Ich komme gleich, antwortete da? Mädchen; gefje Du nur. Kindchen, geh' ollein. Ich komme gleich. Lukaschla erdob sich und lüftete seine Mütze. Ich werde wohl auch nach Hause gehen, das wird das beste sein, sagte er. Er stellte sich gleichgültig, konnte aber kaum sein Lächeln unterdrücken und verschwand um die Ecke des Hauses. Inzwischen war die Nacht über das Dorf hereingebrochen. Die leuchtenden Sterne funkelten am dunklen Himmel; in den Slrasten toar es finster und menschenleer. Nasarka war mit den Kosakinnen auf dem Erdhügel geblieben. Man hörte ihr Lachen. Lukaschka aber hatte sich mit leisen Schritten von den Mädchen entfernt, wie eine Katze geduckt, und war plötzlich unhörbar, den schaukelnden Dolch mit der Hand festhaltend, nicht nach Hause, sondern nach der Richtung gegangen, wo die Wohnung des Fähnrichs lag. Er durchlief die Straßen und bog in eine Quergasse ein. Er nahm seinen Waffenrock auf und setzte sich im Schatten des ZauneS auf die Erde nieder. Sieh einer das Fähnrichsmädel, dachte er. sie mag nicht scherten, das Teufelsdingl Kommt Zeit.. Die Schritte einer herannahenden Frau weckten ihn aus seinen Gedanken. Er horchte auf und lachte vor sich hin. Mariana kam gesenkten Hauptes mit schnellen, gleichmäßigen Schritten gerade auf ihn zu und schlug dabei mit einer Rute an die Pfähle des Zaunes. Lukaschka erhob sich. Mariana erbebte und blieb stehen. Sieh nur, garstiger Teufel, was erschreckst Du mich? Bist Du denn nicht nach Hause gegangen? sagte sie und lachte laut. Lukaschka umfing mit einer Hand das Mädchen, mit der anderen faßte er nach ihrem Gesicht. Was ich Dir sagen wollte... bei Gott —. seine Stimme bebte und stockte. Was der für Reden führt mitten in der Nacht, antwortete Mari-ana, die Mutter wartet, und Du geh' nur zu Deinem Scbatz. Sie entivand sich seinen Armen und lief einige Schritte weiter. Ms sie an den Zaun ihres Hofes gekommen war, blieb sie stehen und wandte sich zu dem Kosaken um, der neben ihr einherlief und der dem Mädchen ununterbrochen zuredete, zu bleiben. Nun, was willst Du mir sagen, Nachtwandler?— und sie lachte wieder. Lach nur nickt über mich. Mariana, bei Gott, was ist dabei, wenn ich einen Schatz habe? Der Teufel hole siel Sag' Du mir nur ein Wörtchen, und ich will Dich so lieb haben; was Du willst, tue ich für Dich. Da, höre!...-- und er klimperte mit seinem Gelde in der Tascke.— Fetzt wollen wir lustig leben. Die anderen Menschen freuen sich und was habe ich? Ich habe keine Freude, Marianusckka. Das Mädchen antwortete nicht. Sie stand vor ihm und zer- brach ibre Rute mit lebhaften Bewegungen ihrer Finger in lauter kleine Stückchen. (Fortsetzung folgt.) Soetkes„fault" vor koo Jähren. Es sind jetzt hundert Jahre her. seit im ersten Band der ersten bei Cotta in Tübingen verlegten Ausgabe von„Goethes Werken" 1808 der erste Teil des„Faust" in der Gestalt, wie wir ihn noch heute lesen, eingeleitet von der Zueignung, dem Vorspiel auf dem Theater und dem Prolog im Himmel, zum erstenmal vor die Oeffcntlichkeit trat. Die Ankündigung der neuen Ausgabe, die in zwölf Bänden des Meisters Werk imponierend zusammenfaßte, hatte„Faust um die Hälfte vermehrt" versprochen; doppelt soviel sollte also gegeben werden, als das Fragment von HSS enthalten „Faust,«ine Tragödie" lautete nun der Haupttitel deS in sich ab- geschlossenen Werkes, das außer im achten Band der Werke zugleich in einer Sonderausgabe erschien; der aufrnerksame Leser aber fand auf Seite Lb die Ueberschrlft„der Tragödie erster Teil", die auf eine Fortsetzung deutlich hinwies. Der äußere