Es gelang ihm, die Fmnilie zu beruhigen und dem bc- leibten Herrn zu erklären, daß sich der Präses Hufnagel lediglich die Ehre geben wolle, den Herrschaften Plätze an- zuweisen. Von jetzt an war die Oaultiire in steter Bewegung. Duftige Gestalten schwebten hinein, geschmückte Mädchen drängten sich aneinander und flüsterten sich Geheimnisse zu, kernige Bürger schritten neben ihren Gattinnen einher, und über die Köpfe der Eintretenden weg fiel der Blick auf leuchtende Gestalten, die sich in der Garderobe aus ihren Mänteln sckiälten. Unaufhörlich flutete es in den Saal, vorüber an den Söhnen der Klio , welche angesichts der Herrlichkeiten immer beklommener wurden. lFortsetzung folgt.) (Nachdruck dervolcii) 3lz Die Kosaken. Von Leo Tolstoi . Nasarla war diese Nacht in Lutaschtas Auftrage in's Dorf gekommen, um Platz zu schaffen für ein gestohlenes Pferd; aus dem Heimwege hatte er Schritte vernommen. Am anderen Morgen kehrte er zur Kompagnie zurück und erzählte den Kameraden prahlend, auf wie schlaue Weise er zehn Münzen verdient hatte. Olenin begegnete am anderen Morgen seinen Wirtsleuten, sie wußten von nichts. Mit Mariana sprach er kein Wort, und sie lachte bloß in sich hinein, wenn sie ihn ansah. Die Nacht ver- brachte er wieder schlaflos und ging wieder vergeblich im Hofe umher. Den folgenden Tag verbrachte er absichtlich auf der Jagd, und am Abend ging er, um sich selbst zu entfliehen, zu Bjelezkij. Er fürchtete sich vor sich selbst und gab sich das Wort, nie mehr seine Wirtsleute zu besuchen. In der folgenden Nacht wurde Olenin von einem Feldwebel geweckt. Die Rotte sollte sofort zu einem Uebersall aufbrechen. Olenin freute sich über diesen Zufall und gedachte nie wieder nach dem Standort zurückzukehren. Der Kriegszug dauerte vier Tage. Der Befehlshaber wünschte Olenin zu sehen, denn er war mit ihm verwandt und machte ihm den Vorschlag, bei dem Stabe zu bleiben. Olenin lehnte ab. Er konnte ohne sein Dorf nicht leben und bat um die Erlaubnis, heimzukehren. Für den Feldzug erhielt er das Soldatenkreuz, das er einst so ersehnt hatte. Jetzt war er gegen dieses Kreuz vollkommen gleichgültig und noch gleichgültiger gegen den Vorschlag zur Beförderung, die auch immer noch nicht erfolgte. Er ritt ohne Geleit mit Wanjuscha zur Grenzlinie und überholte seine Rotte um einige Stunden. Olenin verbrachte den ganzen Abend aus dem Treppenflur, nach Marianka ausschauend. Die ganze Nacht ging er wieder ziellos, gedankenlos im Hofe umher. 33. Am andern Tage erwachte Olenin spät. Tie Wirtsleute waren schon fort. Er ging nicht auf die Jagd; bald nahm er ein Buch zur Hand, bald ging er hinaus auf die Treppe, kam wieder in das Zimmer zurück und legte sich auf das Bett. Wanjuscha dachte. er sei krank. Gegen Abend erhob sich Olenin entschloffen, begann zu schreiben und schrieb bis in die späte Nacht hinein. Der Brief war fertig, aber er schickte ihn nicht ab. Es hätte doch niemand verstanden, was er sagen wollte. Auch konnte niemand außer Olenin selbst daran liegen, es zu verstehen. Er hatte folgendes geschrieben: Ich erhalte aus Rußland Briefe voll Mitleids; sie fürchten, ich würde in der Einöde, in die ich mich vergraben habe, zugrunde gehen. Sie sagen: Er wird verbauern, er wird sich allen ent- fremden, er wird sich dem Trünke ergeben und zuguterlctzt ein Kosakenmädchcn heiraten. Nicht umsonst hat Jermolow gesagt: Wer zehn Jahre im Kaukasus gedient hat, ist