— 754 kas Gerücht Bereits Ben Volkshaufen in Bewegung gefetzt hatte. An der Kaserne vorbei kamen die acht mutigen Minen- arbeiter— die beiden Gefangenen zwischen sich wie ge- dundenes Vieh. Liddas Blick suchte Ficarotta. Da stand er schaudernd, und die lüsternen Hundcangen blinzelten in der gelben Fratze. „Imxm manarul" schrie Lidda, und mit einem gewalt- samen Stoß jagte sie ihr Stilett bis an den Schaft in seinen Leib. � � Einen Augenblick verstummte die zuströmende Menge— aber nur so lange, wie die Lunte braucht, um das Pulver zu erreichen. Die geladene Volksstimmung explodierte in einem wilden Schrei, und in einem Nu lag der andere Gefangene auf dein Boden, von Messerstichen zerfleischt. Die Schleuse war geöffnet. Jeder hatte seine personliche Mache zu kühlen. Aller Gemüter kochten. Wo es Mafiusi gab, die der Polizei entgangen waren. drang man in die Häuser ein, nahm Rache, stach die Schuldigen nieder, warf die blutüberströmten Leichen durch die Fenster auf die Straße hinaus. Straßen und Gäßchen gellten von dem wahnwitzigen Schreckensgeschrei der Kinder und Weiber. Irgendwo unten auf dem Korso wurde ein Losungswort gegeben: „Zu den Gefängnissen! Rache über die ganze Bande, die wohlgeborgen hinter den Mauern sitzt!" Die Karabinieri zogen blank. Die Offiziere drohten mit den Soldaten. Gianandrea suchte seine breite Brust dem Ansturm entgegenzustemmen. Von einem Balkon herab schrie Ettore Del Chiaro über die Menge hinaus, um zu Besonnen- heit zu mahnen. Zu spät! Sie hatten Blut gesehen! Der Rachedurst sprang aus ihren Augen. Alle mahnenden Worte erstickten in dem tausendstimmigen Mlutschrei: «Vendetta! Vendetta!* (Nachdruck 28] Huf Irrwegen. Von Jonas Sie, „Ja, Gott helfe unö, Herr Forland," platzte sie jetzt heraus. „Mein Mann und ich haben auch unser ganzes Hab und Gut in einer Biertelaktie augelegt. Und ich habe jetzt schon vierzehn Tage kein Auge deswegen geschlossen!— Das ist alles, was wir haben, müssen Sie wissen."— Sie trocknete sich die Augen einmal über das andere.--„Mfatt hat sich so manch einen sauren Tag dafür abgemüht und sich bei jeder halben Krone gefreut, die man für die alten Tage zurücklegen konnte.— Und hier sitzen wir nun in Angst und Beben vor der Abbezahlung un? der Miete für unsere Stube und vor der Doktorrcchnung vom Winter und wissen nicht, ob wir noch einen Heller haben oder nicht. Man hat wirklich keine Ruhe mehr, an irgend etwas anderes zu denken." „Hören Sie mal, Mutter Gjöset," sagte Faste mit plötzlichem Entschluß,—„Ivenn Sie die Viertelaktie zum Herbst nicht verkauft kriegen können, so kommen Sie zu mir, ich will Sie Ihnen ab- nehmen." > Madame Gjöset stand wie aus den Wolken gefallen da und sah ihn an: „Sie meinen also, die Aktie hat noch ihren vollen Wert?" rief sie aus.—„Aber dann verlieren wir wohl die Zinsen?" fragte sie mißtrauisch. „Na ja. ich danke Ihnen vielmals für Ihr Versprechen, Herr Forland. Ich will mit meinem Mann sprechen, sobald er nach Hause kommt.—— Aber Gott bewahre uns vor diesen Gerüchten!"— fügte sie hinzu, indem sie die Nähmaschine von dem Treppenrande aufnahm, auf den sie sie gesetzt hatte. Zweifel, Zlvcisel. nichts als Zweifel— klang es ihm in den £Ijreit.—— Alle diese kleinen Häuser und Nester voller Fragen. -- Der finstere Mißmut, den die Angst instinktiv niedergehalten Hatte, gewann einen Augenblick die Oberhand in ihm.-- Erst als die Dämmerung des Frühlingsabends sich leise herab- guscukcn begann, kehrte Faste von der letzten seiner Expeditionen gus der Landstraße zurück. Es war als ging und wate er in einem Moor herum. Dieselbe Antwort von ihnen allen! Man müsse erst wissen, was die andercg dazu meinten.—. Und dann der sehr schlaue Rat, sich doch an Onkel Joel zu wenden!— Jetzt in diesem teuren Monat alles liegen zu lassen. -- Und ihm dann«das Projekt" halb oder zum Drittel fertig zu zeigen!-- Seinen einen schiefen Zahn sich voller Hohn tiefer und tiefer in die Lippe graben sehen.-- Faste wußte selber nicht, daß er schon ein gutes Stück in die Stadt hineingekommen war, bis er John Berg und Hermann Wiik in der Straße erblickte. Sie verschwanden in eine Seitengasse, als sie Spaziergänger herankommen sahen.-- Mochten sich na« türlich am Tage nicht sehen lassen.