sagen, mußten hin. Auf halbem Wege begegneten sie sich und blieben im Regen stehen. Die Kinder, die sich von der Stille der Großen bedrückt gefühlt hotten, wurden ganz und gar ausgelassen. Nun konnte ja noch alles gut werden. Die Männer drückten sich die Hände, einige versteckten sich und dankten in der Stille Gott . Sie hätten sich nicht zu verbergen brauchen, alle waren sich still- schweigend einig, daß heute ein Gefühlsausbruch gestattet wäre. Nachher mutzte man das wieder vergessen. Paul Sörensen war auf dem Felde, als der Regen kam. Un- endlich froh war er. Länger hätte sein Getreide es nicht aushalten können. Solange die Sonne noch schien, zweifelte er, aber als die Wolken sich schlössen und es zu ordentlich aufweichendem, dauerndem, fruchtbarem Regen kam, gab er sich völlig der Freude hin. Langsam ging er im Regen nach Hause, hob das Gesicht und ließ das kühle Ratz darüber laufen und seine Augen blenden, die Hände hielt er hin und ließ es darauf plätschern. Mit innerer Lust ließ er sich bis auf die Haut durchnässen. Da Pauls Grenze an die des Vrückcnhofsbauern stieß, traf er beim Heimgehen seinen Feind. Thomas kam das Haferfeld ent- lang, wo sich das Getreide neigte und die Feuchtigkeit trank und fast im selben Augenblick ergrüntc. Als Paul ihn sah, überwältigte ihn seine Freude, er hatte zur ganzen Welt Vertrauen gefaßt und meinte, alles müßte sich noch zum Besten wenden. Aber als er in Thomas Nähe gekommen war, wußte er doch nicht, was er eigentlich wollte; vielleicht hatte er nur den Drang, einen Menschen zu treffen und seine Freude und seine Hoffnung mit ihm zu teilen. Er blieb stehen und sah Thomas mit leuchtenden Augen und verlegener Freude an. Thomas sah ihn und setzte seinen Weg in demselben Tempo fort. „Dreckkerl!" zischte er leise, aber mit beißender Bosheit. Seine Zähne wurden sichtbar, die Augen stachen vor Haß. Weiter ging er. Jetzt erst kam es Paul zum Bewußtsein, daß er sich hatte mit Thomas versöhnen wollen. Er wurde wütend, bebte vor Verdruß. Er stand einen Augenblick still und sah hinter Thomas breitem Rücken, der sich langsam entfernte, her, dann ging er nach Hause. Als er einige Schritte gegangen war, brach er in Tränen aus, weiter schwankte er mit krummem Rücken. Im Herbst fiel das Urteil. Paul verlor und mußte den Hof verlassen. Niemand konnte ihm mehr helfen, er gab seine Sache verloren. Damit die Familie nicht geradezu dem Kirchspiel zur Last fiel, sorgte man, daß Paul eine Wohnung und etwas Acker wieder bekam; dürftig war's nur, Paul mutzte auf Arbeit gehen. Und der Gram knickte ihn, er lag die meiste Zeit zu Bett. Die größeren Kinder dienten, aber fiinf Mäuler waren noch im Hause satt zu machen, und wieder war Jörgine guter Hoffnung. Es war mit ihr, Haus Nielsens Tochter, jetzt soweit gekommen, daß sie mit einem Eimer bei den Bäuerinnen rund gehen und Milch erbetteln mußte. Anfangs hielt sie sich vom Brückenhof fern. Aber als sie einmal nirgend sonst was bekommen konnte, ging sie doch hin. Und dann war sie öfters da, wenn sie in der Klemme saß. Sie wußte, Thomas weigerte sich nicht, ihr was zu geben. Schelte und Ermahnungen, die bei diesen Gelegenheiten für sie abfielen, nahm sie mit in Kauf. Eines Tages, als Gäste in der Stube waren, bot Thomas Jörgine Geld an. Sie nahm es und freute sich darüber. Thomas hatte es ihr jedoch nur angeboten, weil er glaubte, sie würde nein sagen. Als er es nun herausrücken mußte, warf er ihr in starken Ausdrücken ihre Fruchtbarkeit vor. Wenn sie so blutarm wären, müßten sie sich doch beherrschen können, obgleich— er wandte sich zu den Gästen— arme Leute wohl kein anderes Per- gnügen hätten. Pauls Familie erging eS recht kläglich, schließlich mußten sie doch die Hilfe des Kirchspiels in Anspruch nehmen.