entweder ein Trunken- bold oder der Gatte eines liederlichen Weibes. Entsetzlich! In der Tat, richte ich mich nicht zugrunde? während ich doch das große Glück habe» könnte, der Gatte der Gräfin B., Kammerherr oder Adelsmarschall zu werden. Wie häßlich, wie bejammernswert kommt Ihr mir alle vor! Ihr wißt nicht, Ivas Glück, was Leben ist. Man muß das Leben einmal in seiner ungekünstelten Schön- hcit erfahren haben. Man muß sehen und degreisen, was ich Tag für Tag vor mir sehe: die ewigen jungfräulichen Schneegipfel der Berge und das erbabene Weib in der ursprünglichen Schönheit, in der einst das erste Weib aus den Händen des Schöpfers hervor- gegangen ist. Dann wird Euch klar sein, wer sich zugrunde richtet, wer in der Wahrheit und wer in der Lüge lebt, Ihr oder ich. Wenn Ihr wüßtet, wie niedrig und bejammernswert Ihr in Eurer Selbst- täuschung erscheint! Wenn ich statt meiner Hütte, meines Waldes und meiner Liebe die Prunkgemächer, die Weiber mit dem pomadi- sierten Haar über den fremden, zusammengestoppelten Locken im Geiste sehe, diese unnatürlich bewegliiqen Lippen, diese versteckten und verkümmerten schwachen Gliedmaßen und dieses Stammeln der Sa?ons, das eine Unterhaltung sein soll und kein Recht hat, so zu heißen dann ergreift mich ein unerträglicher Ekel. Ich sehe im Geiste die stumpfsinnigen Gesichter, die reichen heiratslüsternen Mädchen, beren Züge sagen:Bitte, eS ist erlaubt, komm nur näher, wenn ich auch ein reiches Mädchen bin"; dieses Platzsuchen und Platzwechseln, dies plötzliche Verkuppeln zweier Menschen, den ewigen Klatsch, die ewige Verstellung; diese Vorschristen wem man die Hand gibt, wen man durch Kopfnicken grüßt, wem man ein paar Worte schuldet, und diese ewige Langeweile im Blut, die von Geschlecht zu Geschlecht forterbt.(Und alles das in der Ueber- zcugung von seiner Notwendigkeit.) Man muß sehen und begreifen, was Wahrheit und Schönheit ist. So zerfällt alles, was Ihr sprecht und denkt, was Ihr an Glück für mich und Euch wünscht, in Staub. Glück heißt mit der Natur leben, sie sehen, mit ihr Zwiesprache halten.Zuguterletzt heiratet er Gott behüte noch ein ein­faches Kosakenmädchcn und ist für die Welt auf ewig verloren." Ich stelle mir vor, wie sie mir das mit ausrichtigem Mitleid sagen. Und ich wünsche nur eines ganz verloren zu sein in Eurem Sinne ich wünsche ein einfaches Kosakenmädchen zu heiraten und wage es nicht, weil es der Gipfel des Glücks wäre, deffen ich nicht würdig bin. Drei Monate sind es her, daß ich das Kosakenmädchen Ma- riana zum ersten Male sah. Die Begriffe und Vorurteile der Welt, aus der ich herausgetreten war. lebten noch in mir. Damals glauhte ich nicht, daß ich dieses Weib liebgewinnen könnte. Ich ergötzte mich an ihr, wie an der Schönheit der Berge und des Himmels, und wie sollte ich mich nicht an ihr ergötzen? War sie doch so schön wie jene. Dann fühlte ich, daß der Anblick dieser Schönheit eine Notwendigkeit in meinem Leben geworden war, und ich fragte mich: Liebe ich sie etwa? Aber ich fand nichts in mir, was meiner Vorstellung von diesem Gefühle ähnlich war. Es war ein Gefühl, weder der Sehnsucht des Alleinseins, noch dem Wunsche der Ehe ähnlich, weder der platonischen und noch weniger der sinn» lichen Liebe ähnlich, wie ich sie erfahren hatte. Ich hatte das Be- dürfnis, sie zu sehen, sie zu bören, zu wissen, daß sie in der Nähe ist, und ich war dann nickt glücklich, sondern ruhig. Nach