Hlnterhaltungsölatt des vorwärtsNr. 214. Mittwoch den 4 November. 1908(Nachdruck derbsten�861 Hndreaa Vöft.Bauernroman von Ludwig Tboma.Nun hatte Sylvester keine unehrerbietigen Bedenkengegen die Erwähnung des Gebetes; er fühlte nur, daß diesesübliche Lob seinem Wohltäter nicht gerecht wurde und denNachkommen nichts erzählte von den trefflichen Eigenschaftenihres alten Pfarrers.Sie hätten auf das Denkmal schreiben müssen, daß erkeinen Menschen haßte, in allem das Gute suchte und dieArmen nach des Heilands Vorbilde liebte.So wäre es recht gewesen und nützlich für die Erlbacher.Sylvester bemerkte mit Unmut, daß geheime Einflüsseschon in den ersten Monaten das Andenken an Maurus Heldtrübten.Seine eigene Mutter schüttelte einmal bedenklich denKopf, als er den Verstorbenen rühmte, und sie meinte, eswäre wohl alles schön, aber ob der selige Herr so recht eifrigim Christentum gewesen sei, das wisse sie nicht.Er fuhr zornig auf und wollte wisien, woher sie das habe.Und die alte Veronika Meng hatte Mühe, ihn zu be-schwichtigen. Es sei nur ihre Meinung gewesen, und sie wollenur ja dem guten Herrn Held nichts Unrechtes nachsagen. Aberweil er doch selbigesmal abgeredet habe, wie dem jetzigenPaulimann sein Vater tausend Mark hergeben wollte für eineMission, daß die Kapuziner in Erlbach predigen sollten. Undda habe der Herr Held gesagt, es sei besser, wenn er das Gelddem Spital schenke. Deswegen habe sie das so gemeint.Daß auch der neue Pfarrer hinter dem Gerede steckte.sagte sie lieber nicht.Aber Sylvester ahnte es und dachte, es könne nicht ohneZusammenhang sein, daß seine Mutter sagte, was er auchsonst zu hören bekam.Zum ersten Male sah er den Undank und daS oberfläch.liche Urteil der Menschen. Seine Begeisterung ließ ihm dieseFehler größer erscheinen, und er mußte die Enttäuschungstärker empfinden, weil es ihm an Erfahrung fehlte.Traurig und verstimmt kehrte er nach Freising zurück.Auch hier blieb ihm der Verlust fühlbar genug. Gerade indiesem letzten Halbjahre, welches er noch auf dem Gymnasiumzubrachte, mußte er sich immer wieder an den väterlichenFreund erinnern.Sein treuer Rat fehlte ihm, und dann sein Beifall, alser die abschließende Prüfung bestand.Er wäre wohl freudiger an das Berufsstudium gegangen.wenn er noch das Beispiel Heids lebendig vor Augen gehabthätte. Wenn er sich die Aufmunterung bei ihm hätte holenkönnen.Das war nun alles so anders geworden. Als er mit derroten Absolvcntenmütze heimkam, ging er in den Pfarrhof.Es war ihm, als müsse er neben den Rosenstauden imGarten den weißhaarigen Herrn sehen und die freundlicheStimme hören.„Ei. sieh da. parvule, mit der farbigenMütze! Nun bist Du hineingewachsen in den Rock und indie Gelehrsamkeit. Lalve confrater in litteris!"Aber der Mund war geschlossen für immer; die liebenAugen, in denen ein gütiges Lachen saß, waren gebrochen.Zwei andere blickten Sylvester an. Zwei kalte Augenmit grünlichem Schimmer, und eine gleichgültige, harteStimme fragte:„So. Sie sind der hiesige Student? Ich habevon Ihnen gehört. Sie wollen Geistlicher werden?"„Ja."„Man sagt mir, daß mein Amtsvorgängcr Sie unter-stützt hat."„Ich verdanke ihm viel."„Hat er Ihnen pekuniär geholfen?"„Nein, das nicht."„Ich fragte nur. weil ich bemerken wollte, daß ich nicht inder Lage bin zu sowas."„Ich danke Ihnen, Herr Pfarrer. Aber ich habe, was ichbrauche."„Ihr Vetter, der Spanninger von Pasenbach...?"„Der läßt mich studieren, ja.'