— Thomas vergab und vergaß aber nicht. Als Paul gestorben war, machte er sich über die Kmder� bezichtigte einen der Söhne des Diebstahls, verleumdete die anderen. Viel richtete er jedoch nicht aus damit, weil er bei den Leuten verhaßt war; er lebte mit den meisten im Unfrieden, immer hatte er Prozesse mit mehreren. Er scheute sich nicht, direkt auf einen Hof zu gehen und den Besitzer anzuranzen, jedem Menschen sagte er die unangenehmsten Dinge gerade vor den Kopf. Frau und Kinder hatten es auch nicht zum besten bei ihm. Er lebte aber in großem Wohlstand; er handelte mit Vieh und betrog, daß es den Leuten gelb und grün vor den Augen wurde. Es war ihm eine Kleinigkeit, einem Häusler eine Kuh anzu- drehen, die nachher bedeutende Fehler aufwies. Es war bekannt, daß er seinen alten Vater ums Altenteil gebracht hatte, so. daß er bei dem Schwiegersohn Zuflucht suchen und bei dem sterben mußte. Aber wunderlich ging es doch mit dem Brückcnhofbauer zu, tr wurde doch noch ausgelacht, ehe er ein Ende nahm. Thomas hatte eine Zeit lang gehustet, nach einem Winter sah er recht schlecht aus. Endlich kriegte seine Frau ihn zum Arzt. „Ja," sagte Doktor Ericksen,„Ihr Bauern kriecht so lange zwischen Euren Kühen herum, bis jeder zweite von Euch Tuberkeln hat. Sie haben die Lunge proppenvoll, es steht faul mit Ihnen!" Thomas erwiderte nichts, er ging nach Haufe, nahm die Arzeneien. Kein Wort sprach er lange Zeit hindurch. Aber der Huste verschlimmerte sich, der starke Mann war bald abgemagert. Wieder ging er zum Arzt und ließ sich gründlich untersuchen. „Wie lange kann ich noch leben?" fragte er dann barsch und sah dem Arzt ins Gesicht. „Wenn Sie vernünftig leben, können Sic noch ein Jahr leben, vielleicht auch zwei!" «Was ist vernünftig?" fragte Thomas höhnisch lachend.'" „Sie müssen sich vor Aufregung hüten, vor allen Dingen aber vor Erkältungen !" „Ja, dann ist es alles einerlei!" sagte Thomas und nahm seine Mütze. Er kam nach Hause und war wie eine Gewitterwolke. Bisher hatte er wie ein anständiger Mensch gelebt, aber an dem Tage nach der Konsultation fuhr er ins Wirtshaus— das Gehen fiel ihm schon schwer— und kam knüppclduhn nach Hause. Sein eingefallenes Gesicht war totenblaß, als man ihn brachte. Es ging aber noch solcher Respekt von ihm aus, daß man ihn trotz seiner Bewußtlosigkeit mit größter Ehrerbietung behandelte l Schluß folgt.) kleines Feuilleton. Naturwissenschaftliches. A bst a m ni u n g s l ehr e und Darwinismus. Von Prof. R. H e s s e.„Aus Natur und Geisteswelt."(Verlag Teubner. Mit 37 Figuren im Text. Preis geb. 1,25 M.) Die Entwickclungs- oder Abstammungslehre behauptet, daß die jetzt lebenden Pflanzen unst Tiere veränderte und umgebildete Nachkommen von Pflanzen und Tieren sind, die in früheren Zeiten die Erde bewohnten. Seit dem Jahre 1859, als Darwin sein Buch „Ueber die Entstehung der Arten " veröffentlichte, hat die Ab- stammungslehrc der ganzen biologischen Forschung die Richtung gegeben; kein Zweig der Forschung ist von der Abstammungslehre unbeeinflußt geblieben. Dem entspricht aber nicht die Verbreitung der