Nnterhaltungsblatt des vorwärts Nr. 223. Dienstag den 17 November. 1908 (Nachdruck vcrbolcn.) U] Hndreas Vöft. Bauernroman von Ludwig Thoma . Von den jüngeren hatte allerdings mancher die tief- liegenden Augen und blassen Wangen eines eifrigen Streiters. Der Pfarrer von Erlbach war nicht anwesend, und das wunderte viele. Neben Beamte und Geistliche hatten sich angesene Bürger von Nußbach gesetzt, welche damit ihre Zugehörigkeit zzum guten Publikum zeigen wollten. Weiter nach rückwärts drängten sich Mann an Mann die Bauern aus der Umgegend. Die Dorfschaften hielten sich zusanimen: die Giebinger, die Erlbachcr, die Weblinger, die Leute von Schachach, Fabrenzhausen, Zillhofen, Aufhausen und Grubhof, die Prittlbacher, Arnbacher, Jnzemooser und Vierkirchner. Und wie die Gemeinden sonst heißen mochten. Ein Kundiger bemerkte, daß auch die politische Meinung bei der Wahl der Plätze sich geltend gemacht hatte. Die schärfsten Feinde der bestehenden Ordnung hielten gute Nachbarschaft und saßen näher an der �Tribüne. In den vordersten Reihen die Grubhofer und Arn- bacher, mit dem Wanninger und Scheiblhuber in ihrer Mitte. Gleich hinter ihnen sah man das verwitterte Gesicht des alten Rädlmayer von Schachach und nebendran den breit- schulterigen Stuhlberger und den Gottesleugner Meisinger von Giebing. Die argen Feinde des Dekanes Metz, welcher den Ein- Wurf seiner Fenster und andere üble Dinge nur diesen beiden zuschrieb. Unweit von ihnen saß der Hirncr von Aufhausen. Er mußte durch fünf Dörfer wandern, chedenn er nach Nutz- bach kam, und in jedem Dorfe gab er dem Wirte die Ehre und jedem Bescheid, der ihm zutrank. Deswegen glänzten seine Augen, und seine Stimme gellte durch den Saal, wenn er einen Bekannten grüßte. Von den Erlbachcrn war der Haberlschneider anwesend, auch der Zwerger, der Weßbrunner und der alte Florian Weiß. In den hinteren Bänken saßen die Leute, welche aus Neugierde gekommen waren und keine Partei nehmen wollten. Auch wieder andere, die zu spät gekommen waren. Die meisten junge Burschen: Kopf an Kopf standen sie in dichtem Gedränge, und immer polterten noch andere die hölzerne Stiege herauf und drückten sich mit groben Ellen- bogen in den Saal. An zwei Wänden entlang lief eine hölzerne Galerie: sie war so überfüllt, daß der Sternbräu ängstlich wurde und einen Teil der Leute herunterweisen ließ. Die vorne saßen und die Köpfe auf das Geländer stützten, hatten die besten Plätze. Tarunter war einer, der seine schlauen Augen in alle Ecken schickte. Der Geitner von Erlbach. Im Saale war großes Lärmen. Die Leute unterhielten sich lebhaft miteinander: einer schrie dem andern ein lustiges Wort zu, über drei Bänke hinüber, von unten zur Galerie hinauf und wieder herunter: viele redeten zu gleicher Zeit, >l.id keiner redete still. Aber durch alles Poltern und Lärmen und Schreien hindurch klang eine Stimme, so hell und scharf und in so hoben Tönen wie eine Trompete. Das war die Stimme des Hirner von Aufhausen. Auf der Rednerbühne saßen der überwachende Assessor Hartwig und die Einberuser, Schüchel, Wimmer und Prantl. Neben ihnen ein Bauer in grauer Lodenjoppe. Gesicht und Gestalt ließen sogleich erraten, daß er nicht aus dem Flach- lande war. Sc hoch und gerade wachsen die Leute nicht, die hinter dem Pkluge hergehen. Er war aus den Chiemgauer Bergen, ein Ruhpoldingec, mit Namen Vachenauer. Seit einigen Iahren schon bekannt als rühriger Vcr- trcter der Baucrnsache, und wie man ihm nachrühmte, ein guter Redner. Viele betrachteten ihn mit großer Aufmerk- samkeit, und der Rädlmayer sagte zu seinem Nachbarn: TöS is der seil, über den die Geischtlichkeit so scharf ein- g'ruckt iS. Aber nachgeben tuat er gar it. Er verstcht's glei besser, als wia'c a Studierter." Und der Hirner schrie über alle Köpfe weg:Vachenauer, Zoll'st scho glei leb'n aal" Da schaute der Ruhpoldinger in den Saal hinein und lachte vergnügt. Der Assessor hatte schon mehrmals auf die Uhr gesehen, als sich nun endlich der