Die Hbneti des Pferdes.»Von Wilhelm Bölsche.Im Jahr 1879 begegnete der russische Reisende Przewalski'(sprich Pschewalskil in der wildesten Gegend der zentralasiaiischenWüste(im Tarim-Äccken) einem wilden Einhuser, der lein Wild-esel, sondern ein absolut echtes Wildpferd war. Die Kirgisennannten das Tier Kcrtag, die Mongolen Taki. Es war klein imganzen, doch mit grosiem Kopf, trug pfcrdehaste Lhren, eine zebra-hafte Mähnenbürst« ohne Schopf und einen Schwanz, der in deroberen Hälfte nur kurz behaart war und erst unten in einen Rosi-schweif mündete. Tie Farbe war Wüstenton zwischen Rötlich undWeisilich, die auffällig dicken Beine von den Knien abwärts schwarz.Herden von b— lö Stuck, Stuten und Fohlen mit einem alten Hengstals Führer, hielten zusammen. Die lebhaften, scharf witterndenTiere liebten die nackteste Salzwüste, wo es fast kein Waffer gab.Nur im Winter wurde eine Jagd möglich, wenn der Schnee denJägern das Waffer ersetzen konnte. Zweimal traf der Entdeckerauf eine Herde, ohne selbst zum Schusse zu kommen. Wie derSturcki brausten die Tiere dem Leitheugst nach davon. Aber einFell und ein Schädel, die anderweitig in PrzetvalskiS Besitz kamen.genügten sofort zur wissenschaftlichen Bestimmung daheim.Kein Gedanke diesmal an verwilderte mongolische Kulturpferde.Man stand vor einem echten Wildpferde, so gut wie die Zebras einesdarstellten. Bloß diesmal dem Wildpferde, das man gesucht hatte:nämlich einem wilden Einhufer, der offensichtlich zoologisch zu derengeren Gruppe gehörte, in die unser Kulturpferd zählt. Das hoch-interessante Geschöpf, mit dem eine mehr als hundertjährige Debattein ein ganz neues Stadium trat, wurde daS Przetvalskipferd getauft.Dann unternahm der Zoolog Büchner eine besondere Expeditionin die Dsungarei um des WildpferdeS willen. Er brachte auchglücklich ein paar Stuten lebendig heim nach Rußland. In demFalz-Feinschen Privattierpark in Askania Nova in Eüdrufflanderschien das wunderbare Tier zum erstenmal als wissenschaftlicherGefangener. Bei dem allgemeinen Interesse griff jtzt der Ham-burger Tierhändler Karl Hagenbeck, der große Nährvatcr all unserereuropäischen zoologischen Gärten, ein. Er beschaffte 28 Stücklebend für den Handel, lauter junge Tiere, die alle in der Nähevon Kobdo in der Westmongolei auf chinesischem Reichsboden er-beutet waren. Die mongolischen Jäger hatten durch jähes Auf-scheuchen größerer Trupps dr? Fohlen zum Zurückbleiben hinterihren flüchtigen Müttern gebracht und mit einer Art Lasso grfangen.Ins Lager gebracht, waren die jungen Tiere an zahme Stuten,denen man die eigenen Jungen fortgenommen, als Pflegemütterrasch gewöhnt worden,— ein lehrreicher Zug für einen gewiß unzählige Male in der Zähmungsgeschichte des Pferdes ähnlich sowiederholten Vorgang. Aus diesem Transport sind alle unser«größeren zoologischen Gärten mit Exemplaren versehen worden,und da die Fohlen inzwischen herangewachsen sind, kann man sichheute vom Przewalskipferde ein besseres Bild machen, als vonvielen weit länger bekannten Säugetieren.DaS schöne Pärchen des Berliner ZoologischenGartens zeigt besonders gut den Gegensatz zu den verschiedenenasiatischen Wildeseln der Nachbargchcge. Es gibt nicht leicht ver-Sbiedenere Tiere, niemand wird sie mehr voneinander ableiten wollen.uf den ersten Blick glaubt man die Rollen vertauscht: der Kulanerscheint wie daS große, hohe, schlanke Pferd; das Wildpferd wieder kleine dicke Esel. Ein nächster Blick zeigt dann aber in demKleinen doch die Linien des Pferdes, bloß etwas karikiert. Einschweres, massiges, dickbeiniges Pferd wie zusammengedrängt, kleinund niedrig gehalten. Das Zebra erscheint in den Füßen dazu wieSpielzeug. Unschöne, aber merkwürdige Tiere. Wilde nervöseSteppenläufer