-- Ein junges Mädchen in Laicntrcicht kam herein unki bat Zhn in einem gereizten Ton, ihm zu folgen. Während sie über das Bett gelehnt standen, schlug Assunta ein paar Sekunden die ficberglänzenden Augen auf, sah Ettore an und sagte: „Dank, Angelo, ich wußte ja, daß Du kommen würdest." Dann versank sie wieder in ihre Betäubung. Das junge Mädchen zog Ettore ans Fenster. Ihre 'Stimme zitterte vor Trotz und Groll, als sie zu ihm sagte: „Dies ist ein Verbrechen, das das Herz zerreißt!" „Sie haben recht!" „Waruin kommt Ihr Bruder nicht?. Er hat sich nicht so viel um Assunta gekümmert." „Mutter will es wohl nicht. Es ist vielleicht auch für Assunta am besten." „Ich hasse Ihre Mutter. Sie saß gestern hier und küßte Assuntas Hände und weinte. Ich hätte sie erschlagen können!" Es war eine sprühende Energie in dem Groll des jungen Mädchens. Sie schien sich Luft machen zu müssen, gleich- gültig, wen sie traf. Vielleicht hoffte sie, daß die Worte dort- hin gelangen würden, wohin sie zielten. Indessen kam die betagte Priorin, warf einen strengen Blick auf Diambra, die eigenmächtig einen Mann in das Krankenzimmer gelassen hatte, war aber im übrigen ganz lächelnde Untertänigkeit dem jungen Grafen gegenüber, den sie von Kindesbeinen an kannte. Ettore machte den Aufenthalt kurz: es genügte ihm, zu wissen, daß Hoffnung für Assunta vorhanden sei. Ihre Mutter war ein wenig ruhen gegangen, um die Nachtwache übernehmen zu können. (Oforgetzung Schulhamcradcn. Von A drien L 6 l y. Autorisierte Nebersetzung aus dem Französischen von Dr. Josephsohn. Im Gefängnis von Mazas während des Vormittag,. spaziergangs." (Chapard, Versignh, Untersuchungsgefangene). C h a p a r d stich Bersigny nähernd):„Verzeihung, mein Herr, habe ich die Ehre mit Herrn Versigny?" V e r s i g n y:„Mein Name ist Versigny.' C h a p a r d:„Versigny? Julius Eugen Versigny Versigny:„Allerdings; Julius Eugen Versigny. Wer darf ich meinerseits fragen, mit wem...?' Charpard:„Du erkennst mich nicht Z' Versigny:„Wie beliebt?... Nein, mein Herr, ich erkenne Sie nicht. Meines Wissens sehe ich Sie heute zum ersten Male in meinen, Leben." C h a p a r d:„Wer ich bin doch Chapard l Josef Chapard I' V er s i g n y:„Chapard?" Chapard:„Jawohl. Chapard I Erinnerst Du Dich nicht? Wir saßen auf dem Gymnasium immer neben einander. Im La- teinischen und Griechischen hatten wir.. Versigny:„Einen Augenblick!... Ach ja, jetzt entsinne ich mich l Also Sie... also Du bist's? Du hast Dich aber sehr verändert I" Chapard:„Und Du bist genau der nämliche geblieben." Versigny:„Wirklich?... Und hier muß ich Dich wieder- finden? Unglückseliger, was hast Du verbrochen, daß man Dich hierher...?" Chapard:„Ja, das wollte ich Dich gerade-auch fragen I Welchem glücklichen Zufall...?" Versignh:„Kein Zufall, sondern ein Mißverständnis I" Chapard:„Na, na... Du wirst mir doch nicht einreden wollen, daß Du, vielleicht auf der Wohnungssuche, versehentlich in den Gefängnishof geraten bist?" Versigny:„Hahaha I Immer witzig und humoristisch! Nach dieser Richtung hast Du Dich absolut nicht verändert I" Chapard:„Meine Frage war wohl etwas indiskret? Na, sei mir deshalb nicht böse I Jedenfalls gehörst Du zur Gilde, und das ist die Hauptsache. Ich freue mich wirklich darüber, denn nun werden wir doch des öfteren Gelegenheit haben, uns zu sehen." Versigny:„Zur Gilde? Wie... wie meinst Du das?" Chapard:„Na, das ist doch klar l Weshalb wärest Du denn sonst hier? Ich bin hier Stammgast. Bist Du zum ersten- mal im Gefängnis?" Versigny: Ja. und ich habe berechtigten Grund zu hoffen, daß das gegen mich schwebende Verfahren eingestellt werden wird." Chapard: Das sagt man immer beim ersten Mal." Versigny:„Oh I Du mußt nicht alle Leute über einen Kamm scheren, mein bester Chapard t Daß Du mich hier siehst, verdanke ich einer Reihe von Ilmständen..." Chapard:„An denen Du so unschuldig bist wie ein neu- geborenes Kind?" Versignh:„Allerdings! Als Aufsichtsratsmitglied bei! „Mtiengesellichaft zur Erfindung des lenkbaren Luftschiffs.. Chapard:„Ei sieh mal an I" Versignh:„... als Vorstandsmitglied der„Aktiengesell- schaft zur Verwertung der atmosphärischen Kohlensäure"..." Chapard:„Alle Achtung