Nemesis. Asmus hatte entdeckt, daß die weibliche Seele außerordentlich empfindlich ist gegen den Spott, und von nun an brauchte er nur zu sagen:Berta Klapp, ich werde nächstens wieder einen Aufsatz vorlesen dann wurde Berta Klapp ohne weiteres umgänglich. Von solchen und anderen Strapazen erholte er sich, indem er sich unter Hildens Oberaufsicht zum zweiten Examen vor- bereitete, zu jenem Examen, das die feste Anstellung gewähr- leistete. Es war die lustigste und Mfrischendste Büffelei von der Welt. Sie Pilgerten hinaus in jenen anmutigen Garten Zum Morgenstern", wo sie sich um Erika und Calluna ge- stritten hatten, setzten sich in eine Laube und tranken Kaffee. Dann gab er ihr den betreffenden Schmöker in die Hand, und sie fragte ihn mit redlichem Eifer, was darin stand. Es war eine der schwersten Prüfungen, die man sich denken kann, viel schwerer als die gewöhnlichen; denn gewöhnlich haben die Examinatoren nicht solche Augen, solche Nase, solche Wangen, solchen Mund, solches Haar, solche Stimme! Eine Stunde wohl und länger gab er ihr treulich auf alles Bescheid, bis ihm die Sache doch zu unnatürlich wurde. Einen Schluß nach Cclarent," verlangte sie von ihm. Einen Schluß nach Celarent? Ron!" Kein Weib ist schön(nach Schopenhauer )! Alle Hilden sind Weiber. Also keine Hilde ist schön." Sie drohte mit dem Finger.Herr Semper?. Ich werde Sie durchfallen lassen!" Ach bitte, Herr Professor, lassen Sie mich nicht durch- fallen, ich möchte so gern heiraten!" Haha, heiraten wollen Sie? Wen denn?" Ein entzückendes, ein wonniges, ach Gott, ein Sie haben ja keine Ahnung, Herr Professor. Erlauben Sie, daß ich Sie küsse" Was fällt Ihnen ein!" Sie stieß ihn auf seinen Platz zurück.Bilden Sie einen Schluß nach Dariii" Nach Darii? Wie Sie wollen." Alle Basen färben rotes Lackniuspapier blau. Hilde ist eine Base. Also-färbt Hilde rotes Lackmuspapier blau." Dann sah sie wohl ein, daß mit ihm nichts mehr an- zufangen sei; sie klappte lachend das Blich zusammen und schlug ihm damit auf die Finger. Lieber, süßer Professor," rief er,die Logik, die Sie mir da abfragen, ist ja der gottvergessenste formalistische Ouatkch, ist ja das blankste scholastische Blech von der Welt! Bevor ich etwas davon wußte, Hab ich genau so konsequent gedacht wie jetzt oder konsequenter. Ach bitte, Herr Pro- fessor, tun Sie Ihr Täschchen aus und geben Sie mir vom Brote des Lebens." Dann verzehrten Sie den Proviant, den Hilde mit- gebracht und den sie mit gewohnter Delikatesse bereitet hatte; er ließ es sich mit Ausdauer schmecken und meinte:Die Brotgclehrten haben doch nicht so ganz unrecht." lFortsetzung folgt.) (Nachdruck derbsten.) .Die Gcfcbicbte der lieben Sebängten. Von Leonid Andrejew. > Autorisierte Uebersetzung. Ein paar Tage darauf starb der Pächter an Blutvergiftung. Jansion aber wurde, als bei der Aburteilung der eingebrachten Räuber und Mörder die Reihe an ihn kam, zum Tode verurteilt. In der Gerichtsverhandlung war er ganz genau derselbe winzig kleine, scheue, sommersprossige, aus verschlafenen Glasaugen dreinschauende Jansion wie sonst. Er schien die Bedeutung dessen, waS rings um ihn vorging, nicht recht zu verstehen und war äußerlich völlig gleich- gültig: er blinzelte mit den weißen Wimpern, betrachtete stumpfsinnig, ohne Neugier, den ihm unbekannten großen Saal und bohrte dabei mit dem rauhen, schwieligen, ungelenken Finger in seiner Nase. Nur wer ihn früher des Sonntags, beim Gottesdienst in seiner lutherischen Nirche gesehen, hätte erraten, daß er sich für diesen be- deutsamen Tag ein wenig ausstaffiert hatte: er trug einen schmutzig- roten, gestrickten Schal um den Hals und hatte hier und da sein Haar angefeuchtet; dort, wo es feucht lvar, erschien es dunkler und lag glatt an, während es sonst in hellen, zottigen Büscheln in die Höhe starrte wie die Getreidehalme auf einem mageren, vom Hagel- schlag getroffenen Felde. Das Urteil lautetezum Tode durch den Strang". Als es ver- kündet wurde, geriet Jansson plötzlich in heftige Erregung. Tiefe Röte bedeckte sein Gesicht, und er begann seinen Schal auf- und zuzubinden, als wenn er ihm die Lust benähme. Dann fuchtelte er mit den Armen in der Lust umher und sagte, zu dem Richter ge» Ivandt, der das Urteil nicht verlas, während er mit dem Finger nach dem Lesenden zeigte: Sie hat gesagt, daß man mich aufhängen muß." Was für einesie"?" fragte der Vorsitzende, der das Urteil ver- lesen hatte, in tiefem Baß. Alle lächelten, suchten ihr Lächeln indes hinter ihrem Schnurrbart oder