fjtt. Er bemühte sich nicht mehr, ein Lächeln zur Schau zu tragen, sondern gab seine schäumende Wut allen Blicken preis, noch mehr gereizt durch das schamlose Interesse, mit dem die fremden Gäste ihn immer auffallender beehrten. Sein Vater und die Freunde des Hauses begannen sich in seiner Nähe zu halten, und da dies von der anderen Seite als eine herausfordernde Taktik aufgefaßt wurde, so zerfiel.die Gesellschaft wie nach einem stillschweigenden Uebereinkommen in zwei feindliche Gruppen, die eine der anderen Stärke maßen. Besonders grell erschien diese Gruppierung, als aus einer kleinen Anhöhe außerhalb der Stadt ein Feuerwerk abgebrannt wurde. Der Marchese erlaubte Lidda nicht, hinauszugehen, und damit blieb sowohl ihre Garde als auch die Gegenpartei im Saale. Man hörte die letzten Bomben knallen. Alle Fenster- scheiben klirrten und die Luft feuchtete sich. Dann kamen die Studenten zurückgestürmt. Es wurde allerlei Eis uId gefrorene Erdbeeren auf ungeheuren Teebrettcrn serviert und abermals Champagner eingeschenkt. Der eine der Assessoren lief auf Belcaro zu. „Es werden doch wohl nicht wieder Reden gehalten?" „Haben Sie je einen Sizilianer eine Gelegenheit ver- säumen gesehen, Rhetorik zu entwickeln?" Er irrte sich nicht. In demselben Augenblick stieg der größte Dichter der Stadt auf einen Stuhl und begann in Versen zu sprechen. Es war ein Greis mit kleinen spielenden Aeuglein und einem von langem weißen Bart umgebenen geifernden Mund. Er hatte in Girgenti mit der Gedichten- sammlung„Goldharfen" durchgeschlagen, welcher im Laufe der Zeiten achtzehn neue Sammlungen gefolgt waren. „Daß man den alten Idioten auch noch verdauen solll" flüsterte Belcaro. Darauf stellte er sich andächtig mitten vor den Redner hin. und als dieser geschlossen hatte, klatschte er wie ein Rasender, ergriff die Hände des Alten, küßte sie und sagte: „Großer Dichter, darf ich die Ehre haben. Sie als erster zu beglückwünschen?" Der Alte umarmte Belcaro und begann zu weinen. „Kein Lob hat solchen Wert für mich wie das Ihrige. Ich weiß ja, daß Sie selbst ein großer Dichter sind und daß keiner in der ganzen Stadt, ja auf ganz Sizilien unsere vaterländische Literatur so zu beurteilen versteht, wie Sie. Tank, Dank, teurer Jüngling I" Belcaro überbot diese Lobeserhebungen mit einer rollenden Suada. (Fortsetzung folgt.s (Nachdruck verboten.) vi Du sollst nicht begehren! von Timm Kröger . Er stockte, Heinrich BruHn hatte ihn halb erzürnt, halb ver» legen angesehen. „Ihre Person, ihren Charakter," fuhr der Geheime fort,„Hut ab! Aber sie hat nicht das, was Deine Frau haben muß. Sie hat kein Moos. Der Hof ist verschuldet, müßte verpachtet werden, würde nicht die Hypothckenzinsen tragen, Georg Engclbrecht hat seine Sache gründlich gemacht. Zu allem— sie ist kaum jünger als Du, und vor dem Gesetz ist sie noch immer Georgs Frau. „Du hast Ideen. Ideen darf der Mensch erst haben, wenn er satt ist. Und es gibt junge Mädchen, die das, was zu Ideen und Gedanken nötig ist. Dir zu geben bereit sind, wenn man ihnen dafür die Ehre antut, sie bei Kaffeegesellschaften der Frauen als „Fru Pastern" ins Sofa zu nötigen— die sich auch noch heraus- nehmen, hübsch zu