Anterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 147.

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Mafia.

Sonnabend, den 1. August.

( Nachdruck berboten.)

1908

und sich auf ein demonstratives Fernbleiben von den Festlich­feiten zu beschränken.

Durch diese Taktik mußte der Graf in demselben Maße Roman aus dem modernen Sizilien von Emil Rasmussen. an Terrain verlieren, als der Marchese der Mann des Augen­blids wurde. Auf den ausgegrabenen Ruinen stehend, hielt Die Eröffnung der Schulen sowie die Heimkehr der der gelehrte Rektor einen anfeuernden Vortrag über die Badegäste bedeutete neues Leben in den oberen Schichten, neue Farbe im Aeußeren der Stadt. Dazu kamen zwei Ereignisse, die den Puls des ganzen Volkskörpers beschleunigten.

Eines Morgens fand Marchese La Greca jeden Weinstock in seinem großen Weingarten, der eine seiner besten Erwerbs­quellen war, an der Wurzel durchschnitten. Dies war ein echter Mafiastreich. Kein Mensch war im Zweifel darüber, wer dahinter stecke. Nachdem Angelo vierzehn Tage gewartet, daß Lidda ihm Abbitte tun würde, fand es die Gräfin dien lich, dem alten Manne eine kleine Aufmunterung zu erteilen als Vorgeschmack dessen, was zu erwarten stand, wenn man ihre Pläne kreuzte. La Greca meldete das Geschehene, wie es seine Pflicht war, aber als Vollblutfizilianer hatte er durchaus feine Vermutung, wer der Schuldige sein könne. Als man den Namen der Gräfin nannte, wies er diesen Argwohn als unmöglich von sich. Und sowohl seine Frau als auch Lidda bestärkten ihn darin, daß die Ehre des Hauses einen Fleck erhalten würde, wenn man die Polizei die verachteten Sbirri gegen den Feind zu Hilfe riefe.

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Dieses Ereignis wurde jedoch vorläufig von einem noch größeren überschattet: die Studenten von Palermo mit dem Rektor und den Professoren an der Spike wollten die Stadt besuchen. Hier war eine Gelegenheit, Verbindungen anzu­knüpfen und Ansprüche auf Erkenntlichkeit zu gewinnen, Gastfreundschaft zu erweisen und Pomp zu entfalten. Und wenn irgendeine sizilianische Stadt einem Anlaß, sich zu schmücken und Gelage zu geben, widerstehen konnte, so war dies Girgenti gewiß nicht.

Die Studenten trafen mit dem Mittagszuge ein, aber schon vom frühen Morgen an war Festtag in der Stadt. Die Trikoloren hingen schläfrig über den Korso hinab, auf dem die Stadt wie an einem Feiertag seine Blinden und Krüppel zur Schau stellte. Alle Art fahrenden Volks war in der Hoff­nung auf einen außerhalb des Kalenders fallenden Markttag zusammengeströmt.

Bedeutung dieser Funde und pries in festlichen Ausdrücken den adeligen Gräber und Finder. Als Hintergrund seiner Lobrede verwendete er geschickt und diskret den schändlichen Vandalismus, der soeben den alten Mann betroffen hatte. Die jungen Studenten teilten sich zwischen Jubel und Entrüstung. Was in dem zerstörten Weingarten verloren gegangen, fonnten sie sogleich ermessen, da der Marchese zwei seiner feinsten Jahrgänge, den 67er und 70er hervorgeholt hatte. Namentlich jene berühmte Traube, die zugleich mit Roms Eroberung für das neue Reich gereift war, löste den Spund von ihren brausenden Gemütern.

Es war Lidda, die den schweren Trunk schenkte, und die meisten Becher wurden auf das Blut ihrer Lippen und den Phosphor ihrer Augen geleert. Der Wein lief wie Feuer durch die Adern. Sie drängten sich um die strahlende Hebe und kämpften um einen ihrer Blicke.

Als die Sonne die roten Wogen füßte, erscholl des Rektors Stimme er sprach einige Zeilen aus Homer . Da ward es stumm in den Reihen. Wie von einem neuen Geiste erfüllt, standen sie da mit bebenden Herzen und folgten der flammenden Scheibe, bis sie in ein Meer von Feuer und Blut versank, während die durchsichtige Dämmerglut die herrliche Landschaft aus der irdischen Wirklichkeit emporhob, dahin, wo Kinderträume und Märchenstimmung geboren werden und gedeihen.

Im selben Augenblicke erglommen die Sterne und mahnten die Gäste zur Heimkehr. Man mußte in die Stadt zurüdeilen, um sich zu dem großen Bankett umzukleiden, das die Stadt ihren Gästen im Rathause gab.

