Papier , schob es in einen feinen Briefumschlag, liebkoste jeden Buchstaben ihres Namens mit den Augen, als er die Adresse schrieb, und ging zum Briefkasten. Als der Brief schon halb tti der Spalte steckte, zauderte er einen Augenblick. Sollte er's wagen? Aber ein höherer Wille stteß ihm an den Ellbogen und der Brief fiel hinein. Asmus seufzte tief auf. Das war ein entscheidender Schritt, dachte er. Schon am übernächsten Morgen hatte er einen Brief. Sehr geehrter Herr Semper! Haben Sie innigsten Dank für das wunderschöne Ge- dicht! Ich Hab es schon viele Male gelesen, und jedesmal gefällt es mir besser. Aber wetten darf ich nicht wieder mit Ihnen; denn solchen Einsätzen vermag ich nichts entgegen- zustellen. Ich werde Ihr Gedicht an sicherer Stelle verwahren. Mit schönsten Grüßen Ihre sehr ergebene Hilde Chavonnc." Beim ersten Lesen schien ihm der Brief eine feurige Liebeserklärung: beim zweiten schien er ihm nur noch eine Liebeserklärung, und je öfter er ihn las, desto mehr wurde er sich klar, daß diesen Brief auch jede andere Dame geschrieben haben könnte. Jede? Nun ja, er war sehr freundschaftlich gehalten: aber gute Freunde waren sie ja schließlich wohl. Ich werde Ihr Gedicht an sicherer Stelle verwahren!" Das konnte heißen: Ich werde es am Busen tragen es konnte aber auch heißen: Ich werde es in meiner Kommode ver- schließen. Und dann der Satz:Aber wetten darf ich nicht wieder mit Ihnen!" Sie gab ihm zwar eine sehr bescheidene Begründung; aber konnte nicht auch ein feiner Verweis darin liegen: Du bist zu dreist gewesen!? Freilich: da stand: Mit schönsten Grüßen Ihre sehr ergebene." Das war sehr viel! Aber eine steife,zippe" Hamburgerin, die den Herren nur die Fingerspitzen reicht und beim Gruß nur mit der Hut- feder nickt, war sie ja überhaupt nicht, obwohl sie in Hamburg geboren war. UndIhre ganz ergebene" stand nicht da.... Als er sie wiedersah es war an einem Sonntagmorgen fühlte er wohl bald an ihrem Dank und ihrem Geplauder, daß sie an einenVerweis" nicht gedacht haben könne: aber sie trug ein weißes Mvrgenkleid mit rosa Bändern, und darin sah sie nun aus wie eine Königin der Lilien! Ach, armer Asmus! Du hast im Ernste geglaubt, solch ein Weib könnte für dich blühen? Dies Kleid schlug all seine Hoffnungen nieder. Und so war er denn genau so weit wie vordem. Zum Glück ließ die Wirkung des Kleides, als er die Trägerin nicht mehr vor Augen hatte, nach, und er gelangte zu dem Ergeb- nis: Ich muß noch einmal mit ihr wetten! Er traf sie bei seinem nächsten Besuch mit einer zierlichen Arbeit beschäftigt. Auf ein weißes Blatt legte sie in mehreren Schichten nacheinander schöne Blätter der verschiedensten Pflanzen, und nach jeder Lage besprengte sie das Ganze mit einer dünnen Sepialösung. Wenn alles beendigt war, kam ein anmutiges Bukett der reizendsten Blattformen zum Vor- schein. Es war eine Arbeit, die nicht viel Kunst, wohl aber Sorgfalt und Geschmack erforderte. Als sie nahezu beendet war. betrachtete Hilde ihr Werk mit geneigtem Kopfe und sagte: Die Grazien sind leider ausgeblieben."> Halt, dackste Asmus, das ist eine Gelegenheit. Sagt Schiller ." fügte er hinzu. Er wußte ganz genau, haß er sich an Goethe vergriff. Ist das nicht von Goethe?" fragte sie, einen Augenblick durch seine Bestimmtheit unsicher gemacht. Nein, von Schiller ." Da wurde er doch rot. Doch es ist ausTasso!" rief sie. Keine Spur. Von Schiller ist es." Sie lachte:Fangen Sie schon wieder an?" Wollen wir wetten, daß ig. von Schiller ist?" rief er. Sie wurde purpurrot und rief:Ja!" Um was?" Wenn Sie unrecht haben nein, es wäre zu unbe- scheiden!" Sie können nicht unbescheiden sein." Ein Gedicht? Wollen Sie?" Mit Freuden. Und wenn Sie unrecht haben?" Was verlangen Sie dann?" Asmus hob die eben vollendete Arbeit auf-Dieses Blatt!" Nicht dies, aber ein besseres!" Dann holte sie denTasso" vom Bücherbrett, konnte abev die Stelle nicht sofort finden. Darf ich?" fragte Asmus.Wenn sS drinsteht, werde ich es bald finden." Er blätterte einen Augenblick.Wah» haftig, Sie haben recht! Tasso sagt es vom Antonio." Sie triumphierte.