Mnterhaltungsblatt des Horwärts Nr. 107. Freitag, den 6 Juni. 1903 <Nachdruck verboten.) m Semper der Iüngimg. Ein Bildungsroman von Otto Ernst  . - Und als er bald darauf eines Morgens unmittelbar von der Schenke in die Schule ging er blieb immer Herr seines Handelns und gab nach solchen Nächten cht seine besten Stun­den, aber als er nun mit einem aus Hohlheit und Heber- sättigung gemischten Gefühle vor den Kindern stand und in rotwangige Gesichter, in klare Augen sah, die in der Schön- heit und Hoffnung des jungen Morgens zu ihm kamen, da sagte er leise, aber ihm selbst hörbar, vor sich hin: Nun ist es genug." Nein, man blieb nicht, der man war, und die Romantik der Verlumpung war eine Lüge. Er hatte Abschied von ihr genommen. Frau Rebekka hatte über seine nächtlichen Ausflüge genug geklagt und gejammert; ihre Gardinenpredigten konnten sich neben den besten ihrer Gattung hören lassen, und mütterliche Gardinenpredigten mögen wohl noch eindringlicher sein als eheliche, weil sie aus selbstloseren Gründen ent- springen. Rebekkens Bemühungen, auch ihren Gatten zu solchen Predigten aufzumuntern, blieben freilich ganz er- folglos. Ludwig antwortete im Geiste seiner Philosophie: Laß ihn. was soll ich ihm sagen!!" Ja, wenn ich Dir das erst sagen soll wenn Du das nicht selbst weißt f" rief Frau Rebekka.Merkwürdig! 'n Mann, der den Kopf voll Gelehrsamkeit hat und alle Sprachen spricht" Nicht alle," versetzte Ludwig trocken und verlangt von mir, daß ich ihm sage, was er sagen soll!" Ja, ich bin zu dumm dazu," sagte Ludwig mit feinem Lächeln. Ach Gott  , mit Dir ist ja kein Auskommen!!" rief Re- bekka, lief in die Küche hinaus und klagte laut den Tellern und Töpfen ihr Leid. Ludwig und AsmuS Semper verband nun einmal aus Vordaseinszeziten her ein Vertrauen, das die sorgende Frau Rebekka nicht begreifen konnte. Uebrigens beabsichtigte Asmus keineswegs, die Welt- und Fleischeslust in sich zu ertöten und auf die Freuden eines ge- sclligen Trunkes prinzipiell zu verzichten. Und er hatte es nicht zu bereuen, daß er an einem vielverheißenden Vorfrüh- lingstage in die Kuhlmännische Akademie ging. Er traf dort seinen Kollegen Mansfeld  , eben jenen Herrn, der eine Pensio- närin namens Hilde Chavonne im Hause hatte. Asmus sckzwankte, ob er sich zu ihm setzen solle; aber eine eigentümliche Gewalt zog ihn fast gegen seinen Willen an denselben Tisch. Sie sollen sich mal mein neuestes Bild ansehen," sagte Mansfeld  , der in seinen Mußestunden malte, im Laufe des Gesprächs.Kommen Sie mit und essen Sie mit uns zu Abend. Meine Frau wird sich freuen." O," stammelte Asmus,das ist sehr liebenswürdig, ich komme natürlich gern einmal aber heute Hab' ich eine wichtige Sitzung, bei der ich auf keinen Fall fehlen darf." Das ist was anderes," sagte Mansfeld  . ' Die Rede kam aber doch bald auf die Pensionärin, und Asmus fragte mit glänzend ausgepuffter Munterkeit und mit einem sehr kunstreichen Lächeln: .Na, wie geht's ihr denn?" Na, soso lala!" Wieso?" rief Asmus erblassend.'Ist sie nicht glück- lich?" Dscha wie man's nehmen will. Ihre Verlobung ist ja zurückgegangen, das wissen Sie doch?" Zurück?" Asmus war aufgesprungen.Zuriickge gangen? Ich weiß kein Wort. Ich bitte Sie wart»m?" Er hatte sich wieder gesetzt. Gott   das arme Lkind sie hat eine schwere, traurige Kindheit verlebt und von den Menschen nicht viel Gutes er fahren. Vater und Mutter sind tot; als ihr da einer von Liebe sprach, schmolz ihr das weiche Herz und sie glaubte, das Glück Wäre endlich dal" Nun und? Was weiter?" Asmus bog sich immer weiter über den Tisch. Nach wenigen Wochen erkannte sie, daß sie sich geirrt. Uebrigens ein braver, ordentlicher Kerl, aber nicht das, was das Herz einer Hilde Chavonne braucht. Entschlossen und mutig, wie sie bei all ihrer Milde ist, trug sie ihrem Verlobten die