Anterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 160.

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Mafia.

Donnerstag, den 20. August.

( Nachdruck berboten.)

Roman aus dem modernen Sizilien von Emil Rasmussen. Für die Gräfin war es ein Glück, daß es eine isolierte Wahl war. Der Minister des Innern, selbst Sicilianer, hatte Beit genug, sich dafür zu interessieren, und es wurde weder an Arbeit noch Geld gespart. Ficarotta zeigte sich wiederum auf dem Schauplate, und von morgens bis abends konnte man ihn und Bamfo herumgaloppieren und Stimmen kaufen sehen, bald durch Drohungen, bald mit einer Siste Bigarren und einigen Flaschen Wein oder je nach den Umständen mit einer kleineren Geldsumme. Ein ganzer Stab von Mafiusi diente ihnen als Unteragenten.

Kurz vor der Wahl proklamierten die Konservativen ihren Kandidaten, stedten noch einmal den Namen des Mar­chese La Greca als ein Bannerzeichen der Ehre aus- jenen Namen, der in früheren Zeiten so oft geeinigt und begeistert

hatte.

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Da erachtete die Gräfin den Augenblick für gekommen, um alle Bomben springen zu lassen und ein paar jener er­probten kleinen Theatercoups zu versuchen, die durch ihre Menge und Mannigfaltigkeit in der Chronik der Mafia so erfrischend wirken.

Fünf, sechs Tage vor der Wahl wurde einige Meilen im Lande draußen von Brunos Feldern eine Trift Ochsen ge­stohlen. Die folgende Nacht wurde La Greca mit etwa dreißig seiner einflußreichsten Parteigenossen als der Organisation des Diebstahls verdächtig arretiert. Um Plaß im Gefängnis zu schaffen wie es hieß-, ließ man gegen ein Halbhundert Verbrecher gegen Kaution" laufen. Alle diese Herren warfen sich sofort mit großer Energie in den Wahlkampf, und man fonnte sie an dem Wahltage unter Anführung Bamfos und Ficarottas vollzählig in und vor dem Wahllokal stehen sehen.

Abends gab es ein glänzendes Bankett, bei welchem der Präfeft eine begeisterte Rede auf das neue Parlamentsmit­alied hielt, das mit bedeutender Majorität gewählt worden war. Mitten während des Festes erschien ein Fackelzug, und Bruno mußte auf den Altan treten, um den jubelnden Wählern in einer gerührten Rede zu danken.

Am nächsten Tage wurden der Marchese und seine Freunde wegen mangelnder Gründe für ferneres Ein­schreiten" wieder auf freien Fuß gesezt.

Das gestohlene Vieh weidete indessen ruhig auf Brunos Feldern.

14.

Angelo empfing die erste Mitteilung von Liddas Flucht und bevorstehender Hochzeit mit scharfem Gelächter, und sprach er in der nächsten Beit von ihr und Belladonna, so geschah es stets mit einer angenommenen Gleichgültigkeit, unter der sich eine hinter Hohn und Verachtung verschanzte gekränkte Eitelkeit nicht ganz berbarg.

Da begegneten sie sich einander eines Tages auf der Promenade sie ging am Arm ihres Mannes.

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Sie heftete ruhig ihre Augen auf ihn mit einem Blick wie in alten Tagen, und er war im selben Nu der ihrige, be­gegnete ihrem Blick, ihrer Seele mit der flehenden Demut eines Tieres.

Er fühlte es seinen Körper durchrieseln mit einer Empfindung, die er nie vorher gekannt. Aber Lidda war so dankbar, daß sie nicht auf der Stelle umgesunken war so sehr zitterten ihr die Knie.

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Dieser eine Blick wurde für sie beide ein Erlebnis, über das sie nicht so rasch hinauskamen.

Sie waren also nicht fertig.

Es gab also in einem Herzen Wurzeln, so tief, daß selbst die Verachtung sie nicht untergraben konnte.

Die Gräfin von Ficarotta unterstützt- schlug Angelo eine Partie nach der anderen vor, aber er war hartnädig. Teils empfand er seit dem Tode seines Vaters einen ausge­sprochenen Widerwillen vor der Mutter, so daß er konsequent alle ihre Vorschläge abwies; teils war es Lidda, die auf eine

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Art, über die er sich selbst nicht Rechenschaft zu geben wußte, den Weg sperrte und ihm die Lust benahm zu heiraten.

