N«lerhallungsblatt des HorwärtsNr. 129.Mittwoch, den 8. Juli.1903�(Nachdruck derboten.tRoman aus dem modernen Sizilien von Emil R a S m u s s e n.Autorisierte Uebersetzung von E. Stine.Glaubt nur nicht, dies sei Phantasie und BilderspracheIm Verhältnis zur Natur sind wir immer die Kleinen, dieLandschaft formt ihre Menschen, nicht umgekehrt. Das fielmir zum erstenmal in meiner Jugend auf, als ich am Nilentlang fuhr. Ich sah Bilder von Aegyptern von drei-, vier-,fünftausend Jahren her. Ströme fremden BluteS sind feitjenen Tagen in ihre Adern gegossen worden. Und doch sindeS Männer mit denselben breiten Kiefern, denselben vierfchrötigen Körpern, die heute das Niltal bebauen. Ja sogardie Rinder des Nils! Man mag sie mit allen möglichenRassen vermischen, sie bleiben immer dieselben. Der Nilformt Menschen und Tiere nach seinem Gutdünken. Der Nilhat seinen eigenen Willen.Und seht nun, wieviele wilde Horden den Versuchmachten, uns zu unterjochen I Und was haben wir getan?Sie aufgesogen wie das Meer die Süßwasserflllsse aufsaugt— und doch gleich salzig bleibt. Wir weichen den Siegern,um zu unserer Zeit zu siegen. Ihre Sprache, ihre Religion,ihre Eigenart— wo ist all dies hin? Aufgesogen von denalten Geschlechtern. Und den letzten Rest der Wolfsbrutfiltrieren wir, säubern ihn von allem, waS uns widerstrebt.Wir wären imstande, ein ganzes Menschenmeer zu salzen,wenn es sein müßte.Dies unerschöpfliche Erdreich, diese glühende Sonneund unser hoher blauer Himmel, sie dulden nur ein Volk nachihrem Herzen. Darum ist es meine Andacht, hier oben zusitzen und die beredte Zeichensprache der Landschaft zu deuten,dem alliebenden Willen der Natur zu lauschen, der sich unerbittlich vollzieht-- durch unblutige Siege."Der alte Marchese schwieg.Die Sonne versank in den Wogen.Lidda legte bewundernd und dankbar ihre Hand in diefeine, ohne ihn zu unterbrechen, als erwarte sie mehr zuhören. Aber ihr Vater versank in Gedanken.„Wenn ich den Marchese sprechen höre," sagte Belladonna,„so muß ich an Empedocles denken."Lidda nickte ihm zu.Er hatte das erste Wort ausgesprochen, das sie auf-bewahrte und ihm gutschrieb. Dxr Marchese aber hörte ihnnicht.Sein Blick folgte einem blitzenden Wagen mit zweischnaubenden Schimmeln, die die an der Felslehne entlang-laufende Promenade dahintrabten. Angelos Mutter, GräfinDel Chiaro, saß darin mit ihrem Freunde, dem Kapitän.Die beiden jungen Leute fühlten, wo die Gedanken desMarchese weilten. Weit da draußen in dem öden Schwefeldistriktzog der Rauch aus seinen Schmelzöfen und trieb in schwerenSchwaden über die Erde hin. In noch weiterer Ferne erhobsich der Rauch aufrecht wie eine Säule— ex kam aus denSchmelzöfen Del Chiaros.Der Marchese blickte auf den niederen treibenden Rauchund fühlte den Kainsgroll brennen.Es lag ein Schatz in den Unterschichten seines Grundes,reiche Mineraladern. Seines Lebens Hoffnung war gewesen,einmal— ungewiß, auf welche Art— wohlhabend genug zuwerden, um moderne Gewinnungsanlagen zu schaffen, wie dieGräfin sie hatte, und den gefesselten Schatz zu heben, währender nun gezwungen war. das wenige, was er heraufholte, nachMethoden aus der römischen Zeit auszuschmclzen, wobei dieHälfte des Schwefels in den Schlacken blieb. Könnte er alleszutage fördern, was er in den Tiefen der Erde besaß, dannwäre ungeschmälerte Macht ihm sicher— zu Heil undFrommen der alten Ideale.Jetzt aber war er alt. Die Wucherzinsen fraßen anseinem Vermögen. Schon sah er den Wolf die Klaue hebennach der Beute, die er selbst nicht heimzuschleppen vermochte.Seine Tochter, sein einziges Kind, glitt zu den anderen bin-über: und mit ihr das Erbe, all sein Eigentum, zur Stärkungderer, die der Umschmclzung, der Reinigung bedurften: zurVerlängerung der Läuterungszeit. Zur Fehde gegen den all-liebenden Willen der Natur!Der Marchese tat einen tiefen Seufzer und erhob sich.