410 man ununierbrochen gerade Striche nebeneinander setze; man könne das doch auch an Figuren lernen, die dem Leben ent- nommen seien: oberstes Gesetz sei doch, daß der Unterricht lebendig und interessant sei; Striche und Quadrate seien aber weder lebendig noch interessant für kleine Kinder... Aber das waren sozusagen Gedanken, und auf Gedanken ließ sich Drögemüller, um kein Präjudiz zu schaffen, niemals «in. ,,O, Herr Semper," rief er.Quadrate sind wohl inter- essant, wenn Sie sie nur vorher mit den Kindern ausführlich besprechen, wie ich es Ihnen gezeigt habe." Was Sie mir gezeigt haben, ist Geometrie und gehört . da Sie doch immer auf den Lehrplan pochen in eine höhere Klasse. Das würde mich nun zwar nicht hindern; aber eine lange und breite Besprechung des Quadrats würde die Kinder schon deshalb öden, weil sie gar nicht begreifen wür- den, was ein Quadrat sie überhaupt angehe." Mit dem Hinweis auf den Lehrplan hatte dieser fatale Semper recht, und darum wurde Drögemüller jetzt ganz un- angenehm. Herr Semper," heulte er nach Art einer Schiffsirene, »ich frage Sie formell und dienstlich, ob Sie sich meinen An- ordnungen fügen wollen oder nicht!" In diesem Falle nein," versetzte Asmus. Gut. Tann werde ich dem Herrn Schulrat Bericht er- statten." Ich auch." sagte Asmus und ging. Nach drei Tagen hatte er die Vorladung vor den Schulrat Dr. Korn. 43. Kapitel. (Von zweierlei SchulrätcnJ Als er am Abend mit Doktor Rumolt spazierte, zeigte ihm die Vorladung und erzählte, was vorhergegangen. Haha" Rumolt lachte bitter auf. und dann fuhr er wehmütigen Tones fort:Das wird Ihnen noch oft begegnen, lieber Freund. Nirgends ist der Fortschritt verhaßter, nirgends werden neue Ideen feindseliger befehdet als in der Pädagogik. Denken Sie zum Beispiel an unfern braven Valentin Jckelsamer. Der fand zu Luthers Zeiten, daß es ein Unsinn sei. die Kinder nach Buchstabennamen lesen zu lehren, man müsse das Wort in seine wirklichen Laute zerlegen und die Kinder lautierend lesen lassen. Er machte das damals schon klar, daß es ein Schwachkopf begreifen konnte. Und in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts entschloß die Schule sich wirklich, diesen einfachen und darum freilich genialen Gedanken zur Ausführung zu bringen. Aber das ist ein Beispiel von fabelhafter Geschwindigkeit. In den Klosterschulen des Mittelalters bildete man den Geist am Griechischen und Lateinischen , weil man nichts Besseres hatte; heute bildet man den Geist unserer Jugend am Griechischen und Lateinischen mit der ernsten Gesichtes abgegebenen Ver- ficherung, daß man nichts Besseres habe. Der typische Scho- lorch weist jede ernste und gründliche Neuerung mit einem durch die kommenden Jahrhunderte gestreckten Arme von sich, und wenn er im Gegensatz zu einem Vorgänger den Aorist vor dem Perfekt behandelt, hält er sich für einen Umstürzler. Ich habe ein Buch erscheinen lassen:Das Recht des Schülers" Ich kenne es," sagte Asmus,und freue mich, daß es so großen Anklang gefunden hat." Anklang, ja aber bei den Kollegen war der Anklang nur schwach, der Widerspruch um so stärker. Das ist kein Un- glück, soweit es offener und durchdachter Widerspruch ist. Aber was muß ich erleben? Kaum ein Tag vergeht, daß ich nicht im Konferenzzimmer, recht auffällig auf den Tisch ge- legt, irgendeine abfällige Kritik meines Buches finde, in der die Kraftstellen mit roter Tinte angestrichen sind. Kein Ge- Lpräch verläuft ohne hämische Seltenhiebe gegen mich und meine Ideen; keine Wochenrede meines Direktors geht zu Ende ohne einige Fußtritte, bei denen die Schüler sich zu- raunen:Das geht auf Rumolt." Die Herren glauben, daß ihre Kritik mich verletze, und haben keine Ahnung, daß es ihr Wesen ist, das mich verwundet. Ich habe keinen frohen Tag mehr, und da ich von meinen Ideen und ihrer Verkündung Vicht lassen kann, so werde ich über kurz oder lang das Spiel Verlaufen müssen." lFortsetzung folgt.) JVorwcgifcbc Briefe» m. Der gewesene Student, der.K a n d i d a t". ist eine der mar» kantesten und einflußreichsten Gestalten, die Norwegen befitzt. Gegensatze zu Westeuropa trägt aber den Namen.Kandidat' hier nicht der Hörer der letzten Univerfitätssemester, sondern wer oaS Recht besitzt, die Universität zu besuchen. Bei dem großen Bildungs» dränge,' den die Norweger befitzen, ist der Andrang zu den Mittel- schulen groß, aber in diesem Lande mit kleiner Bevölkerungszahl (zirka 2% Millionen) ist kein großes Feld für die akademischen Berufe. Dazu kommt noch, daß Norwegen nur eine Universität (in Kristiania ) besitzt, waS den Aufenthalt in der Hauptstadt bedingt. Nun find aber die