Zwang der Ankündigung hatte Goethe dazu gedrängt, die früh im Jugend- rausch begonnene, widerstrebend aufgenommene und fortgeführte Dichtung für die Sammlung seiner Schriften fertig zu machen; er vollendete daher die Arbeit, die ihn seit 1797 wieder beschäftigt hatte und zu der immer neue Stücke oder entscheidende Umarbeitungen, wie 1797 die drei Prologe, die neue Form der Kerkerszenc, 1799 der Selbstmordversuch und die erste Unterredung mit Mephisto, 1899 die Vertragsszen«, hinzugekommen waren, in rüstigem Schaffen vom Februar bis zum 1a. April 1896. Der Osterspazicrgang, das Ständchen und die prachtvollen Szenen von Valentins Zwei- kämpf und Tod wurden neu aufgenommen. Das Fragment von 1799 hatte bereits in zwei Szcnengruppe» Fausts Uebermcnschentum und Verzweiflung und die Gretchcntragödie gegeben. Der vollendete erste Teil von 1898 brachte nun die Verknüpfung dieser beiden vor- her schroff nebeneinander gestellten Welten. Die große Lücke, die noch im Fragment zwisck>en der Wagnerszcne und dem Sckluß von JaustS zweitem Gespräch mit Mephisto klaffte, wird ausgefüllt durch daS herrliche Selbstgespräch der Qstcrnacht, den Ostcrspazier- (lang, die Vertragsszene und großartig läßt die Walpurgisnacht in Satans spukhaft grausigem Reich die Lichtgestalt GretchenS auftauchen Wi, war nun die Aufnahme dieses tiefst.nigsten und größten Dichtwe' ss. das der Dichter seine n Volke geschenkt, bei den Zeit» genossen? Das Fragment dm 1'99 hatte mit all seinen Schön, hciten daS Publikum fassungslos und unfähig jeden VerstehenS gefunden. Wenn selbst Wieland und Sckiller tief enttäuscht waren, Schillers Freund Körner den platten Bänkelsängerton des Ganzen tadelte und der kluge Huber eS für„ein tolles, unbefriedigendes Gemengsel" erklärte, dann durfte es nicht Wunder nehmen, daß die Rezensenten der kritischen Zeitschriften mit Wut darüber her- fielen. Der Beurteiler der„Allgemeinen Literaturzeitung" nannte Gretchen„ein albernes, alltägliches Gänscken, das nur durch ein- fache Natur, durch Unschuld und Weiblichkeit die Züge bald einer Madonna, bald einer Magdalena erhält und mit jenem unglücklichen Opfer seiner erhabenen Triebe sd. h. mit Faust! in einen Abgrund gestürzt, die tragischen Empfindungen der Rührung und deS Schreckens erweckt." Der Rezensent der aufklärerisch beschränkten „Allgemeinen deutschen Bibliothek" fand alles roh und wild hin- geworfen; starke und auffallende Züge wechseln mit manchen, doch allzu sorglos unbearbeitet gelassenen, ab." LessingS Bruch, stück wird als der Vollendung würdig gegen dieS Fragment aus- gespielt, das schon in seiner Anlage nur zum Fragment bestimmt sei. Einige in freundlicherem Ton gehaltenen Besprechungen kommen gegen diese allgemeine Ablehnung kaum in Betracht. Erst die auf Kants Pfaden sich immer reicher entfaltend« deutsche Philosophie hat im„Faust" die Krone von GoetheS Schöpfungen erkannt. Schelling pries 1892 in seinen„Vorlesungen über Philosophie der Kunst" den Faust als das größte Gedicht der Deutschen , ein Gedicht von wahrhaft Dantesckcr Bedeutung, einen ewig frischen Ouell der Begeisterung.