Lösung des Verhältnisies an. Und er, wie er kein Mann für sie war, hatte wohl auch nicht erkannt, was er an ihr be- saß; er erklärte sich schließlich einverstanden." Und so weit Asmus sich vorgebeugt hatte, so weit lehnte er sich jetzt zurück und blickte schweigend vor sich hin. Wenn eine lange getragene Last von uns abfällt, fühlen wir erst, wie schwer sie gewesen ist. Auf seinen Soldaten- Märschen hatte er Mantel und Tornister, Helm, Patronen und Waffen als Selbstverständliches ohne Murren getragen; ober wenn'er. in die Kaserne zurückgekehrt, alles abgelegt hatte, dann hatte er gefühlt, wie schwer die Bürde gewesen. Ganz so war es ihm jetzt, ganz so; denn es war ihm, als habe es ihm aus Hirn, auf Nacken und Schultern gedrückt. Uebrigens," rief er ganz unvermittelt und wurde über rot,da fällt mir ein: die Sitzung ist ja erst morgen.(Ein Geschickterer würde vielleicht gesagt haben:In acht Tagen!") Wenn Sie Ihre Einladung nicht bereuen, nehm' ich sie jetzt noch an." Mansfeld   unterdrückte ein Lächeln und erklärte, daß ihm nichts erfreulicher sein könne als dieser Entschluß. Und Asmus ging mit. 48. Kapitel. Wiederum tanzt eine Salome; wiederum heischt sie das Haupt des Johannes." Als die beiden Männer in das Wohnzimmer traten, fanden sie Frau Mansfeld   mit einer Handarbeit, Fräulein Chavonne mit den Vorbereitungen zum Unterricht des folgen- den Tages beschäftigt. Die junge Dame saß mit dem Rücken gegen das Licht; aber gleichwohl glaubte Asmus zu bemerken, daß sie erschrecke und erblasse. Zwar lächelte sie, als sie ihm dann die Hand gab; er zweifelte aber doch nicht daran, daß er ihr unangenehm und unwillkommen sei. Mansfeld   holte sein Bild hervor, und Asmus nahm es in Augenschein: wäre er verpflichetes Mitglied einer Jury gewesen, so würde der gute Mansfeld   wohl nicht allzuviel Schmeichelhaftes zu hören bekommen haben; aber abgesehen davon, daß Asmus sich durchaus nicht als Kenner fühlte, gehörte er nicht zu jenen unentwegten" Bekennern, die die Wahrheit auch dann sagen, wenn sie nur verletzt und keinem nützt; er machte also dem harmlosen Dilettantismus Manfeldens neben einigen Aus- stellungen ein paar balsamische Komplimente. Nach dem Abendessen sagte Mansfeld  :Ich habe Sie so lange nicht gehört möchten Sie nicht ein Gedicht sprechen?" Asmus, ohne sich zu zieren, stand auf und sprach, zwar in Hinblick auf die Anwesenheit der Damen mit einiger Be- fangenheit,Des Sängers Fluch  ". Frau Mansfeld   war eine überaus fleißige und praktische Frau und ließ auch während des furchtbarsten Fluches die Häkelnadel nicht ruhen; Hilde aber, die inzwischen zu einer Stickerei gegriffen hatte, ließ schon nach den ersten Versen die Hände in den Schoß sinken und horchte mit großen Augen. Nun schlug Mansfeld   vor, man möchte jede Woche doch einmal zusammenkommen und etaws Gutes lesen, namentlich Dramatisches; er komme fast nie ins Theater, und Asmus setzte für nächsten Mittwoch Emilia Galotti" aufs Repertoire. Frau Mansfeld   indessen, die die Claudia lesen sollte, lehnte jede Beteiligung entschieden ab; sie wollte mit dem Theater nichts zu tun haben. Sie konnte sich nicht verstellen: sie war Frau Mansfeld   aus Hain  - bürg und nicht Claudia aus Italien  , und überdies wußte sie, daß in dem Stück ein junges Mädchen verführt werden sollte. So etwas paßte sich nicht für eine Lehrersfrau, und . im Grunde ihres Herzens mochte sie es etwasfrei" von dem Fräulein Chavonne finden, daß es sich auf Asmussens Bitte bereit erklärte, sogar das zu verführende Mädchen selbst� zu verkörpern. Asmus las den Prinzen und Appiani. Mansfeld  den Marinelli und Odoardo; aber es ging doch nicht. Dieser las nämlich den Marinelli wie einen stellungsuchenden Schneidergesellen, und sein Odoardo wäre durch ein guteA Glas Bier mit Leichtigkeit zu besänftigen gewesen. Er sah