Entfernungen immense, die Bevölkerung arm, so daß die Reise und der Aufenthalt in der Stadt Beträge erfordert, die die wenigsten befitzen. Der Kandidat bleibt daher in der Provinz, in den Ueinen Städten oder auf dem Lande und ergreist einen anderen Beruf. Kauf- leute, Beamte und Bauernhofbefitzer tragen in Massen den Kandidatentitel und diese Menschen find es auch, die das geistige und politische Leben der Landstädtchen bestimmen, und ihm ein eigenes Gepräge geben. Kaum in einem anderen Lande Europas dürste die Hauptstadt politisch und kulturell so einflußlos sein wie hier. Das liegt vor allem an der immensen Ausdehnung der Küste und den beschrankten Kommunikationsmitieln im LandeSinnern. Die Reise von den Westfinnmarken nach Kristiania währt mit dem Dampfer sieben bis acht Tage(von Kristiania nach New Jork llV« Tage) und auf dem raschesten Wege(von Trondheim mit der Siienbahn) 4'/, Tage. Dazu kommt noch, daß Kristiania in der Geschichte des Landes gar keine Rolle spielte, daß die Westfjorde, das alte Wikingerland, Bergen das von deutschen und holländischen Kaufleuten begründet wurde das Handelszentrum und die älteste Kulturstätte war, während Trondheim die alte Königsrefidenz war, heute noch Königskrönungsstadt ist und politisch am einflußreichsten war und noch ist. Im Jahre 1801 zählte Kristtania erst S S38 Ein- wohner. Bergen aber 17 122 und Trondheim 9042. So jung ist die Stadt Kristiania und darum auch politisch und kulturell so ein- flußlos. Dafür haben die.Distrikte" eine so große Selbständigkeit und die in allen Städtchen und in vielen Gehöften(Dörfer besitzt Nor- wegen garnicht) lebendenKandidaten" tragen das ihre dazu bei, die Selbständigkeit zu erhalten und zu fördern. Auf fie ist das rege politische Leben auch in dem kleinsten Flecken zurückzuführen und wohl auch der Umstand, daß es in Landslädtchen von 2 bis 3000 Einwohnern drei bis vier lokale Blätter gibt. Das ist auch der Grund, weshalb in den Jbsenschen sozialen und politischen Stücken die Provinz immer der Schau- platz der Handlung ist, weshalb der.Kandidat" und Redakteur ge» wöhnlich im Bordergrunde steht und weshalb immer der Kampf in den.lokalen Verhältnissen" wurzelt. Es ist eine Tatsache, daß hier zu Lande, wenn es auch gemeinsame.nationale Fragen" gibt, der politische Kampf und das geistige Leben ungemein lokalisiert ist. Neben den großen Entfernungen zwischen den einzelnen Städten kommt dann der Charakter der Landbevölkerung dazu, die vor allem in der engeren Heimat, im Lokalen wurzelt. Da aber bei diesen kleinen Verhältnifien die Oeffentlichkeit die in der Presse ihren Ausdruck findet eine so große Rolle spielt, ist es begreiflich, daß man sich bemüht, eine gute Prefie zu erhalten, und aus diesem Streben hat Norwegen Wohl als dos einzige Land in Europa staatliche Reise st ipendien für Journalisten, um ihnen die Möglichkeit zu geben, im Jnlande und im Auslande neues zu sehen und ihre Erfahrungen durch die Presse in das öffentliche Leben zu übertragen. Eine schöne und rühmliche Einrichtung ist eS auch, daß das Storthing neben temporären.Künsllergagen" an Schrift- steller und Maler, auch lebenslängliche Stipendien an mittellose Künstler gibt. Allerdings hat in den letzten Jahren sich die Storthingsmajorität nicht sehr ausgezeichnet. Sie hat dem Komponisten S v e n d s e n die Künstlergage entzogen mit der Begründung, daß er bereits mehr als 20 Jahre in Kopen- Hagen als Musikdirektor der Oper lebe. Nun hat aber gerade Svendscn es abgelehnt, die dänische Staatsbürgerschaft zu»werben und ist danach als Ausländer nicht pensionsberechtigt. Da Svendsen nach G r i e g s Tod der populärste und bedeutendste nor- wegische Komponist ist, hat dieser Storthingsbeschluß sehr verstimmt. Noch mehr erregt aber hat der Beschluß des Storthings, die Nomi- nierung der Schriftstellerstipendiaten nunmehr dem Minister für Kultus und Unterricht zu übertragen, da er vor dem Lande dafür die Verantwortung trägt. Bis jetzt oblag diese einer Kommission. die zu gleichen Teilen aus Delegierten der.Schriftsteller- Vereinigung" und des Unterrichtsministeriums besteht; diese Kommission" soll jetzt nur ein Vorschlagsrecht an das Ministerium haben. Mit dieser Einschränkung ihrer Rechte geben sich aber die Schriftsteller nicht zufrieden; sie befürchten mit Recht, daß statt der künstlerischen Erwägungen nun diegute Gesinnung" des Schrift­stellers ausschlaggebend werden soll. Der sozialdemokratische Storthingsmann Dr. E r i ch s e n erinnerte bei der Debatte über diese Aenderung daran, daß, als Ibsen nach Beendigung seines DramasDie Komödie der Liebe" um ein staatliches Stipendium