dem Fest-- abend, an welchem ick mit ihr zusammen war und sie nahe berührte, fühlte ich, daß zwischen mir und d'cfem Weib? ein unzerreißbares Band bestehe, gegen das nicht anzukämpfen sei. wenn ich es auch nicht Wort haben wollte. Aber ich kämpfte noch; ich sagte mir: kann ich wirklich ein Weib liebe», daS nie die innersten Jntereffen meines Lebens begreifen wird? Kann man wirtlich ein Weck lieben, nur weil sie schön ist? kann amn ein weibliches Marmorbild lieben, nur weil sie schön ist? kann man ein weckliches Marmorbild an mein Gefühl noch nicht glaubte. .Mach dem Festabend, an welchen? ich zum ersten Male mit ihr sprach, veränderte sich unser Verhältnis. Bis dabin war sie mir ein fremder, aber erhabener Gegenstand der Außenwelt ge» wcsen. Nach diesem Abend ward sie für mich ein Mensch. Ich suchte ihr zu begegnen, mit ihr zu sprechen; ich ging hinaus, wo ihr Vater arbeitete, und saß ganze Abende bei ihnen. Auch bei diesen nahen Beziehungen blieb sie in meinen Augen stets ebenso rein, so unnahbar, so erhaben. Sie ant­wortete auf alles und immer gleichmäßig ruhig, stolz und mit heiterem Gleichmut. Bisweilen war sie freundlich, meist aber drückte jeder ihrer Blicke, jedes ihrer Worte, zede ihrer Bewegungen Gleichmut aus, einen geringschätzigen, aber überwältigenden und bezaubernden Gleichmut. Tag für Tag suchte ich mit verstelltem Lächeln auf den Lippen ihr irgendwie beizukommen und mit der Pein der Leidenschaft und der Begierde im Herzen mit ihr ein scherzhaftes Gespräch anzuknüpfen. Sie sah, daß ich mich ver» stellte, und blickte mich doch frei, heiter und harmlos an. Mir wurde diese Lage unerträglich. Ich wollte nicht als Heuchler vor ihr er- scheinen. Ich wollte ihr alles sagen, was ich dachte, was ich fühlte. Ich war außerordentlich erregt; das war in den Weingärte». Ich sprach ihr von meiner Liebe in Worten, an die ich mich jetzt zu denken schäme. Ich schäme mich, weil ich nicht hätte wagen dürfen, ihr das zu sagen, weil sie so unvergleichlich hoch über diesen Worten und über dem Gefühle stand, das ich durch sie ausdrücken wollte. Ich verstummte, und seit diesem Tage ward meine Lage un» erträglich. Ich wollte mich nicht erniedrigen, hielt mich in scherz- haften Beziehungen von vorher und fühlte, daß ich noch nicht reis war zu klaren und einfachen Beziehungen zu ihr. Ich fragte mich verzweifelt: Was soll ich tun? In törichten Träumereien stellte ich sie mir bald als meine Geliebte, bald als mein« Gattin vor, und mit Abscheu wies ich meine Gedanken vor mir. Sie zur Dirne zu machen, wäre entsetzlich, wäre Mord gewesen. Sie zur Herrin zu machen, zur Gattin Dmitrij Andrejewitsch Olenins, wie eins von den Kosakenmädchcn des Dorfes, das unser Offizier geheiratet hatte, wäre noch schlimmer gewesen. Oh, wenn ich ein Kosak werden könnte, wie Lukaschka, Pferde stehlen, Most trinken, Lieder singen. Menschen töten und betrunken zu ihr auf eine Nacht durchs Fenster schleichen könnte, ohne mir darüber Ge- danken zu machen, wer ich hin und wozu ich war. Das wäre etwas anderes dann hätten wir einander begreifen, dann hätten wir glücklich sein können. Ich habe versucht, mich diesem Leben hin« zugeben, und ich habe ineine Spräche, meine Gebrechlichkeit noch stärker empfunden. Ich konnte mich und meine verworrene, wider» spruc�volle, mißgestaltete Vergangenheit nicht vergessen. Und meine Zukunft erscheint mir noch hoffnungsloser. (Fortsetzung folgt.)'