nichtige Stücke sinnlosen Fleisches und Knochen zerrissen. Alles. was jetzt unter dem Namen Menschen lebt, das sind Teile; der ganze, ungeteilte Mensch ist noch nicht erschaffen. Er wird aus der Asche der von der Welt gemachten Erfahrung entstehen, er wird diese Erfahrung aufsaugen wie das Meer die Sonnenstrahlen, und über der Erde aufleuchten wie eine neue Sonne. Ich werde das erleben I Denn ich erschaffe den Menschen, ich werde ihn er- schaffen!" Der Alte brüstete sich ein wenig und verfiel in eine, dem Wesen des Teufels nicht entsprechende, lyrische Stimmung. Ich hielt ihm das zugute. Was will man machen? Das Leben entstellt sogar den Teufel, indem es mit seinen Giften des Teufels hart ge- schmiedete Seele zersetzt. Es haben doch alle einen runden Kopf, aber schiefe Gedanken, und jeder, der in den Spiegel schaut, findet sich schön. Der Teufel machte zwischen den Gräbern Halt und rief mit der Stimme des Gebieters: „Wer ist hier ein weiser und ehrenhafter Mensch?"... Einen Moment schwieg alles. Dann bebte plötzlich die Erde unter meinen Füßen, und gleich Haufen schmutzigen Schnees bedeckten die Grabhügel den Friedhof. Es war, als ob tausend Blitze die Erde von innen aufwühlen oder als ob ein gigantisches Ungeheuer sich in ihren, Schöße krampfhaft umdrehe. Alles ringsum leuchtete in gelblich-schmutziger Farbe, überall bewegten sich Skelette wie trockene Grashalme unter dem Wind hin und her und erfüllten die feierliche Stille mit dem Reiben ihrer Knochen, mit den dumpfen Stößen ihrer Gelenke gegen sich und an die Grabesplatten. Sie stießen einander und krochen auf die Grabsteine, überall schimmerten Schädel gleich einem Löwenzahnfeld, ein dichtes Netz von Nippen umgab mich wie eine enge Zelle, Schienbeine schauerten unter der Last verkrüppelter, klaffender Beckenknochen, und alles im Kreise be- wcgte sich in schweigender Hast. Das kalte Lachen des Teufels übertönte die unpersönlichen Laute. „Sich', sie sind alle herausgekrochen, alle bis auf den letzten!", sagte er. „Sogar die Stadtnarren sind barunter I Die Erde erbrach sich und spie aus ihrem Innern die tote Weisheit der Menschen aus..." Der dumpfe Lärm wuchs rasch an, eS schien, als ob eine un- sichtbare Hand gierig in dem feuchten Lehm wühle.... „Sieh', wie viele Menschen im Leben ehrlich und weise waren!" rief der Teufel aus und streckte seine Flügel weit über die Tausende von Gerippen, die sich von allen Seiten zu ihm drängten. „Wer von Euch hat den Menschen am meisten Gutes getan?" fragte er laut. Alle ringsum fingen an zu zischen ähnlich den Pilzen, wenn man sie in einer großen Pfanne mit Sahne bäckt. „Erlauben Sie mir vorzutreten I" schrie einer wehmütig. „Ich bin's, Herr, hier bin ich I Ich habe bewiesen, daß in der Summe der Gesellschaft Eins gleich Null ist." „Ich bin weiter als er gekommen!" opponierte jemand aus der Ferne.„Ich habe gelehrt, daß die ganze Gesellschaft eine Summe von Nullen ist und daß daher die Massen sich dem Willen der Gruppen unterordnen müssen." „Und an der Spitze der Gruppen steht die Einheit und das bin ich l" rief einer feierlich. „Warum Sie?" ertönten einige unruhige Stimmen. „Mein Onkel war König!" .„Ah, dem Onkel Eurer Hoheit haben sie vorzeitig den Kopf abgeschlagen?" „Die Könige verlieren ihre Häupter immer zur rechten Zeit!" antworteten stolz die Knochen eines Nachkömmlings von Knochen, die einstmals auf dem Throne gesessen. „Oh, oh, oh I" ertönte ein zufriedenes Geflüster.