Die zwcüe Begegnung fand einige Wochen später statt. Den 3. Januar, nachmittags, auf dem Marimiliansplape. Sylvester ging mit dem Sohne des Hannes Weiß aus Pirmasens . Er belehrte ihn, das; der Diktator Lucius Cornelius Sulla nicht, wie John White jun. angenommen hatte, den Casus Julius Cäsar erwordete, und daß man einen solchen . Verdacht schon deshalb nicht nähren könne, weil der Cornelius Sulla ungefähr vierunddreißig Jahre vor dem ruchlosen Morde gestorben war. In diesem Vortrage hielt Sylvester plötzlich inne, als zwei junge Mädchen mit fröhlichein Lachen um die Ecke bogen. Und er zog wieder hastig seinen Hut und wußte wieder nicht, ob Fräulein Traudchen Sporner seinen Gruß freund- lich aufgenommen hatte. Diesmal ober erhielt er Gewißheit. Als er seine Rede etwas zerstreut wieder aufnahm und sich über die pcrsön- lichen Verhältnisse des Cornelius Sulla ausließ, sagte John White jun: „Ich glaube, sie hat gewartet, daß Sie mit ihr sprechein" „Wer?" „Die junge Dame, welche Sie gegrüßt haben. Sic ist mit der anderen vor dem Laden stehen geblieben und hat hineingesehen." „Das wissen Sie nicht, John. Man darf eine Dame nicht anreden."— (Fortsetzung folgt.) (Nachdruck uctüoktt.) soj Die Kofahen. Von Leo Tolstoi . 31. Tie Sonne war schon hinter dem Birnbaum, welcher dem Wagen Schatten gab, hervorgetreten und ließ ihre sengenden Strahlen selbst durch die Weinreben hindurch, die Ustjenka zum Schutz geflochten hatte, schräg auf die Gesichter der Mädchen fallen, die unter dem Wagen schliefen. Mariana erwachte und schob ihr Kopftuch zurecht. Sie sah sich um und bemertte hinter dem Birn- bäum ihren Mieter, der mit der Flinte auf dem Nacken dastand und sich mit ihrem Vater unterhielt. Sie stieß Ustjenka an, lächelte und wies, ohne ein Wort zu reden, auf ihn hin. Gestern war ich aus, habe aber nichts geschossen, sagte Olenin und blickte unruhig umher. Er sah aber Mariana hinter den Blättern nicht. Gehen Sie nur an das Ende dort, gerade herum, dort in dem vernachlässigten Garten, man nennt ihn die Wüste, finden Sie immer Hasen, sagte der Fähnrich, der seine Sprechweise sofort der- änderte/ Ist das recht, in der Arbeitszeit auf die Hasenjagd zu gehen! Sie sollten uns lieber helfen kommen, mit den Mädchen arbeiten, sagte die Alte heiter.— Nun, Mädchen, aufstehen! rief sie. Mariana und Ustjenka flüsterten sich unter dem Wagen etwas zu und konnten sich vor Lachen kaum halten. Seitdem es bekannt geworden, daß Olenin Lukaschka ein Roß im Werte von fünfzig Münzen geschenkt hatte, wurden seine Wirts- leute freundlicher; der Fähnrich besonders schien die Annäherung an seine Tochter mit Befriedigung zu sehen. Ich kann ja aber nicht arbeiten, sagte Olenin und gab sich Mühe, nicht durch die grünen Zweige hindurch unter den Wagen zu spähen, wo er das Blaue Hemd und das rote Kopftuch Marianas bemerkt hatte. Komm her, ich gebe Dir Aprikosen, sagte die Alte. Altwcibertorheit, ein gastfreundlicher kosakischer Brauch der Vorzeit, sagte der Fähnrich, die Worte der Alten zugleich er- läuternd und gewissermaßen entschuldigend.— In Rußland , meine ich, haben Sie nicht nur Aprikosen, sondern auch Ananas oder anderes Eingemachtes nach Herzenslust gegessen. Also in dem vernachlässigtcii Garten gibt es welche? fragte Ölenin. Ich will hingehen.— Er warf einen raschen Blick durch das grüne Blätterdach, lüftete seine Mütze und verschwand zwischen den regelmäßigen grünen Spalieren des Weingartens. Die Sonne neigte sich schon zum Niedergang, sie stand schon hinter den Gärten, ihre weit. verteilten Strahlen schimmerten durch das durchsichtige Laub hindurch, als Olenin zu seinen Wirtslcuten in den Garten zurückkehrte. Der Wind wurde schwächer, und eine erfrischende Kühle herrschte in dem Weingarten. Schon aus der Ferne hatte Olenin instinktmäßig Marianas blaues Hemd durch die Weinspaliere hindurch erkannt. Er näherte sich ihr, indem er im Gehen Beeren pflückte. Auch sein abgehetzter Hund schnappte bon Zeit zu Zeit mit seiner feuchten Schnauze nach einer niedrig hängenden Traube. Marianas Gesicht war rot/ sie hatte die Aermel aufgestreift, und ihr Tuch war tief unter das Kinn herabgefallen. So stand sie da, schnitt die schweren Trauben ab und ordnete sie im Korbe, Ohne das Messer, las sie in der Hand hatte, los- zulassen, hielt sie inne, lächelte freundlich und setzte wieder ihr» Arbeit fort. Olenin näherte sich ihr und warf die Flinte über die Schulter, um seine Hände freizumachen.