sein und einen Sack voll Güte und Sanftmut mitbringen." Es wurde eine neue Flasche gebracht. „Ich schreib Dir eine Liste, ich schreib Dir eine Liste..." murmelte Emil Paulsen, während die Flasche mit dem silbernen, von Metallbändern verschnürten Kopf geöffnet wurde und der Wein in die Stangen schäumte. Und Heinrich mußte auf die Zukünftige, deren Namen die noch nicht entworfene Liste verschwieg, anstoßen. „Und dann..." weissagte der Prophet weiter,„Du schätzest auch Dein Amt zu gering«in, Du kennst Deine Bedeutung als Hodorfer Pastor nicht. Du weißt nicht, welch ein Glanz sich über Hadorf ergießt, wenn der neue Pastor kommt. Deine Morgenröte liegt schon seit ein paar Wochen auf den Wommelsdorfer Höhen. Der neue Pastor kommt, er ist da, er ist mit der Post gekommen (die Eisenbahn ist ja noch nicht fertig)— nein! er ist mit eigenem Wagen gefahren.— So wird man sprechen.— Er ist ein großer, schlanker Mann, graue, ausdrucksvolle Auaen bat er und dunkel- blondes Haar. Erst wars ein bißchen lang. Aber gestern ist er bei Eggert gewesen. Wenn er draußen spazieven geht, zieht er den Stock durch die Arme; das sieht komisch aus, er tuts, damit er besser atmet, in der Stadt geht er aber ganz ordentlich. Er wohnt bei dem Droppenonkel, da hat er früher schon mal gewohnt. So hat er zu seiner Aufwartefrau gesagt und so zum Droppen- onkel. So schneuzt er sich, und so räuspert er sich. Seine Taschen- tücher kcmft er bei Mordhorst. Als er kam, hatte er große blaue, das ist in Ostpreußen so Sitte. In Ostpreußen schnupfen dia Pastoren noch. Das hat er sich schon abgewöhnt. Wenn er aus- geht, raucht er eine Zigarre, sonst nicht, aber er ist solide und lebt in geordneten Verhältnissen. „So wird man raunen, so wird man tuscheln.— So raunt und tuschelt man schon jetzt.— Siehst Du, begreifst Du nun, was und wer Du bist?— Schweig still, ich weiß schon, was Du sagen willst. Du willst sagen. Du willst nicht heiraten. Ich weiß aber auch, daß das schon zu dieser Stunde nicht Deine eigentliche Meinung ist." Und der Redestrom floß weiter— Emil Paulsen nahm davon und vom Wein den Löwenanteil. „Macht er schon Besuche? wird es heißen. Bei Landrats und bei Probstens ist er gewesen, bei den Herren vom Gericht, den Aerzten, den Lehrern von der Gelehrtenschule und bei dem Apo- theker. Hält er nur die Studierten für Menschen? Stehen wir Katasterleute, wir Brandvögte, wir Hausvögte, wir Kontrollcure, wir Bolkslehrer gar nicht auf der Liste? Das Heinrich, ist ein Etikettepunkt, woran manch einer gescheitert ist. Ich will Dir eine Liste geben. Hast Du Dich da richtig benommen, nicht zu viel, nicht zu wenig getan, dann bist Du ein gemachter Mann. Bist Du in dem Punkt ein Unschuldslamm, dann tritt das Gespräch von dem neuen Pastor aus den Ufern und ergießt sich in die Marsch. Mütter und Töchter stürzen die Väter in Unkosten, denn es gilt eine große Sache. Kaufmann Voß und Kaufmann Schmidt haben gute Tage. Es wird ehrbares schwarzes Zeug gemacht, man reißt sich um die Schneiderinnen, in den Gartenzimmern klappern die Maschinen. Buchbinder. Schütt verkauft zwanzig neue Gesang- bücher, sie haben goldenen Schnitt und auf dem Deckel ein Kreuz. „Du stehst auf der Kanzel. Du hast so ne Art(nun, ich will Dich nicht rot machen), eine Art, die angreift.