„Mutter wartet," sagte er.Im selben Augenblicke erglommen die ersten Sterne. DieSonne sank. Die Promenade da unten leerte sich. Bei derGartenmauer standen Nedda und Turiddu und warteten mitden gesattelten Tieren.Es war Zeit heimzureiten.3.Gräfin Del Chiaro stand da und musterte den Tisch, derwie gewöhnlich in ihrem kleinen Kabinett zwischen dem großenSalon und dem Speisesaal gedeckt worden war.Als Antipasto gab es Schinken und Galantina mitgrünen Feigen. Es waren fünf Gedecke aufgelegt.Mittagsgesellschaften gab die Gräfin nie. Es war jedenAbend der Woche, ausgenommen Freitag, offenes Haus, dochnur zum Tee. Da die Gräfin jedoch nicht imstande war, dieGesellschaft ihres Mannes allein zu ertragen, so wurden tag-lich einige Gäste zu Mittag geladen, in der Regel Militärs«an den Freitagen Geistliche.Schlag fünf Uhr trat der unvermeidliche Kapitän Gas«tano Vigo ein und überreichte ihr, wie man ein Bukett über-reicht, ein paar Komplimente, die er unterwegs sehr zierlichgedrechselt hatte. Während er ihr die Hand küßte, warf exeinen Blick über den gedeckten Tisch.„Wer kommt, wenn man fragen darf?"„Ihr Freund, der Ingenieur."Kaum hatte sie ausgesprochen, als der junge IngenieurGianandrea Lo Forte eintrat und die Gräfin ehrerbietig, denKapitän kameradschaftlich begrüßte.Die beiden hatten einander in Rom kennen gelernt, wo sieein ganzes Jahr zusammen bei Jacobini auf Piazza Pietragespeist hatten. Auch war der Kapitän nicht ganz unbeteiligtan der Anstellung, die der junge Mann vor kaum einer Wocheals Ingenieur und Betriebsleiter in den Schwefelminen derGräfin erhalten hatte.„Gehen wir zu Tische," sagte die Gräfin.„Kommt niemand mehr?" fragte der Kapitän.„Angelo kommt nicht. Mein Mann weiß ja, daß wirjetzt speisen."Sie saßen und speisten schon— die Gäste ein klein wenigverlegen—, als der Graf eintrat, jedem die Hand reichte unddie Entschuldigungen der Gäste mit einer gewissen unverletzbaren Liebenswürdigkeit— man konnte einen Augenblickzweifeln, ob es Geschmeidigkeit oder die Stupidität eineßSklaven war— entgegennahm.Er war ein schöner großer Mann von vornehmer Haltung.Das dichte stahlgraue Haar war kurzgeschnitten wie einRobbenfell, den Schnurrbart trug er lang. Der unverkennbarmilitärische Anstrich seiner Erscheinung rührte von seinerKavalleristenzeit her, die durch den plötzlichen Tod seinesälteren Bruders, der, Junggeselle wie er selbst, ihm die Väternlichen Minen samt der ganzen übrigen Herrlichkeit hinter-lassen hatte, ihren Abschluß fand. Dagegen stammte dieFriedenspatina, die im Laufe der Jahre das Kriegerische fastbedeckt hatte, aus jener Zeit, da seine Schulden am Spieltischund bei Pferdekäufen immer erdrückender anwuchsen und ihnzuletzt trotz des Erbes zwangen, Gräfin Lucia, obwohl st«Witwe war und einen Sohn hatte, zu ehelichen. Adelig ge,boren, aber bürgerlich verheiratet— ihr Mann war eiftreicher alter Signor in Bologna— sehnte sie sich, nun da si«imstande war, ein selbst ziemlich angelaufenes Wappenschildzu vergolden, nach ihrer rechten Sphäre zurück. UebrigenSwar der flotte Kavallerieoffizier schon während ihrer Ehe de-günstigt gewesen. Er hatte als Liebhaber einen Mann vonganz anderem Guß abgelöst, einen patriotischen Dichter, dessenStatue nun Norditaliens Städte schmückt und der ihremältesten Sohne Vater war. Graf Del Chiaro hatte seine Wahlmit Ueberlegung und Fassung, überdies mit vollem Wissen ge-troffen, und nichts in seiner gegenwärtigen Stellung vermochteihm für längere Zeit seine heitere Ruhe zu rauben.Es herrschte Scirocco(heißer, trockener Wind). DieHitze war drückend und stach in die Haut. Die Gräfin ge-stattete den Herren zuvorkommenderweise, den Rock ab-zuwerfen, und als Silvia— eine schwarzäugige bleiche