Jen Kindern sagen: So berichtet die Bibel; was ihr glaubenwollt, ist eure Sache. Aber das konnte man vor Jünglingentun, nicht vor sechs- bis siebenjährigen Knäblein. Diekonnten noch nicht sondern und wählen; die hingen mit demtreuen Blick des Glaubens an seinem Munde; die glaubtenalles, was er sagte, und ahnten noch nicht, daß ein Lehreretwas sagen könne, was er selbst nicht glaube.Endlich blieb noch der Ausweg, sich als„Beamten" zusuhlen, der ein Amt und keine Meinung habe. Er konntediese Tinge einfach nach der orthodoxen Togmatik behandelnund zum Beispiel die Stelle von der Schlange, die„den-selbigen in die Ferse stechen werde", als messianische Weis-sagung hinstellen, am Ende des Monats sein Gehalt ein-streichen und die Verantwortung denen überlassen, die denReligionsunterricht verlangten, das war das sicherste. Werdiese handwerkerliche Auffassung von seinem Beruf konnteer sich eben nicht angewöhnen, so selbstverständlich sie auchKerrn Drögemüller schien. Denn diese sechzig Kinder wurdeneinmal sechzig Menschen, und was er als winziges Körnchenin ihre Seele warf, war vielleicht nach zwanzig Jahren einBaum, ein nährender Fruchtbaum oder ein Giftbaum oderein leeres Gestrüpp. Der Arzt, der nach bestem Wissen undKönnen in einen lebendigen Menschen hineinschnitt, konnteauch nicht zur Verantwortung gezogen werden; aber es wardoch ein verteufeltes Gefühl, einen Menschen unter demMesser zu haben.Er beschloß bei sich, diesen Unterricht so bald wie möglichabzugeben, und fand, daß der Modus seines ehemaligenDirektors noch der redlichste und erträglichste sei. Er trugden Kindern die Bibel vor, wie sie war, und enthielt sich jederkritischen Beleuchtung. Nur sagte er dann nicht: Ihr könnt'sglauben, könnt's auch lassen, sondern getröstete sich der Hoff-nung, daß sie sich bei wachsender Reife in der Stille ihresHerzens wohl selbst mit diesen Dingen abfinden würden.lFortsetzung folgt.)(Nachdruck derkotrn.).fr'xtz von Qhdc.�Zu seinem 60. Geburtstage, 22. Ma t.);Fritz von Uhde wird von seinem 60. Geburtstage nicht alsietn abgeklärter, fest auf seinem Eigensten stehender Künstler an-getroffen, sondern gleichsam überrascht� in einer neuen Phaseseiner Entwickelung, in stetem, rastlosem Weiterbilden seinesTalentes. Wie es Meister gibt, die rasch und sicher den innerstenKern ihres Wesens enthüllen und dann von diesem Zentrum auskonsequent den Kreis ihrer Begabung umschreiben, so gibt esauch Künstler, denen ihr eigenes Innere wie ein Wunderland ist,in dem sie Zeit ihres Lebens nach Entdeckungen ausziehen. Essind die Sucher, die in Weiten wandern und die stets unzufrieden,nach neuer Schönheit durstig, in immer neuem Ringen einen lieb-gewonnenen Stoff zu bewältigen suchen. Mißlungenes steht beiihnen neben Vollendetem, tief Gefühltes neben äußerlich Ge-«nachtem, und doch ist ihr ganzes Werk von dem Reiz einer Person-sichkeit erfüllt, die uns nicht losläßt.Lange hat Uhde sich und seine Kunst gesucht; spät hat er sichgefunden, aber nie hat er wieder sich und sein Werk verloren.Mochte er auf dem Pfade einer allzu konsequent verfolgten stoff-lichcn Richtung in eine Sackgasse geraten, in dem beständigenDurcharbeiten eines MotiveS das eigenste seelische Erlebnis immermehr aus dem Auge verlieren, stets führte ihn der heilige Ernstseines Strebens wieder auf die Bahnen der großen Kunst zurück.In diesem ungleichen Tempo seiner