Anterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 188.
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Mafia.
Dienstag, den 29. September.
( Nachdrud berboten.)
Moman aus dem modernen Sizilien von Emil Rasmussen.
Bom Posthause wies man die Fremden in die Schenke der Stadt, wo Wirt und Wirtin, zwei biedere alte Bauern, die ganze Straße in Bewegung setzten, um ein Frühstück herbeizuschaffen.
Hier ist alles, was Sie wünschen können. Sie brauchen nur zu verlangen!" versicherten die Alten.
Kein Mensch war je darauf verfallen, bei ihnen etwas anderes zu verlangen als Eier, Schinken, Käse, Brot und Früchte. Und allmählich wurden auch all diese Gerichte aus der Stadt herbeigeschafft.
Indessen wurde wegen eines Wagens verhandelt, der die Gesellschaft nach Segesta hinabführen sollte, dessen Tempel und Akropolisruine das Ziel des Ausfluges waren.
Ehe sie fuhren, nahm die Wirtin Lo Forte beiseite und bat ihn, ein paar Karabinieri mitzunehmen.
Der Tempel liegt ganz mitten in der wilden Einöde. Sie können bloß die Hälfte des Weges fahren; den Rest müssen Sie zu Fuß machen, und Sie treffen keinen Menschen." Wir sind ja zwei Männer!"
Sie wissen nicht, wie viele Schufte es hier gibt. Ich bitte Sie meinethalben und um der beiden Gottesengel willen dadrinnen!"
Die Alte sagte nichts von dem kleinen blatternarbigen Burschen, der sich so angelegentlich erkundigt hatte, ob nicht eine Gesellschaft aus Girgenti angemeldet sei, und dessen Blick und Lächeln ihr nichts Gutes verkündete. Aber sie drang so lange in die beiden Männer, bis sie ihre Bustimmung gaben und zwei Karabinieri vorausreiten ließen, doch ohne daß die Damen darum wußten.
Gleich nach Tische verließen sie die Schenke und fuhren durch die schmalen, frummen Gäßchen.
Sie hatten kaum die letzten Häuser hinter sich, als das grandiose Panorama sich vor ihnen öffnete.
Im Hintergrunde lag die Stadt, ganz beherrscht von der längst demolierten Sarazenenburg, die ihr den Namen gegeben. Vor ihnen schlängelte sich die gelbe Straße durch ein sonniges Tal, dessen Gärten eine in ihrer Ueppigkeit fast tropische Vegetation aufwiesen. Vorne aber und zu den Seiten lagen die fahlen Berge mit ihren wildklaffenden Schluchten wie ein ernst mahnendes, feindlich drohendes Totenreich, in welchem fein Baum Wurzel schlug und nur der einsame Schäfer zwischen Ginster, Disteln und Nesseln für seine Herde spärliche Nahrung fand. Mitten in diesem melancholischem Totenreiche, zwischen fahlen Klippen verborgen erkannte man schon die strengen Umrisse des schönen dorischen Tempels der Demeter, der noch nicht vollendet war, als die Kriegerhorden die reichblühende Stadt in Schutt legten, durch Jahrtausende stehen geblieben war als ein beredter Gruß des hochstrebenden Kunstgeistes ferner Zeiten.
Während sie sich dem Gaggerabache näherten, wo der Wagen halten mußte, glitt allmählich der Tempel hinter den kahlen Monte Varvaro, der einstmals Segestas Akropolis getragen hatte mit ihren Tempeln und Binnen und dem in den Felsen gehauenen Theater, von dessen Zuschauerpläßen man durch das tief in die Felsen gespaltene Tal hinabblickte auf die blauen Wogen des Mittelmeeres.
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Aber nicht bloß jene fernen Binnen haben dieser un bergleichlich großartigen Landschaft ihr Gepräge gegeben. Weit zur Linken, wohl eine halbe Meile Weges vom Tempel, auf dem Gipfel eines einsamen Felsens, strebte ein ernster Obelisk gen Himmel der von dem Blute erzählte ,. das auf diesen Firnen vergossen worden, als Garibaldi mit seinen tausend Mann von Marsala nach Palermo zog und zum ersten Male dem Bourbonenheere begegnete; der er zählte, daß auf diesen Abhängen der Schlüssel geschmiedet und im Blute getauft war, der das Tor zu Italiens Einigfeit und Freiheit öffnete.