in den Akten zu verstecken. Jansson aber wies wiederum mit dem Zeigefinger nach dem Vorfitzenden und sagte zornig, mit gerunzelter Stirn: Du!" Na- unl Jansson wa.'dte seinen Blick wieder dem schweigenden, verhalten lächelnden Richter zu, in dem er einen ihm wohlgesinnten Freund vermutete, der mit dem Urteil nicht das geringste zu tun hatte, und wiederholte: Sie hat gesagt, daß man mich aufhängen muß. Mich darf man nicht aufhängen." Man führe den Angeklagten hinaus!" tönte es vom Richterstuhl. Aber Jansson fand noch einmal Gelegenheit, mit Ueberzeugung und Nachdruck zu wiederholen: Mich darf man nicht aufhängen." Er machte mit seinem winzigen, zornig erregten Gesichte, dem er vergeblich einen gewichtigen Ausdruck zu verleihen suchte, und mit seinem vorgestreckten Zeigefinger einen so kläglichen Eindruck, daß selbst der Soldat von der Eskorte seiner Instruktion zuwider ihn ansprach und ihm, während er mit ihm zum Saal hinausschritt, halblaut zuflüsterte: Bist Du ein Dummkopf, Junge!" Mich darf man nicht aufhängen," wiederholte Jansion trotzig. Man wird Dich schon hochziehen und nicht einmal Muck wirst Du mehr sagen." Na, schweig schon still!" fuhr ihn der andere Soldat von der Eskorte an. Aber er konnte doch selbst nicht an fich halten und fügte hinzu: Bist mir'n schöner Räuber! Wie konntest Du dummer Kerl ein Menschenleben zugrunde richten? Nu kannst Du bammeln." Vielleicht wird er begnadigt," meinte der erste Soldat, der mit Jansson Mitleid empfand. Wie denn? Einen solchen Burschen begnadigen... Na, genug jetzt,'s lohnt nicht, noch weiter davon zu reden." Aber Jansion war bereits verstummt. Man brachte ihn wieder nach der Zelle zurück, in der er bereits einen Monat gesessen hatte. und an die er schon gewöhnt war, wie er sich an allem im Leben gelvöhnt hatte; an die Prügel, an den Branntwein, an die düsteren mit runden Hügeln besäten Schneefelder, die wie ein Friedhof aus- sahen. Er war sogar ganz vergnügt, als er jetzt seine Pritsche und sein vergittertes Fenster wiedersah und zu essen bekam er hatte seit dem Morgen nichts gegessen. Unangenehm war ihm nur die Erinnerung an das. was da im Gerichtssaal vorgegangen war, aber darüber lange nachzudenken das war nicht seine Sache. Und vomTode durch den Strang" hatte er überhaupt keine Vorstellung. Jansion war nun zwar zum Tode verurteilt, aber solcher Delinquenten wie er gab es viele im Gefängnis, und man hielt ihn sür keine besonders wichtige Nummer. Man unterhielt sich mit ihm ganz ungeniert und ohne große Umstände, wie mit jedem nicht zum Tode Verurteilten. Es war, als wenn nian seinen Tod überhaupt nicht als Tod betrachtete. Als der Ausseher das Urteil venrahm, - er zu Jansson in schulmeisterndem Tone: Na. siehst Du, Bruder nun werden fie Dich aufhängen!" Und wann werden Sie mich hängen?" fragte Jansson un­gläubig. Der Auffeher dachte nach. Ja, Bruder, da wirst Du wohl noch ein Weilchen warten müssen. ES muß erst'ne Partie zusammen sein. Um einen lohnt sich's nicht, groß was herzumachen, noch dazu um so einen, wie Du bist. So was macht Umstände." Na wann also?" fragte Jansion hartnäckig zum zweitenmak. ES kränkte ihn ein wenig, daß es sich nicht einmal verlohnen sollte, ihn allein zu hängen, und er glaubte das auch gar nicht, sondern hielt es nur für einen Vorwand, um die Hinrichtung hinaus­zuschieben und fie dann überhaupt nicht stattfinden lassen. Und eS ward ihm ganz stoh zumute: der furchtbare, unbestimmt drohende Moment, den er sich gar nicht vorstellen konnte, ward irgend wohin in die Ferne entrückt und bekam damit etwa? Sagenhaftes und Un- wahrscheinliches, wie jeder andere Tod. Wann, wann!" wiederholte der Auffeher, ein finsterer, in fich gekehrter Mensch in ärgerlichem Tone.Du denfft Dir das so wie 'neu Hund aufhängen man führt ihn hinter die Scheune, eins, zwei, drei fertig I Das könnte Dir so passen, Dummkopf I" Ich will aber nicht!" rief plötzlich Jansion vergnügt, während sein Gesicht sich in Runzeln legte.Sie hat gesagt, daß man mich aufhängen muß, ich will aber nicht I" Und vielleicht zum ersten Mal in seinem Leben geschah eS, daß er laut auflachte: eS lvar ein krächzendes, albernes, doch dabei höchst vergnügtes, fröhliche« Lachen. Wie wenn eine Gans geschrien hätte: ga ga ga I Der Aufseher sah ihn höchst verwundert an und setzte dann eine strenge Amtsmiene auf: diese abgeschmackte Lustigkeit eines Menschen, dem die Hinrichtung bevorstand, erschien ihm wie eine Ver- unglintpfuna des Gefängnisses und der Todesstrafe selbst, die beide