Des Abends sprach man von Ausgrabungen und Sonnen­untergang, von Wein und Vandalismus und Mafia - all die jungen Herzen aber waren erfüllt von Lidda La Greca.

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GHW

Den folgenden Abend- nach einem Ausflug mit länd­lichem Frühstück bei den alten herrlichen Tempeln- gab der Empedokles - Klub seine große Tafel mit Ball, und erst an diesem Abschiedsfest gestattete man den Minervasöhnen, mit den jungen Schönheiten der Stadt zusammenzutreffen, die zwei Tage lang vor Ungeduld getrippelt hatten.

Man wurde durch die Musik mechanischer Klaviere aus dem Schlafe geweckt, und vom Korso bis hinauf zur Dom­firche verkündete ein dröhnender Bariton Ernanis flammende Leidenschaft. Als die Leute herauffamen, waren sie überrascht, zu sehen, daß Ernani allerdings einen martia- Von den drei großen Klubs der Stadt war der der lischen Schnurrbart hatte, im übrigen aber ein Weib war Adeligen" der vornehmste und zugleich armseligste ge­und aus beiden Gründen eine magnetische Anziehungskraft radezu schäbig in seiner Ausstattung. Der Beamtenklub hatte auf die Infanteristen übte. Draußen beim Stadttor erzählte den Ruf einer tüchtigen Spielhölle, in der es namentlich ein Cantastorie( Geschichtenerzähler) von den Paladinen und während des Karnevals um hohe Summen ging. An Reich­unterstüßte die bäuerliche Phantasie durch eine lange Reihe tum und Ansehen zugleich trug der von allen altbegüterten folorierter Darstellungen bildschöner Edelmänner und Familien der Stadt getragene Empedoklesklub den Preis grimmig häßlicher Schurken. Die besten Geschäfte aber davon. machte ein Bader, der vor dem Klub der Adeligen ein Schaffott errichtet hatte, wo er ohne Anwendung von Stahl oder anderen scharfen Instrumenten", aber mit desto schärfer gewekter Zunge Leichdorne und eingewachsene Nägel operierte.

Alles Interesse für den Jahrmarktsgaufel war jedoch wie weggefegt, als die Studenten unter Hallo und Hurra in einem jubelnden Wagenzug den Korfo heraufgefahren tamen, an der Spize Letterio, der den Präfekten, den Bürgermeister und den Rektor der Universität führte. Auf dem Rathause gab es bloß einen provisorisch kurzen Willkomm bei einem Glase Champagner. Es galt, die Nachmittagsstunden zu einer Be­fichtigung der Domkirche, des Museums, der unterirdischen Gänge und anderer Sehenswürdigkeiten zu benügen.

Man stieg vom Korso einige Stufen zu einer mit Marmorfliesen belegten Piazzetta empor, von deren südlicher Brustwehr man die freie Aussicht über die weite Kampagne und das Mittelmeer genoß. An ihrem westlichen Ende lag δας monumentale Klubgebäude in vornehmer Abge­schiedenheit.

In einer Ecke der Piazzetta war die Militärmusik auf­gestellt, die während der Tafel spielte. Auf dem Korso standen in dichten Haufen die Bauern, horchend und gaffend. in ihren afrikanischen Gesichtern war fein Zeichen von Neid zu lesen. Die Stadt gab ein Fest, und die zum Repräsentieren geschaffen waren, repräsentierten eben. Warum sollte man die Schauspieler beneiden, wenn man alle Vorteile eines Buschauers genoß? Man wartete hier bloß auf den Beginn Gegen Abend versammelte man sich auf dem Athene - des Spieles, um sich zu überzeugen, daß das städtische Fest felsen, um von dessen Gipfel den berühmten Sonnenunter- sich der Lobpreisungen in Palermos Beitungen würdig er­gang zu genießen. weise, damit namentlich die benachbarten Städte zur Er­Dieser Teil des Programms war bei einem der vor- kenntnis tämen, was für eine Stadt Girgenti sei und sich nehmsten Mitglieder des Festkomitees, Grafen Del Chiaro, weidlich ärgern konnten. auf sehr energischen Widerstand gestoßen. Aber gegenüber Das erste Paar, das sich nach der Tafel zeigte, war das den bestimmt geäußerten Wünschen des Rektors und des jüngste Fräulein Bruno mit einem der fremden Studenten. Museumsdirektors von Palermo , die alte Freunde von La Die Fräulein Bruno waren wegen ihres herausfordernden Greca waren, blieb nichts übrig, als die Waffen zu streden Betragens, das den alten fizilianischen Traditionen so abficht­

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