— 370— Ter Vorhang ging endlich auf, und schon nach den ersten Szenen war der Erfolg des ersten Aktes gesichert; denn der Darsteller der Königin hatte in der Erregung unter den königlichen Kleidern seine männlichen Dessous und seine Zugstiefeletten anbehalten, und das genügte für den ersten Akt. Jedesmal, wenn die hohe Frau sich setzte und ihr Reif- rock sich hob, brauste ein Sturm des Entzückens durch das vollbesetzte HauS. Ismus lief wie besessen hinter der Szene auj und a� tFortsetzung folgt.) 8e2eMon �908. Von Ernst Schur . II. Leibi(Fortsetzung). Es kommen nun eine Reihe jener kleinen Bilder, in denen Leibi mit minutiöser Arbeit einen Kopf wiedergibt, so daß er groß in dem schmalen Ausschnitt dasteht. Zuerst das Bildnis des Tierarztes(Nr. 120). Hier aber ist die Umgebung des Gartens noch hineingezogen. Eine blühende, grüne Hecke, sprühend in Licht, locker in den weißen und roten Farbe» der Blumen. Auch der Sohn des Arztes ist vertreten(Nr. 121). Ein frisches Bild von scharfer Charakteristik. Malerisch ist der Rock be- handelt. Minutiöse Arbeit und doch groß in dem weichen Jnein- anderfließen der Farben, so daß malerische Flächen entstehen. Die Behandlung wird immer eingehender. Das Delikate bleibt bestehen. Aber oft denkt man bei diesen subtilen Köpfen an Still- leben, so genau sind sie im Detail. Man merkt: hier meldet sich die Anschauung eines Sonderlings, der sich von der Welt, die ihn nicht versteht, in einen Winkel zurückzieht. Etwas Eigenbrödlerisches liegt darin. Wir kommen damit in das Milieu, in dem Leibi nun lebte, ins oberbayerische Gebirge. Die engen, niedrigen Stuben zwangen ihn zur Nahbetrachtung. Wir sehen die Personen, mit denen er hier verkehrte. Der Kaufmann Mayer(Nr. 122). Die Form ist hier trotz aller Kleinheit fein gefühlt.(Ebenso das Bildnis des Jägers Karebacher, Nr. 127.) Markiger der Studienkopf einer Bäuerin (Nr. 123). Größer präsentiert sich der Tierarzt Neindl(Nr. 124), in der alten Art mit feinen, weichen, grauschwarzen Farben und rosigen Tönen im Fleisch; lockere Malerei. Die beiden Bildnisse von Herr und Frau Dr. Mayr(Nr. 125 und 126) sind scharf beobachtet, be- wahren aber doch eine malerische Schönheit. Nun lernen wir auch das Milieu selbst kennen und wie von selbst kommt Leibi zum Genrebild. Aber er vermeidet hier ganz das Anekdotische. Zustandsbilder sind es, in Ruhe beobachtete Szenen. „BanernjägerS Einkehr"(Nr. 128). Idylle. Genaue Malerei. Er bleibt im Motiv nicht stecken. Man beachte die feinen Farben, das Rot im Brusttuch, das Grün hinten am Fenster. Wir werden solch Bild nicht zu den Meisterwerken zählen, aber doch ist viel Fein- heit darin, speziell in der räumlichen Leichtigkeit der Erscheinung in der Lust. Das gegenüberhängende„In der Küche" ist von gleicher Art. Dunkler Hintergrund. Von dem sich ein feines Blau abhebt. Das Fleisch in den Gesichtern ist zart behandelt. Das„Tischgebet"(Nr. 12g) ist eine kleine, flüchtige Studie. Mit dem folgenden Bildnis der Frau Rieder(Nr. 130) beginnt wieder eine neue Etappe. Die Farbe wird glasig. Das Leben ist nicht mehr so frisch bewältigt. Einseitige Auflassung. Für das Ganze müssen Einzelheiten entschädigen, Feinheiten in der Stoff- behandlung. Fragmentarisch ist das Bild des Geheimrats Seeger(Nr. 131)' Er begegnet uns in dem folgenden Bild(Nr. 132) noch einmal, nun