft. Das ist was, was halb vom Spiritus kommt, so halb und halb Dilirium!" „Jetzt kommt Leben in den Burschen," grunzte der Dicke. „So einer, noch ein reiner Lümmel! Er müßte ein ordent- lrche Tracht Prügel kriegen, statt herumzulaufen und sich zu betrinken, so eine Jöhre!" lFortsetzung folgt.) Die Berliner politifcbe Karihatur im Jahre 1848. 11. Einen ähnlichen Umfang in der deutschen Karikatur deZ ZahreS 1343, wie Friedrich Wilhelm IV. , nimmt keine andere Per- sönlichteit nur entfernt ein; er war die Spitze, auf die jeder minde- stens einen Pfeil richtete und abschnellte. Wenn Friedrich Wilhelm der Vierte aber auch noch so sehr mit Spott überschüttet wurde, so erreichte der Haß, der darin zum Ausdruck kam. doch nicht ent- kernt die Glut, mit dem man den dem Th'.„ne u.,...ächsten Stehenden, den Prinzen Wilhe'm vr.. Preußen, bekämpfte. In Friedrich Wilhelms IV. Persönlichkeit und Auftreten lag fast immer noch ein gewisser versöhnender Zug, in der des Prinzen von Preußen dagegen alles andere. Ter Prinz von Preußen galt als der ein- gefleischteste Gegner aller und jeder Neuerung und er war es auch: der blindeste und gehässigste aller Reaktionäre, er stand ganz auf dem Boden der Regierungsprinzipien des Vormärz . Metternich hatte keinen überzeugteren Anhänger gehabt und alle Welt wußte das, denn er machte gar kein Hehl daraus, sondern betonte es bei jeder'Gelegenheit. In dem vereinigten Landtag hatte er es des öfteren klar und deutlich ausgesprochen. In ihm erblickte daher der Liberalismus damals seinen größten Gegner, gegen ihn rich- teten sich die ersten Ausbrüche der Volkswut, die als drohende Vor- boten dem Märzsturm vorangingen. Daß er die Seele deS Widerstandes gegen die Forderungen des Volkes sei. das galt überall als selbstverständlich und hätte gar keiner besonderen Bestätigung be- dürft. In der großen Zahl von Karikaturen, die aus den Prinzen von Preußen sofort nach seiner Flucht erschienen, kam dies deutlich zum Ausdruck. Freilich der Haß verwandelte sich überall sofort in spöttischen Hohn, als der Prinz durch seine eilige Abreise nach England in Nacht und Nebel des Heldenmutes negative Seite offenbarte. Diese Reise war für dem Spott eine nicht leicht auszuschöp- sende Fundgrube, wenn auch die näheren Ilmstände nftr ganz langsam durchsickerten und erst in späteren Jahren völlig bekannt wurden. Da vorerst nur die Tatsache der Flucht, das Ziel und ihr vorgeblicher Zweck bekannt waren, so verlegten alle Karikatu- rrsten den Schauplatz gleich nach London . Hier an der Themse Strand finden sich alle zusammen, denen der Boden des fest- ländischen Europas zu heiß geworden ist. Offiziell sind es freilich ganz andere Gründe, die jeden einzelnen hierher geführt haben: „In geheimen Aufträgen",„einer Seekur wegen",„gesundheits- halber" usw. Das heißt die Ausrede„gesundheitshalber" stimmte, einzig im Interesse seiner Gesundheit hatte jeder der Helden, die sich in London zusammenfanden, den heimatlichen Staub von den Füßen geschüttelt. Am witzigsten und künstlerisch am wirksamsten ist die große Karikatur:„Viktoria, der Schutzengel", in der ein Werliner Zeichner, namens Haag, die Flucht des Prinzen von Preußen satirisch behandelt hat. Biktorias Schürze ist der sichere Ort, wohin sie alle flüchten, schützend breitet sie über alle ihre ''uS Sie lind natürlich darob"ans stlia. Metternich erbolt sich behaglich von dem ausgestandenen Schrecken, hier ruht«S sich angenehmer, als in dem kaiserlichen Wäschewagen, in dem er sich aus Wien fortstahl. Louis Philipp von Frankreich schwört enthu- siastisch seiner Schutzgöttin ewige Treue, und mit fröhlichem Trom- petengeschmctter in altfränkischer Postillionsunisorm, denn als Postillion verkleidet, hat der Prinz von Preußen seine Flucht bc- werkstelligt, landet eben der dritte. Warum sollten sie auch nicht höchst vergnügt lein? Die zunge, hier so pikante Viktoria ist doch ein zu niedlicher Schutzengel, und bis hierher werden selbst die em- pörtesten Wogen nie branden, also Grund genug zur besten Laune. Unterdessen spielten sich in Verlin am Palais des Prinzen die bekannten Szenen ab. Die Erklärung des Prinzenpalais zum Nationaleigentum hat dem Gassenwitz und der Karikatur ein neues Motiv zugeführt, das man auf alles mögliche sonst noch anwandte. Als der Prinz von Preußen endlich wieder nach Berlin zurück- kehrte, war es wieder der Zeichner Haag, der in dem Blatt:„Wie der Berliner Bär seinen Busenfreund empfängt" eine der besten Karikaturen zeichnete Es ist eine höchst unbehaglich sich geberdende Liebe, die dieser 30 Jahre an der Kette gelegene und nun endlich befreite Bär an den Tag legt, er zeigt seine Krallen