Entzückt, hingerissen von den mächtigen mannigfaltigen Eindrücken, die ihnen hier entgegenströmten, saß die kleine Gesellschaft da und tauschte bewundernde Ausrufe, als ein Reiter in fliegender Karriere sie einholte. Er brachte ein
1908
Telegramm, das der Wirt ihnen augenblicklich nachgesandt hatte.
Es war an Gianandrea gerichtet, der es aufriß, während die anderen, insbesondere Lidda, von unwillkürlicher Angst ergriffen, in tiefer Spannung den Atem anhielten. Das Telegramm lautete:
Kehret augenblicklich heim! La Greca von Briganten gefangen genommen! Sein Schicksal bedroht! Soldaten durchstreifen die ganze Gegend. Ersilia."
Betäubt, fast wahnsinnig vor Wut und Verzweiflung, fuhren sie zurück, so rasch die Pferde ausgreifen konnten.
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Nach Palermo , wo sie denselben Abend anlangten, hatten sie telegraphisch nähere Auskünfte bestellt. Hier er fuhren sie, wie alles sich zugetragen hatte.
Am vorigen Tage war der Marchese unter einem falschen Vorwand zu den Minen hinausgerufen worden; schon am Wege wurde der Wagen plößlich von maskierten Räubern umringt, die La Greca und den Kutscher zwangen, aufzusißen und ihnen mit verbundenen Augen in die Berge zu folgen. Des Nachts war der Kutscher, immer mit der Binde vor den Augen, auf die Landstraße zurückgebracht und mit einem Brief nach Girgenti heimgesandt worden, in dem die Briganten innerhalb acht Tagen hunderttausend Lire verlangten. Das Geld sei mit einem bestimmten Manne hinaus zuschicken, der um Mitternacht zu den Minen zu fahren und zwei Männern, die das vereinbarte Losungswort kannten, die Summe zu übergeben hatte. Würde der Betrag nicht bezahlt oder an Polizei oder Militär etwas verraten werden, so sei das Leben des Marchese verwirkt. Selbst wenn die Briganten umringt würden, würden sie ihn töten, ehe sie fich ergäben.
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man sich nicht entsann. Es wurde ein Wahltag, dessengleichen erlebt zu haben
frühem Morgen an auf den Beinen. Auf dem Korso und in Wie an großen Festtagen war die Bevölkerung von allen drei Klubs- von den Cafés nicht zu sprechen- gab es Gedränge. Die Diskussionen wurden unter leidenschaft. lichem Hochdruck geführt, wie wenn ein siegreicher Feind im Begriffe stünde, die Stadt zu plündern.
Die Soldaten wurden den ganzen Tag in der Kaserne gehalten, und es hieß, daß scharfe Patronen ausgeteilt seien. Starke Patrouillen von Karabinieri durchstreiften unaufhörlich den Korso, ohne daß es doch zu irgendwelchen Friedensstörungen fam.
Abends stand die Volksmenge in einem dichten Haufen vor dem Rathause geschart. Die Spannung hatte den Höhe punkt erreicht. Wohl war die Mafia augenblicklich durch die zahlreichen Verhaftungen fürchterlich geschwächt, und den ganzen Tag hatten die Mitglieder, die noch auf freiem Fuße waren, sich wohl gehütet, sich bemerkbar zu machen, aber sie hatten dennoch die Dreistigkeit gehabt, Bruno wieder als Kandidaten aufzustellen. Die Spannung war jedoch dies. mal nicht dem Zweifel zuzuschreiben, wer in der Wahl siegen würde, da ja alle wußten, daß der Marchese durchdringen mußte, sondern vielmehr der fürchterlichen Ungewißheit über La Grecas Schicksal. Würde die Mafia den Sieg davontragen, eben da man sie unterlegen glaubte? Die Familie war gezwungen gewesen, über alles, was die Ge fangennahme betraf, das tiefste Geheimnis zu bewahren, aber man glaubte zu wissen, daß die Lösesumme herbei. geschafft sei und die Auswechselung am Wahlabende vor sich gehen würde.
Gegen Mitternacht wurde das Wahlresultat bekannt; La Greca war mit dreifacher Majorität gewählt.
Die Menge suchte sich durch Hochrufe aufzuraffen, aber es war nur wie eine Flamme, die eine Sekunde aufflackert, ehe sie erlöscht.
Indessen waren alle Freunde La Grecas in seinem Palazzo versammelt, um den Frauen Mut zuzusprechen und augenblicklich Nachricht zu haben, sobald sein Schidjal ent. schieden war.
In allen Gemächern strahlten die prachtvollen Kristall. fronen. Alle Möbel und Kostbarkeiten waren enthüllt; das