ausgeführt. Und hier können wir noch einmal die Größe der An- schauung spüren. Kraft ist in dieser zupackenden Art. Malerisch schön die Kontrastierung der Farben. Ein Fragment ist auch das Interieur(Nr. 134). Der weibliche Studienkopf(Nr. 135) ist akademisch; gleichfalls Fragment die Kopfstudie(Nr. 136). Durch eine gewisse, hölzerne Kraft fällt das„Bauernmädchen" (Nr. 137) auf. In dem„Mädchenkopf"(Nr. 138) ist die Form mehr betont als die Farbe. Man kann, faßt man das Beobachtete zusammen, leicht vier Perioden in Leibis Schaffen unterscheiden. Das beweist sein Suchen, sein Lernen. Einmal die weiche, malerische Art(Nr. 110, III). Die uns am meisten gefällt. Dann die Bilder, in denen er der realistischen Erscheinung mehr Berechtigung gönnt, genauer in der Form, minutiös wird. Das sind die Köpfe, deren feine Beleuchtung auffällt. Man denkt an Holbein. Dann die braunsaucigen Bilder, gemalt wie damals in München üblich. Und dann die Werke der späteren Jahre, in denen er in den engen Bauernstuben zur Nah- betrachtung geführt wurde. Sie sagen uns weniger zu. Zu betrachten sind noch die Zeichnungen. Auch hier ein mannig- faltiges Versuchen.. Malerische von zeichnerischer Art wechseln ab. Jnteresiant ist die kleine Zeichnung(Nr. 137), aus der ganz stiihen Zeit. Alt in der sorglichen Manier, aber in der treuherzigen Art fein und intim. Wir sehen dieselben Leute hier noch einmal in Studien und Zeichnungen. Prachtvoll find die großen Köpfe in breiter, malerischer Manier, aus dunkelem Grunde das Gesicht herausgeholt, in kräftigem Strich und lebendigen Mafien. In der» selben, duftigen Art find kleine Landschaften gehalten. Viel Lust, viel Weichheit. Dann kleine Köpfe von Bauern und Bäuerinnen, markant in der Charatteristik; breit und sicher in der Führung der Hauptlinien. Aus eineni lebhasten Hin und Her kräftigster Striche schälen sich die Personen heraus. Dazwischen dann wieder genau detaillierte Studien, namentlich Porträts, deren Charakteristik jedes Detail nach- zieht. Aber imnier ist Leben darin. Nie wird Leibi so trocken wie manchmal Menzel, dem er sich in seinen älteren Arbeiten zuweilen annähert. Bei Leibl mischt sich persönliches Gestalten und Tradition. Und das macht das Imponierende aus. Er lernt von den alten Meistern. Man kann ihn als modernes Gegenstück den englischen Malern zur Seite stellen, die auch von den Alten lernten; aber Leibl wird nicht so konventionell wie sie. Bei ihm ist Natur und Gegenwart. Das Kulturelle spricht nur mit. Die Engländer sind Aristokraten und malen für Aristokraten. Leibi ist ein Sohn des Volkes und malt, was ihm behagt. Die Technik holt er sich von den Alten. Vorbild ist ihm die Natur. Absolute Ehrlichkeit hält ihn fern von Pose und Nachahmung. Insofern hat Liebermann recht, wenn er sagt, daß Leibl uns Vorbild sei, demgegenüber die Kunst der englischen Meister uns schwächlich erscheine. Auch darin ist uns Leibl vorbildlich, daß er sein Handwerk so gründlich ausbildet, daß er es darin zur Meister» schaft brachte.