A»ttrhi>lt»»gsblatt des vorwärts Nr. 146. Freiwg� den 31� Juli. 1903 LS) IVlafia. (Nachdruck derbolen.) Roman aus dem modernen Sizilien von Emil Rasmussen. Für Lidda war diese Wartezeit eine fortgesetzte Pein. In ihrer Verliebtheit klammerte sie sich krampfhaft an ihren Verlobten, fest entschlossen, alle Gerüchte an sich abprallen zu lassen. Sie wußte, daß er sich an dem Abend des Tages, da Assunta begraben worden, auf einer Tanzsoir6e gezeigt hatte. die von den Badegästen in Porto Empedocle veranstaltet worden war. Es war vielleicht unklug, aber er war durch die Demonstration in Girgenti herausgefordert worden, und sie begriff seine Lust zu trotzen, bloß um des Trotzes willen. Sie wußte ja, daß er sich in Wirklichkeit Assuntas Tod hatte näher gehen lassen als irgendein anderer. Niemand hatte mit ihm tanzen wollen; man hatte ihmMörder" nachgerufen, und zuletzt war die Stimmung so drohend geworden, daß er flüchten mußte. Lidda fand diese Haltung der Badegäste Pöbel- Haft. Angelo hatte ja von Assuntas Kommen nichts gewußt. Was konnte er tun? Was wußte er von den Fuchsstreichen feiner Mutter? Und dennoch dennoch drang diese Volksmeinung ihr durch alle Poren und legte sich wie eine erstarrte Rinde uni ihre Gefühle. Sie wurde reizbarer, besonders in der letzten Zeit, wo das Gespräch sich täglich um Geldsachen drehte, eine Angelegenheit, in der sie empfindlich wie eine Akazie war, während sie andererseits doch verlangte, bei jeder dieser Pein- lichen Unterhandlungen zugegen zu sein. Der Anspruch der Gräfin auf den Mineralgrund des Marchese war aus La Grecas unerschütterlichen Widerstand gestoßen. Nach seinem Tode sollte Lidda alles bekommen. was sein war, aber bei Lebzeiten wollte er seine Minen nicht in fremden Händen sehen. Er hatte Lidda eine Mitgift von hunderttausend Lire zurückgelegt. Es hatte Zeiten gegeben, wo die Familie fast gedarbt hatte, um diesen Schatz nicht an- zutasten, an dem sich zu vergreifen die Ehre ihm verbot. Eines Tages hatte Liddas Mutter eine unvorsichtige Aeußerung fallen lassen, daß sie vielleicht später etwas zu der Summe hinzulegen würden, und die Gräfin hatte Angela sogleicht gepreßt, an diesem Zugeständnis festzuhalten. Er versuchte, diese Zulage es handelte sich um fünf- bis sechs- tausend Lire sogleich ausbezahlt zu bekommen, allein der Marchese stellte ihm vor, daß dies im Augenblick unniöglich sei. Da machte Angelo den Vorschlag, daß sie ja die Juwelen der Marchesa, die diese nie trug, oder etliche der wertvollen Kunstschätze, die niemals jemand zu Gesicht bekam, verkaufen könnten. Von allem, was der alte Marchese aus dem Munde seines künftigen Schwiegersohnes vernommen, erschien dies ihm als das Verächtlichste. Er sah ihn an, wie man eine häßliche Kröte ansieht, und sagte ruhig und würdig: Das Haus La Greca verkauft nicht." Ein Wort, das in sein Wappenschild eingebrannt werden konnte. Die Einladungen zur Hochzeit wurden verschickt. Tags darauf die Familie saß noch beim Frühstück erschien Angelo und brachte ohne Einleitung wieder die ewige Geld- frage auf die Bahn. Er war schon erregt, als er kam, und verlangte in kräftigen Wendungen die bewußte Summe sogleich auf diese oder jene Art ausgezahlt zu bekommen. Der Marchese bemerkte, daß Lidda von einem nervösen Zittern befallen wurde. Ihre Zähne klirrten an das Glas. aus dem sie trank. Gib doch Frieden!" sagte sie.Ihr wißt ja, Ihr be- kommt alles, was wir entbehren können." Wir haben unser ganzes Leben lang wie Bauern gespart, UM Liddas Mitgift zu retten," sagte der Marchese.Aber wir müssen auch his an unser Ende leben können. Es ist mir unmöglich, jetzt Geld flüssig zu machen." Wenn ich das Geld nicht bekomme, wird aus der Hochzeit nichts." Lidda erhob sich mit einem Ruck. Es wird auch nichts daraus. Jetzt habe ich genug! Geh' Deiner Wege!" Angelo