Leiter der Versamm- lung, der Schuhmachermeister Prantl, erhob und mit einer Handschelle läutete. Der Lärm ging in ein Gemurmel über und verstummte allmählich. Man hörte noch, wie draußen auf dem Gange der Bierzapfen in ein Faß geschlagen wurde, und dann war es stille. Prantl räusperte sich und nahm ein Blatt Papier zur Hand Er war kein geübter Redner, überdies ließen sich auch seine schön geformten Sätze nicht gut auswendig lernen. Und so las er sie ab: Liebe Standesgenossen, Bauern und Bürger in Stadt und Land! Allgemein herrscht das Bemühen, durch Ver- einigung der gesammelten Kräfte aus dem Mittelstände der Allgemeinheit zu zeigen, daß sich der Zeiten Lauf geändert hat und nicht mehr mit Schweigen geduldet wird. Deshalb haben sich einige Männer aus dem Gewerbe- stände entschlossen, diese Versammlung einzuberufen, auf daß wir nach des Nebels Quelle forschen können, welches den all- gemeinen Wohlstand bedroht und gerade diejenigen Kreise in seinen Bereich zieht, welche bisher als die Säulen des Thrones in Betracht kamen. Daß Bauern und Gewerbe auf das regste zusanimengehören, wird gewiß eiper mit Menschenverstand nickt leugnen wollen. Geht es dem Bauern nicht gut, so wird dies auch bald der Städter empfinden. Es ist daher gleich, ob man vom Bauernstand oder vom Gewerbcstand spricht: beide stellen, verbunden miteinander, den Nährstand des Landes vor. Deshalb haben besorgte Männer den Entschluß gesaßt, gemeinsam zu operieren und zu diesem Zwecke alle einzuladen, welche sich für das Interesse des Mittelstandes tätig erweisen wollen. Ich eröffne hiermit die Versamm- lung und fordere Sie auf, einen Vorsitzenden zu wählen." Mir nebman an Schuasta," schrie der Hirner. und andere schrien mit:Jawohl I Da Prantl I An Schuasta i" Da trat der Einberuser Wimmer vor und sagte, es scheine ihm, daß eine große Mehrheit den Herrn Prantl zum Vor- sitzenden haben wolle. Wer dagegen sei, möge sich von seinem Platze erheben. Niemand stand auf, und der Amtsrichter Kroiß rief laut:Das is der passende Präsident für diese Versammlung!" Jakobos Prantl erklärte, daß er die ehrende Wahl an- nehme, und daß er jetzt das Wort dem verdienten Manne und Bauernführer Peter Vachenauer erteile, welcher aus dem fernen Gebirge herbeigeeilt sei, um durch sein Wort der all- gemeinen Sache zu nützen. Lauter Beifall erhob sich: und der alte Rädlmayer warf in d�r Freude seines Herzens den Hut in die Höhe. Der Peter Vachenauer trat ein paar Schritte vor und wartete, bis sich der Lärm gelegt hatte. Fast alle Bergbauern verstehen eS, vor der Sessentlichkeit ohne Scheu auszutreten. Sie haben Lebhaftigkeit in der Belvegung und eine leichte Art zu reden. Rasche Auffassung und große Schlagfertigkeit ermöglichen ihnen, mit geringen Kenntnissen Wirkungen zu erzielen. Die größten naturgemäß vor schwerfälligen Ackerbauern, die nichts seltener besitzen, aber auch nichts höher schätzen als Rednergabe. Und die sie an niemandem mehr bewundern, als an ihresgleichen. Darum konnte der Peter Vachenauer schon im voraus seines Erfolges sicher sein. Und er war es. Es lag viel Selbstbewußtsein in der Art, wie er vor den Leuten stand. Man sah deutlich, daß er die Wirkung jedes Satzes berechnete und sie absichtlich durch Schlichtheit deS Ausdruckes steigerte, daß er die Ruhe nicht nur besaß, sondern sie auch recht augenfällig zeigte, um hierdurch die Sicherheit seiner Uebcrzeugung zu unterstreichen. Grüaß Good, Landsleut'l" sagte er.I muaß ent z'erscht sag'n, wer i bin. Denn wenn ma zu oan kimmt, von dem ma was will, is dös allererst', daß man sie z'kenna gibt. Sunst hat der ander koa Vertrau'n und denkt si, mit an Fremden bat man koa Handelsckiaft Und i will was von enk: ös sollt s mir Helsen , daß mir a Haus bau'n, wo alle Bauern drin Platz Hamm . Dös is a yroße Sack', und da muaß i enk sag'n, wer i bin und was i Hab', daß i enk zu so was auffordern derf. I bin nix, als wia'r o Bauer: und i Hab' nix als an kloan Hof und a fünf Küah im Stall und