künstlerischen Entfaltung istes Uhde merkwürdig ergangen; man hat ihn verehrt und gc-schmäht, anerkannt und verurteilt in den verschiedenen Phasenseines Lebens aus ganz verschiedenen Gründen. Die ersten Er-folge galten dem brillanten, aber unselbständigen Virtuosenseiner'ersten Zeit; sein Name wurde dann berühmt, seine Kunsteine Fahne im Kampfe der Parteien, als er mit feinen religiösenWildern auftrat; und während er selbst immer wieder betonte,daß ihn hauptsächlich malerische Probleme bei seinen Christus-Wildern reizten und beschäftigten, tobte um seine Werke ein Streitaufgeregter Orthodoxie und sozial schwärmender Mystik. Un-leugbar hat der Meister mit seinen Bildern auö dem ReuenTestament in den achtziger und � neunziger Jahren tief in diekulturellen Strömungen eingegriffen. Die Jugend dieser natura-listischen und doch zugleich von den höchsten Idealen merkwürdigstark berührten Epoche fand hier einen Ausdruck ihrer Sehnsucht.Einzelne Christus-Bilder Uhdes werden auch als Zeitdokumenteihre Bedeutung behalten, wie etwa Haupmanns„Hannele" undKretzers„Zweite? Gesicht". Der Maler selbst wird sich gegen stoff-liche Ausdeutungen seines Werkes verwahren; er hat nicht„mitdem Pinsel predigen", nicht durch Bilder religiöses Empfinden n»wecken wollen, sondern diese Stoffe waren ihm nur der geistigeAnlaß, um die Schönheit des Raumes und Lichtes an würdigenGegenständen darzustellen. Die Idee zu seinem ersten religiösenBilde, dem prächtigen„Lasset die Kindlein zu mir kommen", stiegin ihm auf, als er in einer bayerischen Dorfschule den jungenPfarrer die Schulkinder freundlich um sich scharen sah. Je mehrer sich von diesen realen Visionen, die durch seine besten Bibel-bilder durchleuchten, entfernte, desto bedenklicher mußte ihm auchdieser Weg erscheinen, desto stärker ward in ihm die Sehnsucht»zur schlichten Schilderung der Natur zurückzukehren. Es wardaher nur natürlich, daß er sich immer eifriger den Freilicht-studien und einfachen Jnterieurszenen zuwandte, wo er seine ganzemalerische Kraft in der Wiedergabe von Sonne und Farbe ent-falten konnte. Das Publikum aber, das in ihm den religiöser»Maler gefeiert, begriff diese Wandlung, diese Abkehr nicht ganz»und so ist der Meister, der eine Zeitlang unter den Modernen ai»allererster Stelle stand, etwas in den Hintergrund gedrängt worden«Manche Entgleisung seiner letzten Zeit störte, da er, zu religiösenStoffen hingedrängt, nur unwillig und gequält sich seiner Aufgabeentledigt hatte; andererseits wußte mancher mit seinen jüngsten»rein dem Zuständlichen zugewandten Meisterwerken nichts Rechtesanzufangen. Der 60. Geburtstag wird nun wohl eine entscheidendeEtappe auf dem Wege der vorurteilslosen Würdigung des Meisterswerden. Billige, für weite Kreise berechnete Publikationen, wiedas von der Freien Lehrerbereinigung für Kunstpflege heraus«gegebene Uhde-Heft(im Verlag von Joseph Scholz in Mainz,Preis 1 M.) und ein schöner, sein Gesamtwerk in guten Ab-bildungen umfassender Band in den„Klassikern der Kunst"'liegen vor").Uhde hat in bieler Herren Dienst gestanden, bevor er seineigener Herr wurde. Der junge Offizier, der schon als Knabe,von Menzelschen Zeichnungen angeregt, prächtig nach der Naturskizziert fyatte und aus Verdruß über das langweilige Akademie-Wesen Offizier geworden war, malte Schlachtenbilder in HarareVernets Art mit viel Verve und wenig Anschaulichkeit, schwelgte»von