Anterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 184.

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Mafia.

Mittivoch, den 23. September.

( Nachdrud berboten.)

Roman aus dem modernen Sizilien von Emil Rasmussen. Als Ettore endlich in Crocifissas Begleitung durch Sizilien gegen Norden fuhr, war ihm die Brust voll von der neuen Zeit, die er schaffen wollte.

Während sie Catania entgegenrollten und den Aetna in Sicht befamen, den Riesen vor ihren Augen emporwachsen sahen, kam die Inspiration fast wie ein Blitz über ihn.

Um Diambras Erscheinung herum kristallisierte sich die erste Stizze zu einem Drama, das eine Bibel für die neue Beit werden sollte, eine erhebende Nationaldichtung des fünftigen Sizilien.

In Rom galten Ettores Gedanken vor allem Crocifissa, für die er ein Heim bei einem seiner Freunde fand, einem Nervenarzt, der auf einer der entzückenden Anhöhen bei Frascati , dicht bei dem großen Jesuitenkollegium seine Billa hatte. Es war derselbe Freund, ein Schüler der großen Clerzte der Salpêtrière, der Ettore all die Zeit mit feinen guten Ratschlägen beigestanden war, und er hegte die sichere Hoffnung, Crocifissa durch geduldige Pflege und Behandlung wenn auch nicht der Heilung, so doch einer bedeutenden Besserung zuzuführen.

Mit erleichtertem Herzen konnte Ettore sich nun auf seine politischen Pläne werfen.

Wenige Tage nach der Ankunft wandte er sich an den Ministerpräsidenten und erlangte eine Unterredung mit ihm.

Klar und mit Nachdruck stellte er ihm vor, welch neue Wendung die Dinge in Girgenti genommen hätten: die Häupter der beiden mächtigsten Familien der Stadt ständen nun in Oppofition zu der Regierung. Die Mafia wäre an eine Unterseetlippe festgefahren, von der keine Macht sie wieder flottzumachen vermöchte, abgesehen davon, daß fie fich durch ihre blutige Tyrannei so verhaßt gemacht hätte, daß die Bevölkerung jedweden Kandidaten, der bloß die Ehrlichkeit auf sein Programm setzte, als Befreier willkommen heißen

würde.

Der Minister erkannte sogleich die ganze Tragweite der Sache. Er wußte, daß Bruno in der Kammer gemieden war wie ein räudiger Hund. Es war kein Zweifel, daß die Kammer ohne Zögern ihre Einwilligung geben würde, falls die Sozialisten eine Untersuchung gegen ihn beantragen würden. Aber die Regierung hatte ihre Hände so weit im Garne, daß eine Interpellation sehr leicht mehrere Minister Tompromittieren und einen Sturm entfeffein konnte, der die Bortefeuilles mit sich riß. Ettore besaß gar gefährliche Dokumente.

Als sie sich trennten, gab Ettore das Bersprechen, über all dies zu schweigen, bis der Minister die Sache erwogen habe. Vielleicht fonnte man sich über ein Stompromiß einigen.

Schon nächsten Vormittag wurde Ettore zu einer neuen Unterredung berufen.

Der Minister bot ihm an, seinerseits in seinen Bu­geständnissen sehr weit gehen zu wollen, sofern man ihm einen regierungsfreundlichen Kandidaten garantierte und davon absah, durch kompromittierende Enthüllungen über das Verhältnis der Regierung zur Mafia allzu großes Auf­sehen zu erwecken.

Dies war eben, was Ettore erwartet hatte, und er formulierte nun seine Forderungen: Bruno follte entfernt, in der ganzen Provinz Girgenti ein Monsterprozeß gegen die Mafia eröffnet und der Kauf der Minen des Marchese un­verzüglich annulliert werden, während gleichzeitig der Bürger­meister fuspendiert und der Stadtrat unter Anklage zu Stellen sei; endlich müßten der Präfekt und alle der Mafia ergebenen Beamten durch rechtschaffene Männer erjezt werden.

Im Berhältnis zu der Gefahr, die abgewehrt wurde, fand die Regierung diese Bedingungen nicht unbillig; fie hatte ja ihre eigenen Mittel im Hinterhalt, um die Billen zu verzuckern.

Als Meaierunoskandidaten für die nächste Wahl einigte

1908

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man sich, den alten Marchese La Greca aufzustellen ein bortrefflicher Tausch für die Regierung selbst.

Daheim in Girgenti folgte nun Schlag auf Schlag und bezeichnete sogleich den neuen Kurs, den die Regierung ein. zuschlagen gesonnen war.

