Muhle. Fünf Schreiber saßen in der Stube! die Federn jagten.— Was die wohl jagen? Was für Masse Papier wird da verdorben I— Es ist alles Unsinn,— alles Unsinn, jawohl und— Dienstag soll Gräff sein. Der Leichenschmaus war ihm eine wichtige Handlung, darin erschöpfte sich die letzte Verantwortung, die er der Welt gegenüber fühlte. In seinen Gedanken begann er die Plätze zu verteilen und zu belegen. Hans Thun sollte Peter Hcesch gegenüber, links von Mars Steinmann, rechts von Henning Thöm sitzen. Das hätte auch uoch ins Testament hineingeschrieben werden können. Das war nicht, nun sollte es bleiben, wie es war, nun mochten sie selbst sehen. Hans Wiebcns Diele war groß genug. Genügte sie nicht, Hans Sievers nebenan hat auch ein großes Haus, eine lange Tafel zu machen. Da können denn die Knechte und Mägde sitzen. Das werden sie schon zurechtkriegen. Jörn sah, wie man die großen Terrinnen auftrug und wie man Messer und Gabel und Lössel hervorzog. Fleischklöße ohne Ende, dick im Grund, Mehlklöße, lose wie Butter, viel Fleisch und — Reis, fünfzig Kummen voll. Nun begann das Essen und das Plaudern und das Spaßen, auch über ihn. Ihm aber war, als läge seine Seele auf dem Hausboden gleich über der Diele und höre alles mit an und freue sich über die große, die gelungene Gräff. Dienstag soll Gräff sein, überlegte er.— Drei Tage muß eine Leiche stehen, die Vorbereitungen machen auch Umstände, unter drei Tagen wird unser Tischler gar nicht mit dem Sarg fertig. Er hat nur einen Gesellen und die Tischlerei in dem Neubau von Martin Böge hat er auch noch. Unter drei Tagen gehts nicht, ich will sin einem Dorssarg zur Gruft kommen: die Stadtsärge sind auch viel zu teuer. Montag, Sonnabend, Freitag— drei Werktage. --- Heut' ist Donnerstag, da müßte noch heut' nacht---? Der kleine, kranke, blasse, graue Mann stützte sich wieder auf den Stock. Auf acht Tage kommt es ja nicht an,— grübelte er. Ich kann's ja auf künftigen Donnerstag festfetzen.— Aber nein, das will ich nicht.— Ich werde von Tag zu Tag schwächer, ob ich's nach acht Tagen noch kann,— weiß ich nicht. Und wenn ich's nicht kann, dann liege und sterbe ich wochenlang, vielleicht monatelang.— Nur das nicht! Und dann will ich auch nicht wortbrüchig werden. Hans Thun und Peter Heesch warten. Bis ein Uhr ist Mondschein... Eine fremde Stimme fuhr in sein Sinnen hinein.-- Es war die Stimme des Sekretärs. „Hier, Suhrl" Er hielt ihm die fertige Abschrift hin. Der alte Mann schrak auf. Der Stock fiel zu Boden, der Sekretär nahm ihn auf. „Se ward beweri, Suhr." „Ja, Sekretär, dat Oeller, dat Celler." �,Dor," sagte Jörn Suhr—„för Se un de annern." Zwanzig Mark fielen in die Hand des Sekretärs. „Was soll ich damit, Suhr?" „Blots'n Andenken för den Herrn Sekretär un de jung Lud." „Danke, danke, vielen Dank."—„Nicht wahr," wendete er sich an die Schreiber,„wir danken alle."—„Ja. vielen Dank!" riefen fünf Stimmen. Sechs Hände drückten seine Zitterhand. Der alte Knabe ging die Treppe hinab. Neben dem Notar wohnte ein Seiler, da ging er �hinein. * Hoch über der Kopteinslage geht der Mond. — Er hat klare Bahn. Die schwarzen Wolken, die vor ihm her- fliege», sind klein. Aber im Westen dräut schwarze Nacht. Zwei Minuten noch,— nur zwei Minuten I— Dann ist's geschehen. Dann darfst du in Finsternis wandeln, guter Mond. *** Die Drossel lärmt und singt am Tage und nachts schläft sie in den Zweigen der Eiche.— In der Nacht weckte sie ein Ruck; die Zweige schaukelten. Sie gurrte und fragte sich, was das gewesen sei, und schlief wieder ein. Die Eiche greift mit muskelgeschwelltcr Kraft in die Ewigkeit hinaus. « �» Morgens schien die Sonne „Hierher, hierher!" schreit Hans Thun.— Sie suchten Jörn Suhr.„In die Kopteinslage hinein geht die Spur," ruft Hans Thun. Ein halbes Dutzend Männer drängten sich durchs Heck. Hans Thun war vorangegangen. Blaß und eilig kam er zurück.—„Betet ein Vaterunser, Jörn Suhr hängt in der Eiche." Wiederbelebungsversuche waren fruchtlos.— In Jörns Rocktasche steckte ein Papier. Das nahm der Bauernvogt an sich und sah hinein. «Eine Testamentsabschrift," sagte er.— Er las-- er las weiter.—„Das ist wichtig für die Gräff."—„Und auch für dich, Hans Thun," wandte er sich an diesen.— „Du kriegst silbernes Eßgerät und sonst noch was. Und du auch, Peter Heesch, Dienstag ist Gräff, und ich geb' die Diele her." CNnchdmck verboten.) Die Gefcbichtc der Heben Gehängten. Bon L e o n id Andrejew.