„Unter uns liegt ein König I Das trifft man nicht auf jedem Kirchhof..." Das dumpfe Geflüster und das Geräusch der Knochen flössen in einen, Knäuel zusamnien, der immer dichter und schwerer ivurde. „Sagt einmal, ist es wahr, daß die Knochen der Könige von blauer Farbe sind?" fragte eilig ein kleines Skelett niit krummer Wirbelsäule. „Erlaubt mir zu sagen", fing ein Skelett eindringlich an, das oben aus einem Denlmal saß. „Das beste Pflaster für Hühneraugen ist meines l" schrie eines hinter ihm. „Ich bin derselbe Architekt, der..' Da stieß ein breites, niedriges Skelett alle übrigen mit seinen kurzen Armknochen auseinander und schrie, daß eS das Rauschen der toten Stimmen übertönte: „Brüder in Christo! Bin ich nicht Euer Scelenarzt, habe ich nicht die Schwielen Eurer Seelen mit dem Pflaster sanfter Tröstung geheilt, die durch die Trübsal Eures Lebens entstanden waren?" „Es gibt kerne Leiden I' verkündete jemand.„Alles existiert nur in der Vorstellung." „Derselbe Architekt, der die niedrigen Türen erfunden hat.. „Und ich Papier zur Vertilgung der Fliegen!..." ..... damit die Leute beim Eintritt ins Haus unwillkürlich den Kopf vor dem Hausherrn beugen.. ertönte eine zudringliche Stimme. „Gehört nicht mir der Vorrang. Brüder? Ich habe Eure Seelen, die nach Vergessen von Kummer und Sorgen dürsteten, mit der Milch und dem Honig meiner Betrachtungen über die Eitelkeit alles Irdischen gelabt!" „Alles, was ist, ist ein für allemal festgestellt l' brummte ein« hohle Stimme. Ein Skelett mit einem einzigen Bein saß auf einem grauen Stein, erhob sein Schienbein, streckte es bor und rief:„Natürlich ist'S so." (Schluß folgt.) kleines fcuUleton* Astronomisches. Der H alle h s ch e Komet und die Meteorschwärme des Mai. Dem Bereich unseres Planeten nähert sich ein seltener Gast, der nur in weiten Zwischenräumen in den Sichtbarkeitsbereich der Menschen tritt. Es ist der Halleysche Komet, dessen Geschichte und Eigentümlichkeiten ihm eine ganz besondere Bedeutung verleihen. Sein diesmaliges Erscheinen wird deshalb mit besonderer Spannung erwartet, weil man davon Ausschlüsse über die sogenannten Aquariden- Schwärme zu erlangen hofft, die vor etwa 40 Jahren von Tupmann entdeckt worden sind. Es handelt sich um den alljährlich periodisch wiederkehrenden Meteoritenregen, der um die ersten Morgenstunden zu Anfang des Monats Mai sichtbar wird und an» scheinend mit dem Halleyschen Kometen in innigem Zusammenhang steht. Wenn dies zutrifft, ist zu erwarten, daß das Herannahen des Kometen eine lebhafte Verstärkung der Aquariden bedingen wird. Seine Sonnennähe trifft auf den 2t. Mai des Jahres 191(1. Man kennt das Verhalten dieses Sternes schon lange, und er war es, der seinen Entdecker und Paten überhaupt in die Lage setzte, festzustellen. daß es Kometen mit geschlossener Bahn gibt. Bis dahin hielt man ihr Erscheinen für ein zufälliges oder richtiger gesagt, man verband mit ihnen die abergläubische Vorstellung, daß der Himmel als WarnungSzeichen oder zur Ankündigung ungewöhnlicher Ereignisse einen Voten sende, der nach erfüllter Mission auf immer entschwände. Newton teilt allerdings diese Ansicht nicht, sondern erkannte, daß auch die Kometen den für die Bewegungen der übrigen Himmelskörper geltenden