Unterhaltungsblatt des Horwärls Nr. 116. Donnerstag, den 18. Juni. 1903 (Nachdruck verboten.) Semper der IüngUng. Ein Bildungsroman von Otto E r n st. Zu solchen Stunden brachte er wohl auch trotz aller Examenbüffelei ein Gedicht mit. und eines Tages brachte er ihr eins, das einehartnäckige Liebe" besang. Jan Reimers hatte vor gar nichts Furcht. Er rettete damals die beiden Dänen. r wißt Wohl es wollte keiner dran ritz sie dem blanken Hans aus den Zähnen. Nun war da die Antje Nissen ei ja, Die mochte dem starken Jan Wohl taugen! Schmuck war ste, alles was recht ist man bloss Z Ihr guckte der Deubel aus beiden Augen. Aber Jan, wie gesagt, war bange bor nichts. Und so freit' er um Antje. Sie ziert' sich nicht lange Und sagte Ja und ward seine Braut. Aber als sie'S war, da ward ihm doch bange, Schon vor der Hochzeit alle Tag Krieg! Verdammt, denkt Jan, nur noch drei Wochen, Dann ist die Hochzeit. Sie lässt mich nicht loS. Aber ste ist ein Stachelrochen. Da denkt euch da kommt ihm Hilf in der Not! Bei Südsüdost wird Jan Reimer» verschlagen Er rennt aus die Klippen da? Schiff zerkracht Eine Planke hat ihn nach England getragen. Sein erster Gedanke war:Jung, wat'n Glück, Nu bin ick verschollen! Das's Gottes Wille!" Er stopft sich die Pfeife mit nassem Shag Und steckt ste in Brand bedachtsam und stille. Sein Ewer freilich war Grus und MuS. Na ja," denkt Jan,wat is dor Slimm'S bil Ick hev hier Fisch un hev hier Tobak." Und er lebte orei Jahre vergnügt in Grimsby . Aber die Welt ist ein Rattenloch. Ein Landsmann muß ihn gesehen haben. Jan bummelt am Hafen, die Fäust' in der Tasch', Sich recht an Freiheit und Sonne zu laben Da hört er plötzlich ihm schießt'S in die Knie Seinen Namen rufen von weiblicher Stimme: Jan Reimers! Jan Reimers!" Ihm war's als rief DeS jüngsten Tages Posaun' ihn mit Grimme! Aber Jan hat Courage: er stellt sich taub! Da ruft Antje Nissen: Du solltest dich schämen! Nun tu' doch nicht so, als wenn du nicht hörst, Du Feigling, du!" Da mußt' er sie nehmen. Sie lachte, als er geendet hatte, und dann nahm er noch einmal das Blatt und schrieb mit Bleistift oben über das Gedicht: Meiner Antje Nissen In Schauern der Ehrfurcht gewidmet." Da lachte sie noch herzlicher, und ihr Lachen führte immer unfehlbar zum Küssen. Vom Küssen kamen sie dann wieder ins Lachen, kurz, es war der alte wohlbekannte oirculus Titiosua, der ja in der Regel eine wichtige Rolle spielt. Es kann nicht von allen Szenen dieser Art berichtet werden, um so weniger, als sie für den älteren Leser eher ärgerlich als unterhaltend sind. Nur so viel sei gesagt: Sie liebten sich so zärtlich, daß sie die zärtlichen Worte und Kose- namen unseres Sprachschatzes längst verbraucht hatten und, wenn sie ihre ganze Liebe in ein recht von Grund aus er- schöpfendes Wort pressen wollten, zu Injurien greifen mußten Wenn er sie zu hart angefaßt hatte, rief sie mit einem goldenen Lachen in den Augen:Du Gassenjunge du, du Rowdy l" und er flüsterte mit überquellendem Jubel:Du Hexe du, du Teufelsweib!" und meistens, wenn sie dergleichen gesagt hatten, kam gerade der Kellner. Asmus Semper war damals noch recht unbekannt, sonst würde gewiß eines Tages in den Zeitungen gestanden haben, daß er und seine Braut sich Hexe" undGassenjunge" schimpften. Wenn sie dann nach der hochnotpeinlichen Vrüfung an die Elbe hinuntcrwanderten, sich in den Sand streckten und die Schiffe kommen und gehen sahen, wenn Hilde heimlich herbeischlich, ihr Gesicht leise iiber das seine neigte und ihn küßte, wenn dann alles Glück der Kindheitserinnerung mit dem Glück der Gegenwart in Asmussens Herzen Zusammen- schmolz, dann mußte er laut oder schweigend ein Dankgebet sprechen. Er, dem in trüben und schweren Tagen nie der Gedanke an einen persönlichen, väterlich waltenden Gott kam, in Augenblicken überwältigenden Glückes hatte er das Be- dürfnis nach irgendeinem Wesen, dem er danken könne, und unter Lachen und Tränen rief er stumm oder mit lautem Jubel in den Himmel hinauf:Herrgott, du verwöhnst mich, du verwöhnst mich entschieden! Lieber Gott, laß mich nicht ersticken in meinem Glück!" 