Nnterhaltungsölatt des Horwärls Nr. 103. Sonnabend, den 6. Juni. 1908 (Nachdruck verboten.) u] Semper der IUngimg. Ein Bildungsroman von Otto E r n st. . Es ist klar, daß ein Ereignis oder eine Erwägung, die ihn von den Mittwoch-Besuchen hätte zurückhalten können, bald zu den undenkbaren Dingen gehörte. Zu Hause und unter den Freunden, im Konzert und Theater, in Wissenschaft und Kunst gab es keine Freuden, und am allerwenigsten gab es unter dem himmlischen Gezelte Naturerscheinungen, die ihn hätten hindern können, am Mittwoch nachmittag nach dem ländlichen Vororte hinauszupilgern, in dem die Mansfelds wohnten. Die altgeheiligte Ordnung des Wochenreigens hatte sich verkehrt; der Mittwoch war zum Sonntag gewor- den. Sehr schlau bemerkte Frau Rebekka eines Tages mit dem Scharfblick des Weibes und der Mutter:Da bei den Mansfelds, da muß ein Magnet sein." Mit dem Magnet hatte es seine Nichtigkeit. Wenn der Sommernachmittag gar zu verlockend ins Fenster lachte, ließen sie Bücher Bücher sein, wanderten zu vieren hinaus nach Eppendorf , Lokstedt oder Niendorf und ergaben sich auf einer Wiese dem Neifenspiel. Von den Freundinnen Hildes hatte er gehört, daß ihr Turnlehrer sie immer vor allen ge- rühmt habe wegen ihrer Anmut; eines Tages, als sie sich zu schwach gefühlt und sich von der kaum erfaßten Reckstange wieder hatte fallen lassen, da hatte der Lehrer gerufen:Fräu- lein Chavonne fällt sogar mit Grazie vom Reck!" Asmus konnte dem Manne nur von ganzem Herzen recht geben, und wie derMagnet" beim Lesen seine Blicke, seine Stimme, seine Gedanken anzog, so flogen ihm jetzt die meisten der Reifen zu, die Asmus zu versenden hatte, wenn er auch galant genug war, sich hin und wieder der gnädigen Frau zu er- innern. Ein Spiel auf grünem Rasen in heller Sommerluft, das war nun ohnehin für das Herz des Asmus ein ununter- brochener Freudentanz; als er nun aber auch noch das liebliche Mädchen mit seinen schmalen Füßen in flatterndem Gewände über den sonnengrünen Teppich hüpfen sah, da schien ihm, daß die Welt wohl überhaupt schön sei, daß sie aber noch nie so schön gewesen sei wie an diesem Tage. Anmut der Bewegung und körperliche Geschicklichkeit waren nicht seine Stärke; aber mit dem, was er konnte, kokettierte er redlich, und er hatte das Gefühl, daß er plötzlich mehr könne, als er sich zugetraut. Freilich, bei einem unparteiischen Zuschauer würde auch Hilde Chavonne den Verdacht erweckt haben, daß ihr der Eindruck ihrer Sprünge und Tanzschrittchen nicht gleichgiiltig sei, und daß sie wie jedes junge, schöne, tanzende Weib um den Kopf eines Mannes tanze. Und gewiß hätte Asmus ihr lieber seinen Kopf auf einer Schüssel entgegengetragen, als ihr von Liebe zu sprechen. Wenn es sich auf dem Heimwege traf, daß sie allein neben- einander gingen, dann begann wieder jenes wunderlich. närrische Doppclspiel von Lippen und Herzen, das sie schon damals, nach Asmussens einmaligem Auftreten als König getrieben hatten. Sie sprachen über einen Roman oder über eine Schulverordnung oder über ein Sonnentaugewächs, das sie gefunden, oder iiber eine Wolkenbildung, und mit allem, was sie sagten, meinten sie:Ich liebe Dich ich liebe Dich!" Es war eine Chiffresprache, die sie redeten.Dieser Weg führt nach Bahrenfeld, " bedeutete soviel wie:Du bist ein entzückendes Geschöpf!"Die Linden haben ausgeblüht" sollte heißen:Ich möchte Dich küssen": aber keiner hatte den Schlüssel zur Sprache des anderen. Das Herz des Asmus drängte, raunte, flüsterte ihm zu wie ein eifriger Souffleur: Sag es ihr, sag es ihr, tu den Mund auf es ist gar nicht schwer und sag:Süße Hilde, ist Hab Dich lieb!" Wie kann ich dennDu" zu ihr sagen!" erwiderte Asmus. Meinetwegen sagSie", entgegnete das Herz,aber sag etwas!", und dann tat Asmus wirklich den Mund auf und