tttl alles von der Natur gebotene Material in ihren Dienst zu ziehen sucht, so hat sie auch die Eigenschaften jener Algenüberreste recht brauchbar gefunden. Diese Kieselguhr» auch Bcrgmehl und Jnfti» so r iene rde genannt man hielt sie früher wegen ihrer Fähig. Icit, sich vom Ort zu bewegen, für Aufgußtierchen oder Infusorien erfreut sich heute einer sehr ausgedehnten Verwendung, und zwar befinden sich die für technische Zwecke geeigneten Ablage- rungcn vorwiegend in Deutschland . Die Lüneburger Heide und das Vogelsgebirge in Hessel besitzen die ergiebigsten Gruben, während der Untergrund von Berlin . Franzensbad in Böhmen , der Habichts- Wald in Kassel gleichfalls zum Teil aus Infusorienerde, wenn auch nicht technisch verwertbarer, bestehen. Unter ein gutes Mikro- stop gelegt, löst sich die weiße bis gelbe Infusorienerde in eine vielgestaltige Formenfülle auf, wir sehen Kapseln. Räder, Röhren, Glocken, Trompeten u. a. m., für technische Zwecke kommen vor allem die winzigen Nüdelchen in Betracht, deren Breite selten über ein Tausendstel Millimeter hinausgeht. Aus den Eigenschaften jener Panzerchen erklärt sich ihre Be- deutung! sie besitzen in hohem Grade die Fähigkeit, Flüssigkeiten aufzusaugen, ohne selbst zu zerfließen, ferner sind sie sehr schlechte Wärmeleiter und haben geringes Gewicht, gegen chemische Ein- flüsie fast unempfindlich, sind sie schwer oder überhaupt nicht der- brennlich. Die ins Auge fallenden Vorzüge, vor allem aber das geringe Gewicht und die außerordentliche Widerstandsfähigkeit gegen Feuer, waren schon den alten Griechen und Römern be- kannt, die ihre Bausteine zu bestimmten Zwecken mit Infusorien- erde füllten. Auch heute dient das gleiche Material noch bei der Herstellung leichter, zu Jsolierzwecken bestimmter Tonsteinc, ferner wird es mit Zement angerührt und der daraus hervorgehende Diatomeenzement wird verschiedenartig(gegen HauSschwamm, zum Schließen von Mauerrisfen u. a. m.) verwendet. Als Füll- Material für Zwischendecken. Hohlräume und Fußböden eignet sich Infusorienerde ganz besonders und ist der Asche, dem Bauschutt usw. schon aus Reinlichkeitsgründen vorzuziehen. Ucberall dort, wo man beim Bauen das Weitertragen von Geräuschen vermeiden will, findet sie wegen ihrer schlechten Schalleitung Verwendung. Das schon erwähnte Absorptionsvermögen der Kieselguhr, also ihre Fähigkeit, große Flüssigkeitsmengen aufzusaugen, nützte Alfred Slobel, der Erfinder des Dynamits, zuerst aus und zwar bot ihm ein Zufall, der Vater so vieler großer Erfinvungen, die erste Handhabe. Das in hohem Grade explosive Nitroglyzerin konnte nur unter strengster Beachtung zahlreicher Vorsichtsmaßregeln zum Versand kommen med seine Verwendung, die sich für Gruben- betriebe so unentbehrlich erwies, mußte eben wegen der damit verbundenen Explosionsgefahren fortgesetzt eingeschränkt werden. Alfred Nobel , dessen Name durch die Stiftung eines Vermögens von 44 Millionen Franks für wissenschaftliche und humanitäre Zwecke bekannt wurde, beschäftigte sich schon seit 1863 eifrigst mit dem Studium des Nitroglyzerins und erhielt eine? Tages wieder eine Sendung jenes gefährlichen Oels. Beim Auspacken sah er, daß eine Flasche zerbrochen und die Flüssigkeit von der Infusorien- erde, die man vorsichtiger Weise zum Einpacken benutzt hatte, voll- ständig aufgesogen lvar. Nobel ging dem Fingerzeig nach, stellte mit der durchtränkten Infusorienerde sofort Versuche an und brachte 1867 das Dynamit, das ist mit Nitroglyzerin durchtränkte Gubr, in den Handel. Auch zum Transport von Petroleum und dem so leicht entzündlichen