„Wer in das Heiligtum der Natur eindringen will, nähre sich mit diesen Tönen einer höheren Welt und sauge in früher Jugend die Kraft in sich, die wie in dichten Lichtstrahlen von diesem Gedicht ausgeht und das Innerste der Welt bewegt." Schiller wurde ein eifriger Verehrer deS einst wenig geschätzten„Faust", der den Freund zur Vollendung an- spornte. Hegel fand darin das Höckste Eoetheschcn Dichtergeistes; in seiner„Phänomenologie des Geistes " stellte er den Faust als Typus des nach Erkenntnis ringenden Menschen auf. Wie die jungen Leute davon ergriffen und in ihrem Innersten umgewandelt wurden, beweisen die Eindrücke von Steffens und Luden, die das Werk fast auswendig wußten. Die Allgemeinheit freilich kümmerte sich nicht viel um den„formlosen Torso"; für sie war Goethe nack wie vor der Dichter des„Götz" und„Werther ". In den gelehrten und führenden Bildungskreisen aber war man auf die Fortsetzung des„Faust"„ganz unaussprechlich gespannt", zer- marterte sich den Kopf über den Plan und das Endziel des Dichters und brach in den sehnsüchtigen Ruf auS:„Ach, daß doch„Faust" kein Fragment wäre!" So machte denn„Faust"„gleich 1898 den Eindruck einer litera, rischen Offenbarung", wie Hermann Grimm es ausgedrückt hat. Es war auch die Zeitstimmung� die dem Werke ganz zufällig ent- gcgenkam und es auf ihren Schwingen weit und weiter trug. Goethe, der sich längst von dem Treiben der Welt abgewandt hatte und mit seinen Werken beivußt im Gegensatz stand zu der Gegen- wart phantastisch blühender Romantik und patriotischer Schwärmerei. kam fast wider seinen Willen mit diesem neuerstandenen Jugend- werk den geheimsten Regungen der Zeit entgegen;„es blieb sein Schicksalsberuf, immer das rechte Wort zu finden für die eigensten Empfindungen der Deutschen ". Treitsckke hat diesen innigen Zu- sammenhang des„Faust" mit der Generation von 1898, die in ihm die Vollendung romantisck-germaniscker Kunst fühlte, schön ergründet:„Die Deutschen fesselte der„Faust" noch durch einen anheimelnden Zauber, den bis zum heutigen Tage kein Ausländer ganz verstanden hat. Das Gedicht erschien wie ein symbolisches Bild der vaterländischen Geschichte. Wer sich darein vertieft, über- sah den ganzen weiten Weg, den die Germanen durchmessen hatten seit den dunklen Tagen, da sie noch mit den Göttern des Waldes und deS Feldes in traulicher Gemeinschaft lebten, bis zu den lebenS - frohen Volksgetümmel, das aus unseren alten Städten,„aus den» Druck von Giebeln und Dächern. auS der Kirchen ehrwürdiger Nacht" ins Freie drängte. Hier war des deutschen Lebens Ueber- schwang: der wilde TeufclSspuk unseres Volksaberglaubens und die zarte Innigkeit deutscher Frauenliebe, der-Humor der Studenten, die Schlaglust der Soldaten und die Sonnenflüge des deutschen Gedankens— fast alles was unser Leben ausinacht. In keinem seiner größeren Werke seit dem„Götz" hatte Goethe so Volks» lünilich geschrieben. Die einfachen Reimpaare der alten JastnachtS- schivänke gaben mit wunderbarer Kraft und Klarheih jeden Farben- Wechsel der Stimmung wieder; dem schlichten Leser schien alles verständlich, dem geistvollen unergründlich." Die näheren Bekannten Goethes waren nicht so überrascht und begeistert. Wilhelm v. Humboldt schrieb nach der Lektüre tief ergriffen an seine Frau am 19. November 1898:„ES sind himm- lischc neue Szenen, vor allem die letzte, wo Gretchen als Kindes- Mörderin im Kerker sitzt." Wieland, der einst den„Götz" so be- geistert als„schönes Ungeheuer" gepriesen, zeigte sich dem Faust gegenüber ziemlich ratlos und begriff nickt den tieferen Sinn der Dichtung. Er nannte das Drama„eine barockisch geniale Tragödie, wie noch keine war und keine jemals sein wird", aber er meinte zugleich, der delphische Apollo möge wissen, wie viel Teile dem ersten noch folgen sollten. Di« kluge Therese Hubcr glaubte nach eifrigem Studium des ersten Teils mit Bestimmtheit versichern zu
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25 (5.11.1908) 215
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