I" Versigny:.... als Vorsitzender de? Aufsichtsrats der „Aktiengesellschaft zur Verwertung der Lava der polynesischen Vulkane"..." Chapard:„Donnerwetter l" Versigny:„... bin ich, wie Du Dir leicht denken kannst, häufig der Gegenstand bitterer Klagen und Beschwerden seitens der Aktionäre." Chapard:„Du hättest sie ruhig klagen und sich beschweren lassen sollen." Versigny: Das habe ich auch getan. Wer diese Klagen und Beschwerden, die selbstverständlich vollkommen unbegründet waren, haben eine ebenso große Zahl von Prozessen zur Folge gehabt, die... Chapard:„Prozesse? Das ist fatal I" Versignh:„Oh! ich bin unbesorgt. Ich bin noch nicht vernommen worden, aber ich garantiere Dir dafür: nach dem ersten Verhör wird meine völlige Unschuld über jeden Zweifel erhaben sein! Ich wette, man wird mir nichts, absolut nichts beweisen können I" Chapard:„In der Tat, wenn man Dir nichts beweisen kann..." Versigny:„Ich werde also binnen kurzem wieder die Leiwng der wichtigen Unternehmungen antreten können, denen ich meine ganze Energie, meine ganze Arbeitskraft widme.... Aber Du, alter Freund, darf man fragen, was...?" Chapard:„Ach! Das ist nichts weniger als interessant!" Versigny:„Doch! Doch!" Erzähle nur!" Chapard:„Na meinetwegen! Also— Du weißt, daß ich schon im Gymnasium nicht gerade auf Rosen gebettet war.... DaS erinnert mich übrigens daran, daß ich Dir noch immer hundert SouS schuldig bin." Versigny:„Oh! Das eilt ja nicht l" Chapard:„Um so besser!... Trotz meiner beschränkten Mittel machte ich große Ansprüche. In der Beziehung habe ich mich notabene vollkommen geändert: ich bin bescheiden geworden, sehr bescheiden I... Ich begann also, die Klubs zu besuchen..." Versignh:„Schlechtes Geschäft I" Chapard:„Das habe ich auch bald bemerkt.... Eines Wends oder vielmehr eines Nachts kamen ein paar Spieler, die ich etwas heftig gerupst hatte, auf die unglückliche Idee, zu entdecken, daß ich mogelte." Versignh:„Und stimmte das?" Chapard:„Ich muß gestehen, daß die Tatsachen gegen mich sprachen." Versigny:„Dummkopf! Konntest Du denn nicht arbeiten wie ich?" Chapard:„Ich hatte keine Kapitalien." Versigny:„Das ist kein Grund I Wenn man immer die nötigen Kapitalien hätte, wo bliebe dann die Schwierigkeit... und der Profit?" Chapard:„Da hast Du recht I... Nach einigen Monaten — beschaulicher Zurückgezogenheit faßte ich den Entschluß, mich auf ehrliche, anständige Werse durchs Leben zu schlagen." Versigny:„Bravo I" Chapard:„Ich wurde Buchmacher auf der Rennbahn." V ö r s i g n h:„Pfui Teufel I" Chapard:«Das sagst Du so I Aber was blieb mir übrig? lieber die nötigen Kapitalien verfügte ich nicht, wie ich bereits be- merkt habe... Ja, wenn ich damals gewußt hätte, waS Du für ein großes Tier bist, hätte ich Dich gebeten, mich..." Versignh:„Hm..." Chapard:„Im Anfang ging das Geschäft ausgezeichnet. Ich hatte mich mit mehreren einflußreichen Jockeys liiert, ich hatte meine Verbindungen überall und..." Versignh:„Ja, aber wie kommt es, daß wir einander nie begegnet sind?" Chapard:„Ich arbeitete ausschließlich auf dem grünen Rasen." Versigny:„Ja, dann allerdings..." Chapard:„Kurz, ich war sehr zufrieden. Ich konnte mir bald Pferd und Wagen halten. Ich schaffte mir nacki und nach einen gediegenen Rcnnstall an und beschloß, meine Gäule unter anderem Namen laufen zu lassen. Ich kannte einen Haufen Schau- spielerinnen, die mich um gute Tips anbettelten und mir zum Dank dafür ihre Liebe schenkten. Mit einem Wort, das Glück lächelte mir... Gott ! ja, es kamen natürlich ab und zu kleine... kleine Unstimmigkeiten mit unglücklichen Wettern vor, aber da meine Bücher sich in tadelloser Ordnung befanden, und man auch nicht die Spur eines Beweises dafür hatte, daß ich..." Versigny:„Und Dein Gewissen?" Chapard:„Das war ruhig.... Aber eines schönen Tages wurde ich durch den Jockey Strudinann hineingelegt.... Solch ein Schuft! Der Kerl hat mich um mein ganzes Vermögen gebracht! Verkauft mir die Kanaille für schweres Geld einen todficheren Tip. Ich setze alles darauf, was ich besitze, gehe die weitgehendsten Ver-
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25 (25.7.1908) 142
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