„Da brauchen Sie freilich keine Hilfe. Es kommt nurzu oft vor, daß man uns in Anspruch nimmt. In meinerersten Pfarrei, in Breitenau, mußte ich bei zwei mittellosenStudenten ab und zu aushelfen. Man tut es ja gerne, wennes einigermaßen geht. Nun, Sie bleiben in den Ferien hier?"„Ja."„Da sehen wir uns wohl oft in der Kirche. Also gutenTag!"Die grünlichen Augen blickten Mang während des Gesprächs lauernd an. Sie glitten an ihm hinauf und hinunter,und wenn er sie fest ansah, huschten sie weg. Und dann schobensich feuchtkalte Finger in die Hand Sylvesters und zogen sichwieder zurück; ohne Druck, glatt, wie sie gekommen waren.Sylvester verabschiedete sich.Der ehrliche Bursche hatte nasse Augen, als er das Hausverließ. Aus allen Ecken heraus hatten ihn Erinnerungengegrüßt.Nun war es so ganz anders; ein bitteres Gefühl derVerlassenheit überkam ihn.Und verließ ihn nicht mehr alle die folgenden Wollen.Er hörte zerstreut zu, wenn seine Mutter von der schönenZukunft erzählte. Von der ersten heiligen Messe, bei welcherVeronika Mang den glückbringenden Segen ihres Sohnes er-halten sollte: von dem großen Pfarrhofe, in welchem VeronikaMang ihre alten Tage beschließen würde, und von dem seligenAbsterben, welches nunmehr der Veronika Mang durch di»Gnade des Himmels beschicden sein werde.Hier und da mußte er lächeln, wenn die Alte über dieJahre hinwegsprang und sich in die Frage vertiefte, ob derkünftige Pfarrer die Oekonomie selber betreiben oder lieberverpachten sollte.Aber fröhlich wurde er darum nicht.Und dann war Sylvester allein in der großen StadvVon seinen Schulfreunden blieben die meisten in Freising, unddie wenigen, welche nach München kämen, stolzierten mitfarbigen Bändern herum und lüfteten kaum die Mützen, wennihnen der unscheinbare Mang begegnete.Es wurden Versuche gemacht, den langen Sohn ErlbachSfür katholische Verbindungen zu erwerben. Aber er hattekein Verständnis dafür; weder für die trinkfesten Künste, nochfür die politische Bedeutsamkeit dieser Gelbschnäbel. Und inein Seminar wollte er auch nicht eintreten, trotz des lebhaftenWunsches seiner Mutter.Die alte Veronika wußte nichts von den pädagogischenVorzügen dieser Anstalten, aber die Tracht ihrer Jünger ge«fiel ihr über die Maßen.Vor Jahren herbergte der Alumnus Stephan FreutKmiedel von Webling des öfteren in Erlbach. Und wenn ermit flatterndem Gewände durch die Dorfgasse schritt, schauteVeronika Mang ehrfürchtig durch das Fenster und malte sichim Geiste aus, wie stattlich dereinst ihr Sohn in diesemKleide dahingehen werde.Sie mußte ihre Sehnsucht bezwingen, denn Sylvestersträubte sich gegen den Schmuck und saß lieber einsam und freiin seinem Kämmerlein.Hoch oben im vierten Stocke als Zimmerherr der königlichbayerischen Sekretärswitwe Kornelia Rottenfußer, welche sichoft über den freudenarmen Jüngling wunderte. Der bliebso manchen Abend daheim und las.In den ersten Tagen der akademischen Freiheit hatte er�zögernd und doch von einem unwiderstehlichen Wunsche an-getrieben, Bücher gekauft, vor denen man ihn als Schülereindringlich gewarnt hatte.Es waren die Werke ungläubiger Dichter, welche in denjungen Herzen Zweifel und Unruhe erregen mußten. Nurwer im reiferen Alter gefestigten Glauben erworben habe,könne ihnen ungefährdet nahen, hatte der Professor gesagt.Die Namen Lessing, Wieland, Kleist leuchteten nicht am Frei-singer Himmel, Schiller stand nicht in hohem Ansehen; Goethewar ein Heide.Und nun erfreute sich Sylvester mit empfänglichenSinnen an den Geschmähten.In seine Bewunderu.lg drängte sich ein beklemmendesGefühl.Warum hatten die Berater seiner frühen Jugenb sofeindselig qcurteilt?