„Nein, nein, Du, und da denken die Leute wirklich ganz recht,Kristine."„Weißt Du aber, was sie von Dir sagen, Du? Daß Du mitihm spielst wie die Katze mit der Maus."„Dann—"„Sich tu nur nicht so unschuldig. Niemand weiß besser als Du,daß Dein Freund, das Genie, ein Sonderling ist, wie er so herum-geht und sich mit allen seinen Hunderten von Ideen von Sinn undSBerstand redet und das Haar einmal über das andere aus derStirn streicht und mit den Augen himmelt. Ich würde sagen, sieseien so unschuldig wie die eines Kindes, das seinen Milchbreihaben soll, wenn ich nicht noch gestern gesehen hätte, wie feindlichund giftig sie werden können, wenn sich jemand untersteht. SeinerHoheit zu widersprechen. Das war, als mein Bruder Johann seineMeinung äußerte, daß sein Plan mit dem Badehotel mit den sechs-hundert Zimmern für unsere kleine Stadt ein wenig zu schwin-delnd sei."„Aber waren es denn wirklich sechshundert?" wandte Berasanft ein.„Nun ja, nach Hunderten zählten sie doch jedenfalls."„Wenn ich mich recht erinnere, erzählte mir Faste, daß seinPlan für das Hotel hundertundzwanzig Zimmer umfasse; daß aberMartens höchstens achtzig haben wolle."--„Da soll ein Turm sein,— ein Aussichtsturm,"— fuhrStine fort.—„und ein Dach, auf dem man spazieren gehen kann,so wie im Süden! Und.— ja, das darf ich wohl eigentlich garnicht sagen; aber Johan erzählte, Blankenberg gehe diese Tage ver-zweifelt umher infolge dieses modernen Hotelprojektes. Blanken-bergs Hotel würde sehr darunter leiden. Das ist ja auch nach jederRichtung hin altmodisch. Und wenn erst Martens seine Hand dabeiim Spiel hat, so würde Blankenberg wohl leider ziemlich blank ge-macht werden, meinte Johan."---„Ihr sprecht von Faste Forland?" erscholl die joviale Stimmedes Schiffsreedcrs Torbensen, der zur Tür hereintrat,— er wollteein Glas Portwein am Ladentisch trinken.—„So recht herbstlich,— naßkalt.-- Ja, nun will er das Wasserwerk der Stadt bisauf die Landzunge hinausgeführt haben. Es soll die ganze Gegendversorgen. Und. in Zukunft sollen die Leute in Schwimmhosengehen,— und obendrein mit der Aussicht, elektrisch beleuchtet zuwerden, meine Damen."—Er sah sie vergnügt an.Bera schlang den Boa ineinander.--„Ich denke, der Möbel-wagen wird jetzt da sein, dann muß ich mich beeilen. Adieu,Kristine," sagte sie. grüßte und ging.---------Da draußen hielt nun der Herbst seinen Einzug unter goldig-hellem Himmel, und auf dem Stadthügel fiel das Laub gelb vonden Bäumen mit Reiffrost und auf der Straße standen von derNacht her überfrorene Wasserlachen.--— Es war ein Gefühl des alten Spießrutenlaufens aus seinerFrcitischlerzeit, das Faste heute vormittag in Versuchung führte.durch die Hinterstraßen zu gehen. Da war kaum ein Haus, in demer die täglichen Gewohnheiten nicht in- und auswendig kannte, ausden Zeiten, als er nach der Speiseliste ah und vor den Türen standund sich krümmte und am liebsten über die Hintertreppe hinein-geschlichen wäre.--Es war dieser ewige eigenartige Blick der Söhne und Töchter,jetzt Herren und Damen, in deren Hause er des Sonnabends Heringund Pfannkuchen oder alle vierzehn Tage Stockfisch oder desDonnerstags Erbsen und Schweinefleisch gegessen hatte. Und dannder Sonntagsbraten und der Pudding!— Schlimm, wenn er zuspät kam, und peinlich, wenn er zu früh kam, deswegen stand er daund wartete, wo ihn niemand sah, bis die Uhr schlug.— Und dieseverlegenen Antworten und das linkische Benehmen!