Seine Gefühle für Lidda konnten um so leichter ihr Ge­präge eines süß zehrenden Idealismus bewahren, als seine irdischeren Begierden in Rusiddas zärtlichen Armen Er­füllung fanden,

Sie blieb im Hause, während sie ihm eine Tochter gebar, ein entzückendes kleines Teufelchen, das er vergötterte und mit dem er spielte, wie ein Kind mit seiner Puppe spielt.

Dann wurde sie ihm wieder die unvergleichliche Geliebte. In dieser Treibhausluft von Wohlleben und Müßiggang  wuchs sein erotischer Appetit wie ein Kraut, das täglich von Morgen bis Abend neue Blüten schießt.

In der höheren Schule der Liebe, in der er ein so be. gabter Schüler gewesen war und sich fast zum Meister ent wickelt hatte, war sie ihm hörig wie eine Dirne. Aber er fand auch bei ihr, was feine noch so ausgelernte Dirne ihm hätte bieten können: das feurige Blut, das alles dem einen schenkt, den Willen der Gattin, alles ohne Scham zu geben, um zu besigen, die Blumenkeuschheit, die sich dem kleinen frucht­zeugenden Insekt ohne Vorbehalt öffnet, sonst aber sich vor der ganzen Welt scheu verschließt.

Die Gräfin war durchaus nicht blind für die Rolle, die Rusidda in Angelos Leben spielte; darum jagte sie sie vor die Türe, als sie merkte, daß ihre Heiratspläne in die Brüche gingen. Sie mietete sie bei einer verwitweten Bäuerin ein, behielt aber ihr Töchterchen, das ihre eigenen zauberhaften Augen hatte und dem Hause unentbehrlich geworden war.

Sie konnte jedoch nicht hindern, daß Angelo Rusidda mit einer Regelmäßigkeit besuchte, über die keine Gattin zu klagen gehabt hätte.

Er

Angelo war wie der kluge und vorsichtige Bankier, der nicht alle seine Kapitalien in derselben Bank anlegt. warf nicht alle seine Gefühle auf ein Weib. Er spaltete, sortierte und verteilte sie an verschiedene mit einem instint. tiven Verständnis dessen, was jede tragen und welche Spe­zialität man ihre Pflege anvertrauen konnte. Hatte er Be­darf für eine Frau, mit der er die Stunden des Tages in einer teilnehmenden Erörterung der kleinen Sorgen und Freuden, die sein Leben waren, totschlagen wollte, so suchte er die ein­same Bionda auf, die kaum mit einem anderen Menschen sprach als mit ihm.

Sie befriedigte sein Schönheitsbedürfnis; sie ließ seine Sinne in Ruhe; sie war seine Freundin.

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Nach Lo Fortes Abreise- er war an demselben Tage fortgezogen, an dem er Liddas Flucht erfuhr hatte Bionda sich in ihrem Zimmer oberhalb des Kabinetts der Gräfin eingeschlossen, wie eine Nonne. Dort speiste und schlief sie, kam nie herab und sprach mit niemandem. Wenn die Ge­mächer der Gräfin abends voll Menschen waren, entstand bisweilen plöblich eine unbehagliche Stille um Töne, die leise von oben herabsanken. Es war Bionda, die Harfe spielte, ewig dieselbe Melodie, die sie von Lo Forte gelernt hatte und die mit einem brutalen Strich, als sprängen alle Saiten, endigte; und wieder dieselben Töne, gefolgt von derselben lachenden Disharmonie, wieder und wieder, wie ein Alp von 3wangsbewegungen und-Vorstellungen.

Es hatte jedoch lange gedauert, bis Bionda nur so weit war, daß sie ihre Harfe berührte. Monat um Monat war sie an einer Krankheit dahingesiecht, die der Arzt Nervenfieber nannte und die eine alle Lebensenergie lähmende Melancholie im Gefolge hatte.

Doktor Nenda behandelte sie, und in dieser Zeit, da en sie unter der Sehnsucht nach dem Manne, der alle ihre Gea danken erfüllte, dahinschwinden sah, ging seine eigene ver zweifelte Liebe in die Tiefe und wurde zu einer Leidenschaft, die ihn selbst zu ersticken drohte.

Als Bionda zum Leben zu erwachen begann, war Rendas Güte die erste schwache Stimmung, die sich in ihr Bewußtsein stahl.

Dieser schweigsame Mann, der sie mit einer so taktvollen Sorgfalt pflegte, ohne jemals durchscheinen zu lassen, daß er ihre Krankheit als ein Siechtum der Seele betrachtete, welches