Auch die ganz Alten blieben nicht daheim; sie wateten müh» sam durch den Schnee und schleppten sich hustend bis zur Kirche. Die Ursula war mit den Ehehalten vorangegangen; die Schullerin wartete noch und machte sich im Hause zu schaffen. Sie versuchte es nocy einmal, ihren Bauern umzu- stimmen. „Heut' ko'st do gar it dahoam bleib'n, scho weg'n de Deanstbot'n it. Da is ja koa Respekt nimmer im Haus!" „Geh, und laß ma mei Ruah l I mag den Menschen it sehg'n." „Du brauchst'» ja it o'schaug'n; Du tuast as ja' g'rad Weg'n de Leut'." „Na, sag' i. I geh' net, und bal'st Du no lang red'st, nacha kimmst selm z' spat." (Fortsetzung folgt.jj �Nachdruck vervolea) 27] Die Kofaken. SSon Leo Tolstoi . Dicht unier dein Fenster Olenins schlüpfte er in den Hof und stellte sich unter das Fenster der Mictswohnung. Es war schon ganz dunkel. Marianka löste im bloßen Heind ihren Zopf und wollte schlafen gehen. Ich bin's, flüsterte der Kosak . Mariankas Gesicht war ernst und gleichgültig, aber sie lebte plötzlich auf, als sie ihren Namen hörte. Sie hob das Fenster auf und streckte erschreckt und erfreut den Kopf heraus. WaS ist?— WaS gibts? fragte sie. Oeffne dochl sagte Lukaschka, laß mich einen Augenblick hinein. Ich habe entsetzliche Sehnsucht nach Dir. Er umfaßte durch» Fenster chrcn Kopf und küßte sie. Wahrhaftig; öffne dochl WaS sprichst Du für Unsinn? Ich hab's Dir einmal gesagt, lch laß mich nicht ein. Sag', bleibst Tu lange hier? Er antwortete nicht, küßte sie nur, und sie fragte nicht wieder. Sieh, nicht einmal umarmen kan ich Dich durchs Fenster, wie sich's gehört, sagte Lukaschka. Marinuschka, erklang die Stimme ihrer Mutter, wer ist dort? Lukaschka nahm die Mütze ab. damit sie ihn nicht verrate, und duckte sich unter dem Fenster. Geh schneller I flüsterte Mariana. Lukaschka war's, antwortete sie der Mutter; er hat nach dem Bater gefragt. So laß ihn doch hereinkommen. Er ist schon fort, er sagte, er habe keine Zeit. Wirklich war Lukaschka mit schnellen Schritten in gebückter Stellung an den Fenstern vorübergelaufen und zu Jamka gegangen. Niemand hatte ihn gesehen außer Olenin. Er trank mit Nasarka zwei Schalen Most, dann ritten sie aus dem Dorfe. Die Nacht war dunkel und still. Sie ritten schweigsam dahin. Nur den Tritt der Pferde hörte man. Lukaschka stimmte das Lied vom Kosaken Mingal an, aber schon nach dem ersten Verse verstummte er und wandte sich an Nasarka. Sie hat mich doch nicht eingelassen, sagte er. Oh, bemerkte Nasarka.— ich wußte es, daß sie Dich nicht ein- läßt. Jamka hat mir schon erzählt: der Junker geht jetzt bei thnen aus und ein. Onkel Jeroschka hat schon damit geprahlt, daß ihm der Junker eine Flinte für Niarianka gegeben hat. Er faselt, der Teufel I rief Lukaschka zornig, so ein Mädchen ist sie nicht. Ich will's dem alten Teufel anstreichen.>— Und er stimmte sein Lieblingslied an: Aus dem Dorfe Jsmajlowo. Aus der Herrin Lieblingsgärtchen Flog heraus ein lichter Falke; Eilig kam der junge Jäger, Lockte auf die rechte Hand ihn. Und der lichte Falke sagte: „Konntest mich im gold-nen Käfig, Auf der rechten Hand nicht halten, Darum flieg' ich in die Ferne Zu den blauen Meercswellen, Töte mir den weihen Schwan dort, Um sein süßes Fleisch zu kosten." L3. Bei den Wirtslcuten war Verlobung. Lukaschka war in's Dorf gekommen, hatte aber Olenin nicht besucht. Und auch Olenin war nicht zur Verlobung gekommen, obgleich ihn der Fähnrich ein- geladen hatte. Er war so traurig, wie er noch nie gewesen war. seitdem er im Dorfe wohnte. Er hatte gesehen, wie Lukaschka gegen Abend festlich geschmückt mit seiner Mutter zu den Wirtsleuten gekommen war, und ihn peinigte der Gedanke, warum Lukaschka so kühl gegen ihn sei. Olenin schloß sich in seiner Stube ein und tegann sein Tagebuch zu schreiben. »Ich habe über vieles nachgedacht rN diesen letzten Tagen und habe mich sehr verändert— schrieb Olenin.