Das erste, was man erfuhr, war, daß der Präfekt dem Beispiel der Gräfin gefolgt und geflüchtet war. Fast gleich­zeitig kam ein Telegramm aus Rom , daß auch der Deputierte Bruno sich unsichtbar gemacht hatte.

Die Oppositionspresse kam der Sache rasch auf die Spur und in allen regierungsfeindlichen Blättern von den Alpen herab bis zum Aetna fonnte man die higigsten Anklagen gegen das Ministerium lesen. Es hieß, die Regierung habe, mit Mitteln aus den geheimen Fonds bestochen, die beiden kompromittierendsten Hauptzeugen nicht nur rechtzeitig in Stenntnis gefeßt, sondern auch in Sicherheit bringen lassen. Wie um diese harten Anklagen niederzuschlagen, ging die Regierung gegen die gesamte Mafia in Girgenti mit doppelter Strenge vor. Eines Nachts wurden nicht bloß der Bürgermeister und der ganze Stadtrat, sondern zugleich auch gegen einundeinhalb hundert Anhänger, deren Namen auf verschiedenen Wegen verraten waren, darunter Baron Bella­donna, arretiert. Zugleich wurden neue Wahlen für das Bürgermeisteramt und den Stadtrat ausgeschrieben.

Es war ein Schlag, der im Augenblick vollständig lähmend auf die Mafia wirkte, wenn sich auch niemand Illusionen machte, daß sie dadurch zerschmettert sei. Es war noch weit bis zur Berurteilung- wenn es überhaupt gelang, fie verurteilen zu lassen.

Nur einer war es, der beizeiten Pulver gerochen und Gersengeld gegeben hatte. Das war natürlich Bamfo. Er fühlte sich unsicher, weil er nicht wußte, wo Calogero steckte und was er vorhatte.

In aller Stille machte er all sein Besiktum flüssig, trieb alle Außenstände ein, verließ Carmela und das Kind, ohne Lebewohl zu fagen, und nahm als wohlhabender Mann ein Billett nach Amerifa.

Das Haus und ein Grundstück, das durch Anleihe und angelaufene Binfen an ihm hängen geblieben war, hinter­ließ er großmütig Carmela und dem Kinde und setzte seinen Bertrauten Don Gerlando zu ihrem Beschüber ein.

Auch dieser erhielt ein kleines Zeichen der Erkennt. lichkeit. Es leuchtete Bamfo ein, daß seine Madonna jenseits des Meeres ihm faum mehr als die zwei Soldi einbringen würde, die sie ihn ursprünglich gekostet hatte.

Er schenkte fie Don Gerlando, in dessen Händen sie zu einem sehr wertvollen Kapital wurde.

Eben da er Gefahr lief, durch Crocifissas Berlust auf den Hund zu kommen, schien ihm die himmlische Gnade wieder und spendete ihm reichlichen Ersatz in Pamfos einträglicher Madonna, deren Kultus bald eine erneute Blüte erlebte.

Carmela aber befand sich unter dem Schuß ihres Beicht. baters so innig wohl, daß sie ihrem Bamfo feine Träne mehr nachweinte.

Nachdem der Marchese seinen vielumstrittenen Grund wieder zurückerhalten hatte, nahmen Ettore und Gianandrea die Berechnung vor, wieviel er durch die Ausschmelzungen der Gräfin eingebüßt hatte. Darauf ordneten sie die Sache so, daß der Marchese die Minen der Gräfin samt Schmelzöfen und allem Material übernahm. Das betrügerisch gewonnene Material deckte drei Viertel der Kaufsumme.

Endlich hatte Gianandrea freie Bahn für seinen Tätig­feitsdrang und seine Fähigkeiten.

Mit seinem weiten Gesichtskreis begriff er sogleich, daß es vorläufig von größerer Wichtigkeit sei, Menschen zu läutern als Schwefel zu läutern, und er ging an diese Auf­gabe mit jener Mischung von weicher Hand und unbeugfam ehrlichem Willen, die einem Sizilianer mehr als jede andere Methode imponiert.

Er verabschiedete feinen feiner Arbeiter, obwohl er sich flar war, wie biele schlechte Elemente fich unter ihnen be­fanden. Sie wurden ohne Unterschied auf ein Probejahr angenommen, aber alle Arbeit wurde auf Afford gejezt nach einem Sage, der für die fleißigen Arbeiter eine recht an­sehnliche Lohnerhöhung bedeutete. Hierauf schaffte er, trot