Schwefelkohlenstoff, zum Verteilen von Brom- und Karbolsäure(für TeSinfettionszwecke) diente Kiesel­guhr lange Zeit und findet wohl auch heute noch dafür Verwen- duiig. Salpetersäure, Schwefel- und Salzsäure nimmt die Jnfu- soriencrde gleichfalls in großen Blengen auf, man kann die Säuren also gewissermaßen in feste Form bringen und, da sie durch diese Aufsaugung in chemischer Beziehung keine Aenderung erfahren, hat man eine bequeme Versandmethode an der Hand. Ihrer schlechten Wärmeleitung wegen wendet man Infusorien- erde zum Bekleiden von Dampfröhren. Zylindern. Kesseln an und erzielt damit wesentliche Ersparnisse an Heizmaterialien. Ent- weder man bringt die dünne Schicht eines Gemisches von Guhr, Stärke, Kuhhaaren usw. auf die warmen Maschinenteile oder man füllt aus Zeugstoff oder Papier hergestellte Schläuche mit Kiesel- gkihr und wickelt sie um die Röhven. Wie man die Wärme am Entweichen hindert, so sucht man im anderen Falle ihr Hinzu- treten abzuhalten; die von Eis gebundene Kälte hält man fest, solange der Zutritt wärmerer Luft unmöglich gemacht wird, wozu sich bei Eisschränken die Ausfüllung der Doppeltüren mit Kiesel- guhr gut eignet. Auch für weite Transporte verpackt man kühl zu haltende Waren, besonders leicht verderbliche Genußmittel, gern mit dem Mehl. Ihre große Porosität macht die Kieselguhr zu einem wichtigen Filtrier-, also Reinigungsmittel für Flüssigkeiten und Gase. Füllt man die Doppelwände von Geldschränken mit jener Erde, so erhöht man deren Feuersicherheit, ohne daS Gewicht wie bei anderen Füll- mittel» wesentlich zu vermehren. Damit find die Verwendungsarten jener Kieselpanzer noch lange Vicht erschöpft, man braucht sie als Füllmaterial in der Seifen-, Papier- und Kautschukfabrikation, zum Putzen von Glas und Me- tallen. zur Herstellung von Kitten und Feueranzündern usw.; za, ihre Ausnutzungsmöglichkciten mehren sich von Jahr zu Jahr. Dr. tz. W. kleines Feuilleton. Völkerkunde. HaarschuralSTotentrauer. DaS Haar ist bei allen Menschen eine Zierde, ein Hauptschmuck, dessen freiwillige Entfer» nung in den Bräuchen der Völker eine Büß- oder Opferhandlung darstellt. Als Opferhandlung erscheint der Brauch, sich bei der Trauer um einen nahen Anverwandten daS Haar abscheren zu lassen. Dieser tief in daS Leben der Trauernden, besonders der Frauen, einschneidenden Sitte wird häufig Erwähnung getan. So lesen wir im alten Testament Jer. 16, 6:Und in diesem Lande werden Große und Klein« sterben und werden nicht begraben werden, und Niemand wird um ihretwillen Einschnitte machen noch sich bescheren." Das unmenschlich grausame Gesetz der Witwenvcrbrennung. das in vielen Teilen Indiens noch bis zum heutigen Tage herrscht, wird in Südindien dahin gemildert, daß man der Hinterbliebenen Gattin einige Tage nach dem Tode des Gatten das Haar abschert. In Gegenwart aller ihrer weiblichen Verwandten wird die Frau ihres Haarschmucks beraubt und gleichzeitig auch eines goldenen Schmuckstückes, Thali genannt. daS sie als Zeichen ihrer Würde alS verheiratete Frau bisher tragen durste. Die nächste Verwandte der Witwe schneidet ihr dies Kleinod vom Halsband los, wodurch symbolisch die Herabsetzung der Frau in den verachteten Stand der Witwen vollzogen wird. Von da an wird sieMunda", d. h. geschorener Kopf" genannt. Von den südamerikanischen Indianern, den Abiponern in Para� guai, berichtet eine alte Quelle:Auch das ist bei den Abiponern eingeführt, daß man der Witloe unter vielem Wehklagen der Weiber und Schwelgen der Männer die Haare abschert, und mit einer schwarzen oder aschgrauen von