— Ich bin zu der Erkenntnis gelangt, die in der Bibel steht. Um glücklich zu sein, braucht man nur eins— man muß lieben, lieben mit Selbst- Verleugnung, alle und alles lieben, nach allen Seiten das Netz der Liebe ausspinnen und jeden einfangen, der einem in den Weg kommt. So habe ich Wanjuscha, Onkel Jeroschka, Lukaschka und Mariana eingefangen." Gerade als Olenin die letzten Worte niederschrieb, trat Onkel Jeroschka ein. Jeroschka war in der besten Laune. Als Olenin vor einigen Tagen gegen Abend zu ihm gekommen war. hatte er ihn auf dem Hofe getroffen vor einem ausgenommencn Eber, dem er mit glück- licher und stolzer Miene mit einem Messerchen geschickt das Fell abzog. Die Hunde, unter ihnen auch sein Liebling Ljam, lagen ringsumher, wedelten leicht mit den Schwänzen und schauten seiner Arbeit zu. Die Buben sahen ehrerbietig über den Zaun hinweg und neckten ihn nicht einmal, wie sie sonst taten. Die Weiber aus der Nachbarschaft, die ihm nicht gerade hold waren, grüßten ihn, die eine brachte ihm Most, die ander« Rahm , eine dritte Mehl. Am anderen Morgen saß Jeroschka blutgcfleckt in seinem Kämmerlein und verkaufte das friscbe Fleisch pfundweise. Der eine zahlte mit Geld, der andere mit Wein. Auf seinem Gesicht stand zu lesen: „Gott hat mir Glück gegeben, ich habe ein Wild erlegt, jetzt braucht ihr den Onkel." Natürlich ließ er sich auch den Wein schmecken und trank, ohne das Dorf zu verlassen, schon den vierten Tag. Außerdem hatte er bei der Verlobung getrunken. Onkel Jeroschka kam aus der Wobnung der Wirtsleute zu Olenin viehisch betrunken mit rotem Gesicht, zersaustem Bart, aber mit einem neuen roten, mit Tressen besetzten Beschmet und einer Balalaika(russische Guitarre) aus buntem Holz, die er jenseits des Terek geholt hatte. Er hatte Olenin schon lange diesen Genuß versprochen und war gerade bei Laune. AIS er sah, daß Olenin schrieb, wurde er betrübt. Schreibe, schreibe nur, mein Freund, sagte er flüsternd, ihn ängstigte der Gedanke, es säße zwischen ihm und dem Papier ein Geist, den er aufscheuchen könnte, und er ließ sich ohne Geräusch ganz still auf den Boden nieder. Wenn Onkel Jerosckika betrunken war, war seine Lieblingsstellung, auf der Diele zu liegen. Olenin sah sich um. ließ Wein bringen und schrieb weiter. Jeroschka mochte nicht allein trinken, plaudern wollte er. Ich bin bei den Wirtsleuten zur Verlobung gewesen, ach, Schweinebande!...— Ich mag sie nichtl Ich bin lieber bei Dir. Woher hast Du die Balalaika? fragte Olenin und schrieb weiter. Ich bin am andern Ufer gewesen, Freund, dort habe ich die Balalaika bekommen, sagte er noch immer leise.— Ich bin ein Meisterspieler: ein tatarisches, ein kosakischcs, ein Herrenlied, ein Soldatenlied— was Du willst! Olenin sah den Alten noch einmal an, lächelte und schrieb weiter. Dies Lächeln ermutigte den Alten. Nun, mach' Dir nichts drauS, lieber Freund, mach' Dir nichts draus, sagte er plötzlich entschlossen. Haben sie Dich beleidigt— mach' Dir nichts draus— spei' auf fiel Was schreibst Du denn da immerfort, wozu soll das taugen? Und er ahmte OleninS Geberden nach, klopfte mit beiden Daumen auf den Fußboden und verzerrte feine dicke Fratze zu einer Grimasse. Was soll Dir das dumme TeufelSzeug? Zeche lieber, das lobe ich mirl Mit dem Schreiben verband er keinen andern Begriff, als den einer schädlichen Teufclskunst. Olenin lachte. Jeroschka ebenfalls. Er sprang von dem Fußboden auf, um seine Kunst im Balalaikaspielen und im Gesänge tatarischer Lieder zu zeigen. Was soll das Schreiben, guter Freund? Höre Tu lieber zu, was ich Dir vorsinge. Stirbst Du, dann ist's vorbei mit den Liedern. Lustig, Bruder! Zuerst sang er ein Lied, das er selbst gemack>t hatte, ein Tanzlied: A-di-bi-di-di°di-Ii, Wo ich ihn gesehen? Mit den Nadeln sah ich ihn Auf dem Markte stehen. Dann sang er ein Lied, das ihn fein früherer Jcldlvcbel gelehrt hatte: Montag, da verliebt' ich mich, Dienstag litt ich bittre Qualen, Mittwoch, da gestand ich's ihr, Donnerstag harrt' ich der Antwort, Freitag ward mir der Bescheid, Daß ich kein« Hoffnung hätte, Samstag nahm ich fest mir vor Mit dem Leben abzuschließen; Aber um mein Seelenheil Ueberlegt ich mir'S am Sonntag. Und dann: A-di-di-di-di-di-li, Wo ich ihn gesehen?
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25 (26.11.1908) 229
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