(Wohingegen andere beim umgekehrten Ende, bei der Großtuerei anfangen). Er vereint damit eine Feinheit des Geschmacks, der sich an der Schönheit der Meisterwerke aller Zeiten und des Aus- lands geläutert hat. So ist eine Einheit in Leibis Werk. Und immer bleibt der Künstler ehrlich, einfach und schlicht. Er vermeidet das Pathos; er vermeidet jede Gewaltsamkeit im Stoff und auch die Farbe mäßigt er. Er will nicht auffallen. Und er erreicht dadurch gerade, daß er in unserer Zeit doppelt auffällt. � Von Trübner bis Leistikow. An Leibl reihen sich am besten die alten Stützen der Sezession an und am besten beginnt man da mit Trübner, der mit einer reichen Kollektion, die im Mittelsaal hängt, vertreten ist. Die Werke sind von verschiedenem Wert. Auch hier können wir verschiedene Perioden wahrnehmen. Zu den besten Stücken gehören ein paar männliche Porträts(Nr. 247, 250), die in ihrer weichen, malerischen Behandlung sehr an Leibis Art erinnern. Die anderen, meist weiblichen Bildnisse sind von einer überraschenden Gesckimack- losigkeit in den Farben und von einer absichtlich hölzernen Form. Die Modelle weisen in ihrer Kleidung, Haartracht etwa auf die Mode vor 30 Jahren hin. Zu den schlimmen Kleidern— zitronen- gelbe Seide in ausgesucht häßlicher Drapierung— hat Trübner einen noch scheußlicheren Hintergrund gewählt, ein schreiendes Rot, ein giftiges Grün. Jede Feinheit fehlt. Manet scheint hier Pate gestanden zu haben. Doch malte Manet die damals moderne Toilette, während Trübner sich künstlich zurückschraubt. Auch die Blumen-Stilleben lassen in ihrer Knalligkeit jeden Geschmack vermissen. Wie vornehm und ruhig wirken dagegen die stillen Bildnisse K a l ck r e u t h s, die an der gegenüberliegenden Wand hängen I Eine Frau, ein Knabe. Auch ein wenig altmodisch und in der schlichten Art an die alten deutschen Maler erinnernd. Matte und doch kräftige Farben; ausgeprägte Form. In jedem Zuge eigen. Auch Lieb er mann ist in der Hauptsache mit Bildnissen ver- treten. Sein rassiges Temperament, der zuchtvolle Wille komntt in diesen Werken(die im rechten, hinteren Ecksaal hängen) vorzüglich zum Ausdruck. Nervös und unerbittlich ist hier um die Form ge- rungen, die manchmal vielleicht zu markant geprägt ist. Trotz dieser Eindringlichkeit ist aber in jedem Zuge die Frische beibehalten. Nur stören ein wenig die kalkigen weißlichen Töne in den Gesichtern. Und in dieser Hinsicht gefällt das ein wenig weichere Bild einer alten Dame besser, das in feinen grauen, schwarzen, braunen Tönen gehalten ist und ruhiger wirkt. Das Bild einer holländischen Straße mit schokoladenbraunen Häusern, grünen Gemüsen ist mit Verve genialt und blinkt einem mit fabelhafter Frische entgegen. Zwischen diesen Liebermanns hängt S l e v o g t S„Kleopatra ", ein Porträt der Schauspielerin Durieux. Man kann dieses Werk wohl als die beste Leistung der Sezession ansprechen. Es ist mit erstaunlichem Temperament gemalt. Man spürt ordentlich die Er- regung. Es schimmert in den erlesensten Farben. Wie das Licht hinspielt über diese prächtigen Farben I Wie fein find die Vorhänge gemalt I Von Slevogt hängt ein anderes Bild(ein Herrenreiter) im Mittelsaal. Auch das ist ein Werk von jener instinktiven Schönheit(das Rot in den verschiedenen Tönen I). die nicht erklügelt werden kann. Da? ist gesehen, gefühlt I(Man vergleiche dazu z. B. ein gleiches Bild des Engländers Neven du Mont, das dagegen langweilig wirkt; das Rot ist unlebendig.) In anderer Art ähnelt C o r i n t h Slevogt. Beide haben jenes Hinreißend-Ursprüngliche. Temperamentvolle, das bei den Mit-
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