CfiSjl abschauen. Sie zeigen nichts ausfälliger, als das. was f!e verbergen wollen. Wie die Schullerin die Stubcntüre ösfnete und den Bauern auf der Ofenbank sitzen sah, fuhr sie zurück und hob im Hausgange ein verdächtiges Wispern mit ihrer Tochter an. Alle zwei flüchteten in die Küche. Der Schuller ging ihnen nach. „Was geit's denn?" fragte er. -„Nix. Was soll's denn geb'n?" „Für was bischt denn so zruck'sprunga vo da Tür?'' ,,J?" „Ja! Hat's wieder was geben in da Kircha?' Die Schlillerin wurde kleinmütig und erzählte alles. «Slber ihre Angst war überflüssig. Der Bauer horte sie ruhig an, und er sagte bloß:„Dir is ig'rad recht g'schehg'n." „I bin do gar nit vermoant g'wen!" „Weil du nia nix denkst." „A ganz a kloanS Kreuzel, dös ko do neamd im Weg um- Seh'! I ho do gar nix g'moant." „Geh zua!" „Da tat'st du sag'n, es g'schiecht mir g'rad recht. Es is ko nix schlecht's, bat mi woaß, daß net grad a Hund dort liegt!" „Geh zua, sag i! Laos du an Pfaffen it nach! Nacha ko er dir nix toa." Der Schuller drehte sich um und ging. Er war nicht so ruhig, wie er sich gab, aber die Bäuerin krauchte das nicht zu wissen. Wenn er dabei gewesen wäre, wie sie herumtrampelten auf dem Grabe, vielleicht hätte er den Menschen gepackt, und Hütt' er ihn gehabt, es war' ihm nicht gut gegangen. Und dann war' er selber unglücklich geworden, vielleicht sür sein ganzes Leben. Das tvar der wert! «Geh' zua!' .<Fortsctzung folgt.)! (Nachdruck dcrl«!c!l.> Der kleine flücbtling. Von Wilhelm Scharrelmann . Er wußte selber nicht, wie er plötzlich auf den schier ungeheuer» llchcn Gedanken gekommen war, der ihm daö kleine Herz in hellen Stößen klopfen ließ, daß er kaum Ruhe hatte davor und die Hand ans die Brust pressen mußte, weil er meinte, daß eS dann stiller werden müsse da drinnen. Im Schlafsaale rührte sich kein Laut. Die beiden Gasflammen, die unter der Mitte der weißgelünchtcn Decke brannten, flackerten in dem Zuge der weichen, wannen Luft, die durch die offenen Fenster hereindrang, und zuweilen bogen sich die Flammen scheu zur Seite, wenn der Wind etwas heftiger durch die offenen Fenster hereinstieß und die weißen Vorhänge wie Segel aufblähte. Leise richtete sich Paul im Belte auf und schaute sich um. Er horchte auf das leise Atemholen der Schlafenden, die in ihre weißen Decken gewickelt wie Tote rings um ihn in ihren Betten lagen. Er wagte kaum zu atmen in der schlafenden Stille, die ihn umgab. Reben ihm lag der Konrad HauZberg und schlief so fest und ruhig, als habe er nicht noch vor ein paar Stunden eine Obrfeige voin Hausvater erhalten, weil er nach dem Abendgebet noch ein paar leise Wörtchen geflüstert hatte. Und der Oskar Kreutziger dort schlief ebenso fest und hatte die Hände auf der Bettdecke geballt, als sei er im Schlafe noch wütend. Sonderbar, wie stille es im Saale war. Nirgends auf der Welt konnte eS stiller sein. Das leise Atmen der Kameraden machte die Stille noch tiefer. Es war, als wenn olles im Saale eingeschlafen wäre i die Kleider, die so schlaff und zusammengesunkesi an den Bettpfosten hingen, als hätten niemals lebende Glieder in ihnen ge- steckt, und die Handtücher darüber an der Wand. Rur die weißen Fenstervorhänge schienen ein geheimes Leben bekommen zu haben, wenn sie wie Gespenster sich plötzlich in den Saal hineindrängten und dann wieder in sich zusaminensankcn, als hätten sie sich um- gesehen, hätten in alle Betten geschaut und könnten nun wieder ruhig auf ihren Platz zurückkehren. War es nicht, als wenn seine Kameraden in weiße Laken gc- wickelt tot in ihren Betten lägen, und war er nicht der einzige, der noch lebte und sich umschaute? Hatte nicht auch seine Mutter vor wenigen Wochen so still und in em weißes Laken gewickelt in ihrem Sarge gelegen? Eine Angst kam über ihn, eine entsetzliche Angst, die ihn mit weit aufgerissenen Augen in den Saal starren lieg und plötzlich einen lauten Schrei aus seiner Brust preßte, einen lauten, jammernden Schrei, der jäh durch den stillen Saal und durch die offene Tür über den Korridor schallte. Im selben Augenblick warf er sich wieder in die Kissen, zog die Decke hoch herauf und schloß, von Furcht geschüttelt, die Augen. Einige Sekunden war alles wieder ganz still. Aber kamen da nicht Schritte über den Flur, langsame, schlür« sende Schritte? Vorsichtig spähte er nach der Tür. Richtig, es war der Hausvater. Er hatte eS sich gedacht. Der kam nun, um nachzusehen, wer eben geschrien habe. Er drückte sich tiefer in die Kissen, schloß die Augen und begann trotz seines Herzklopfens langsam und ruhig zu atmen, als schlafe er fest. Leise ging der Alte an den Betten hin. Wenn der nun entdeckte, daß er geschrien hatte! Langsam kam er den Gang zwischen den