noch, denen man doch schon zutraut, was im Zebranie zu suchen wäre, daß sie vergrößert unermüdliche Karrengäulc,Last- und Ziehpferde abgeben könnten. Besonders die jungen Tierehaben so lange ungeschlachte Köpfe, daß sie mit gerade entgegen-gerecktem Gesicht bisweilen ausschauen wie eine ungeschickte Photo-•) W i l h e l ni Bölsche hat von seinem Tirrbüch, ausdem wir hier im vorigen Jahre«ine Probe boten, jetzt einen weiterenBand erscheinen lassen: Das Pferd und seine Geschichte(Verlag von Georg Bondi in Berlin). Wurde in dem ersten Bandedie Entstehung, die Urgeschichte und die aufsteigende Entwickclungder Säugetiere behandelt, so ist in diesem Pferdebuche die Geschichteeiner einzelnen hochstehenden, entwickclungsgeschichtlich sehr inter-essanten und für die menschliche Kultur äußerst bedeutsamen Tier-gruppe monographisch dargestellt. Reich an Rück- und Ausblickennimmt diese schöne Gabe volkstümlicher Naturbctrachtung überalldas Leben und seine Zusammenhänge zum Gegenstand der Tar-stellung, führt in die Probleme unmittelbar ein und gibt so zueigenem Beobachten und Nachdenken Anregung. Wer da? Buchaufmerksam liest, wird auf der Straße wie im Zoologffchen Gartenstets ein leicht zugängliches Beobachtungsmaterial finden, das ernun mit den Augen eines Sehenden betrachten kann. Aus dembloßen Schauen wird an der Hand solcher Führer ein Verstehen, ausdem Lesen in diesem Büchlein wird ein Lesen im großen uner-schöpflichen Buche der Natur und ihren Beziehungen zum Menschen.— Wir bieten mit freundlicher Erlaubnis des Verlages unserenLesern auch aus dem neuen Tierbuche einen Abschnitt, und zwarjenen, der von dem echten„llrwildpferde" und den Ahnen derheutigen europäischen Pferderassen handelt.graphie, die den Kopf in falscher Perspektive zu groß genommenhat gegenüber dem weiter abstehendei' Leibe. Die dicken Backenfallen stets besonders auf. Die Hauptsarbe gehört der Wüste,darin sind sie äußerlich allerdings völlig den Kulans„kongenial",und eL gibt wenig Fälle, wo zwei so gesonderte Tierformen vonWeitem doch so wieder überinstimmen, weil sie beide Prooukt gleichenMilieus sind: auch hier ein rätlicher Jsabcllton mit weißer Zutat.Je reifer sich besonders der Berliner Hengst ausgefärbt hat, destoreiner sind allerdings die Absätze dieser Wüstenfarben geworden,z. B. die Schnauze ordentlich blendend weiß gegen den mehr rotenKopf. Ganz wildeselhaft mutet auch noch der feine, aber scharfmit Tinte bis in die Schwanzwurzel ausgezogene dunkle Rücken-streif an.Dann aber, nach unten zu am Körper des Wildpferdes, kommtetwas, das ebenso deutlich ton den asiatischen Wildeseln auch in derFarbe schon trennt. Die Kulans und Dschiggetais werden nachunten so einheitlich hell, daß ihre Beine förmlich verschioindei?» undnichts macht sie so leicht so schwebend für das Auge, wie dieser Zug.Diese kleinen, schweren, ruppigen Jsabellpferde stehen dagegen wieauf vier dicken kohlschivarzen Pflöcken gegen die Erde verankert.Sie tragen an dem Fußbein über den Hufen richtige schwarzeStrümpfe. Beim Hengst mit seiner weit lebhafteren Färbunggeht die Farbe vorn bis über das Handgelenk(das vermeintlicheArmgelenk) und setzt so ebenholzschwarz ab wie der beste Strumpf.Und zu diesen dunklen Stempeln, die das ganze Tier nach untenorientieren und dem Blick doppelt schwer machen, tritt als fünftedunkle Masse noch der Rotzschweifteil des Schwanzes, der beimHengst sehr stolz und schwarz bis an den Boden rührt, alskönne er unten gar nicht genug den echten Pferdschwanz markieren,während doch an der wüstenfarbig gelben Rübe noch ein Teil Zebra-und Eselscharakter unverkennbar auch hier fortbesteht. In derhellen Salzwüste müssen diese Strumps-Pjerde aussehen, als kämensie