Gravitalionsgesetzen folgten. Doch erst Halley war es vorbehalten, aus der Identität dreier Kometenbahnen nachzuweisen, daß die Erscheinung dreier vermeint- lichen Haarsterne aus Rechnung eines und desselben zu setzen sei. Er beobachtete diesen Kometen im Jahre 1S82 und kündigte an, daß er in 79 Jahren wiederkehren werde. Er wußte wohl, daß er nicht lange genug leben würde, um die Bestätigung seiner Vorhersage mit eigenen Augen zu schauen, und es liegt eine Art wehmütiger und doch stolzer Resignation in seinem Ausspruch:„Wenn er(der Komet) gemäß unserer Prophezeiung im Jahre 1758 wiederkehrt, so wird die gerechte Nachwelt sich nicht weigern anzuerkennen, daß diese Tat- fache zum erstenmal von einem Engländer festgestellt wurde." Halley hatte sich nur um einige Monate getäuscht. Im März 1759 kam der Komet wieder, und zwar nur 17 Jahre, nachdem sein Entdecker gestorben war. Weiterhin berechnete dann der Astronom Pontöcoulont die Wiederkehr des Halleyschen Kometen im Jahre 1835; er erzielte schon größere Genauigkeit, und die Abweichung der Sonnennähe betrug damals nur wenige Tage von dem berechneten Zeitpunkt. Er bestimmte auch im Jahre 1894 die jetzt bevorstehende Wiederkehr sind rechnete für die Sonnennähe den 2t. Mai 1919 aus. Es war zu erwarten, daß auch von anderen Astronomen eine neue Bestimmung der Bahnelemente vorgenonimen werden würde, doch scheint es, daß sich lediglich die englischen Astronomen Cowell und Crommelin dieser Mühe unter- zogen haben. Ihre Resultate stimmen mit denen Pontöcoulonts überein. so daß man mit Sicherheit annehmen darf, daß der Halleysche Komet im Mai 1919 seine Sonnennähe erreichen wird. Natürlich wird man versuchen, bereits lange vor diesem Zeitpunkt Beobachtungen anzustellen. Nach Berechnungen von Professor O. C. Wendell ist der Komet augenblicklich schon weniger weit von der Sonne entfernt als der Saturn. Seine Stellung im Sternbild des Orion ist der Beobachtung nicht ungünstig; eS scheint aber zweifel- hast, ob auch die mächtigsten Instrumente unserer Sternwarten jetzt schon imstande sind, ihn zu erblicken. Der Komet bewegt sich augenblicklich in direkter Linie auf die Sonne zu. Gegen Oktober 1999 wird seine scheinbare Bewegung eine sehr rasche werden. Gegenwärtig aber beginnt er, seine der Beobachtung günstige Stellung wieder zu verlassen und wird während der nächsten Monate wohl nicht ausgefunden werden. Auch im nächsten Jahre wird eS ähnlich gehen, bis im Oktober 1993 die Entfernung so weit herabgeht, daß et entweder mit der photographischen Platte oder mit dem Auge„gepackt" werden kann. Die Umlaufszeit des Kometen um die Sonne schwankt zwischen 79 und 77 Jahren, unterliegt jedoch infolge der Störungen durch die großen Planeten recht erheblichen Schwankungen. In den Jahren 1222 bis 1391 brauchte der Komet 79 Jahre und 2 Monate, während er dieses Mal in 7t Jahren und 5,5 Monaten zurückkehrt. Es ist wahrscheinlich, daß man bereits seit zwei Jahrtausenden den Kometen immer wieder beobachtet hat, aber die Identität seines Erscheinens vor so langer Zeit ist nicht mit Sicherheit festzustellen. Kerantw. Redakteur: Georg Tavidsohn» Berlin,— Druck u. Verlaa: Vorwärts Buchdr. u. Berlagsanstalt Paul Singer öc Co., BetlinLW.
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25 (13.5.1908) 92
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