— Unsicher inbezug auf die Wirkung seiner Worte und immer argwöhnisch.--Er hatte sie nach seiner Rückkehr fast alle wiedergesehen,— undalle hatten sie das eigenartige unterdrückte Lächeln oder den be-deutungsvollen Blick gehabt, wenn sie grüßten.--Er hatte ein Gefühl, als sei er nur geboren und erzogen, damitsich die anderen über ihn lustig machten,— um der beklagte undbemitleidete Narr der Stadt zu fein.—Oder—Faste wandte sich hastig um und ging schnellen Schrittes dieHauptstraße hinauf nach der Bank.—— Ihr Führer und erster Mann, der in einem abgetragenen Rockanfing und damit endete, die Stadt in eine Großstadt zu ver-wandeln!Nadelstiche--?(Fortsetzung folgt.]SchwccUfcbc 6mcirUcke.Von nüchternen Genüssen.Gestern traf ich hier einen schwedischen Kollegen. Der war miteinem Stipendium von Stockholm nach Venedig gefahren und hattesich auf der Durchreise vier Stunden in Berlin aufgehalten. Ermuß zwischen dem Stettiner und dem Anhalter Bahnhof Ent-scheidendes erlebt haben, denn in dem Reisebricf, den er für eineschlvedische Zeitung schrieb, erklärte er in aller Geschwindigkeit, daßdie Deutschen ein Volk ohne Humor sind. Mehr kann man in drei,vier Stunden auf der Durchreise nicht entdecken. Wir Reise«beschrciber geraten mehr oder weniger alle in die Methode diesesKollegen, sobald wir uns in Darstellungen des nationalen Charakters,der nationalen Seele des fremden Landes einlassen. Die Schweden,so könnte ich im Stile des schwedischen Kollegen entdecken, sind Genuß-menschen. Diese Wissenschaft schöpfe ich diesmal nicht aus den schongeschilderten schwedischen Freßorgien, sondern aus den— StockholmerSlraßenplakaten. Nicht daß Stockholm mit seinen 330 003 Einwohnernmehr als zehn Theater hat, beweist sein Genußmenschentum, ehersprechen dafür die Plakate zu den Wählerversammlungen, die an-gesichts der nahen ReichZtagSwahlen im ganzen Lande abgehaltenwerden. Da ist keine Kandidatenrede angekündigt, ohne daß daneben,vorher und nachher, Deklamationen. Gesangsvorträge, musikalischeGenüsse im Programm ständen. Auch die sozialdemokratischen Ver-sammlungen bieten oft ein solches Vielerlei an Genüssen. ES istdas Prinzip des reichbesetzten Smörgastisches, das hier ins Geistigeübertragen ist. Eine deutsche Wählerversammlung muß sich meistensmit deni einen Gericht begnügen, das der Herr Kandidat zubereitethat, höchstens daß noch ein zweiter Gang von einem politischenFreunde deS Kandidaten serviert wird. Das sieht neben einer ab-wcchsclnngsreichen schwedischen Musik-, Deklamations- und Rede-genußgelegenheit dürftig und kahl aus— wie ein deutscher Haus-mannstisch neben einem schwedischen.Anderenfalls kommt dem Versammlungswesen die AbwesenheitdeS Alkohols außerordentlich zu statten. Die Absiinenzbewegungist in den skandinavischen Ländern außerordentlich stark, und sie hatdas politische Leben sachlicher, vornehmer, undemagogischer gemacht.In den politischen Versammlungen der Partei wird entweder garkein Alkohol konsumiert oder doch nur in Mengen, die im Vergleichmit dem deutschen Vierkonsum gar nicht in Betracht kommen. Diegroßen Versammlungen im Stockholmer„FolketS hus" sind alkohol-frei. Die Abwesenheit des Bierkruges und des klappernden Kellnersgibt, wie die Kirche für ihre Versammlungslokale längst gewußt hat,den Meeting? einen ganz anderen Ernst. Die Nüchternheitsbewegungist hier überhaupt ein heilsam mächtiger Faktor. Ein Student ansUpsala erzählte mir, daß an der dortigen llniversität jeder