55. Kapitel. (Zeichnet sich durch Kürze aus, die aber nicht Schuld des Ver- fasserS ist.) Nach dem zweiten Examen wollte Murow, der Seminar- direktor, ihn an die Seminarschule ziehen. Aber Asmus lehnte abermals dankend ab. Und bald darauf machten die beiden sich auf, eine Woh- nung zu suchen. In einer westlichen Vorstadt Hamburgs , in einem Hinterhäuschen, fanden sie zwei Zimmer, eine Kammer und eine Küche. Als sie diese Räume sahen, waren sie mit einem einzigen Blicke einverstanden: Hier kann das Glück wohnen. Als Asmus dem Hauswirt denGottes- Pfennig" in die Hand drückte, war der erstaunt über die Größe des Geldstücks. Es war ein Taler. Heute konnte Asmus es sich leisten, Grundeigentümer zu beschenken. Er war dem Manne so dankbar, daß er ihm die reizende Woh- nung abgelassen hatte! Als er aber für einen Aufsatz, den er in einer Zeitschrift veröffentlicht hatte, ein ansehnliches Honorar empfangen hatte, schenkte er der Geliebten ein Kleid von weißer Seide, und ihre Kolleginnen und Freundinnen schenkten ihr dazu einen Einsatz von köstlicher Stickerei. Wie eine Königin sollte sie aussehen. Die Ausstattung der künftigen Wohnung war ein un- unterbrochenes Fest. Jeder Stuhl und jedes Kissen war eine Freude für sich, und wenn sie ein Dutzend Teller kauften, so waren es zwölf Freuden auf einmal. Als aber am Abend vor der Hochzeit die Freundinnen zu Hilden in das künftige Heim kamen, um die letzte Hand an den Brautputz zu legen, siehe da hatte der treuherzige Handwerksmann die längst versprochenen Sitzmöbel noch immer nicht geliefert. Kurz entschlossen setzten sich die Mädchen in einem Kreis"'um Hilden herum auf den Fußboden und durchflochten ihr heiteres Werk mit Lachen und Singen. In einem Gartenlokal am Elbufer sollte die Hochzeit ge- feiert werden. Nicht umsonst zog es ihn in heiligen Tagen seines Lebens immer wieder an diesen Strom: auf seinen Fluten war die Seele des Knaben und des Jünglings von je in alle Fernen der Hoffnung gewandert. Mit Wolken und leisem Regen begann der Hochzeitstag, und auch, als sie aus dem Wagen stiegen, regnete es ein wenig. Es regnet in die Brautkrone," sagte eine abergläubische Ver- wandte,das bedeutet Glück". Und dann ward es ein stiller, wolkenloser, in seiner eigenen Schönheit seliger Maientag. Ludwig Semper und Goers der Riese waren Trauzeugen gewesen, und als nun Goers, der Gütige, sich zu einem Trink- spruch auf das Brautpaar erhob und ihm aus treuem, lauterem Herzen eine Schar von blühenden Kindern wünschte.- da errötete Hilde wohl, aber nicht in Unwillen, sondern in einem wirbelnden Gefühl von Scham und Glück. Und als sie noch beim bescheidenen Mahle saßen, erklang plötzlich ein langer, sanfter Geigenton: die Türen des kleinen Saales taten sich auf, wie von Geisterhand geöffnet, und von einem feinen und sauberen Streichquartett klang es herein: Treulich geführt, ziehet dahin,.... Wo euch der Segen der Liebe bewahr I Siegreicher Mut. Minnegewinn Eint euch in Treue zum seligsten Paar. Und am Pulte des ersten Geigers saß niemand anLers als Morieux. Asmus war aufs freudigste ergriffen von diesem zarten Geschenk: die Streicher wurden im Triumph an den Ti>h geholt, und als alle genug gegessen und getrunken hatten, erhob man sich zum Tanz. Asmus und Hilde aber bestiegen