Ideen der Abstammungslehre im Volke. Die größte Schuld fällt hier der Volksschule zu. Der in seinem Dunkel sich spreizende „Mittelstand" zieht gegen die Abstammungslehre mit dummen Gemeinplätzen über die Weisheit des Schöpfers und die göttliche Natur des Menschen zu Felde. Der Arbeiter beugt ehrfurchtsvoll sein Haupt vor der Majestät der wissenschaftlichen Forschung und begreift, daß es die Abstammungslehre ist, die das Recht auf ihrer Seite hat. Aber eine Kenntnis der Grundlagen der Abstammungs - lehre wird man auch beim Arbeiter nicht immer finden. Gar mancher sagt sich, daß„der Mensch vom Affen abstammt", und damit ist die Sache abgetan. Das Büchlein von Hesse, das nun- mehr in dritter Auflage erschienen ist, kann einem jeden als vor- treffliche Einführung in die Abstammungslehre in die Hand ge- geben werden. Wer es aufmerksam liest, tut einen Einblick in die Werkstätte wissenschaftlichen Forschcns und Denkens und wandelt von nun an andere Wege auch in seinem eigenen Denken.„ Das Büchlein gliedert sich in zwei Teile. In dem ersten be» spricht der Verfasser die Tatsachenreihcn, die die Abstammungslehre als eine unumstößliche Wahrheit, as einzige Erklärungsmöglichkeit für diese Tatsachen erscheinen lassen. Die Herausentwickclung einer neuen tierischen Form ist ein langsamer Prozeß, der sich nicht unmittelbar beobachten läßt. Wenn wir auch direkte Beweise für die Veränderlichkeit, für die Unbeständigkeit der Arten haben. so müssen wir jedoch im großen ganzen uns auf indirekte Beweise beschränken. Die Systematik, die vergleichende Anatomie, die Em- bryologie(Keimesgeschichte), die Paläontologie(Versteincrungs- künde) und die Tiergeographie(die Hesse in den einzelnen Kapiteln bespricht) liefern uns eine erdrückende Fülle von Tatsachen, die nicht anders als durch die Annahme einer styfenweisen Entwicke- lung erklärt werden können. Es sei besonders hervorgehoben,, daß Hesse in seiner Darstellung nur solche Beispiele wählt, die einem jeden geläufig sind, das Gedächtnis nicht belasten, sondern nur an das Verständnis des Lesers appellieren. Es sind Beweise, die sich dem denkenden Menschen geradezu aufdrängen. Wer kennt nicht den Walfisch, dieses Säugetier des Meeres, den Seehund, den Pinguin? Alle reden sie eine eindringliche Sprache im Sinne der Abstammungslehre. Wir lernen ihren Bau verstehen, nur wenn wir die Annahme machen, daß sie von landlebenden Tieren abstammen, die eine den neuen Lebensbedingungen im Wasser ent- sprechende Umwandlung einzelner Körperteile erfahren haben. so daß sie zu ganz neuen Arten wurden. Aus der Keimesgeschichte sei auf das Beispiel der Entwickclung des jungen Frosches aus dem Froschei hingewiesen: sie sagt uns eine ganze Menge über die Ab- stammung des Frosches. Die kiemenatmende fischähnliche Kaul- auappe wird zum landlebcnden luftatmcnden Frosch. Wie könnten wir uns diese Schöpferlaune anders erklären als durch die An- nähme, daß der Frosch von fischähnlichcn Vorfahren abstammt? Unter den Knochcnrestcn und Abdrücken von Tieren, die wir in den verschiedenen Schichten der Erdrinde vorfinden, ist es vor allem der befiederte Urvogel, der Archäopteryx, der unser Interesse wachruft. Er hat Zähne in den Kiefern und Krallen»in den Vordergliedmaßen(seinen Flügeln) wie die Eidechsen, die Rcp» tilicn. Und auch sonst spricht der Skelettbau des Urvogels für
Ausgabe
25 (17.7.1908) 136
Einzelbild herunterladen
verfügbare Breiten