--' Merke recht gut, daß es Leute gibt, die der Meinung sind, Fast« Forland könnte der Dritte im Bunde sein und sich auch nur am Abend hervorwagen,— puh— er hatte ein Gefühl, als umgebe ihn ein luftleerer Raum!-- Er bog plötzlich in eine Querstraße ein und ging unwillkürlich die Allce hinauf, die zu Gyllings führte. Es lag schon ein dünner Mondstrcif über dem Hausdach, während die ganze Gartenseite in tiefen Schatten getaucht war, und zwei bis drei hohe Baumwipfel zu der Himmellichtung aufragten. Faste ging an der Hecke auf und nieder, auf und nieder.— Er wollte schon zum zweitenmal bei der Gartenpforte um« kehren, als er eine Gestalt auf dem Balkon entdeckte. „Du, Faste?" klang Beras Stimme überrascht hinab. Sie kam barhäuptig herunter und blieb auf der Gartentrepp« stehen. „Ich glaubte Dich da oben zu sehen, Bern ,— und wundert« mich, woran Du wohl dächtest.— Ich dachte mir im Geiste einen melodisch wehmütigen Flötenton hinzu,— an diesem schönen Abend.-- Es muß angenehm sein, wenn man so harmonisch und so schön ist.-- Ich meine, keine weitere Verantwortung zu haben,— sich um niemand zu kümmern!——" „Bist Du wirklich nur stehen geblieben, um mir diese schönen Dinge zu sagen, Faste?" „Ja, Deine Erscheinung verschwamm so ganz mit der Natur. — Sie genießt nur und ist frei von allen Lasten.-- Es gibt für Dich nichts Nichtiges und nichts Verkehrtes!" „Du hast sicher viel auf Händen und viel zu tragen, wie Tn Dich ausdrückst, Faste!-- Aber ich kenne auch niemand, der so ausruhen und alles von sich abschütteln kann wie Du. Du gehst in Deine eigene Welt hinein und ziehst alles um Dich her mit dahin." „Ja. ich weiß es. Ich weiß eS.— ich bin eine Art Luftwesen. daS außerhalb der Wirklichkeit steht und nur den einen Fehler hat. daß ich sowohl mir als auch meinen Mitmenschen Enttäu. schungen bereite. Verhält es sich nicht so?>— Ich könnte längs Weg« zurücklegen, nur um Deine ausdrucksvolle Stimme mir das sagen zu lassen,— wieder und wieder-- so gut und sanft und barmherzig,— nur daß es einen ganzen Berg von Verantwortung auf mich wälzt!— Ich bin so gewöhnt an diese feinen Stiche durchs Gewissen mit Deinen langen Haarnadeln, daß ich mich ordentlich danach sehne wie nach einer Würze, wem ich mich zu lang« da unten mit den direkt Brutalen herumgeschlagen habe.-- Hast Du es nicht gemerkt. Vera, daß ich ab und zu einen Anfall be- komme, in dem ich Dich absolut sehen muß. Das hängt folgender- maßen zusammen.—— Großer Gott, wie Du mich gequält hast, — immer, wimer I" „Wirklich?"— sie machte eine selbswcrgessende Bewegung die Treppe hinab, auf ihn zu, blieb dann aber stehen und lehnte sich gegen den Geländerpfosteii. „Ach, sprich Dich nur aus,"— sagte er erbittert.--„Beweise mir. daß es nur etwas ist, was ich mir einbilde,— natürlich, — da ja der ganze Bursche nichts als Einbildung ist!— Und daß es aus einer gewissen grausamen Lust Deinerseits geschehen sollte?, — Leere Worte!" Sie schüttelte den Kopf.„Ich denke nur daran, wie schwer das alles auf Dir lastet--" „Du meinst das Badeunternehmcn?" „Nein, ich meine alles mögliche,— alles, Faste— Und wie leicht Du glücklich sein könntest!— Aber Du mußt wohl zu Dir selber kommen; das kann Dich niemand lehren." „Ob ich jetzt wohl nicht genug habe, Vera?— Wir fingen mit der Natur an und dann gleich,— ein Stich nach dem anderen!" „Lieber Faste, bin ich nicht wenigstens gutmütig, daß ich Dich auf Konto unserer alten Freundschaft hier stehen und Deine ganze schlechte Laune über mich ergehen lasse?" „Gutmütig! Gutmütig!— Du hast mich enttäuscht! Ich glaubte wirklich einmal, daß Tu etwas seiest,— eine tiefe Persönlichkeit." Sie steckte plötzlich den Kopf über das Geländer vor und sah ihm kalt in das Gesicht.-- „Wenn Du so viele hast, die Dich besser verstehen. Faste, wcs- halb willst Du Dich da zu mir herablassen, wo Du nichts als Widerspruch findest und schlechter Laune wirst. Warum gehst Du nicht zum Beispiel zu Deiner begabten Dame, wie Laura Groth. Ich bin überzeugt, die würde Dich sofort verstehen? Siehst Du, das ist mein Rat. Schließe Dich an jemand an, der Dich in dieser schlimmen Zeit bei Humor erhalten kann--"
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25 (30.9.1908) 189
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