--- lFortsetzung folgt.) JVietzfcbe und der Sozialismus. Die lebhaften Zeitungs- und GerichtSlämpfe, di« um das Erbe und das wahre Bild Friedrich Nietzsches geführt werden, lenken die Augen auch des Proletariats einmal wieder auf diesen Philo» sophen, der einer seiner wildesten Hasser und Verächter war. Da» rüber war der Sozialismus sich ja von vornherein klar: Mögen die autokratifchen und volksfeindlichen Theorien des jungen Philologie» Professors auch in rein persönlichen teils psychostathologischen Umständen ihren Grund haben, sicher ist. daß sie nie eine so exaltierte, bis ins Närrische sich steigernde Verbreitung gefunden hatten, wenn nicht die aufstrebende Konjunktur der 70er und 80er Jahre den Machtkitzel innerhalb der Bourgeoisie angestachelt, wenn das riesenhafte Anschwellen des Proletariats in Wirtschaft und Politik nicht die Gefahr einer Demokratisierung der Industrie nahe- gerückt hätte. So ist der kranke Philosoph aus Sils-Maria recht eigentlich durch das rote Gold berühmt geworden, das er so ehr- lich gehaßt hat eine Ironie, die in der Geschichte nicht eben selten sich ftndet. Der Streit um den toten Nietzsche wird geführt zwischen Weimar und der Schweiz . In Weimar sitzt die Schwester> wir alle haben sie früher geehrt als die Schwester ihres Bruders. Aber sie hat sich nicht als solche bewiesen. Diese eitle Frau mit den peinjich geordneten Löckchen auf der Stirn, mit dem Diener auf dem Wagen, mit dem gut bürgerlichen Sinn für Geldverdienst, wo immer er nicht riecht, hat mit der Seele ihres Bruders nichts ge- mein. Aber was schlimmer ist, sie hat in ihren Händen das ge- samte Material zu Nietzsches Biographie. Man mag nun zu Nietzsche stehen wie man lvill, Tatsache ist, daß er eine große Be- deutung für das geistige Leben der Bourgeoisie des ausgehenden Jahrtausends besitzt. Im Interesse der Geschichtsforschung liegt es also, daß das biographische Material in zuverlässige Hände kommt. Denn Frau Förster hat sich das geht für jeden Unbeteiligten aus dem Gang der Broschüren, Prozesse und Zeitungspolemiken hervor nicht als eine wissenschaftlich zuverlässige, von reinen Motiven der biographischen Forschung getriebene Archivleiterin be» währt. Sie hat die wissenschaftlichen Mitarbeiter behandelt wie Hausknechte und einen nach dem anderen hinausgeworfen, sie hat versucht, das ganze Bild ihres Bruder» inS Bürgerliche, Wohl­anständige zu übersetzen, sie hat in ihrer Biographie Erlebnisse» die ihr im Interesse des Halbgottcharakters ihres Bruders nicht paßten, verkürzt oder ganz unterschlagen, so z. B. das Verhältnis zwischen Nietzsche und dem großen Renaissancehistoriker Jakob Burckhardt , oder die Beziehungen zwischen Nietzsche und Fräulein Lou Salome usw., sie sucht endlich die schweizerische Tradition über Nietzsche , die im Besitze von Briefen ist, die das Archiv nicht in den Händen hat, entweder zu unterschlagen oder als neben- sächlich hinzustellen. Diese dagegen, die schweizerische Tradition, Franz Overbeck , Karl Albrecht Bernoulli. der Dichter Karl Spitteler usw. vertreten den menschlichen Nietzsche , den Nietzsche, wie er war, mit seinen unendlichen Fähigkeiten, aber auch mit seinen Schwächen und Fehlern. Sie sind alles andere als mißgünstige Verkleinercr eines genialen ManneS/ Vielmehr hat erst das Nietzschc-Archiv mit seinen unverfrorenen Machinationen sie auf den Plan gelockt oder vielmehr gedrängt. Der Streit hat schon manche interessante Aeußerung Nietzsches, die sonst vielleicht verloren gegangen wäre, ans Licht gebracht(darunter Acußerungen Nietzsches über die Qualitäten seiner Schwester, die ebenso derb wie für Frau Förster kompromittierend sind). Zwar ist das Erscheinen des zweiten Bandes von Karl Albrecht Bernoullis Nietzsche�iographie, die eben die schweizerische Tradition verkörpert, in zweiter Instanz ver» boten worden, und daS Material zu Nietzsches wirklicher Biographie liegt alko erst dann vollständig vor, wenn Frau Försters getreuer Schildknappe, Peter Gast , der durch den zweiten Band auf Grund seiner Korrespondenzen in höchst eigentümlichem Lichte erscheint. nicht mehr unter den Lebenden weilen wird. Immerhin aber genügen schon die bisher veröffentlichten Stücke, um die Archiv- leitcrin und ihre Tätigkeit aufs schlimmste bloßzustellen. Auch auf Nietzsches Verhältnis zum Sozialismus wirft die Biographie Bernoullis mit ihrem reichen Material neues Licht. Der Haß Nietzsches gegen den Sozialismus hängt mit der Grundlehre seiner Moral zusammen. Diese Moral lautet folgender» maßen: Gut heißt stark, böse heißt schwach. Unter Menschen soll der Starke herrschen, und der Schwachesollsein Sklave sein. Aus dwsen Sätzen schloß Nietzsche , daß es in der menschlichen Gesellschaft ewig eine Schicht Herrscher und ein« SchichtMassen oder Pöbel" geben müsse und