sehr bedenk- rich. Die Zukunft erwies freilich, daß es nicht so gefährlich war, als wie es auf dem Bilde den Anschein hatte; trotzdem der Prinz von Preußen sehr bald merken ließ, daß er nur den einen Gedanken hege, die Dinge auf ihren früheren Stand zurückzuführen... Da die Täppigkeit der Bären gewöhnlich größer ist als ihre Gefährlichkeit, so entwickelte sich diese„endliche Freiheit" ganz dementsprechend. Nur zu bald war es mit dem Elan vorbei. der wie ein heiliges Feuer im März alles beseelt hatte. Am meisten verflogen aber war er bei denen, welche die sichere Bürg- schaft für den dauernden Bestand des Errungenen bieten sollten. bei der stolzesten„Märzerrungenschaft", der biederen Bürgerwchr. Der Bürger in Waffen war längst der übertagenen Pflichten satt, in Berlin wie in den anderen Städten. Nur Blinde hätten das übersehen können. Wenn es auch ganz seinem Wesen entsprach, eine Schutztruppe wider die Revolution zu bilden, denn etwas anderes war die Bürgerwehr nicht, so raubte ihm doch der Dienst die Zeit, den Verdienst und vor allem die gewohnte kleinbürger- liche Behaglichkeit Nein, all diese Aufregungen paßten nicht für die an ihre Ruhe und ihre häusliche Ordnung gewöhnte Spieß- bürgerseelel Aergert den Münchener Bürgergardisten, daß sein Braten immer kalt wird, bis er nach Hause kommt, und fürchtet er das Durchgehen seines Vollblutes, so kann der Berliner Bürger- wehrmann vor allem das ewig« Generalmarschschlagen nicht ver- tragen, das ihm regelmäßig den besten Schlaf raubt. Das ist eine schöne Freiheit I Wenn er seinen Schlaf nicht hat, kann ihm die ganze Freiheit gestohlen werden, denn„wo keen Schlaf nich is. is ooch keene Gesundhet"— so philosophiert der Berliner Weißbier- stratege. Zu was übrigens alle diese Aufregungen noch? Hatte man denn nicht die Rauchfreiheit? Das Wichtigste! Und denkt denn ein einziger Mensch daran, diese glorreiche„Errungenschaft" auch nur anzutasten? Beileibe nicht! Ach ja. die Satire hatte mit ihrem Hohn ganz recht, als sie in diesem Sinne die Bürger- wache am Landsberger Tor dem Geist aus dem Friedrichshain. der kommt, um zu fragen, was sie mit ihrem Blute erstritten hätten, antworten läßt. Viel höher ging das Streben so vieler im Jahre 1348 wirklich nicht hinaus. Der deutsche Michel hatte in der Tat noch lange nicht ausgeschlafen, und bereits im Herbst sehnte er sich aus tiefstem Herzensgrunde danach, wieder einen langen, gründlichen Schlaf zu tun; diesmal aber einen, der möglichst un- gestört blieb von den beunruhigenden Träumen von Einheit und Freiheit. DaS Schlafmittel, mit dem die Gegenrevolution dieser Sehnsucht zu Hülfe kam, wirkte«unwiderstehlich, es war der Takt- schritt des nun überall wieder zu den Begriffen der absoluten Subordination zurückgeführten Militärs. Seine Melodie aber, mit der vollends die letzte Regung einschlummerte, der Belagerungs- zustand, er brachte auch die Karikatur zum Verstummen. Statt mit ihrer klirrenden Kappe die Wachenden zu fröhlichem Handeln zu begeistern, konnte sie nur nock, Trösterin in der Not sein, die Hüterin des LachenS, ohne das die Menschen sterben müßten, die einzige, welche den Mut findet, selbst über das Ni-derschlagendste noch zu lachen. Und sie brachte das wirklich in einzelnen Fällen fertig... Von den Berliner Blättern sind nach der künstlerischen und der stofflichen Seite die des mehrfach genannten Zeichners Haag die markantesten. Sie verraten sowohl im Witz, wie in der Zeich- nung ein in Teutschland damals gar seltenes Talent für groteske Satire. Wenn man die verschiedeneu Blätter dieses Zeichners, auch diejenigen, von denen wir hier nicht Notiz genommen haben, noch in einer anderen Richtung, hinsichtlich ihres Erscheinungsortes miteinander vergleicht, dann macht man noch eine zweite inter - essante Beobachtung: die Bestätigung unserer eingangs dieses Abschnittes gemachten Behauptung, daß. die Herausgabe von Kari» katuren auf Friedrich Wilhelm I V. und das königliche Haus inner- halb Berlins auch im Jahre 1348 nicht geduldet wurde. Während nämlich alle die Blätter Haags, die sich auf die Bürgerwehr usw. beziehen, im Verlag von Gebrüder Rocca in-Berlin herauskamen, tragen die Blätter auf Friedrich Wilhelm IV. und den Prinzen von Preußen meist die Leipziger Firma L. Blau u. Co.;„Viktoria, der«Schutzengel" soll sogar in Ulm erschienen sein. Nach unserer festen Ueberzeugung find die sämtlichen Blätter in Berlin ent- standen, die mit der Firma Blau u. Co. Leipzig versehenen Blätter mögen ia in Leipzig gedruckt worden fein, aber bei dem
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25 (28.3.1908) 63
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