Anterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 72.

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Freitag, den 10 April.

Semper der Jüngling.

Ein Bildungsroman von Otto Ernst . 8. Kapitel.

1908

( Nachdrud verboten.) von diesem Freunde wohl mehr abgestoßen als angezogen; aber eines besaß dieser Freund, was ihn festhielt, und das war feine außerordentliche musikalische Begabung, im be­sondern sein vorzügliches Geigenspiel. Morieur ließ nicht locker, bis sich Asmus von ihm die Anfangsgründe des Geigen­fpiels zeigen ließ, und alsbald traktierte der junge Semper mit solcher Versessenheit das schwierige Instrument, daß sie nach einigen Wochen schon leichte Duette spielten. Dieses Band hielt sie zusammen und zog sie bald zu einem Bratschisten und einem Gellisten hin und geleitete ihren jugendlichen Wagemut endlich zu den Quartetten Haydns, Mozarts, Beet hobens und Schuberts.

( Warum Ludwig Semper nicht in den Lohengrin " ging und Asmus

mit einem Windhund verkehrte.)

Wenn er von der monatlichen Kneipe der Albingia ein­mal spät nach Hause fam, so schüttelte Frau Rebekka den Kopf und äußerte ihre Besorgnisse; aber Ludwig Semper lachte bergnügt in sich hinein und sagte: Laß ihn; das gehört dazu." Auch er hatte zu Schleswig seine heimlichen Gymna­fiaftenfneipen gefeiert und den Landesvater gesungen, und manchesmal, wenn das Vergangene in ihm erwachte, hatte er, am Tabakstische sitzend und das blanke Bigarrenmesser schwingend, gesungen:

Geht ihn blinken In der Linken

Diesen Schläger, nie entweiht!

Ich durchbohr den Hut und schwöre: halten will ich stets auf Ehre,

Stets ein braver Bursche sein!"

Aber leider hatte der langschinkige, dünnrippige Wind­hund eine fatale Neigung, andere Leute aufzuziehen. Er hielt fich für so gescheit, daß er allen andern etwas aufbinden fönne; er gab sich bei den gemeinsamen Ausflügen den einfachen Landbewohnern gegenüber für einen ausstudierten Lehrer, für einen Arzt, für einen höheren Beamten oder der gleichen aus, nur um ihnen allerlei Abenteuer und Räuber­geschichten aufzubinden und sich an ihrer Leichtgläubigkeit zu weiden. Nun schlummert freilich hinter den träumerisch­gutmütigen Augen des Schleswig - Holsteiners eine feine und stattliche Klugheit, die nur dann vollends aufwacht, wenn es durchaus notwendig ist, und gelegentlich wurde der Auf­Dagegen hatte Ludwig Semper für eine andere Neigung schneider wohl durch ein ironisches Lächeln oder ein spöttisches feines Sohnes durchaus kein Verständnis: Er begriff nicht, Wort zurückgewiesen; aber manchmal fand er auch Gläubige, wie man ohne Not einen Weg von mehr als einer Viertel- und solch ein Mißbrauch eines freundlichen Vertrauens ver­oder gar halben Stunde machen konnte. Wenn Asmus in droß Asmus jedesmal über die Maßen. Am wenigsten konnte den Ferien Spaziergänge von vier Stunden machte, so er's vertragen, daß alte Leute in weißen Haaren gefoppt schüttelte Ludwig andauernd den Kopf; bei einem acht- oder wurden, und wie wurde ihm gar zumute, als Morieur sich zehnstündigen Ausflug aber wurde er sozusagen böse, warf eines Tages einfallen ließ, feine Eltern, seine Mutter Rebekka das linke Bein über das rechte und murmelte: Berrückt!" Semper, seinen Vater Ludwig Semper anzulügen und zu Er schien das für gesundheitsschädlich zu halten, und einer hänseln. Als hätte man ihm mit der Peitsche ins Gesicht der Gründe, weshalb er noch immer nicht den Lohengrin geschlagen, so war es ihm. Um seine Eltern nichts merken gehört hatte, war der, daß man ins Hamburger Stadttheater zu lassen, machte er gute Miene zum bösen Spiel und lenkte eine Stunde zu gehen hatte. Asmus hingegen hatte Seume mit einer gewaltsamen Anstrengung das Gespräch geschwind gelesen, und einer seiner Träume war es, einen Spazier- auf einen anderen Gegenstand: nachher aber, beim Abschied gang nach Syrakus zu machen, wie ihn dieser etwas nüchterne, vor der Tür, weigerte er dem Frevler die Hand und sagte: etwas trockene, aber in seiner Unabhängigkeit, Kraft und Du brauchst mich nicht wieder zu besuchen. Wir sind Lauterkeit dennoch poetische Mann gemacht hatte.