„Wo sind Deine An» gehörigen? Grüß Dich Gott ! Bist Du allein?" wollte er sagen. aber er sagte nichts und lüftete nur seine Mütze. Es machte ihn befangen, so allein mit Mariana zu sein, und doch trat er näher auf sie zu. als ob er sich mit Absicht Selbstqualen bereiten wollte. Du wirst noch die Weiber mit Deiner Flinte töten, sagte Mariana. Nein, ist schieße nicht. Sie schwiegen beide. Wenn Du mir doch helfen wolltest! Er zog ein kleines ZKesser hervor und begann schweigend Trauben abzuschneiden. Er traf tief unten im Laub auf eine drei Pfund schwere üppige Traube, an welcher die Beeren alle eng ancinandcrlagen, und zeigte sie Mariana. Soll ich alle abschneiden? Ist diese nicht zu grün? Zeig her. Ihre Hände berührten sich. Olenin ergriff ihre Hand, sie sah ihm lächelnd in die Augen. Sag, wirst Du bald heiraten? sagte er. Sie antwortete nicht, sie wandte sich ab und sah ihn NU? mit einem strengen Blick an. Sag, liebst Du Lukaschka? Was geht das Dich an? Ich bin eifersüchtig. Ach, was. Wahrhaftig, Tu bist ein schönes Mädchen? Und plötzlich schämte er sich furchtbar der Worte, die er gc- sprachen hatte. Sie schienen ihm gemein zu klingen, er wurde ganz rot, ward verlegen und ergriff ihre beiden Hände. Wie ich auch bin, für Dich bin ich nicht! Warum spottest Du meiner?... antwortete Mariana, aber ihre Blicke sagten, wie genau sie wußte, daß er ihrer nicht spottete. Spotten? Wenn Du wüßtest, wie ich... seine Worte klangen ihm noch gemeiner, noch weniger dem angemessen, was er empfand; aber er fuhr fort: Ich weiß nicht, was ich für Dich tun könnte... Laß mich. Schmierfink! Aber ihr Gesicht, ihre glänzenden Augen, ihre wogende Brust, ihre schlanken Beine sagten etwas anderes. Ihm war als verstünde sie, wie gemein ihm alles vorkomme, was er ihr sagte, aber sie stand über diesen Dingen; ihm war's, als wüßte sie längst alles, was er ihr sagen wollte und nicht auszusprechen vermochte, und als hätte sie nur hören wollen, wie er ihr es sagen würde.„Wie sollte sie es auch nicht wissen.— dachte er,— da er ihr doch nur alles das sagen wollte, was sie selbst war? Aber sie hatte verstehen, nicht antworten wollen,"— dachte er, Au, erklang plötzlich in der Nähe hinter den Weinspalicrcn Ustjenkas Stimmchen und ihr helles Lachen.— Komm doch her, Mitrij Andreitsch, hilf mir! ich bin allein— rief sie Olenin zu und steckte ihr rundes, harmloses Gesicht aus dem Laub hervor. Olenin antwortete kein Wort und rührte sich nicht von der Stelle. Mariana fuhr fort, Trauben zu schneiden, blickte aber un- verwandt ihren Mieter an. Er wollte eben etwas sagen, stockte aber und zuckte die Achseln. Dann warf er seine Flinte herum und ging eiligen Schrittes aus dem Garten hinaus. 32. Ein paarmal blieb er stehen und horchte auf Marianas und Ustjenkas helles Lachen; sie standen zusammen und unterhielten sich laut. Den ganzen Abend verbrachte Olenin auf der Jagd im Walde. Er schoß nichts und kehrte in der Dämmerung nach Hause zurück. Als er über den Hof ging, bemerkte er. daß in der Kammer der Wirtsleute die Tür geöffnet war. und sah ein blaues Hemd hindurchschimmern. Er rief Wanjuscha mit auffällig lauter Stimme, um seine Ankunft bemerklich zu machen, und setzte sich auf den Trcppcnflur auf seinen gewöhnlichen Platz. Die Wirtsleute waren schon aus dem Garten zurückgekehrt; sie kamen aus der Kammer, gingen in ihre Stube, baten ihn aber nicht zu sich. Mariana ging zweimal zum Tore hinaus. Des eine Mal im Dämmerlicht schien es ihm, als hätte sie sich nach ihm um- gesehen. Er verfolgte gierigen Blickes jede ihrer Bewegungen, wagte aber nicht, sich ihr zu nähern. Als sie in der Stube ver- schwunden war, stieg er die Treppe hinab und ging im Hofe auf und nieder. Mariana aber kam nicht wieder heraus. Die ganze Nacht verbrachte Olenin schlaflos auf dem Hofe und lauschte auf jeden Laut in der Stube der Wirtsleute. Er hörte, wie sie gegen Abend plauderten, wie sie das Ilbendbrot aßen, wie sie die Feder- betten aufschüttelten und sich schlafen legten; er hörte, wie Mariana aus irgendeinem Grunde lachte; er hörte auch/ wie alles ver- stummte. Der Fähnrich sprach etwas leise mit seiner Alten, ein anderer atmete. Er ging in seine Stube. Wanjuscha schlief in voller Kleidung. Olenin beneidete ihn. Er kehrte wieder auf den Hof zurück/ging wie vorher in beständiger Erwartung auf und nieder, aber niemand kam heraus, niemand näherte sich; nur das regelmäßige Atmen dreier Menschen ließ sich vernehmen. Er kannte Marianas Atmen, und er lauschte ihm beständig und lauschte auch auf das Pochen seines eigenen Herzens. Im Torfe war alles still geworden, der Mond war spät aufgegangen, und das Vieh, das auf dem Hofe war, das bald niederkauerte, bald sich träg aufrichtete. wurde deutlich sichtbar. Olenin fragte sich ärgerlich:«Wonach
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25 (1.12.1908) 232
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