Caraquatafäden gewebten Ka- putze bedecket, welche sie durchaus nicht eher ablegen darf, als bis sie eine neue Heurath geschlossen hat. Auch den Witwern wird unter vielem Gepränge der Kopf geschoren, und ein netzförmiges Häubchen aufgesetzt, welches er erst dazumal weglqft, wenn die Haare wieder nachgewachsen sind." Hier galt also für Mann und Frau dieselbe Vorschrift, für den Mann allerdings dahin gemil- dert. daß er das Trauerhäubchen nur solange tragen braucht, biS sein Haar wiedergewachsen ist. Auch im alten Peru herrschte die unbarmherzige Sitte der Wittvenverbrennung. Jedoch pflegten einige Frauen des Verstor» benen von diesem Todesurteil befreit zu werden. Diesen wurden bei der mehrtägigen Totenklage, die der Bestattung eines Häupt­lings voraufging, das Haar abgeschnitten. Von den alten Ein- wohnern der Caraiben berichtet Pere Breton:Die Frauen beim Tode ihrer Männer, die Männer wiederum beim Tode ihrer Frauen, die Kinder beim Tode ihrer Eltern schneiden sich ein Jahr lang die Haare ab." Hier erstreckt sich der Brauch sogar auf die Kinder der Verstorbenen. Dasselbe erzählt uns Peter Kolb von den Kaphottentotten:Wenn Jemand seinen Vater oder Mutter, ingleichen auch einen andern Freund oder Aiwerwandtcn verloren und durch den Tod cingebüßet hat. dabey aber Armutswegen nicht imstande ist, ein Schaf oder etwas dergleichen zu schlachten oder zu opfern, so lasset er sich zum Zeichen, daß er Icydt trage, und über diesen oder jenen Tod betriebet fey, die Haare striemenweiß vom Kopfe abscheren, wovon jeder Strieme ungefähr eines Zolls breit ist. Dieses gehet um den ganzen Kopfs herum, bleibet auch zwischen den abgeschornen Theilen allezeit ein gleich dicker und mit Haaren besetzter stehen." Hier ist die Sitte deutlich als ein Opfer gekennzeichnet, daß die Allerärmsten in Ermanglung eines Tier- opfers bringen. Die Sitte geht schon über die Familie hinaus und erstreckt sich auf die Trauer um einen Freund. Von den ostastikanischen Ja-luo heißt es bei Jahnston:Ver- wandte eine? Verstorbenen tragen den Kopf für drei Tage nach dem Tode rasiert. Ter älteste Sohn deS Verstorbenen sitzt auf einem Stuhl außerhalb deS Dorfes und läßt sich den Kopf rasieren." In der Witwentrauer der Grönländer ist nur die Vernach- lässigung des Haarschmucks Vorschrift. Im Gegensatz zum Abscheren der Haare lassen Stämme, bei denen daS Haar für gewöhnlich ganz kurz geschoren getragen wird, es in Zeiten der Trauer long wachsen. So z. B. bei den Ba- Ganda, bei denen die Witwen zum Zeichen besonders lebhafter Trauer das Haar sechs bis sieben Monate wachsen lassen. Zum Schluß sei ein Totenbrauch der Kaitishstämme im nörd- lichcn Zentral- Australien mitgeteilt, wie er von den englischen Schriftstellern Spencer und Gillen erzählt wird. Sie sagen davon: Der im Lager zurückgebliebene leibliche Vater deS verstorbenen Mannes schneidet sich Schnurr- und Backenbart ab und verbrennt sie, während deritia"(jüngere Bruder des Toten) das Haar vom Kopfe der Witwe wegschneidet und den 5wpf nachher mit einem Feuerstock glattgesengt. Dies geschehe, sagen sie. weil der itia lvahr- scheinlich zu traurig beim Anblick deS Haare? werden würde, das der Verstorbene immer vor Augen gehabt hat. Hierbei muß erwähnt werden, daß die Witwe früher oder später in den Besitz des Bruder? übergehen tmrd. Das Haar der Witwe wird ver- brannt. und sie selbst bedeckt ihren Leib mit Asche vom Lagerfeuer und erneuert diese während der ganzen Trauerzeit." Lerantwortl. Redakteur: Hans Weber» Berlin. Druck u. Verlag: Vorwärts Buchdruckerei u.VerUgSansialt Paul Singer LcioJBerlinhW,