hatte vor Erstaunen die Sprache verloren. Die Mutter wollte sich beruhigend ins Mittel legen. Selbst der Marchese sprach beschwichtigende Worte. Ein Bruch zu diesem Zeitpunkte war kein Spaß: er bedeutete nicht bloß Skandal, sondern das Ende aller Heiratsaussichten für Lidda. Aber diesmal war endlich der Becher voll geworden. Vater und Mutter, ich bitte Euch, nicht zu vermitteln! Ihr habt recht gehabt! Er ist ein schmutziger Hund. Geh' Deiner Wege, daß ich Dich nicht anspeie! Geh' geh' geh'!" Sie warf den Ring hinter ihm zu Boden, während er aus der Türe ging wieder aufrecht und selbstbewußt, mit einem boshaften Lächeln um den Mund. Ich selbst hätte ihm nicht anders antworten können. Lidda," sagte der Marchese, feine Tochter umarmend und küssend. Und ich konnte auch nicht anders, Vater!" Aber verstehst Du auch, daß Dein Entschluß-in seinen Folgen weit reicht?" Sehr weit!" klagte die Mutter. Wie weit er auch reicht, ich werde nie bereuen, was ich heute getan habe. Nun kenne ich ihn!" So ist es geschehen! Von meinen alten Schultern hast Du eine unermeßliche Last genommen!" Lidda war selbst verwundert, wie leicht und fröhlich sie sich fühlte. Noch verstand sie nicht, daß es zum großen Teile Trotz und Groll war, was sie cmportrug. Während der Verlobungszeit hatte sie gewissenhaft die Etikette beobachtet. Sie war nur selten und natürlich nur in Begleitung ihrer Mutter und ihres Verlobten spazieren gegangen. Niemals hatte sie sich auf dem Balkon oder an den Fenstern, die auf die Straße gingen, gezeigt. Kaum aber war sie frei, als sie sich in Mohnrot kleidete und auf den Balkon hinaustrat, wo sie sich in den auf sie schielenden und glotzenden Blicken den ganzen Nachmittag sonnte. Abends überredete sie ihren Vater, mit ihr auf die Promenade zu gehen. Die Stadt sollte sehen, daß sie nicht daheim saß und sich wie eine verlassene Schönheit grämte. Es war ein Spießrutenlaufen, und sie wußte es. Ihr Herz klopfte heftig unter deni strammen Korsett, die Augen aber glänzten, und sie plauderte lebhaft niit dem Vater und lachte mit einer täuschenden Herzlichkeit. Jeder Mensch, dem sie begegneten, wandte sich um, und es gab manch scharfes Urteil über das Geschehene, das längst bei Romeres undGcllia" und von da über den ganzen Korso hinab ruchbar geworden war. Der frische Haß gegen Angelo half ihr. All die jungen Leute teilten ihren Stolz und waren ihr geradezu dankbar für ihren Mut. Die Alten aber schüttelten die Köpfe und zogen ihren unbeugsamen sizilianischen Maßstab hervor. Was man auch sagen und denken mochte, so war Lidda nuneine gewesene Braut". Sie war im Kurs gesunken. Dies war ein Dogma, an dem auch die jungen Männer nicht zu rütteln wagten. Es mußte sich nun zeigen, ob Lidda stark genug war, die sizilianische Elle zu brechen, 9. Es wurde Oktober. Oben auf der Halbinsel hatten schon die ersten Regen- güsse die erschlaffende Hitze gedämpft, auf Sizilien aber glühte noch der Hochsommer in ungebrochener Macht. Dennoch öffneten sich die Schulen nach dreimonatlichen Ferien da man doch einmal öffnen mußte. Auf der Promenade sah man wieder die langen Reihen kostümierter Gymnasiasten zwei zu zwei, wie ein Trift Schafe, daherwandcrn und unter Aufsicht eines Hirten frische Luft schöpfen. Jede Pension denn der Staat überließ es Jesuiten und Privatleuten, seine Schüler zu beherbergen, jede Pension hatte ihre Uniform, die für die mütterliche Wahl eine ungeheure Rolle spielte. In ihren roten oder auch blauen Trachten, in welch letzteren sie wie kleine Seeoffiziere oder wenn sie im Mantel waren wie spanische Granden aussahen, den Degen an det Lende, waren sie eine Freude für all die schönen Augen, denen sie einen Ton von Lebenslust und Festlichkeit in das Einerlei der Promenade brachten. Auch die Lehrer waren zurückgekehrt, nahmen sich aber