Morieur ging lächelnd und mit einem höhnischen Achsel

Unter den Studiengenossen, mit denen Asmus seine bo- geschiedene Leute." tanisch- zoologisch- mineralogisch- poetisch- politisch- philosophisch­cerealisch- bacchischen Ausflüge- denn das Frühstück spielt bei bucken davon. Siebzehnjährigen eine genau so große Rolle wie der Idealis­mus zu unternehmen pflegte, waren es besonders zwei,

9. Kapitel.

( Ein Afrikaforscher, der nicht revanchelüstern ist.

"

zu denen er in ein näheres Verhältnis trat. Der eine war Ganz, ganz anders war Sempers zweiter Wandergenosse. Sein Mithospitant Morieur, und dieser hatte Eigenschaften, Er war hager, sehnig und steif, von scharfgeschnittenem Gesicht, die wohl auf einen französischen Vorfahren schließen lassen und sein filberweißes furzgeschorenes Haar stand senkrecht fonnten. Er war ein hübscher, schlanker, geschmeidiger Bursche aufgerichtet wie Nägel. Eigentlich hieß er Herrig; aber nach mit dunklem Haar und einem famosen schwarzen Schnurr- einem Vororte Hamburgs , wo die Insassen einer gewissen bärtchen und zeigte in Sprache und Gebärden eine über- Anstalt gezwungenermaßen furzgeschoren gingen, nannte der schießende, ja, in seinen Mienen nicht selten eine fragenhafte liebevolle Wit seiner Klassengenossen ihn Fuhlsbüttel ". Weit Lebhaftigkeit. Die Jugend urteilt mit Vorliebe nach dem davon entfernt, musikalisch zu sein, fang er, wenn er die Instinkt und trifft damit gewöhnlich das Richtige. So erhielt Wacht am Rhein singen wollte, die Lorelei, die aber auch denn auch Morieur in der Biertaufe den Namen Friz Triddel- noch falsch. Er war überhaupt vom Stopf bis zu den Füßen fig, mit der Begründung, daß er ein langschinfiger, dünn- amusisch, und unter allen Kunst- und Literaturschäßen der rippiger Windhund" sei. Von den Windhunden sagt man, Welt gab es nichts, was seinen Herzschlag beschleunigen konnte. daß sie selbstsüchtig und wenig treu seien, und das stimmte Allein auch er hatte etwas, was ihn Sempern interessant bei Morieur insofern, als er nur eine halbe Treue besaß. machte: nämlich eine grammatische Nase, und in der Analyse Wenn Asmus in der Klasse irgend einen größeren Erfolg knifflicher Sabgebilde galten er und Asmus für Rivalen. erzielt hatte, so beglückwünschte ihn Morieur mit fulminanten Auch kannte er eine Menge Pflanzen und Insekten bei Namen, Worten und war dabei blaß bis in die Lippen, und Asmus und Asmus, den seine Dorfschule in dieser Hinsicht mit wahr. fah mit vollkommener Gewißheit, daß der Neid, ja der Haß haft imposanten Lücken ausgestattet hatte, ergriff mit Freuden ihn innerlich zerwühlten. Aber er sah auch, daß Morieur die Gelegenheit, sich aus dem" Thesaurus" seines Freundes mit diesem Neide kämpfte, daß er sich die Lippen fast blutig au bereichern. Dafür bereicherte sich John Herrig, wie man biß. Und immer wieder kehrte er zu Asmus zurüd und sehen wird, aus einem anderen Schage seines Freundes 30g seinen Umgang jedem anderen vor. Er überhäufte den Asmus. Freund mit Ausdrücken einer so schwärmerischen, überschweng- Zunächst freilich war es eine Bereicherung von zweifel. lichen Bewunderung, daß Asmus abwechselnd rot und blaß haftem Wert. Sie unterhielten sich auf ihren Wanderungen wurde und an die Aufrichtigkeit dieser Apotheosen niemals Stundenlang mit bitterem Ernst über Fragen der Politit, der glauben konnte, und doch wußte er, daß Morieur in derselben Volkswirtschaft, der Gesellschaftsmoral, der Philosophie, kurz Weise zu anderen über ihn sprach. Auch Asmussens Eltern de omnibus rebus et quibusdam aliis( über alles mögliche hatte er solchermaßen den Ruhm ihres Sohnes verkündet, und noch etwas). Moricur war immer nach zwei Minuten und Frau Rebekka hatte alles geglaubt und mit Entrüstung auf eine Hanswursterei abgesprungen. Dabei sprachen sie ausgerufen: Der dumme Bengel! Und davon sagt er zu auch von ihrer Zukunft. Hause kein Wort!" Im innersten Herzen fühlte sich Asmus

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Ich bleibe nicht Lehrer," sagte Herrig, ich werde Afrikas