sagte:«Jetzt wird ja auch bald der neue Bahnhof eröffnet." Sie war doch zu hoch, zu heilig; sie konnte sich an einem Menschen wie ihm nicht geniigen lassen. Sie hatte es ja auch bewiesen, als sie sich verlobte. An ihm war sie vorbei- gegangem Endlich, endlich kam eine prächtige Gelegenheit, dem Herzen Luft zu machen. Mansfeld hatte mit seinen Schülern einen Ferienausflug unternommen, und Asmus und die Damen hatten sich angeschlosien. In einer hübschen Garten» Wirtschaft, die den freundlichen NamenZum Morgenstern" führte, hielt man Rast, und Hilde hatte sich daran gemacht, die gepflückten Feldblumen zu einem Strauße zu ordnen, als Asmus zu ihr trat. Mansfeld und Frau waren abseits mit den Kindern. 49. Kapitel. (Asmus Semper wird streitsüchtig, wettet, lügt, vergreift sich an Goethe und benimmt sich feige.) Wo haben Sie die Calluna gepflückt?" fragte Asmus, indem er einen Zweig der Glockenheide aufnahm. Im Moor. Aber das ist nicht Calluna, das ist Erika." Das ist Calluna." Das ist Erika." Das ist Calluna." Das ist Erika." Sie lachten beide. Das Heidekraut ist Erika, und Calluna ist die Glocken» Heide," sagte Asmus. Er hatte sich's inzwischen überlegt und wußte, daß sie recht habe; aber er fand es viel hübscher, mit ihr zu streiten. Im Gegenteil," lachte sie,die Glockenheide heißt Erika." Wetten?" rief Asmus. Ja!" Ihre Augen leuchteten, Um was?" Sie machte plötzlich ein ernstes Gesicht und sagte zögernd: Wenn Sie verlieren, müssen Sie mir ein Gedicht schenken. Das ist wohl schrecklich unbescheiden, nicht wahr?" fügte sie schnell hinzu. Ich fürchte, es ist nur allzu bescheiden," sagte Asmus, Und was geben Sie mir, wenn ich recht habe?" Das weiß ich noch nicht das findet sich dann," sagte sie errötend. Am Abend hatte er es fast eilig, von ihr fortzukommen, damit er zum Dichten komme. Sie wollte ein Gedicht von ihm! War das nicht ein Zeichen von Liebe? Ach nein, ach nein. Andere Damen hatten ihn auch schon darum gebeten, sicherlich ohne ihn zu lieben. Die Mädchen prunken gern mit dergleichen so weit kannte er die Mädchen auch. Freilich: so war sie nun eigentlich nicht.-. Einen Augenblick dachte er, er wolle ein Akrostichon auf ihren Namen machen, weil das so schön deutlich sei. Aber er schalt sich sofort darüber aus:Erstens ist es läppisch und keine Dichtung, und zweitens wäre es nicht mehr deutlich, sondern frech." Er nahm nun eine Maske vor, die Maske eines Mannes, der sich aus dieser Welt des Alltags nach der Welt der Romantik, nach der Zeit der schönen Melusinen, der Minnesinger und der Ritter sonder Furcht und Tadel sehnt, und schoß sein Ottaverimengebäude also: Wie schlüg' ich gern, ein schwcrtgcwandter Ritter, Mit leichtem Mut mein Leben in die Schanze, Wie schwang' ich gern im Schlachtenungewitter Für der Bedrückten Recht die wucht'ge Lanze! Vor Raubvcrließen sprengt' ich Wall und Gitter lind kehrte heim mit wohlverdientem Kranze. Dann blühte mir, die Frucht von blut'gen Saaten» In starker Brust das stolze Glück der Taten. Wie gern... doch still! ES öffnen sich die Zweige Ein leises Knistern über meinem Haupte Ich forsche, daß der süße Mund sich zeige, Der so verstohlcn-leisen Kuß mir raubte Du bist's Geliebte! Komm hervor und neige Dein Haupt mir zu, das frühlingSgrün-umlaubtel Verlassen hat ein schöner Traum die Lider Die schön're Wirklichkeit erkenn' ich wieder! Mich trog ein alter Wahn bis ich erwachte In deinem Arm, im heimatlichen Walde! Ob je so schön wie heut' herüberlachtc Der Silberstrom, die farbenreiche Halde? Auch heut' bekämpf' ich kühn, was ich verachte, Zlpar nicht als Ritter, doch als freier Skalde; O steh zum Horizont die Sonne gleiten: Noch lebt die Schönheit wie in alten Zeiten!" Ob das zu kühn war? Ach neir jedenfalls: bor dem Tintenfaß hatte ex Mut; ex schrieb es aus sein schönstes