Anterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 233.
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Andreas Vöft.
Mittwoch, den 2 Dezember.
( Nachdruck verboten.)
Bauernroman von Ludwig Thoma . Eylvester sagte das so bestimmt, als verkünde er eine große Weisheit. Innerlich machte er sich Vorwürfe über sein Verhalten. Er malte sich umständlich aus, wie er sich hätte benehmen sollen, und was dann gewesen wäre.
Wenn er zum Beispiel Fräulein Traudchen angesprochen Hätte: ch wollte mich nur nach dem Befinden Ihrer werten Eltern erkundigen," oder„ darf ich mir die Frage erlauben, ob Sie im Klavierspielen noch immer so große Fortschritte machen?"
Es war zu vermuten, daß die junge Dame freundlich geantwortet hätte, und dann war die Möglichkeit geboten, noch einige detaillierte Fragen zu stellen nach dem besonderen Befinden des Papa Sporner und dem besonderen Befinden der Mama Sporner, ja, sogar nach den Erlebnissen der Tochter selbst. about
Sylvester nahm fich fest vor, die nächste Gelegenheit nicht wieder so töricht zu versäumen und gründlich das Gesetz zu übertreten, welches er soeben feierlich dem John White jun. fundgegeben hatte.
1908
vester, wird sich unter den bekannten Bürgern auch ein ge wisser Michael Sporner befinden? Mich interessiert das weil dieser Herr mein Tee- und Tabaklieferant ist."
Sylvester wurde rot, und der alte Max Schratt nahm die Pfeife aus dem Munde und lachte herzlich.
Sie sind einmal ein Duckmäuser! Seit zwei Tagen schildern Sie mir alle Herrlichkeiten, die mich auf dem Balle erwarten, und die Hauptsache verschweigen Sie!" „ Ich dachte.
A
H
„ Sie dachten, daß ich hingehen sollte, um wieder einmal höhere Beamte zu sehen?"
bin
Also werden Sie kommen?"
Vielleicht. Weil Sie ein guter Kerl sind."
Ich kann Ihnen nicht sagen, wie mich das freut. Ich Ihnen so dankbar!"
Was versprechen Sie sich eigentlich von mir? Soll ich den Eltern Ihre Vorzüge schildern?"
,, Nein, wenn Sie nur dort sind! Dann traue ich mich, mit der Familie zu reden."
Schön! Reden Sie mit der Familie, vergessen Sie dabei aber nicht, das hübsche Fräulein Traudel zu engagieren! Ich werde mein möglichstes tun, um das Gemüt des Herrn Sporner zu erheitern. Post epulas sermones haberi solent. Nach dem Souper gibt man sich Gesprächen hin. Aber das Schicksal ließ ihn diesen Fehltritt nicht begehen. Ich will ihn fragen, wo der beste Leestrauch wächst." Obwohl er von nun ab für seine belehrenden SpazierDem Sylvester Mang war eine große Last vom Herzen gänge immer wieder den Marimiliansplaß wählte, unter- genommen, als er die Zusage seines alten Freundes hatte. brachen ihn keine lachenden Mädchen mehr, und er konnte Er sollte ihm ein Schild sein gegen die erstaunten Blicke ganz ungestört alle Irrtümer beseitigen, welche sich in die der Madame Sporner, ein Bote seiner aufrichtigen Vergeschichtlichen Kenntnisse seines Schülers eingeichlichen hatten, ehrung für sie, der wohlwollende Erklärer aller Tatsachen, Sebt ging Sylvester in seinen kühnen Plänen weiter. welche seine Teilnahme an solchen Luftbarkeiten entschuldigen Er wollte möglichst oft den Weg durch die Rosengasse nehmen und so den ersehnten Zufall mit Gewalt herbeiführen. Er konnte doch wie andere Menschen ganz unbefangen an der Firma Sporners selige Erben vorübergehen, auch zufällig zum dritten Fenster im ersten Stocke hinaufsehen und zufällig einem Mitglieder der Familie begegnen.
Solche Vorfäße faßte Sylvester Mang und hielt an ihnen fest, bis er an die Ecke der Rosengasse kam. Hier kehrte er jedesmal wieder um und legte sich die Gründe vor, welche gegen das Unternehmen sprachen.
Doch einmal faßte er sich ein Herz und bog mit unbefangener Miene in die Gasse ein.