fünfteStudent organisierter Abstinent sei I Kein Wunder, daß der skandi-navische Student für den geistigen Habitus des deutschen Bier«studenten bloß ein Lächeln der Geringschätzung hat. Sluch iir denRestaurants gibt eS keinen Vierzwang. Man braucht sich nicht zugenieren, zur Mahlzeit Milch oder Waßer zu verlangen.Ja, in manchen Städten, z. B. in Dalekarlien oben, ist der Aus-schank von geistigen Getränken überhaupt untersagt. Wer Bi�rtrinken will, muß es sich aus einer anderen, weniger streng nüchternbeherrschten Stadt bestellen. Ein solches Verbot mag von manchemEinzelnen, der sich seiner Mäßigkeit bewußt ist, als Nüchternheits«tyrannei empfunden werden. Das Volk als Ganzes, die Rasse, undganz besonders die arbeitenden Klassen werden durch diesen Ab-stinenzzwang aufS glücklichste beeinflußt. Ich habe in Lcksand,einer dalekarlischen Stadt mit 11003 Einwohnern, am Sonntag eingroßes Volksfest mitgemacht, wo von Mittag bis Mitternacht nichtein Tropfen Bier oder Wein getrunken wurde! Und doch seigentlich:und eben darum) herrschte ein Geist sanftmütiger Fröhlichkeit, derunter den brutalen Wirkungen des Alkohols nichi denkbar ist. Um12 Uhr nachts standen Burschen und Mädchen in ihrer farbig-leuchtenden, alten Volkstracht auf dem Tanzboden, undnoch war nirgends gezankt, gebalgt, gerauft, gestochenoder wenigstens jemand aus der Gesellschaft hinausgeworfen worden.Aber die kunstvollsten Bauerntänze, um derentwillen die dalekarlischenLandleute berühmt sind, wurden mit einer Anmut und Leichtigkeitdurchgeführt, wie sie nur der bicrlose Erdenmensch zustande bringt.Rund um den Tanzboden standen Bänke ganz im Finstern, imSchatten der Gebüsche, und es wisperte und flüsterte und kicherteaus allen dunkeln Winkeln. Fiel hier ein Kuß, fo war er wenigstensnicht von Bierdust behaucht... So berauschten sich in Leksand dieJungen.Die Alten aber saßen ganz wo anders, im Garten des altenBauern Peterson, der sich zur Ruhe gesetzt hat und Altertümer seinerheimatlichen Provinz sammelt. Und da sitzen alte dalekarlischenBauern in ihren langen schwarzen Schoßrvcken, gelben Kniehosen,dicken Wadenstrümpfen und Halbschuhen, und viele haben ein Paketim Schoß, ein sorgfältig verpacktes. Im Garten ist einstmals ausalten Brettern eine Art Rednerpult errichtet worden. Zu diesem ver-witterten Pult begibt sich von Zeit zu Zeit einer der Bauern. Das Pakethält er behutsam wie einen Säugling im Arm. Hierauf beginnt eineRede. Gar nicht rhetorisch, sondern ganz gemütlich-natürlich, wieeben unter Freunden. Zwischenrufe unterbrechen den Redner, diemeisten Rufe beziehen sich aus das sorgfältig verpackte Ding inseinem Arm. Man lacht, man überschwätzt den Redner, man hörtihm nicht zu. Aber da entschließt sich der Bauer, die Schnüre vomPaket abzulösen, eine nach der anderen. Noch bleibt eine dicke HülleZeitungspapier. Mit absichtlicher Langsamkeit, während die Stillelvächst und das Lachen kürzer wird, entfernt er die letzte Hülle. Jetztsieht man— zwei zusammengenähte Hasenfelle. Der alte SammlerPeterson ckber konnnt näher, die Brille auf der Nase, besieht dasFell und schüttelt dem Spender die Hand. Nun hält der Spendereine lange Erklärungsrede. Ich verstehe vor allem die immerwiederkehrenden Worte„garnla ticken",„mycks gamla ticken"(alte, sehr alte Zeiten). Vom Urgroßvater her hat er dieseszusammengenähte Fell geerbt, aus alten, ganz alten Zeiten, eSwurde als Mehlsack benutzt. Man begreift jetzt den Händedruck deS