Makarts Farbenrausch betört, in glühenden Farben undüppigen Reizen, hat dann Kostümbilder in der Art von Piloty undDietz recht sauber und hübsch verfertigt. Was ihn aufrüttelte ausdem Nachahmen und der flotten oberflächlichen Mache, war Parisund die faszinierende Persönlichkeit Munkaczys. Die effektvolleTheatralik des Ungarn ließ ihm wohl von fern den Gedanken auf-tauchen zu einer schlichteren Erfassung und Darstellung derChristustragödie: doch ihn bestrickte die tonige warme Art desMahlens vor allem und seine Pariser Bilder kamen besonders inihrer feinen Farbenharmonie über das hinaus, was er bishergeleistet. Ein genrehafter Zug mochte stören, wenn er eine frecheSängerin in einen historisch kostümierten Kreis von Männernstellte, oder eine von dressierten Hunden belustigte Gesellschaft vor-führte; ganz rein und frei gab sich seine Kunst in dem schönenfarbigreifen Bilde von seiner Frau und sich im Atelier(1881), dasim gesättigten Ton an Leibi erinnert und nur in dem ruhigen»etwas schweren Milieu, dem vollen dunklen Grundton den SchülerMunkaczys verrät. Frei' Luft, Licht, Sonne, Weite, das war es.was Uhde brauchte, um aus der stickigen Stubenluft und der Engeseiner Vorbilder herauszukommen. In Liebermann fand er einenfast gleichartigen Führer, der ihm den Weg ins Freie und in dieschöne Natur wies. Von dem neuen Freund« angeregt, ging Uhdenach Holland und malte nun blitzblanke Nähstuben mit nettenMädchen in weißen Hauben, malte Fischerkinder und tiefe Durch-blicke auf sonnenbeschienene Wege, nicht viel anders als der Bcr-liner Maler, der auch erst vor kurzem bei Israels in die Schulegegangen war. Doch in dem so lebendigen, ausdrucksvollen Bilde„Der Leiermann kommt", in einzelnen feinen Freilichtstudien zeigtsich bereits die persönliche Note llhdes; etwas nüchtern und trockenwirkt er neben der geistreich nervösen Art Liebermanns; aber etwasInniges, Treuherzigdeutsches, die hingebende Liebe zum Gegen-stand und die Leidenschaft der Beobachtung durchdringen alles undgeben dem Bilde die große Form. Die wieder in München gemalte„Trommelübung" ist der meisterhafte Abschluß dieser Periode, zu-gleich ein erstes ganz gelungenes Hauptwerk Uhdes. Sie habenetwas von Courbets großer Monumentalität, diese eifrig übendenTrommler auf dem weiten Feld, und sind doch zugleich so sorg-fältig durchgearbeitet bis ins Kleinste I Die völlige Illusion desNatürlichen, verklärt von einer unaufdringlich leuchtenden Schön-heit, ist hier erreicht, ein großes Wunder der Kunst vollbracht.Der Meister der„Trommelübung" brauchte keinem deutschenMaier zu weichen, selbst Menzel nicht. Aber die Bewältigung derWirklichkeit schien ihm wohl hier fast zu weit getrieben; dieseTrommler, die für die Ewigkeit hingestellt schienen, waren nichtganz der würdige Stoff einer modernen Epopöe, die Uhde vor-schwebte. Die Szenen der Bibel, die dem Protestanten von Kind-heit auf lieb und vertraut waren, stellten sich seiner Seele dar imSpiegel der Armeleutmalerei und er verband Ewiges mit den»Zeitlichen, das Religiöse mit dem Naturwahren. Auf diesem neuenGebiete find dem Maler einige künstlerische Leistungen geglückt»") Vom Kunst wart ist eine hervorragend gut ausgestatteteUhde-Mappc mit einleitendem Text von Avenarius herausgegeben.Sie enthält außer zahlreichen Textbildern 23 einfarbige undS farbige mit Verständnis ausgewählte Bilder.(Preis 10 M.'