allemal vom Passieren eines Moores. Im Sommer wie ge->schoren, wappnen die Przewalskier sich gegen ihren Steppcnwintermit einem krauseren Wollpelz, der besonders vom Kinn desHengstes als dicke Büschel herabhängt�cinen förmlichen Bocks-bard bildend.Im Berliner Zoologischen Garten ist das gehegte Paar alS„Urwildpferde" bezeichnet. Dieser Name trägt dem heute wohlallgemein anerkannten Satze Rechnung, daß von allen lebendenwilden Einhufern fortan' nur noch das Przetvalskipferd als eineUrform für unsere Kulturraffen überhaupt in Frage kommen kann.Indessen ist dazu noch eine erweiterte Betrachtung nötig, um demBegriff erst seine ganze Tragweite z» geben. Die überraschendeEntdeckung dieses zentralasiaiischen Wildpferdes mußte den Blickzunächst wieder ganz nach Asien ablenken, lokalisiert« ihn aber zu-gleich für das lebende Tier dort auf ein verhältnismäßig engesGebiet. Soviel sich aus Farbenunterschieden entnehmen läßt, bewohnen die Przewalskier gegenwärtig in zwei Varianten ihremongolische Heimat, mit einer etwas dunkleren daS Taumbeckenund einer sehr hellen die Wüste Gobi. Immerhin bliebe das einenger Bezirk, wenn es seit alters her so sein sollte— er würdede» Ort der Pferdezähmang geschichtlich aus ein« ganz bestimmteund ziemlich ungeeignete Gegend fixiere», falls in den Przewalsticrnwirklich die einzige und echte.Urform" stecken soll. Nun läßt sichaber erweisen, daß diese geographische Isolierung von heute offenbarselbst wieder nur ein später Zufall ist. Diese Urwildpferde überleben nur in der Gegend der kultursernen Gobi heute; verbreitetwaren sie dagegen in einer älteren Blütezeit tatsächlich über einunvergleichlick viel größeres Erdgebiet. Nachdem man sie jetzteinmal lebend an dem einen Fleck kennen gelernt hat, haben sich diewichtigsten nachträglichen Identifizierungen vornehmen lassen.Zunächst hat man feststellen können, daß Przewalskipferde nochim ersten Jahrtausend vor Christi Geburt wild in Mesopotamienvorkamen und gejagt wurden. Im Britischen Museum zu Londonbefindet sich eine Marmorplatte mit einer Reliefdarstellung, die ausdem Palast- des Sardanapal in Kujundschik stammt, also assyrischeArbeit rund aus der Zeit um 859 vor Christi ist, Kunstarbeit erstenRanges. Man sieht darauf zwei meisterhaft ausgeführte kleinePferde auf eiligster Flucht, während ein drittes, offenbar jungesTier, ein Fohlen, von zwei Assyriern eben gefangen worden lst.Ein Lasso liegt ihni uni den Hals, die Män?ter halten beide Endenfest, während das Pferd noch wild gegen die Fessel aufbäumt.Genaw also die Szene, wie bei Hagenbecks Przewalsticrn! Unddaß es sich wirklich nur um solche handeln kann, lehrt untrüglichder absolut unverkennbare, geradezu wundervoll charakterisiertePferdckopf bei gleichzeitiger aufrecht steifer Mähnenbürste und demechten Schwanz des Przewalskipferdes, bei dem auf halber Längeerst der echte Roßschweif einsetzt. Das heutige Lokaltier der fernenMongolei reichte also damals noch genau so lveit westlich, wie heutedie asiatischen Wildesel.Di« Ausbreitung muß aber in viel früheren Tagen noch wcsent-lich weiter gegangen sein. In den prähistorischen Zeiten Europasreichten jene Wildesel noch bis in die Schtveiz und nach Nord-deutschland. Knochen des Dschiggetai sind zum Beispiel bei Schaff-hausen gefunden worden. Auch hier aber hat sie daS Przewalski-pferd begleitet. Jene Tierbilder prähistorischer Menschen, auf denenunverkennbare Wildpferde erscheinen, stellen nämlich ebenso unver-kennbar gerade einen TypuS deS Przewalsliers darin dar. Da istfein langer dicker Kopf, die Bürstenmähne, die dicken Backen, dergedrungene dickbänchig-starkbeiiiige Leibesbau, ja vor allem jenerwinterliche Zottelbart unter dem Kinn. Eine Zeichnung aus der