Aber seine Schritte wurden langsamer, je näher er an das Haus fam.
Er schlich hart an der Wand von Sporners seligen Erben vorbei, und als er zur Ladentüre kami, machte er mit abgewandtem Gesicht drei große Schritte, um den Blicken der Madame Sporner zu entgehen, welche von der Kasse aus die Straße übersehen konnte.
Ach, wie lieblich duftete der Kaffee! Wie freundlich glänzte der Messinggriff an der Türe!
Und wie lustig rauchte der Neger auf dem gemalten
Schilde!
sills
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Das würde nun so kommen, dachte Sylvester. Herr Assessor Schratt und er würden den Ball besuchen. Herr Assessor Schratt würde die Familie Sporner begrüßen, und da müßte sich eine gute Gelegenheit finden, daß er sich gleichfalls dem Papa, der Mama und dem Fräulein in Erinnerung bringen fonnte.
Warum soll ich noch auf einen Ball gehen?" fragte
Schratt.
"
Bitte, fagen Sie zu! Sie werden sich sehr gut halten," bat Sylvester.
shid Das weiß ich nun gar nicht."
unter
fonnten.
Der Ball wurde abgehalten im Haderbräusaale; begann des Abends acht Uhr mit einer Polonäse und endete am frühen Morgen mit einem Kotillon; begann mit steifen Verbeugungen der jungen Männer, scheuen Blicken der Mädchen und endete mit fröhlichem Plaudern, begann mit einem schmerzlichen Lächeln des Herrn Merkle und endete mit der ausdrucksvollen Gebärde seiner Zufriedenheit.
Sylvester war frühzeitig gekommen. Er wollte auf Schratt warten, aber der schickte ihn fort.
Ich muß mit Gemütsruhe essen," sagte er.„ Und ich will Ihre herzklopfende Ungeduld nicht auf die Probe stellen. Sie würden heimlich die Minuten zählen und mich für ein gefühlloses Scheusal halten. Gehen Sie nur voran und er. varten Sie mich auf dem Schlachtfelde!"
Dann stand Sylvester an der Saaltüre bei den Jüngern der Klio . Keiner zeigte Fröhlichkeit oder jugendlichen Leichtfinn. Einige zerrten an ihren Handschuhen, andere richteten ihre Scheitel; alle blickten sorgenvoll in die Welt.
Merkle trat unter fie und gab ihnen die letzten Ver haltungsmaßregeln.
„ Also ein devotes Romplimang, wenn Damen eintreten. Anweisen der Pläge durch die Komiteemitglieder. Sieht man Bekannte, so eilt man auf sie zu, begrüßt sie herzlich und ist ihnen behilflich. Und heiter, meine Herren! Fröhliche Mienen! Damit sofort eine gehobene Stimmung Platz greift. Mit dem Engagieren erst beginnen, wenn die Gäste möglichst vollzählig erschienen sind! Man nähert sich hierbei der jungen Dame bis auf zwei, Schritte, macht ein Komplimang, tritt noch einen halben Schritt vor und sagt:" Gnädiges Fräulein, darf ich ergebenst um die Tanzfarte bitten?" Dann zeichnet man seinen Namen mit deutlicher Schrift ein; die Dame tut das Gleiche. Es ist Sache der Herren, sich genau den Namen, auch den Platz der Dame au merken. Verwechselungen
thout Gewiß; Sie werden sehen. Hufnagel sagt, es kommen fönnen zu sehr unangenehmen Ereignissen führen. Und jetzt fehr feine Familien."
"
Wer ist Hufnagel?"
" Der Vorstand der Klio . Er studiert Philologie." „ Das verrät allerdings eine gewisse Gediegenheit des Charakters. Und er übernimmt die Garantie, daß nur feine Familien kommen?"
a, befannte Bürger und höhere Beamte."
noch einmal, fröhliche Mienen! Man kommt!"
Der Diener öffnete die Saaltüre.
Ein beleibter Herr, eine stattliche Dame, zwei Engel in rosafarbenen Kleidern.
Der lange Jakob Hufnagel stürzte auf sie los, als wollte er einen feindliche: Angriff gegen sie ausführen. Die stattliche Dame wich ihm aus, und Merkle eilte herbei, um diese
" Höhere Beamte, bekannte Bürger. Sagen Sie, Syl- erste Verwirrung zu schlichten.