Betten herauf und blieb an seinem Bette stehen und sah ihm ins Geficht. Er fühlte den Blick l Wenn er mit den Lidern zuckte oder sich sonst wie verriet— l DaS Herz klopfte ihm zum Springen. Er merkte, wie ihm der Angstschweiß ausbrach. Eine empfindliche Strafe war ihm sicher. Im Schlafsaal war jedes Gespräch streng verboten, und ein lauter Ruf, wie er ihn vorhin ausgestoßen hatte, wäre erst recht hart be» straft worden. Wenn der Hausvater ihn fragen würde, ob er vorhin geschrien habe, so würde er leugnen. Ganz gewiß! Aber so dumm war der nicht zu ftagen. Er würde ihm eine Maulschelle geben, ohne ihn zu fragen. Der ließ sich so leicht nicht täuschen. Der war gerissen, der Alte mit dem grauen Barte und den scharfen Augen, die fich bis ins Herz bohrten, wenn er einen ansah. Der Blick war kaum zu ertragen. Es zuckte ihm in den Augen- winkeln. Ein Brennen stieg darin auf. Im nächsten Augenblicke würde er zwinkern müssen. Langsam ging der Alte vorbei, tappte durch die nächste Reihe. sah sich dann an der Tür noch eininal um und verließ dann wieder den Schlafsaal. Er lag noch einige Augenblicke und horchte auf die Tritte, die fich langsäin entfernten. Sollte es nicht doch möglich sein, aus dem'Hause hinauszukommen, Ivie es ihm vorhin geträumt hatte? Der Saal lag ja allerdings im ersten Stock, und es würde ein tüchtiger Sprung fem bis auf die Erde hinunter. Aber es war doch im Traum möglich gewesen? Er hatte sich ait der Röhre festgehalten, in dem das Regenwasser aus der Dachrinne hinunterfloß. Gefährlich war es gewesen, ja. Man konnte leicht von dem glatten Rohre aus Zinl- blech abrutschen, und wenn man fiel— der Hof unten war mit Steinen gepflastert! Er würde nicht wieder auffiehen, wenn er hinunterstürzte.... Die Neugierde plagte ihn, einen Blick ans dem offenen Fenster auf den Hof hinabzuwerfen. Leise schlüpfte er auS seinem Bette und schlich mit wenigen leisen Schritten im Hemd an das Fenster und schlug die Vorhänge zurück. Eine helle Sommernacht lag da draußen, still und groß, und nur der Schatten des Hauses, der gerade in den Hof hinein fiel. hinderte es. daß man unten im Hofe die Pflastersteine zählen konnte, so hell schien der Mond. Und jetzt sah er auch die Dachrinne am Hause. Sie führte dicht am nächsten Fenster hinunter. Er konnte sie beinahe mit den Händen ergreifen. Wenn er es wagte— in dieser Nacht noch wagte— l Scheu und versichtig sah er sich um. Die Pforte unten, die auf die Straße führte, war auerdingS wie immer verschlossen. Aber wenn ihn keiner störte, würde er bald genug hinüber sein, trotz der spitzen Nägel, die allenthalben oben darauf in die Höhe starrten. Klettern konnte er wie eine Katze. Keine Mauer war ihm zu hoch gewesen, ftüher, als er noch bei seiner Mutter war und an den langen Nachmittagen sich selbst überlassen blieb und er dann daS ganze Stadtviertel durchstreifte. Aber wohin wollte er denn? Und wenn man ihn wieder ein- fing und zurückbrachte hierher, so würde er eine entsetzliche Strafe bekommen. Der Hausvater fackelte nicht, und die Lehrer würden auch keine Gnade niit ihm haben. Aber konnte man nicht in dem großen Forste, der an die Stadt stieß, ein Unterkommen finden? Da gab es Verstecke genug l Während er das dachte, fiel ihm die Erdhöhle wieder ein. die er im vorigen Jahre dort entdeckt hatte. Sie lag am Abhänge zu deni tiefen, breiten Graben, der de» ganzen Wald durchzog, und er hatte einmal einen ganzen Tag darin gehaust und auch darin geschlafen, als seine Mutter gestorben war und man die Leiche am anderen Tage aus dem Hanse getragen hatte und er davon gelaufen und tagelang nicht nach Hause gekommen war, bis man ihn in der Stadt angehalten und hierher gebracht hatte. Zu essen würde er genug finden. ES gab Rüben auf den, Felde und Möhren, und vielleicht ließ fich in den Abendstunden dies oder das in den Straßen finden. Die Stadl war ja groß und wenn er aufpaßte, würde man ihn so leicht nicht fassen, und aufpassen würde er schon. Leise tappte er zu seinem Bette zurück und überlegte alles noch eimnal genau. Es fror ihn von dem Stehen am offenen Fenster. trotz der warmen Luft. Oder war es die Angst, die ihm die Zähne im Mmtde klappern ließ? In der schlimmsten Not würde er spät abends zu der alten Frau Klepp schleichen, die neben seiner Mutter wohnte und die ihm gewist beistehen und ihn nicht verraten würde. Hatte sie ihm nicht oft einen Bisten zugesteckt, wenn er hungernd und frierend im letzten Winter auf der Straße herumgelungert und auf seine Mutter ge- wartet hatte, die oft lange ausblieb, wen» die Wäscherei bei den feinen Leuten gar so lange gedauert hatte? Ja, einige Male hatte
Ausgabe
25 (15.10.1908) 200
Einzelbild herunterladen
verfügbare Breiten