— Autorisierte Uebersetzung. Nicht er hatte Furcht— sondern sein jugendlicher, kraftstrotzen« der Körper, der sich weder durch die Gymnastik des Dänen Müller noch durch kalte, kecke Negation täuschen ließ. Und je kräftiger, je frischer dieser Körper nach den kalten Abreibungen wurde, desto peinlicher und unerträglicher war ihm diese vorübergehende Furcht- empfindung. Und gerade in jenen Momenten, in denen er früher, als er noch frei umherging, das Gefühl der Lebensfreudigkeit und Kraft besonders stark empfunden hatte, am Morgen, nach dem ge- sundcn, festen Schlaf und den gymnastischen Uebungen— gerade da erschien jetzt diese jähe, gleichsam fremde Furcht. Er hatte das beobachtet und dachte bei sich: „Wie dumm ist das doch, Bruder Sergej: damit er leichter stirbt, muß ihn schwächen und nicht kräftigen. Zu dumml" Und er hörte auf mit der Turncrei und den Abreibungen. Dem Soldaten aber rief er, um ihm die Sache zu erklären und sich zugleich zu rechtfertigen, ins Türfenster zu: „Du wunderst Dich vielleicht, daß ich's aufgebe. Die Sache an pch bleibt aber trotzdem gut, Bruder. Nur für Leute, die an den Galgen kommen, paßt sie nicht— für alle andern aber ist sie sehr gut." Und wirklich wurde ihm danach ein wenig leichter ums Herz. Er versuchte auch, weniger zu effen, um schwächer zu werden, aber trotz des Mangels an reiner Luft, trotz der Einstellung der Leibesübungen war sein Appetit doch noch recht kräftig geblieben, und er aß alles auf, was ihm gebracht wurde. Da kam er auf einen neuen Einfall: er schüttete, bevor er noch gegeffen hatte, die Hälfte der Speisen in den Eimer, und das half ein wenig: eine dumpfe Schläfrigkeit und Ermüdung bemächtigte sich seiner. „Ich will� Dich lehren I" rief er drohend seinem Körper zu, während er zärtlich, mit traurigem Blick, seine Hand über die er- schlafften Muskeln gleiten ließ. Bald aber gewöhnte sich sein Körper auch an dieses neue Re». gime, und die Todesfurcht erschien von neuem— allerdings nicht so jäh und so heftig, dafür aber um so drückender, wie eine Art Uebelkcit. „Das kommt davon," dachte Sergej,„daß sie die Sache zu lange hinziehen. Das beste wäre, man könnte diese ganze Zeit bis zur Hinrichtung verschlafen." Und er bemühte sich, so lange wie möglich zu schlafen. An- fangs gelang ihm dies, dann aber stellte sich, vielleicht davon, daß er im Schlafen des Guten zu viel getan hatte oder aus sonst einem, Grunde, Schlaflosigkeit ein. Und mit ihr zugleich schlichen sich scharfe, quälende Gedanken und eine unwiderstehliche Sehnsucht nach dem Leben ein. „Fürchte ich mich denn vor diesem Satan... dem Tod?" fragte er sich.„Durchaus nicht— nur ums Leben tut es mir leid. Eine prächtige Sache, das Leben, was auch die Pessimisten sage.) mögen. Was mag solch ein Pessimist wohl denken, wenn er gehenkt werden soll? Ach, es ist doch schwer, sehr schwer, so vom Leben zu scheiden. Und wie kommt's nur. daß mir mit einem Male dieses Bärtchen gewachsen ist? Wuchs und wuchs immer nicht—» und jetzt, mit einem Male, ist es da. Warum das?" i Er schüttelte schwermütig den Kopf und seufzte— in gedehnten. schweren Seufzern. Jetzt schwieg er— und dann seufzte er tief und gedehnt; wieder ein kurzes Schweigen— und von neuem ein Seufzer, noch gedehnter. Noch schwerer. So blieb es bis zur Gerichtssitzung und bis zu dem letzten schrecklichen Wiedersehen mit den Eltern. Als er in seiner Zells mit dem klaren Bewußtsein erwachte, daß es zu Ende sei mit dein Leben, daß ihm nur noch ein paar furchtbare, leere Stunden de« Erwartung bevorstanden und der Tod— da ward ihm ganz seltsam zumute. Es war ihm, als hätte man ihn von allem entblößt, auf ganz ungewöhnliche Art entblößt: nicht nur die Kleider hatte man ihm genommen, sondern auch die Sonne, und die Luft, dio Töne und das Licht, die Taten und Worte. Noch war der Tod nicht da, doch auch das Leben war nicht mehr da, sondern statt seinen etwas Neues, etwas verblüffend Unbegreifliches, das einerseits! icdcn Sinnes bar war, andererseits aber wieder einen Sinn hatte, doch einen so tiefen, geheimnisvollen, über alles Menschliche hinausgehenden, daß es unmöglich war, ihn zu ergründen.
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25 (27.6.1908) 122
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