— Alles ist entzückt. Es kommt eine Frömmigkeitsepidemie auf, die grassiert bis zur Küste hin. Wenn der Probst predigt, dann sitzen ein paar Pflicht- künden— hauptsächlich alte Weiber— in den dämmernden Hallen, die meisten haben Abhaltung, man kann just nicht hin, der eine hat ein Kind gekriegt, der andere hat die bekannten fünf Ochsen gekauft. Aber wenn Deine Predigt in den Anzeigen steht, dann läßt man Kinder und Ochsen, dann ist die Kirche voll.— O, der neue Pastor! Was er für ein Wort bat! Wie der einem das Evangelium auslegen, wie er einen rühren kann! In den Kling- beutel, in die Sammelbüchsen der Vorhallen springen die Groschen. Junge Mädchen in dunklen Kleidern— schwarze Farben machen andächtiger, würdiger, frömmer, auch wird der Teint gehoben— junge Mädchen streben schwarzbehandschuht über den Markt der Kirche zu. Die Linke hält die neuen Goldschnittgesangbücher, ein Spitzentaschentüchlcin sauber darüber gefaltet— über dem Deckel. In der reckten Hand tragen sie neue seidene Regenschirme mit silbernem Griff.— Die Betglockcn läuten, eS ist ein rührendes, ein erhebendes Bild. Wären die Regenschirme Lilien und küßten sich die Begegnenden fromm auf die Stirn, und wäre eS tief am Meeresgrund, es könnte ein Nordseebild von Heinrich Heine sein. „Ja, Heinrich, da nimm Deine Seele in acht, daß sie sich nicht zu leicht und zu früh vergreift, wenn so hübsche, junge, fromme Augen zu dem frommen Kanzelmann aufschauen. Ich sag Dir: die Dinger in Hodorf haben verflucht hübsche Augen. „Liebster, Du trinkst ja gar nicht!— Du sagst? Ganz recht, eS ist nichts mehr drin. Wirtchen, Herr Müller, wollte ich sagen, noch eine mit silberner Haube!" *•* Als sie aus dem Keller heraufstiegen, kam ihnen das Straßen- gcwühl wie Zukost zum Weine vor. In der Gegend des Holstentores gingen sie über einen freien Platz, worauf Vieh feilgeboten wurde. Da sah man in kuhfarbene Anzüge gekleidete, immer wohlgenährte, meistens auch hochgewachsene Männer, kurze Pfeifen unter der Nase, Krummstäbe über dem Arm— lebhafte, handelnde, feilschende, lärmende Leute. „Ich geb Dir hundert."—„Nicht unter hundertzehn."— Das und ähnliches hörte man.— Die, um die gehandelt wurde, standen geduldig am Reck und dufteten auf ihre Art. Den Abschluß eines Geschäfts bezeichnete ein Händedruck— der war auf Tod und Leben. Die Hände holten hoch aus und stürzten aufeinander. So umarmen sich nur Liebende oder Ringer. Ein starker, noch junger Mann mit feinrasiertem, weichem Gesicht schrie:„Sechshundert alle fünf! Her mit der Hand!" Emil zog seinen Freund beiseite.„Das ist er," sagte er leise. „Wer soll das sein?" „Das ist der starke Mann." „Der starke Mann?" „Ja, kennst Du ihn nicht mehr?— Das ist der Mann, der ein Schwein am geölten Schwanz einen Fuß hoch vom Boden� heben kann. Das ist„Schweinepriester".— Hat er nicht großartige Marktmaniereu, ist er nicht ein Ochsengcnie? Steh mal nen Augenblick still und hör zu! Er kann es nicht verantworten, aber kecksbundert will er dock daran wenden, die siinf zu erwerben.
Ausgabe
25 (5.8.1908) 149
Einzelbild herunterladen
verfügbare Breiten